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Popkultur

40 Jahre „Into The Unknown“: Als Bad Religion plötzlich Synth-Rock machten

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Bad Religion
Foto: Gary Leonard/Corbis via Getty Images

Punk-Hardliner verachteten Bad Religion dafür, die Band selbst löst sich bald nach der Veröffentlichung ihrer zweiten Platte Into The Unknown auf: Dies ist die Geschichte eines schrägen und vergessenen Kapitels kalifornischer Punk-Historie.

von Björn Springorum

Mit Punk verhält es sich ja wie mit allen anderen Bubbles auch: Die Szenezugehörigen sind mitunter etwas engstirnig und frönen eher einer ungesunden Stasis. Im frühen kalifornischen Punk heißt das: Man darf weder berühmt noch reich werden – und schon gar nicht seinen Stil ändern. Bad Religion ist dieser Szenedünkel von Anfang an zu dumm. Heute wissen wir: Das ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe, weshalb es diese Band überhaupt noch gibt.

Kaderschmiede des kalifornischen Punk

Zeitreise in die frühen Achtziger. Am 11. November 1980 spielen Bad Religion ihre erste Show in Burbank. Sie sind Teenager, haben sich einen provokanten Namen gegeben, und machen bald von sich Reden. Gitarrist Brett Gurewitz gründet einfach ein eigenes Label, um die selbstbetitelte erste EP zu veröffentlichen – Epitaph Records, längst eine legendäre Kaderschmiede des kalifornischen Punk. 1982 erscheint ihr Debüt How Could Hell Be Any Worse?, ein früher Klassiker des schnörkellosen, treibenden, dezent melodischen Westküsten-Punk.

Es wäre ein Einfaches gewesen, auf diesem Erfolg aufzubauen: Der Erstling verkauft sich über 12.000 Mal, der Name Bad Religion zirkuliert in immer weiteren Kreisen aus Kalifornien heraus. Stattdessen erscheint am 30. November 1983 mit Into The Unknown ein Album, das die Punk-Hardliner Kaliforniens vor große Probleme stellt: Keine Spur mehr vom ruppigen Hardcore Punk des Debüts, stattdessen gibt es eine seltsame Art von Hard Rock, eher proggig, langsam und dominiert von sehr prägnanten Synthesizern.

Eher Boston und Foreigner statt Punk

Die Texte sind bisweilen immer noch sozialkritisch, aber zwischendrin durchaus metaphysisch, die ganze Stimmung ist durchzogen von einem gewissen spacigen Gefühl, überwiegend ziehen eher AOR-Helden wie Boston, Styx, Journey oder Foreigner am inneren Ohr vorbei. Was zum Henker ist denn da passiert?

Wer sich auf Erklärungssuche begeben möchte, muss sich die Tournee zum Debütalbum mal genauer ansehen. Bei den Konzerten fällt Bad Religion auf, dass sich die Hörerschaft in Südkalifornien stark verändert. Punk, so scheint es ihnen, ist auch schon wieder ein Relikt der Vergangenheit, so gut wie tot. „Die Punkszene war irgendwie desillusionierend“, so sagte Sänger Greg Graffin mal. „Als wir 1980 anfingen, war sie so viel akzeptierender, so viel offener, so viel liberaler. Den Leuten war es egal, wie man aussah, es gab keine Zugehörigkeiten, keine Fraktionen. Dann, gegen Ende 1982, kam aus irgendeinem Grund diese Gang-Mentalität auf. Alle dachten, sie sollten sich zusammentun und sich gegenseitig bekämpfen.“

Der Bassist schmeißt empört hin

Enttäuscht vom Genre, beschließen die immer noch kaum volljährigen Mitglieder, andere Wege einzuschlagen. „Da die Szene uns im Stich gelassen hat, haben wir, nicht wissentlich, aber jetzt im Nachhinein, auch die Szene im Stich gelassen“, meint Graffin dazu. Ganz ohne Wachstumsschmerz geht das nicht über die Bühne: Laut Autor Dave Thompson in seinem Buch Alternative Rock (2000) waren die darauffolgenden Sessions „im besten Fall angespannt und im schlechtesten Fall geradezu katastrophal.“ Das Album ist ein Schnellschuss, eher eine Art Insider-Witz, weil die Band sich damals selbst nicht wirklich ernst nimmt und zu keiner Sekunde daran glaubt, dass man sich lange für sie interessieren würde – trotz des Erfolgs ihres Debüts und ihrer Popularität im Underground. Also flippen sie im Studio aus: Sänger Greg Graffin macht sogar derart inflationär vom Roland Juno-60 Synthesizer Gebrauch, dass Bassist Jay Bentley vollkommen die Band verlässt.

Dabei honoriert die Band nur ihre Wurzeln. Gaffin und Gurewitz sind ursprünglich totale Prog-Rock-Enthusiasten, bevor sie im Punk-Becken landen. Into The Unknown soll das reflektieren. Und das tut es: Das Tempo ist merkbar rerduziert, die Melodien werden eher vom Piano getragen als von der Gitarre, die E-Orgel röhrt und pfeift munter über allem. Das Erstaunliche: Graffins Gesang, der ist auf diesem Album richtungweisend für alles, was später noch von Bad Religion kommen soll. Da muss man nur mal Losing Generation hören. Alles da.

„Schrecklicher Fehltritt“

Into The Unknown ist also ein Kuriosum. Vor allem aber ist es eine echt unterschätzte Platte, die kaum jemand kennt: Seit ihrer Veröffentlichung vor 40 Jahren wurde sie nie wieder neu aufgelegt, Gurewitz selbst nennt das Album einen „schrecklichen Fehltritt“. Beim einzigen Konzert nach der Veröffentlichung tauchen nur zwölf Leute auf, weil die Runde gemacht hat, dass die Band die Dreistigkeit besitzt, ein Keyboard auf die Bühne zu schleppen. Die Platte wird zum Flop, bald darauf trennt sich die Band, selbst Epitaph hören auf.

Das ist mehr als schade, wie auch Kritiker Robert Christgau vom Village Voice anerkennt: „Ich bin bewegt von der hymnischen Ambition – und der gesamten Leistung“, schreibt er damals. John Dougan von AllMusic reiht sich ein. Für ihn ist Into The Unknown ein „großartiges Album, das vielleicht gewagter war, als man zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung dachte.“ Into The Unknown ist bis heute das große verlorene Album von Bad Religion – und sollte wirklich, wirklich, wirklich neu aufgelegt werden.

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