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Popkultur

Als Sid Vicious „My Way“ sang, das Publikum erschoss — und Leonard Cohen begeisterte

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Richard E. Aaron/Redferns/Getty Images

Am 23. April 1978 filmte Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious das legendäre Video seiner Version des Sinatra-Klassikers My Way für den Sex-Pistols-Film The Great Rock N Roll Swindle. Damit begeisterte er nicht nur das Publikum, sondern auch Leonard Cohen — der den Song eigentlich nie mochte. Was der Autor des englischsprachigen Klassikers (der auf einem französischen Chanson basiert), Paul Anka, dazu sagte?

 von Markus Brandstetter

Es ist ein unvergesslicher Moment in der Sex-Pistols-Mockumentary The Great Rock N Roll Swindle, als Sid Vicious vor einem gesetzten Publikum die Bühne betritt und – gekleidet in ein weißes Sakko, der Oberkörper nackt — beginnt, den Sinatra-Klassiker My Way zu schmettern. Die erste Strophe ist noch von orchestralen Klängen unterlegt, Sid gibt den Crooner, blökt dabei spöttisch, lässt die Stimmbänder zittern.

 

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Dann setzt die Band ein und die dramatische Ballade wird zum waschechten Punk-Song. Das Publikum im Film reagiert schockiert, es dauert aber nicht lange, bis Vicious die älteren Damen und Herren zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißt. Dabei hält sich der legendäre Punk freilich nicht an den Originaltext, münzt das Lied, schimpfwortgespickt, auf sein eigenes Leben um — klar, es handelt sich ja auch um My Way. „There were times, I’m sure you knew / When there was fuck fuck fuck-all else to do / But through it all, when there was doubt / I shot it up or kicked it out / I faced the wall and the world“, singt er etwa. Am Ende, als die letzte Strophe vollendet ist, nimmt Sid im Film eine Pistole und erschießt Leute im Publikum.

Egoismus, Individualismus, Heuchelei

„Ich mag die Stelle, an der Sid auf das Publikum schießt, besonders wenn er My Way singt. Das ist ein sehr gutes Beispiel für die Einstellung der Sex Pistols“, meinte Regisseur Julien Temple 1979 in einem NME-Interview über die legendäre Filmstelle. „Vor allem, wenn man Sids Charakter als eine Art sozialer Schauspieler, oder was auch immer er war, mit der Vernichtung dieses Liedes betrachtet. Für mich ist das ungeheuerlich. Der ganze Egoismus, der Individualismus und die Heuchelei, die in diesem Song stecken, und das Publikum, das ihn aufsaugt und in Stücke gerissen wird, finde ich einfach wunderbar.“

So reagierte Paul Anka

Paul Anka, der die englischsprachige Version für Sinatra verfasst hatte, dachte zunächst, Vicious wollte sich nur über das Stück lustig machen — später habe er aber erkannt, dass seine Intention ehrlich war. Somit gab Anka Vicious seinen Segen. Das Endresultat gefiel Anka sogar: „Am Anfang macht er sich darüber lustig, aber dann wird er von dem Lied mitgerissen”, so der legendäre Songschreiber. „Es ist, als ob das Lied ihn ergreift und packt.“

Leonard Cohen über Sid Vicious: „Das macht den Song für mich komplett“

Großes Lob für Vicious gab es vom kanadischen Songschreiber-Poeten Leonard Cohen. „Ich habe dieses Lied nie gemocht, außer wenn Sid Vicious es sang. Unverfälscht gesungen, raubt es uns irgendwie den Appetit auf einen bestimmten Geschmack, den wir gerne auf unseren Lippen hätten. Als Sid Vicious es sang, gab er dem Lied diese andere Seite; die Gewissheit, die Selbstbeweihräucherung, das tägliche Heldentum von Sinatras Version wird von dieser verzweifelten, verrückten, humorvollen Stimme völlig gesprengt“, so Cohen einmal.

„Ich kann nicht in einem Regenmantel und einem Filzhut durch mein Leben gehen und sagen, dass ich es auf meine Art gemacht habe – nun, für zehn Minuten in einer amerikanischen Bar bei einem Gin Tonic könnte man vielleicht damit durchkommen. Aber Sid Vicious’ Darstellung nimmt jeden mit hinein; jeder ist so verkorkst, jeder ist der verrückte Held seines eigenen Dramas. Er sprengt die ganze Kultur, in der diese Selbstdarstellung stattfinden kann, und das macht den Song für mich komplett“, so Cohen weiter.

 

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Soloalbum und Goodfellas

My Way — sowohl in einer Version ohne Streicher als auch in einer Kurzfassung namens I Killed The Cat — erschien auch auf Sid Sings — dem posthum erschienenen „Soloalbum“ des Musikers, der im Februar 1979 an einer Überdosis Heroin starb. Vicious hatte nach dem Ende der Sex Pistols den Wunsch bekundet, ein Soloalbum aufzunehmen — dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Sid Sings besteht größtenteils als Liveaufnahmen von Coverstücken von den Stooges, Johnny Thunders, Dee Dee Ramone und anderen Künstlern.

Übrigens hatte Sid Vicious’ My Way neben Leonard Cohen noch einen prominenten Befürworter: Regielegende Martin Scorsese. Der nutzte Vicious’ Version nämlich 1990 für die Endcredits seines Mafia-Meilensteins Goodfellas.

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Zeitsprung: Am 2.2.1979 stirbt Sid Vicious von den Sex Pistols.

 

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