Popkultur
5 Gründe Morrissey live zu sehen
Der Mozzer wird nicht müde. Zuerst waren nur ein paar exklusive Einzelshows von Morrissey angekündigt, doch vor ein paar Wochen wurde auf einmal eine ausgedehnte Welttournee daraus. Am 16. August geht es in Berlin los, ein paar Tage später stattet er seiner alten Heimat Manchester einen Besuch ab und reist dann von Kontinent zu Kontinent. Echte Fans vom Ex-Sänger der Smiths, einer der besten und wichtigsten Indie-Bands der 1980er, haben Morrissey vermutlich schon das ein oder andere Mal live gesehen. Wir haben uns fünf gute Gründe überlegt, wieso man ihn trotzdem unbedingt nochmal auf einem Konzert erleben sollte.
Hört euch hier die Morrissey Live-Wunschliste unseres Autors an und lest weiter:
1. Alte Smiths-Songs hören
Wir müssen uns endlich damit abfinden: Eine Reunion der Smiths wird es niemals geben, zumindest wenn es nach Morrissey geht. Zu tief sind die Gräben zwischen ihm und den anderen ehemaligen Mitgliedern Johnny Marr, Andy Rourke und Mike Joyce. Anders gesagt: Morrissey ist wohl der einzige, der eine solche Reunion nicht nötig hat. Auch wenn seine letzten Alben vielleicht nicht die besten seines Lebens waren, läuft seine Solokarriere seit den späten 1980ern immer noch hervorragend. Trotz einiger Höhen und Tiefen kann er sich wirklich nicht darüber beschweren, wie sich die Dinge für ihn seit dem Ende der Smiths entwickelt haben. Morrissey hat deshalb keinen Grund, nostalgisch zu werden und auf die ganz alten Hits zu setzen, aber er tut den Fans dann doch ab und zu den Gefallen: Vereinzelte Smiths-Songs gehören zum festen Repertoire seiner Konzerte. Johnny Marr, der alle diese Songs komponiert hat, spielt diese zwar auch regelmäßig, aber ohne Morrisseys Stimme bleiben sie leider doch nur bessere Coverversionen. Wer also How Soon Is Now, The Queen Is Dead oder sogar This Charming Man noch einmal in voller Pracht hören will, der muss auf ein Morrissey-Konzert gehen. Wir übernehmen keine Garantie für diese Auswahl, aber die Chancen stehen hoch.
2. Morrissey-Songs mitsingen…
Aber Achtung: Wenn man nur wegen den alten Songs zu einer Morrissey-Show geht, wird man am Schluss eher bitter enttäuscht nachhause gehen. Eine Nostalgie-Show wird es hier nicht geben, und das ist doch auch gut so: Auf über zehn Alben und Single-Compilations hat Morrissey seit 1988 so viel Material angehäuft, so viele Klassiker, grandiose B-Seiten und schüchterne Hymnen, dass die Festlegung einer Setlist wohl eine riesige Qual der Wahl ist. Morrissey mag Abwechslung, und für echte Fans kann es bei seinen Shows eigentlich keine negativen Überraschungen geben. Auf der aktuellen Tour wird definitiv noch sein aktuelles Album World Peace Is None Of Your Business (2014) im Mittelpunkt stehen, aber neben den obligatorischen Hits wie Everyday Is Like Sunday oder The First Of The Gang To Die kann alles passieren. In der unten stehenden Playlist haben wir ein paar Songs zusammengestellt, die wir uns von ganzem Herzen wünschen würden.
3. …mit den besten Fans der Welt!
