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Wild Honey von den Beach Boys — Die Kalifornier entdecken den Soul und alle grummeln

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Wenn sich weiße Musiker dem Soul annehmen, birgt das zahllose Risiken. Das offensichtlichste Risiko besteht wohl darin, in einem Akt kultureller Aneignung den Soul – die Musik der schwarzen Sklaven auf den Baumwollplantagen der USA – zu entkernen, ihrer Herkunft und ihres Kontextes zu entledigen und daraus ein Chart-toppendes Album zu machen. Kritiker haben diese Praxis weißer Musiker mit Recht als kulturelle Ausbeutung verurteilt, als white washing des Soul, wenn man so will.


 

Ein anderes Risiko ist, als weiße Band aus sunny California ein Soulalbum zu machen, das von der Kritik dann zerrissen wird. Aus heute nur wenig nachvollziehbaren Gründen geschah das mit Wild Honey von den Beach Boys, als dieses im Dezember 1967 erschien. Heute wird das Album wieder gefeiert, wie das manchmal erst mit etwas Abstand möglich ist. Doch schauen wir uns die Ausgangssituation anno 1967 genauer an.


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Nach elf Alben, die in einer Zeitspanne von nur fünf Jahren erschienen waren und für die Brian Wilson die meisten Songs geschrieben hatte, war der gerade mal 25-jährige Junge am Rande des Nervenzusammenbruchs. Künstlerisch ausgebrannt und ermattet bat er den Rest der Truppe, sich mehr in den Schreib- und Produktionsprozess des neuen Albums zu involvieren. Vor allem Brians Bruder Carl folgte dieser Aufforderung und wollte, dass dieser sich wieder erholen konnte: “Wild Honey was music for Brian to cool out by.” “Nur” neun der 13 Songs wurden von und mit Brian Wilson geschrieben, einer entstand sogar ganz ohne ihn How She Boogaloeed It.


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Ebenfalls neue Wege geht das Album in den Gesangsstrukturen. Statt wie auf den Vorgängern hauptsächlich im Chor zu singen, hören wir meist Brian allein singen, nur begleitet von gelegentlichen Backing Vocals.

Die Erwartungen an das neue Beach Boys Album waren im Herbst 1967 ungewöhnlich hoch. Die Band hatte sich einen Namen als surfende sunny boys gemacht – ein Image, das ihnen selbst schon recht bald aus den Ohren herauskommen sollte. Sie hatten ihren Platz an der Chartspitze gefunden, als amerikanische sonnenverwöhntere Version der Beatles, als einzige wahre Rivalen der Pilzköpfe, wie manche fanden.


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Nun brachten diese Jungs also ein Album heraus, das ganz offensichtlich einer anderen Band Konkurrenz machen wollte: den Rolling Stones. Diese Aufforderung zum Duell hört man sehr vielen Songs des Albums heraus, vor allem aber Wild Honey und I Was Made To Love Her.

Die missmutige Kritik aus der Zeit des Albumreleases zielte dann auch auf zwei Dinge im Speziellen ab: Erstens fragten sich viele Kritiker, wieso die Beach Boys erst geraume Zeit nach den Beatles und Rolling Stones auf die Idee gekommen waren, sich mit Soul und R&B zu beschäftigen. Zweitens fanden sie, bleibe Wild Honey schlicht hinter den Erwartungen zurück, die man an diese geniale Band habe. So heißt es von dem Musikjournalisten Paul Williams:  “We expected more (von Brian) than we would expect from any other composer alive, because the tracks we’d heard from Smile were just that good.” Fluch und Ehre, wer solche Erwartungen in anderen hervorruft.


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Und der Rolling Stone von damals schreibt, die Beach Boys hätten sich zu vielen bereits existierenden musikalischen Ideen und Sprachbildern bedient. “It’s kind of amusing that the Beach Boys are suddenly re-discovering rhythm and blues five years after the Beatles and Stones had brought it all back home”. Das muss gesessen haben.

Dabei waren sich zumindest alle einig, dass sich die weiße Band aus Kalifornien auf respektvolle Weise dem Soul näherte, ohne ihn für sich zu reklamieren. Der Opener Wild Honey ist übrigens Stevie Wonder gewidmet, glaubt man Mike Love.



Aber Kritik ist mindestens genau so sehr in ihrer Zeit verwurzelt wie das (pop-)kulturelle Produkt, dessen sie sich annimmt. Was lässt sich also heute über Wild Honey sagen? Wie umgehen damit, wenn einen dieses Album über alle Maßen begeistert? Ist das Verblendung? Winterblues, dem man mit sonnigen Klängen zu entfliehen versucht? Aus Sicht der mitteljungen, Winterblues-geplagten Rezensentin ist dieses Album locker, funky und beschwingt und lässt kaum Wünsche offen.

Es steht nun mal auch nicht mehr im Vordergrund, welche (überzogenen) Erwartungen Fans und Musikpresse damals an ihren Messias namens Brian Wilson hatten.  Wild Honey klingt weder ausgebrannt noch ideenlos. Es ist einfach nur ein sehr gutes Beach Boys Album. Songs wie Aren’t You Glad, I Was Made To Love You, I’d Love Just Once To See You oder eben auch das namengebende Wild Honey sind großartige Songs mit genügend musikalischer und textlicher Dichte. Wer immerzu mehr und mehr von einer Band erwartet, ist am Ende nur selbst enttäuscht. Oder, um es mit den Beach Boys zu sagen: “No good will it do you to stand there and frown at me”


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