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Popkultur

„Living In A Ghost Town“: Krisenmanagement mit The Rolling Stones

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Rolling Stones
Foto: Andrew Timms

Die Rolling Stones haben im Grunde schon alles überlebt: Nixon und die Beatles, das Heroin und die 1980er, den Schnaps und die Cops, sogar den Teufel höchstpersönlich. Es ist davon auszugehen, dass sie auch die Covid-19-Pandemie mit links überstehen werden.

von Markus Brandstetter

Ihrem ersten Lebenszeichen in Zeiten der Corona-Selbstisolation haftete durchaus trockener Humor an: Während nahezu alle prominenten Kolleg*innen beim „One World: Together At Home“-Benefizkonzert mit rührseligen Affirmationen für menschelnde Momente sorgten, sagten es die Stones lieber mit einem Titel aus ihrem 1969er-Longplayer Let It Bleed: You Can’t Always Get What You Want. Will heißen: Läuft eben nicht immer so wie man will, nicht mal für die Rolling Stones – schließlich mussten sie zuletzt ja auch ihre geplante Welttournee bis auf weiteres absagen und auch die Studioarbeiten liegen wohl erstmal auf Eis.

Vom Leben in einer Geisterstadt

Apropos Studioaufnahmen: Da spielten die Stones zuletzt unter anderem einen neuen Song ein, Living In A Ghost Town heißt er. Dieses Stück wurde nun veröffentlicht. Ein wenig umgeschrieben habe man den Song noch, erklärte Jagger, nicht allzu sehr – aber im Original waren einige Dinge für die heutige Situation wohl zu heftig, und auch ein wenig aktuellen Corona-Bezug wollte man noch einbauen. „I’m a ghost / Living in a ghost town“, singt Jagger. „You can look for me / But I can’t be found / You can search for me / I had to go underground“, das war bestimmt schon vorher da. Und dann die Corona-Zeilen: „Life was so beautiful / Then we all got locked down“.

Früher war hier mal alles belebt, heute…

Living In A Ghost Town ist der erste neue Song der Stones seit dem Jahr 2012. Damals kamen sie im Zuge eines Best-Of-Albums mit zwei neuen Stücken daher. Eines hieß Doom And Gloom, das zweite One More Shot. Das neue Stück ist ein Blues-Song mit Dub-Atmosphäre, in dem sich die Gitarren von Richards und Wood durch die Geisterstraßen schlängeln. Im linken Lautsprecher spielt eine Orgel den Offbeat und kleine Verzierungen, Charlie Watts’ Drumbeat treibt stoisch vor sich hin (hat man Watts je ein anderes Adjektiv geben können?), unterstützt wird er dabei vom Langzeit-Bassisten Darryl Jones.

Und Jagger tänzelt wieder durch die Straßen, aber nicht so wie damals mit Bowie: Die Straßen sind diesmal nämlich tatsächlich leer, und nicht nur, weil es schon so spät in der gnadenlos durchfeierten Nacht ist – sondern weil sie aufgrund des Lockdowns leer bleiben werden, vielleicht noch eine ganze Weile lang. „Once this place was humming / And the air was full of drumming / The sound of cymbals crashing / Glasses were all smashing / Trumpets were all screaming / Saxophones were blaring / Nobody was caring if it’s day or night“, erinnert sich Jagger an bessere Tage, die Dynamik steigert sich derweil – und weiter: „Every night I am dreaming / That you’ll come and creep in my bed / Please let this be over / Not stuck in a world without end“. Dabei klingt Jagger getrieben wie eh und je, man hört ihm die Jahre (immerhin 76 an der Zahl) nicht an. Living In A Ghost Town ist ein schlanker Stones-Song – und dadurch, dass er keinerlei überschüssiges Gewicht hat, hat er eine dichte Atmosphäre.


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The Rolling Stones - Living In A Ghost Town
The Rolling Stones
Living In A Ghost Town
Ltd. Purple/Orange 10” Vinyl Single

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Jaggers Bluesharp ist, genau wie seine Stimme, leicht verzerrt. Die Geisterstraßen bestehen aus Moll- und Dominantseptakkorden. Es ist absurd darüber nachzudenken, dass es die Stones seit 58 Jahren gibt – und sie immer noch Songs wie diesen veröffentlichen. Nur eines ist absurder: Darüber nachzudenken, dass sie das irgendwann einmal nicht mehr tun werden. Bis dahin wird hoffentlich noch viel Zeit vergehen… und die Sache mit diesem elendigen Covid-19 seit vielen Jahren vorbei sein.

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