Selbstverständlich denkt jede Band, dass sie die besten Fans der Welt hat. Bei Morrissey-Konzerten erreichen die Emotionen aber ein Level, das man so ähnlich höchstens bei Boybands in den ersten Reihen erlebt. Statt kreischenden Teenies liegen sich hier erwachsene Menschen weinend in den Armen. Alte Männer, die aus vollem Hals diese hochemotionalen und meistens explizit unmännlichen Texte mitsingen, als gäbe es kein Morgen mehr. Sie versuchen die Bühne zu stürmen, um ihren ergrauten Helden nur einmal ganz, ganz kurz zu berühren. Sie zanken sich um seine Hemden, die er mehrmals während einer Show ins Publikum wirft. Da geht es kurz um Leben und Tod, aber bald haben sich alle wieder lieb. Es sind meistens introvertierte Einzelgänger, die sich besonders stark zu Morrissey hingezogen fühlen. Aber auf seinen Konzerten wollen sie kuscheln. Man möchte jede einzelne Person in der Halle umarmen. Hier sind alle gleich, gleich gut.
4. Ein Mann mit Prinzipien
Morrissey ist berüchtigt für seine konsequenten und oft radikalen politischen Ansichten. Als überzeugter Vegetarier setzt er sich seit vielen Jahren für die Rechte von Tieren ein, unterstützt Peta-Aktionen und wird nicht müde, Konzernen wie McDonalds die Meinung zu geigen. Spätestens seit dem Album The Queen Is Dead weiß man auch, wo Morrissey politisch steht: Seine Abneigung gegenüber der britischen Monarchie und den konservativen Parteien lässt er nicht nur in Songs einfließen, sondern bringt sie verlässlich auf die Bühne. Alle kriegen ihr Fett weg, die Queen und die Premierminister genauso wie sein Label Harvest, dem er nach ein paar Streitigkeiten mit „Fuck Harvest“-Shirts einen ganz besonderen Gruß geschickt hatte. Dass Morrissey Vegetarier ist, bekommt man auf seinen Konzerten zu spüren: „Auf Wunsch des Künstlers heute ausschließlich fleischfreies Essen“ liest man dann an den Imbiss-Buden. Der Smiths-Klassiker Meat Is Murder ist fester Teil seiner Show und wird begleitet von üblen Bildern aus den Schlachtfabriken dieser Welt. Das ist nichts für schwache Nerven, aber ein konsequentes Statement.
5. Jedes Konzert könnte das letzte sein
Morrissey lebt seit längerem in Los Angeles und ist mittlerweile 57 Jahre alt. Auch wenn er in den letzten Jahren regelmäßig Shows in Europa gespielt hat, werden Welttourneen wie die kommende wohl eher weniger werden. Wie es um den genauen Gesundheitszustand des Meisters steht, kann man schwer sagen. 2014 verriet Morrissey, dass er in der letzten Zeit einige Krebsbehandlungen über sich ergehen lassen musste. Man sieht ihm auch an, dass es ihm schon mal besser ging. Wie ernst es mit dem Krebs ist – wir wissen es nicht. Aber gerade in der letzten Zeit, wo uns schon so viele musikalische Größen verlassen haben, muss man leider immer auf das Schlimmste gefasst sein. Es könnte also durchaus die letzte Tour sein, die Morrissey nach Europa führt. Und wer will das schon verpassen?

Popkultur
Zeitsprung: Am 25.9.1965 bekommen die Beatles ihre eigene Zeichentrickserie.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 25.9.1965.
von Timon Menge und Christof Leim
Mitte der Sechziger gehört den Beatles bereits die Welt. Überall verkaufen John, Paul, George und Ringo Platten ohne Ende, deshalb soll der sagenhafte Erfolg der „Fab Four“ auch auf das Fernsehen ausgeweitet werden. Am 25. September 1965 flimmert zum ersten Mal die Cartoon-Serie The Beatles über die Mattscheiben.
Hier könnt ihr euch die bekanntesten Songs der Beatles anhören:
Wenn man sich die Beatles als Zeichentrickfiguren vorstellt, denkt man vor allem an den legendären Kinostreifen Yellow Submarine. Drei Jahre zuvor läuft allerdings bereits The Beatles an; ein Cartoon im Samstagmorgenprogramm des US-Fernsehsenders ABC. Wenig überraschend: Die Serie fährt aus dem Stand sagenhafte Erfolge ein.
