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Popkultur

Vor 40 Jahren erscheint das barocke Pulp-Debüt „It“

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Foto: Des Willie/Getty Images

Zu Beginn ihrer Karriere sind Pulp noch weit von ihren prägenden Jahren in den Neunzigern entfernt – stilistisch wie kommerziell. Dennoch erscheint vor 40 Jahren mit dem Debüt It eine bemerkenswerte Kreuzung aus Leonard Cohen und The Human League.

von Björn Springorum

Bei Pulp, da denkt der geneigte Formatradio-Rockfan natürlich zuerst an Disco 2000. Daran ist nichts Falsches, ein großer Song bleibt ein großer Song. Er ist aber eben so nicht repräsentativ für eine Band, die gern in einem Atemzug mit den anderen Britpop-Epigonen genannt werden, aber eigentlich nie so recht zu Cool Britannia, Teenie-Wahnsinn und Top of The Pops gepasst haben. Auch ihre Geschichte beginnt weitaus früher als die von Oasis oder Blur. Und zwar vor 45 Jahren irgendwo in Sheffield.

Vom Fischverkäufer zum Pop-Idol

1978 ist Jarvis Cocker zarte 15 Jahre alt. Noch keine Spur von dem distinguierten Intellektuellen mit den halblangen Haaren und der Nerd-Brille, der schon mal aus dem Fenster fällt, weil er jemanden mit einer Spiderman-Darbietung beeindrucken will – und doch schon eine Persona mit sehr genauen Vorstellungen. Mit dem 14-Jährigen Peter Dalton gründet er die Band Arabicus, nennt sich bald darauf Arabicus Pulp und dann endlich Pulp, Cockers ursprüngliche Idee für den Bandnamen.

Damals verdient sich Jarvis Cocker etwas als Verkäufer auf dem örtlichen Fischmarkt hinzu, fällt dort schnell wegen seiner charismatischen und schlitzohrigen Verkaufsmethoden auf. Jeder, der Pulp schon mal live sehen konnte, hat sicherlich ein ziemlich klares Bild vor Augen, wie das ausgesehen haben mag. Charisma reicht aber eben nicht, um Weltstar zu werden. Die ersten Anfänge von Pulp verlaufen dann auch entsprechend, sagen wir, bescheiden. Im Juli 1980 geben sie ihr erstes Konzert, klingen damals noch nach „einer Mischung aus ABBA und The Fall“, wie das ein Zeitzeuge damals umschreibt. Radio-Gigant John Peel mag das, ermöglicht ihnen eine Peel Session, in der sich Pulp sehr vom britischen Sound der damaligen Zeit beeinflusst zeigen und eher an The Human League erinnern. Man ist eben noch auf der Suche, weiß aber inzwischen, wo man zu suchen hat.

Prediger von der heiligen Kanzel der Popkultur

Richtiger Erfolg bleibt dennoch aus. Die Band lässt sich nicht entmutigen und nimmt im Herbst 1982 ihr Debüt It auf, was zusammen mit dem Bandnamen die englische Bezeichnung für eine Kanzel, pulpit, ergibt. Jarvis Cocker predigt also seit 40 Jahren von der heiligen Kanzel der Popkultur. Zur Band zählen neben Cocker damals Simon Hinkler (der das Album auch produziert und später zu The Mission abwandert), David Hinkler, Wayne Furniss, Peter Boam, Gary Wilson und Cockers Schwester Saskia. Einige Cellos, Flöten und Geigen kommen auch noch von Bekannten, was schon verdeutlicht, dass sich die stilistische Ausrichtung abermals geändert hat: It glänzt mit folkigen, zarten Pop-Songs, die ihrer Zeit viel zu weit voraus sind und noch 40 Jahre später als perfekte Untermalung einer Netflix-Serie taugen würden.

Weniger ABBA, mehr Leonard Cohen, dazu die großen Spannungsbögen und Melodramen der New Romantics – eigentlich gelingt Pulp hier eine wirklich spannende Momentaufnahme einer entstehenden Band. Doch die Öffentlichkeit ignoriert die Band, was Jarvis Cocker zusehends frustriert. Diese Frustration soll sinnbildlich für die ersten zehn Jahre der Karriere stehen: nach dem Durchbruch spielt Cocker selten bis gar nicht Songs vor 1992, bis sich das Line-Up endlich mal nach seinen Vorstellungen verfestigt, rockt er rund zwei Dutzend Mitglieder durch.

Erst Britpop ermöglicht den Durchbruch

Wirklich erstaunlich ist, dass Jarvis Cocker einfach nie aufgegeben hat. Und während er von Misserfolg zu Misserfolg taumelt, entwickelt er seine charismatische, exzentrische Bühnenfigur und seinen ganz eigenen Sound. 1994 erscheint dann His N Hers in einer gewandelten Welt. Suede haben die Musik auf links gekrempelt, Oasis und Blur laufen sich warm. Mittendrin: Prediger Jarvis Cocker, der nach zehn Jahren der Kämpfe und der Frustration endlich Blut wittert. Und sich das Heft nicht mehr aus der Hand nehmen lässt. Und auch wenn Pulp wegen der Raffinesse und der exaltierten Art, die Cocker nach all den Jahren des Trainings längst angenommen hatte, nie zu den Britpop-Boys passen, die im direkten Vergleich fast milchgesichtig wirken: Sie mussten auf diese haushohe Welle warten, bevor sie endlich surfen konnten.

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