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Popkultur

Nachhaltige Rockkonzerte oder Greenwashing — wie können große Rock-Events nachhaltig sein?

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Mick Jagger
Foto: Lynn Goldsmith/Getty Images

Die Ärzte und Die Toten Hosen starten einen Öko-Konzertversuch, Coldplay wollen ihre Emissionen bei Stadiontourneen halbieren und auch andere ziehen nach. Stellt sich die Frage: Nachhaltige Rockkonzerte — geht das?

 von Markus Brandstetter

Denken wir doch mal an ein richtig großes Rockkonzert im Stadion. Uns kommen nicht nur die Songs unserer Lieblingsbands in den Sinn, sondern auch die Armada an Trucks, die quer durch die Welt rollen, um teilweise mehrere Bühnen in mehreren Städten gleichzeitig aufzubauen. Wir denken an die Privatjets, an die Armada von Tourbussen, an den Mega-Aufwand, die Merchandise-Stände. An Lichttürme, an Soundtürme, an Pyro-Spektakel. Und natürlich, vor allem bei Festivals: an jede Menge Bierbecher und anderen Müll, der rumliegt. Man assoziiert viel mit großen Rockkonzerten — Nachhaltigkeit kommt einem allerdings nicht unbedingt in den Sinn. In letzter Zeit versuchen aber immer wieder große Acts, sich des Themas nachhaltiger Konzerte anzunehmen.

Coldplay: So wollen Chris Martin & Co. nachhaltiger Touren

Coldplay zum Beispiel. Die dachten vor einigen Jahren laut darüber nach, gar nicht mehr auf Tour gehen zu wollen, bis es eine ökologisch tragbare Lösung geben würde. Glück für ihre Fans: Chris Martin & Co. hielten es dann doch nicht ganz ohne Touren aus, die Stadien der Welt wollen schließlich bespielt werden. Um ihrer Öko-Idee aber doch Rechnung zu tragen, tat sich die Band für ihre aktuelle Tournee mit dem finnischen Mineralölunternehmen Neste (nicht zu verwechseln mit nur bedingt als Umweltapostel bekannten Konzern Nestlé) zusammen. Neste erklärte, auf Coldplays Tour werden ausschließlich erneuerbare Kraftstoffe verwendet, die aus gebrauchtem Speisefett und tierischen Abfallprodukte. Außerdem fungierte BMW als Sponsor und stattete die Produktion mit wiederaufladbaren Batterien für Elektrofahrzeuge aus. Das sollte das Touren in puncto ökologischen Fußabdruck etwas optimieren. Schön und gut — blöd nur, dass Neste vorgeworfen wird, innerhalb nur eines Jahres 10.000 Hektar Regenwald gerodet zu haben — für Palmöl (das auf der Coldplay-Tour allerdings offiziell nicht verwendet wurde). Der Umweltverband T&E kritisierte das heftig: „Die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, das mit Abholzung in Verbindung steht, macht sie zu hilfreichen Idioten für Greenwashing“, so der Senior Director Carlos Calvo Ambel damals über Coldplay. Und auch BMW stehen unter Kritik, was Coldplay zu einem Statement veranlasste:  „Wir haben keine Verbindung zu oder Einfluss auf ihre Unternehmenspolitik, wir brauchen nur ihre Batterien, damit wir unsere Shows mit erneuerbarer Energie versorgen können“, so die Band damals.

Die Toten Hosen und Die Ärzte: Berlin als Öko-Labor

Auch in Deutschland macht man sich über nachhaltige Konzerte Gedanken. Im August 2022 starteten Die Toten Hosen und Die Ärzte eine einen Öko-Versuch. Man wolle „klima- und ressourcenpositive Produkte und Prozesse“ umzusetzen und testen und beweisen, wie eine Kreislaufwirtschaft funktionieren kann „die ökonomische, ökologische und soziale Mehrwerte für die gesamte Gesellschaft bietet“, hieß es in einer Mitteilung. Man setzte auf Ökostrom, Humustoiletten, verkaufte kompostierbare T-Shirts.

„Wir wollen versuchen, uns bei unseren Veranstaltungen so klimapositiv und nachhaltig zu verhalten, wie wir es von der Bühne herab predigen. Wir sind bereit, dafür Opfer zu bringen und wissen, dass wir viel verlangen, wenn wir Euch da mit ins Boot holen, aber ohne Euch geht es nicht. Wir müssen den Willen zur Veränderung gemeinsam demonstrieren!“, erklärten die Ärzte.

Nachhaltige Rockkonzerte — geht das?

In Deutschland könnte nachhaltiges Touren schwierig werden — warum, erklärte Live-Entertainment-Experte Stefan Lohmann im Interview mit Deutschlandfunk. „Eine nachhaltige Tour scheitert in Deutschland schon am Ökostrom. In großen Locations bekommen Künstler nicht flächendeckend Ökostrom, und es gehört für mich zum Handwerkszeug, dass alle Hallen und Locations sowas anbieten müssen“, so Lohmann. Nicht nur die Bands, vorallem die Veranstalter und Ausrüster seien aufgefordert, mehr Augenmerk auf Nachhaltigkeit zu legen.

Es gibt auch Aktionen, die zumindest kleinere Zeichen setzen wollen. Der nachhaltige Ticketshop Ticketree erhebt bei jedem verkauften Ticket eine sogenannte „Baumgebühr“ von 50 Cent, mit denen heimische Wälder wieder aufgeforstet werden sollen.

Ein großes Thema auf Rockkonzerten ist auch der Müll — und zwar nicht der, den die Bands selbst hinterlassen — sondern der der Zuschauer und Zuschauerinnen. Hier gab es in den letzten Jahren auch in Deutschland Kontroversen — so empörten sich die Nürnberger Grünen über das Festival Rock im Park. Wie die Süddeutsche Zeitung 2019 schrieb, seien bei Rock im Park in den letzten Jahren 300 Tonnen Müll angefallen, der teilweise noch Wochen nach dem Event rumgelegen sei. Die Grünen hatten damals in einem Antrag „weniger Müll, mehr Nachhaltigkeit“ gefordert. Ein Großteil des Mülls seien Zelte und Möbel gewesen, die das Publikum mitbrachte, aber nicht mehr mit nach Hause nehmen wollte. Überhaupt soll das Zeitproblem auf deutschen Festivals gravierend sein — so sehr, dass eine eigene Initiative namens „Love Your Tent“ gezielt gegen das Hinterlassen von Zelten einsetzt — und auch das Konzept Green Camping ist in den letzten Jahren immer prominenter geworden.

Und so löblich es ist, dass Chris Martins’ privater Tourbus nur noch mit Rapsöl im Tank anrollt — den größten Fußabdruck macht natürlich die Anreise der Fans. Und solange denen keine problemlose Anreise ohne Auto ermöglicht wird, werden diese auch völlig zurecht mit dem Auto anreisen. Eines lässt sich sagen: Bei der Idee von nachhaltigen Rockkonzerten scheiden sich die Geister — und es gibt noch viel zu tun.

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