Die Musiker zeigen wenig Begeisterung
Hierbei erleben die gezeichneten Versionen von John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr frei erfundene, 30-minütige Abenteuer, die mit der Musik der vier Briten untermalt werden. Die Synchronstimmen stammen nicht etwa von der Band selbst, sondern von Paul Frees (John Lennon, George Harrison) und Lance Percival (Paul McCartney, Ringo Starr).
39 Episoden werden von 1965 bis 1967 gesendet. Zum ersten Mal handeln Zeichentrickfilmchen von Menschen, die tatsächlich existieren. Das Buch Beatletoons: The Real Story Behind The Cartoon Beatles analysiert die Serie; hier wird erzählt, dass die „Fab Four“ ihre animierten Alter Egos zu Beginn schrecklich finden, sich über die Jahre aber damit anfreunden. „Ich habe immer noch großen Spaß daran, mir die Beatles-Cartoons anzuschauen“, beichtet John Lennon 1972.
„So dumm und schlecht, dass sie schon wieder gut waren.“
1980 und 1987 läuft The Beatles (der Cartoon) noch einmal auf MTV, später strahlt der Disney Channel die Serie ein weiteres Mal aus. „Ich mochte die Cartoons irgendwie“, sagt George Harrison 1999. „Die waren so dumm und schlecht, dass sie schon wieder gut waren, wenn Sie wissen, was ich meine. Und ich glaube, dass die Serie mit dem Alter besser geworden ist.“
Die Produktion der Reihe hatte neben einem Herren namens Al Brodax auch ein gewisser George Dunning übernommen. Und den kennen wir doch von irgendwoher? Genau. Drei Jahre später fungiert er als Regisseur und Produzent für Yellow Submarine. Al Brodax gehört hier ebenfalls wieder zum Team, diesmal als Drehbuchautor. Doch diese Geschichte erzählen wir in einem anderen Zeitsprung.
Zeitsprung: Am 11.9.1971 bekommen die Jackson 5 ihre eigene Zeichentrick-TV-Show.
Popkultur
Zeitsprung: Am 24.9.1991 zelebrieren die Red Hot Chili Peppers „Blood Sugar Sex Magik“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 24.9.1991.
von Christof Leim
Kontrollierter Wahnsinn: Als die Red Hot Chili Peppers sich auf die Essenz ihres Sounds besinnen, passt plötzlich alles zusammen. Mit Blood Sugar Sex Magik schafft das kalifornische Quartett 1991 den höchst erfolgreichen Spagat zwischen hartem Groove und großen Songs. Eine Geschichte über Funk, Punk, Drogen und die Reduktion aufs Wesentliche.
Hört hier in Blood Sugar Sex Magik rein:
Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.
1991 war ein wichtiges Jahr für harte Musik. Alternative und Crossover vertreiben damals den pompösen Hard Rock der Achtziger vom Thron, eine Zeitenwende, die vor allem drei wichtige Werke begleiten: Nevermind von Nirvana inspiriert all das schöne Geschrammel der Neunziger. Metallica schießen mit ihrem schwarzen Album den Metal in den Mainstream, was viele ihrer Kollegen zu härteren Sounds im Untergrund inspiriert. Für den groovigen Stoff mit Crossover-Qualitäten schließlich legt vor allem Blood Sugar Sex Magik von den Red Hot Chili Peppers einen immens wichtigen Grundstein. Alle drei Platten erscheinen innerhalb von wenigen Wochen, zwei sogar am gleichen Tag, und allesamt werden sie zu Millionensellern. Dies ist die Geschichte des verrücktesten, wildesten und buntesten Albums der drei.
