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Popkultur

30 Jahre „Undertow“: Tool ziehen uns erstmals in ihren düsteren Sog

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Tool
Foto: Lindsay Brice/Getty Images

Inmitten von Grunge und Nu Metal lassen Tool 1993 ihr metallenes, industrielles, beunruhigendes Debüt Undertow detonieren. Es ist der Beginn einer einzigartigen Karriere – und bis heute ein psychotisches Alt-Metal-Manifest.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Undertow hören:

Anfang der Neunziger liegt etwas in der Luft. Nach Nevermind explodiert 1992 der Grunge, zugleich machen sich Bands wie Korn oder Deftones bereit, Rock und Metal in die Zukunft zu führen. Alternative Rock und Metal bekommen durch MTV eine große Bühne, überall in den USA tut sich was.

In Los Angeles bekommt man das natürlich alles mit, wahrscheinlich sogar früher als anderswo im Land. Die Stadt ist immer noch das Mekka der Glücksritter und Träumer, verspricht Menschen aus allen Teilen des Landes die große Karriere, den ganz großen Durchbruch. Auch den Leuten, die später mal Tool gründen werden: Maynard James Keenan kommt aus Michigan und arbeitet als Haustierladen-Einrichter (ernsthaft!), Paul D’Amour und Adam Jones wollen ihr Glück beim Film versuchen, während Danny Carey mit Green Jellÿ auftritt.

„Wir sind dein Werkzeug“

Wie das eben so in der Stadt der Engel ist, führt das Schicksal sie irgendwann zusammen. Sie gründen eine Band, deren Name als Lautmalerei gedacht ist: „Unser Sound klingt nach Tool“, sagte Keenan mal. „Ein großer Schwanz, ein Schraubenschlüssel. Wir sind dein Werkzeug. Benutze uns als Katalysator, um das zu finden, was auch immer du suchst.“ Allen ist von Anfang an klar, dass man nicht so klingen will wie all die Alternative-Acts, die das Radio und Musikfernsehen der frühen Neunziger fluten. „Überall tauchten diese sogenannten Alternative-Bands auf, die ihre simplen Liedlein im Radio trällerten“, so äußerte sich Carey mal wenig schmeichelhaft. „Unsere Band war für mich aber immer schon eher eine, in die du deine Zähne versenken kannst. Wir schrieben von Anfang an Kompositionen, keine Lieder, und suchten nach komplexeren Arrangements, um Emotionen freizusetzen.“

In den Kellern und Bars von Los Angeles entsteht ein harter, originärer Sound von bleierner Schwere, progressiver Dialektik und paranoider Stimmung: düster und hart, bisweilen psychedelisch, groovebetont und gern episch in den Refrains. Da schwingt Pantera ebenso mit wie die Musik der Siebziger, zugleich nehmen Tool den schlabbernden Sound von Korn vorweg. Kurz gesagt: Echte Pioniere eben, die mit der EP Opiate (1992) erstmals von sich reden machen. Gut, und mit dem Video zu Hush, in dem sie nackt gegen Zensur protestieren, die Genitalien lediglich bedeckt mit einem der damals neuen Parental-Advisory-Sticker.

Steril, abweisend, von schneidender Härte

Tool spielen mehr und mehr Konzerte, touren mit Rollins Band, Fishbone, Rage Against The Machine, White Zombie und Corrosion Of Conformity. Allein diese eklektische Auswahl an Bands zeigt ja schon, dass man Tool nicht unbedingt einordnen, einschätzen kann. Die Band geht auf in ihrem Status als schwer klassifizierbare Dissidenten und entwickelt das ganze Jahr 1992 über ihren harten, industriellen, vertrackten Sound weiter. „Bei der EP beschnupperten wir uns noch, weswegen die Songs kompakter und mehr auf den Punkt gespielt sind“, so Keenan. „Doch zugleich wuchsen wir, wurden abenteuerlicher und entwickelten uns in großen Schritten weiter.“

Ab Oktober nistet man sich in den legendären Sound City Studios ein, um einen Sound auf Tape zu bannen, der noch dynamischer, noch ausladender, noch frustrierter, noch nihilistischer klingt aus auf der ersten EP. Die Stimmung ist ahnungsvoll, Keenans klagender, bellender Gesang bis heute unter Tausenden sofort erkennbar, die Produktion steril, abweisend und von schneidender Härte. „Die Songs wurden von all den Schwierigkeiten in unserem Privatleben befeuert“, erklärt Keenan die fiese Energie des Albums. Alle Bandmitglieder müssen damals ordentlich strampeln, um über Wasser zu bleiben, haben frustrierende Jobs oder keine Kohle. „Die Musik war pure Emotion und absolut reaktionär.“

Ein neuer Zeitgeist

Der 70-minütige Trip Undertow erscheint am 6. April 1993, als Grunge die größte Musik der Welt ist, als Pop-Punk gerade Fahrt aufnimmt und Nu Metal die Baggy-Pants überzieht. Diese Platte hier ist die Gegenbewegung zu all dem, ist düsterer, psychotischer und existentieller und setzt von Anfang an auf starke, verstörende Visuals. Obwohl Undertow alles andere als kommerziell ist, obwohl die Band so gar nicht in den Zeitgeist passt, gelingt ihnen ein Traumstart. Im Sommer 1993 spielen sie die Lollapalooza-Festivals und können schon im September 1993 eine Goldene Schallplatte für ihr Debüt in Empfang nehmen. Trotz der Kritik und der Zensur einiger Händler wird die Nummer Sober zum ersten großen Hit und bekommt von Billboard den Best Video By A New Artist-Preis für das kunstvolle Stop-Motion-Video.

Nicht übel für eine Band, die so dermaßen anders klingt als alles andere da draußen. Kein Industrial Rock, kein Grunge, kein Punk, kein Metal. Einfach Tool. „Wir wollten all diese Hair-Metal-Bands und schmierigen Idioten hinter uns lassen, weil sie all die guten Bühnen blockierten. Dabei gab es damals eine großartige Underground-Szene in L.A., der wir uns sehr verbunden fühlten. Wir kämpften gegen das Alte und wollten für uns eine neue Szene erschaffen.“ Klappt: 1996 erscheint der Nachfolger Ænima. Und macht Tool zu Weltstars.

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