Strategisch platzierte Socken
Bis zu diesem Album hatten die 1983 in Los Angeles gegründeten Red Hot Chili Peppers als wildes Punk-Funk-Acid-Rock-Quartett lediglich Achtungserfolge einfahren können, immerhin aber mit der Angewohnheit geglänzt, sich nur mit einer Socke zu kleiden – und zwar nicht an den Füßen. Sänger Anthony Kiedis und Bassist Michael „Flea Balzary” kennen sich schon aus der High School und legen mit Gitarrist Hillel Slovak die stilistischen Grundlagen, die harten Rock mit Funk und schrägen Tönen kombiniert. Leider gehören harte Drogen bei der durchgeknallten Bande zum Alltag: Slovak stirbt am 25. Juni 1988 mit 26 Jahren an einer Heroin-Überdosis. Das wiederum stürzt Drummer Jack Irons in eine tiefe Depression. Er verlässt die Band und taucht erst Jahre später wieder bei Pearl Jam auf. Für ihn kommt Chad Smith.
Immer gut gekleidet und ernsthaft bei der Sache: Die Red Hot Chili Peppers
Die Gitarre übernimmt der gerade mal 18-jährige John Frusciante, ein begnadeter Musiker und großer Peppers-Fan, aber auch ein schwieriger Charakter, wie sich noch rausstellen sollte. Über sich selbst sagt er: „Bevor ich zur Band gekommen bin, war ich kein Funk-Gitarrist. Wie ich gut mit Flea zusammenspiele, habe ich komplett von Hillel gelernt – und das habe ich dann auf den Kopf gestellt.“ Mit Smith und Frusciante steht das Line-up, mit dem die Red Hot Chili Peppers ihre größten Erfolge feiern würde. Auf dem vierten Album Mother‘s Milk (1989) zündet das zunächst nicht, vielleicht auch, weil Produzent Michael Beinhorn (Soundgarden) der Scheibe einen breiten, verzerrten Gitarrenton mit wenig eigener Note verordnet.
Der wahre Pfeffersound
Erst zwei Jahre später findet der Vierer seinen Sound: Vorher mögen sie ungestüm geklungen haben, später zu poppig und beliebig. Blood Sugar Sex Magik jedoch explodiert punktgenau, knackig, groovig, wild, aber doch melodisch lecker. Das liegt vor allem an Produzent Rick Rubin, der das tut, womit er noch vielen Musikern helfen sollte: Er reduziert die Band auf ihre Essenz. Zudem schätzen die Peppers ihn im Gegensatz zu seinen Vorgängern genug, um ihn nach Ideen und Rat zu fragen, wenn es nicht weiter geht. Wie Kiedis in seiner Biografie Scar Tissue schreibt, hilft Rubin oft bei den Schlagzeugarrangements, Gitarrenmelodien und sogar Texten. Das Ergebnis zeichnet sich insbesondere durch einen wesentlich aufgeräumteren, gerade zu furztrockenen Klang aus, der auf Reverb und Distortion verzichtet. Zum anderen entdecken die vier Musiker die Welt der Melodien und Hooklines. Kiedis erinnert sich: „Wir waren nie so produktiv wie mit Rick. Meistens haben wir den ganzen Tag gejammt, irgendwann kam er dann vorbei, legte sich stundenlang auf‘s Sofa und machte Notizen.“ Die Maxime lautet klar: Weniger ist mehr. „Sein wichtigster Einfluss lag darin, uns zu sagen, was wir nicht machen sollten“, fasst Flea zusammen. „Er hat uns beigebracht, uns auf den Song zu fokussieren.“ Vor allem bei Frusciante rennt Rubin offene Türen ein: Der Gitarrist spielt fast clean und sagenhaft reduziert, aber nie zu wenig oder gar zu viel.
Losgelassen
Blood Sugar Sex Magik erscheint am 24. September 1991, am gleichen Tag wie Nevermind, und stellt satte 17 Songs lang eine offensichtliche Weiterentwicklung des Chili-Sounds dar. Inhaltlich dreht sich alles um Sex, Drogen, Tod, aber auch Hedonismus, Lust und Ausgelassenheit. Die Sause beginnt mit dem vehementen The Power Of Equality, das auf einem bemerkenswert einfachen und komplett unverzerrten Riff basiert, das wie ein Sample durchläuft und zusammen mit der ballernden Rhythmusfraktion eine vehemente Wirkung entfaltet. Zusammen erinnert das an die Unnachgiebigkeit von Hip Hop-Grooves und sollte typisch für Crossover werden. If You Have To Ask lässt mit furztrockenem Midtempo-Rhythmus unerbittlich jeden Kopf nicken, mit knackig akzentuierter Gitarre links im Mix und mitreißenden Bassläufen rechts. Kiedis kommt mit Sprechgesang aus, im Chorus tönt ein Falsett-Background mit Ohrwurmqualitäten, und Frusciante spendiert ein fuzzbetontes Solo aus der Hendrix-Schule.
If You Have To Ask wird als letzte von fünf Singles veröffentlicht und sollte fortan an so ziemlich jeder Tour zum Einsatz kommen. In eine ähnliche Kerbe schlagen viele der Nummern, etwa Mellowship Slinky In B Major oder der herrliche Off-Beat-Stampfer Funky Monks. Hier lohnt es sich, den clever verzahnten Einsätzen von Bass und Drums Gehör zu schenken. Doch die Chili Peppers wissen neuerdings auch mit Melodie umzugehen: Das akustische Breaking The Girl könnte genauso gut von Led Zeppelin stammen. Kiedis singt dazu von seinem unsteten Liebesleben und der Befürchtung, als Womanizer in Einsamkeit zu enden. Der Song wird die vierte Single und verkauft dank der einprägsamen Gesangsmelodie ausgesprochen gut. Ganz zart klingt auch I Could Have Lied, eine Akustiknummer über die kurze Beziehung des Sängers zur irischen Musikerin Sinéad O’Connor.
Nina Hagen hilft
Doch das Quartett langt auf der Scheibe vor allem kräftig hin: So sorgt Suck My Kiss für richtig Druck. Erwartungsgemäß handelt das ebenfalls ausgekoppelte Stück von geschlechtlichem Nahkampf und gehört zu den bekanntesten Nummern der Band. Noch dicker kommt‘s mit der Vorabveröffentlichung Give It Away: Wer hier nicht hüpft, kopfnickt oder zumindest den Fuß bewegt, kommt vermutlich lebenslang mit Yoga-Ambient-Sounds aus. Die Nummer basiert auf einem zappeligen Bass-Riff von Flea und schiebt in der Strophe wie ein Traktor. Entstanden war die Nummer aus einer Jam-Session, der Kiedis spontan die Zeile „Give it away, give it away, give it away, give it away now“ beisteuerte. Wie er es schafft, dabei das „R“ zu rollen, obwohl in der Zeile keines vorkommt, wird wohl ein Mysterium bleiben. Textlich stand hier übrigens die deutsche Punk-Ikone Nina Hagen Pate, die ihrem zeitweiligen Lover Kiedis neue Einblicke in den Wert von Selbstlosigkeit und der Nutzlosigkeit materieller Besitztümer eröffnete. In den Strophen singt der dann noch über seinen langjährigen Kumpel River Phoenix, über Bob Marley und natürlich über Sex. Im Mainstream findet Give It Away zunächst kaum Beachtung. Angeblich ließen mehrere Radiostationen durchblicken, dass die Band sich doch bitte wieder melden solle, wenn es eine Melodie in dem Song gäbe. Ein Sender aus Los Angeles namens KROQ beginnt allerdings, das Lied gleich mehrmals am Tag zu spielen und sorgt damit für den Durchbruch. Noch heute gehört Give It Away zu den beliebtesten Nummern im Werk der Band.
Die von Rick Rubin heraufbeschworene Macht der Reduktion zeigt sich schließlich im Titelstück Blood Sugar Sex Magik, das groovt wie Hölle. Es fehlt nichts, es ist alles da und lässt die Köpfe nicken. Man kann sich fast vorstellen, dass das sogar den Jungs von AC/DC gefallen könnte.
Die Brücke zur Hitsingle
Doch wirklich durch die Decke geht es mit Under The Bridge, der Megaballade und zweiten Single des Albums. Dabei hegt die Band zunächst so große Zweifel am Potenzial der Nummer, dass Mitarbeiter von Warner Records ein Peppers-Konzert besuchen, um die beste Auskopplung zu finden. Ausgerechnet bei Under The Bridge verpasst Kiedis seinen Einsatz – und das gesamte Publikum übernimmt. Der Sänger entschuldigt sich hinterher, doch die Warner-Leute lachen nur: „Wenn jeder einzelne Zuschauer einen Song singt, dann ist das unsere nächste Single.“ Die Entscheidung zahlt sich aus: Ab Mai 1992 kann man Under The Bridge auf MTV und im Rockradio nicht aus dem Weg gehen. Das Ding explodiert, und die Red Hot Chili Peppers haben es endgültig an die Spitze und in den Mainstream geschafft.
Die Nummer ist aber auch zu schön: Hinter der bittersüßen Melodie steckt ein Gefühl der Einsamkeit, das Kiedis zu Beginn der Aufnahmen beschleicht, weil er sich – mittlerweile clean von Drogen – von den dauerkiffenden Flea und Frusciante entfremdet fühlt. Lediglich seine Heimatstadt scheint noch sein Freund zu sein, was ihn an seine schlimmsten Junkie-Zeiten und die gescheiterte Beziehung zur britischen Schauspielerin Ione Skye erinnert: „Ein wundervolles Mädchen. Doch anstatt bei ihr zu sein, habe ich unter einer Brücke gestanden und mir mit irgendwelchen verdammten Gangstern Heroin gespritzt.“ Der Song bleibt besinnlich und endet auf Rubins Anraten mit einem epischen Chor, den Frusciantes Mama Gail und ihre Freunde einsingen. Wo genau die besagte Drogen-Brücke allerdings steht, hat Kiedis nie verraten, zu sehr beschämt und schmerzt ihn diese Episode. Aus Interviews und Hinweisen in Kiedis Autobiografie Scar Tissue hat der Autor Mark Haskell Smith jedoch geschlossen, dass es sich um die Brücke im übel beleumdeten MacArthur Park in Downtown Los Angeles handeln soll. Wer übrigens regelmäßig auf Partys an der Akustikgitarre brilliert, sollte Under The Bridge lernen und mal die Strophe von Green Days When I Came Around darüber singen. Die passt nämlich auch – zwei Songs in einem, sehr praktisch.
Die restlichen sechs Stücke der Platte bieten dann mehr vom gleichen Stoff. Interessant ist zumindest das lyrische Konzept hinter The Greeting Song, für den Rubin einen Text ausschließlich über Autos und Mädels fordert. Was für Mötley Crüe ein normales Tageswerk darstellt, findet bei Kiedis jedoch überhaupt keinen Anklang. Den Abschluss bildet They‘re Red Hot, ein von Blues-Urvater Robert Johnson adaptierter Ragtime, den die Band morgens um zwei auf einem Hügel in der Nähe des Studios aufnimmt.
Probleme auf Tour
Nach Veröffentlichung geht es natürlich auf die Straße: Die Blood Sugar Sex Magik-Tour zieht äußerst erfolgreich durch volle Hallen und sorgt durch die Wahl der Vorgruppen – Pearl Jam, The Smashing Pumpkins und Nirvana – für Sternstunden des Alternative Rock. Alle drei Support Acts sollten binnen Jahresfrist selbst zu Stars des Genres werden. Doch für John Frusciante ist das alles zu groß, zu erfolgreich, zu viel. Der exzentrische Gitarrist verärgert seinen Sänger, weil er während eines TV-Auftritts bei Saturday Night Live – angeblich – absichtlich schief spielt und singt. Am 7. Mai 1992 schmeißt Frusciante nach einer Show im japanischen Saitama dann endgültig hin.
„Wir haben die ganzen Achtziger damit verbracht, irgendwie ein paar Platten zu verkaufen“, erinnert sich Kiedis später. „Sobald John dabei war, hat das auch geklappt, aber er hat das anders wahrgenommen als der Rest. Wir waren dicke Freunde, aber letztlich endete das alles im Streit wie bei einem Liebespaar. John stand damals vor einer sehr düsteren und verdrogten Phase seines Lebens, und das kann keiner aufhalten. Wenn die Seele das verlangt, passiert es.“ Während Frusciante für sechs Jahre von der Bildfläche verschwindet und droht, ein weiteres Heroinopfer zu werden, macht die Band kurzzeitig mit dem Gitarristen Arik Marshall weiter, engagiert aber schon im September 1993 Dave Navarro von Jane‘s Addiction. Erst Ende der Neunziger stößt Frusciante wieder zur Band und bleibt nochmal zehn Jahre. Californication (1999) und weitere Bestseller etablieren die Chili Peppers als eine der größten Rockbands der Welt mit 80 Millionen verkauften Alben weltweit. Die ehemalige kalifornische Chaotentruppe gewinnt sogar sieben Grammys und wird 2012 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Den Grundstein für diesen Siegeszug haben sie mit Blood Sugar Sex Magik gelegt.
Zeitsprung: Am 10.8.1984 veröffentlichen die Red Hot Chili Peppers ihr Debüt.
Popkultur
Zeitsprung: Am 23.9.1930 wird der Hohepriester des Soul geboren: Ray Charles.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 23.9.1930.
von Jana Böhm und Christof Leim
Am 23. September 1930 erblickt Raymond Charles Robinson das Licht der Welt, bis es für ihn im Alter von sieben Jahren durch eine Glaukom-Erkrankung für immer erlischt. Seine Mutter hält ihn zur Unabhängigkeit an, denn als blinder Schwarzer Mensch ist man im Amerika der Dreißiger Jahre verloren. Ray verinnerlicht die Worte seiner Mutter. Der Multiinstrumentalist wird zum Hohepriester des Soul und sein musikalischer Einfluss prägend für Blues, Country und Soul-Musik. Blicken wir auf sein beeindruckendes Leben zurück.
Hört euch hier Ray Charles’ Greatest Hits an:
Als Raymond Charles Robinson im September 1930 in Albany, Georgia auf die Welt kommt, ist der Staat von der Rassentrennung zerfurcht. Die Schwarze Bevölkerung hat wenig Rechte und lebt in meist sehr ärmlichen Verhältnissen. Ray und seine Mutter Aretha ziehen bald nach Greenville in Florida, dort wächst er dann zusammen mit seinem jüngeren Bruder George auf.
Das Schicksal schlägt zu
Mit Rays fünftem Lebensjahr legt sich ein Schatten über sein Leben, der bald zu tiefster Dunkelheit wird. Durch ein angeborenes Glaukom, auch Grüner Star genannt, beginnt er, sein Augenlicht zu verlieren. Im selben Jahr muss Ray hilflos mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder George ertrinkt. Trotz der Armut und herben Schicksalsschlägen drängt seine Mutter ihn zur Selbstständigkeit, denn ihr ist sehr wohl bewusst, dass man schwarz, blind und hilflos in diesem Land kaum eine Chance hat. „Lass dich durch nichts und niemandem zu einem Krüppel machen“, impft sie ihm immer wieder ein. Mit sieben Jahren ist Ray Charles vollständig erblindet.
Die Musik gibt dem jungen Ray Charles Halt. Beim Singen von Gospels in der Kirche fühlt er sich sicher. An einem alten Klavier im Red Wing Café eröffnet ihm der Besitzer, der alte Wylie Pitman, eine neue Welt. Ray lernt schnell, selbst zu spielen. „Klavierspielen kann man lernen, aber nicht das Gefühl dafür. Das ist da oder nicht. Ich glaube, dass ich damit geboren wurde“, erzählt er Jahrzehnte später. Eine umfassende musikalische Ausbildung wird ihm an der St.-Augustine-Schule für Gehörlose und Blinde zuteil. Ray lernt, Musik zu lesen und Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und Johann Strauss zu spielen. Er besucht die Schule bis zum Tod seiner Mutter. Ihr Tod bringt Ray seelisch ins Wanken.
Der eigene Stil
Als er fünfzehn Jahre alt ist, verlässt der Junge die Schule. Er will professioneller Musiker werden. Zuerst macht er sich im nahegelegenen Jacksonville einen Namen, dann in Orlando, Florida. Ray gilt als ein vielseitiger Arrangeur, Pianist und Saxofonist, der neben Blues, Jazz, Boogie-Woogie und Swing auch Hillbilly drauf hat. Charles imitiert den sanften Gesang von Größen wie Nat King Cole und Charles Brown. Einen eigenen Gesangsstil entwickelt er erst über ein Jahrzehnt später.
1947 zieht Ray Charles nach Seattle, er verspricht sich bessere Karrierechancen an der Westküste. In der neuen Heimat beginnt Raymond Charles Robinson an seiner Show Business-Persönlichkeit zu feilen. Um nicht mit dem Boxer „Sugar“ Ray Robinson verwechselt zu werden, nennt er sich fortan nur Ray Charles und beginnt, stets eine schwarze Sonnenbrille zu tragen, die zu seinem Markenzeichen wird. Außerdem und viel wichtiger: Als Mitglied des Maxin Trios nimmt er seine erste Schallplatte auf. Die Single Confession Blues erreicht 1949 Platz zwei der Rhythm & Blues-Hitparade. Im selben Jahr ändert die Band ihren Namen in Ray Charles Trio und mausert sich ein Jahr später zum Ray Charles Orchestra.
Der Durchbruch
1952 erhält der aufstrebende Musiker einen Vertrag bei Atlantic Records, dem bis dato größten Rhythm & Blues-Label. Mit seiner Band findet er nun auch seinen eigenen Stil. Er wird zum Prediger der Lebenslust, auf die Melodie eines alten Gospelsongs schreibt er I’ve Got A Woman – ein Lied über die Liebe. Das kommt bei vielen schwarzen Gläubigen nicht besonders gut an, man wirft ihm sogar Gotteslästerung vor. Doch Ray Charles hat damit Erfolg, sogar die Weißen finden seine Musik gut, und das ist damals eine Seltenheit.
Ray Charles Welthit „What’d I Say“
Mit What’d I Say landet er einen Welthit, Klassiker wie Hit The Road, Jack und I Can’t Stop Loving folgen. Ab 1955 beginnt Charles im Stile der Gospelgruppen mit weiblichen Backgroundstimmen zu experimentieren und ergänzt seine Truppe um einen Frauenchor: die Raeletts. Der eigene Stil ist gefunden: eine schroffe Stimme, ein ausdrucksstarkes Piano, hervorragende musikalische Begleitung und Frauengesang im Hintergrund.
Prediger der Lebenslust
Das Ekstatische seiner Auftritte spiegelt sich in Rays Privatleben wieder: Den vielen Frauen kann er einfach nicht widerstehen. Zwar ist Ray verheiratet und hat drei Kinder, doch mit all den Geliebten setzt er mindestens neun uneheliche Kinder in die Welt. Man kann sagen, Ray Charles genießt das Leben in vollen Zügen und ist auch Alkohol und Marihuana nicht abgeneigt. In den Fünfzigern gerät er jedoch an härteren Stoff. Heroin wird ihm zum Verhängnis und führt in den kommenden zwanzig Jahren auch mehrfach zu Verhaftungen. Ab 1970 lebt er clean.
Ray Charles wird als erster Kulturschaffender in die Georgia Music Hall Of Fame (1979) aufgenommen. Außerdem ehren ihn die Blues Hall Of Fame und die Rock And Roll Hall Of Fame geehrt. Seine musikalischen Einflüsse sind stilprägend für die Entwicklung von Rhythm And Blues, Blues, Country und Soul.
1980 setzt der Weltstar seinem Ruhm noch einen drauf: Mit seiner Rolle im legendären Film Blues Brothers erreicht er im Jahre 1980 eine neue und junge Generation von Fans. 2004 stirbt Ray Charles in Beverly Hills. Niemand Geringeres als Frank Sinatra erweist ihm die letzte Ehre.
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