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Popkultur

B.B. King – Ein Nachruf auf den King of Blues

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Der Mann, den Millionen von Bluesfans auf der ganzen Welt nur als B.B. kannten, ist im Alter von 89 Jahren verstorben, wie sein Anwalt bekannt gab. In der jüngeren Vergangenheit hörte man immer wieder von Gesundheitsproblemen des Künstlers; u. a. war er wegen einer durch seine Diabetes bedingten Erkrankung in medizinischer Obhut gewesen. Noch bis 2014 hatte er 100 Konzerte pro Jahr absolviert. Er liebte es, mit seiner berühmten Gitarre Lucille aufzutreten und zeigte den Menschen mit seinen Konzerten und seinen Alben, dass der Blues einen nicht nur traurig, sondern auch glücklich machen konnte.

B.B. King wurde 1925 als Riley B. King in Indianola, tief im Herzen des Mississippi-Deltas, geboren. Seine Eltern Alfred und Nora Ella King benannten ihn nach dem Besitzer der Plantage, auf der sie lebten und arbeiteten. „Er war Ire und hieß Jim O’Riley. Mein Dad und Mr. O’Riley waren so dick miteinander befreundet, dass er mich nach ihm benannte. Das O hat er allerdings weggelassen. Irgendwann war ich alt genug, um die Geschichte zu erfahren, und ich fragte meinen Dad: ‘Warum hast Du mich nach Mr. O’Riley benannt? Und warum hast Du das O weggelassen?‘ Er sagte, ich sah nicht irisch genug aus!“

B.B. King erzählte oft, dass wenn man auf einer Plantage geboren wurde, die Plantage immer und unweigerlich an erster Stelle stand. Man hatte einfach keine Wahl. Aber Riley B. King, bzw. The Beale Street Blues Boy, wie er sich nannte, wollte das ändern. 1946 ging der Sohn des Farmpächters nach Memphis, wo er bei seinem Cousin Bukka White unterkam. Allerdings kehrte er schon bald darauf als Traktorfahrer nach Indianola zurück.

„Ich bekam 22,5 Dollar pro Woche. Das war der gängige Lohn für Traktorfahrer und im Vergleich zu anderen Leuten, die dort arbeiteten, eine Menge Geld” – B.B. King

1948 ging der junge Riley zurück nach Memphis. Grund dafür war die Radiosendung von Sonny Boy Williams: „Ich hatte die Möglichkeit dort vorzuspielen. Der Song, den ich spielte, war Blues of Sunrise von Ivory Joe Hunter. Sonny Boy arbeitete in einer kleinen Bar in West Memphis, dem 16th Street Grill. Er sagte zu der Chefin – ihr Name war Miss Annie –, dass er mich an seiner Stelle schicken würde. Der 16th Street Grill hatte hinten eine Art Casino und mein Job war es, für die Leute zu spielen, die nicht in den Casinobereich gingen. Wenn also ein Typ mit seiner Freundin kam und sie damit nichts am Hut hatte, war es meine Aufgabe, Musik zu machen, damit sie tanzen konnte. Den Leuten schien meine Musik zu gefallen und darum sagte Miss Annie, dass wenn ich einen Job beim Radio kriegen könnte, so wie Sonny Boy, sie mich regelmäßig engagieren und 12,5 Dollar pro Abend zahlen würde. Sechs Tage die Woche sollte ich auftreten; dazu noch Unterkunft und Verpflegung. Mann, ich konnte es kaum fassen!“

b-b-king1949

King bekam einen Job beim Radiosender WDIA. „Ich war Discjockey und wurde als ‘Blues Boy, the boy from Beale Street‘ angekündigt. Und wenn ich Post bekam, dann war sie nicht an Blues Boy, sondern einfach abgekürzt B.B. adressiert.“ Dank seiner Popularität in Memphis erhielt er 1949 die Chance für Bullet aufzunehmen. Die ersten paar Scheiben waren nicht sehr erfolgreich, aber dann holte Sam Phillips ihn im September 1950 in sein Recording Services Studio. Die Bihari-Brüder waren auf Talentsuche in Memphis und nahmen B.B. auf ihrem Label RPM unter Vertrag. Sie veröffentlichten die Stücke, die er mit Phillips aufgenommen hatte, aber da der Erfolg ausblieb, reiste der jüngste Bruder, Joe Bihari, nach Memphis und machte am 8. Januar 1951 ein paar Aufnahmen mit B.B. King in einer Jugendherberge. Bei einem späteren Besuch in Memphis nahmen sie eine Version des Lowell Fulson Songs Three o’clock Blues auf. Am 29. Dezember 1951 stieg sie in die Charts ein und hielt sich Anfang 1952 fünf Wochen auf Platz 1. Der Durchbruch kam zwar nicht über Nacht, öffnete aber die Tür für eine der erfolgreichsten und langanhaltendsten Karrieren der heutigen Bluesgeschichte.

„Wir spielen nicht für Weiße. Ich sage nicht, dass wir nie für Weiße spielen werden. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Schallplatten sind schon komisch: Man macht sie für den farbigen Markt und plötzlich fahren die Weißen drauf ab und ehe Du weißt, wie Dir geschieht, tanzen Weiße auf Deinen Veranstaltungen” – B.B. King in den 1950ern

Am Anfang seines Erfolgs lebte B.B. King noch in Memphis, wo er ein großer Star war. Allerdings nicht so groß, wie er dachte: „Wir waren im Auditorium in Memphis. Elvis war im Publikum und es spielten Bobby Bland, Little Milton, Little Junior Parker, Howlin’ Wolf und meine Wenigkeit. Jeder war schon auf der Bühne gewesen. Bobby Bland – eine echte Rampensau, der konnte die Leute mitreißen; Little Milton und ich – wir machten unser Ding, aber wir konnten die Leute nicht so schnell packen wie Bobby Bland. Wir waren alle durch und jetzt war Howlin’ Wolf dran und die Leute drehten durch. Milton sagte, ‘da draußen passiert irgendwas‘. Und Junior Parker, ‘los, wir gehen mal nachsehen‘. Als Wolf gerade Spoonful spielte, gingen wir raus und er krabbelte auf allen Vieren auf dem Fußboden herum. Die Leute flippten völlig aus und dann sahen wir warum: Seine Hose war gerissen! Und alles hing raus!”

Eines Abends, während eine Auftritts in einem Club in Twist, Arkansas, wurde während einer Auseinandersetzung ein Ofen umgeworfen und das hauptsächlich aus Holz bestehende Gebäude geriet in Brand. Band und Publikum hatten sich bereits ins Freie gerettet, als King merkte, dass er seine geliebte 30 Dollar-Gitarre zurückgelassen hatte. Er rannte zurück in das brennende Gebäude und rettete sie unter Einsatz seines Lebens. Später stellte sich heraus, dass es bei dem Streit um eine Frau namens Lucille ging. So kam B.B. Kings Gitarre zu ihrem Namen, den seitdem alle seiner circa 20 maßangefertigten Gibson-Gitarren trugen.

Während seiner Zeit bei dem Label RPM veröffentlichte King einen Hit nach dem anderen und schaffte es drei weitere Male an die Spitze der R&B-Charts. Ende 1958 trennte er sich von RPM und ging zu Kent. Diese Partnerschaft dauerte bis Ende der 60er Jahre. Er hatte zwar keine weitere No. 1 in den R&B-Charts, veröffentlichte aber weiterhin zahlreiche Hits. Seine markante, Gospel-angehauchte Stimme und sein großartiges Staccato-Picking begeisterten das Publikum immer wieder. So wurde King einer der erfolgreichsten Künstler aller Zeiten in den R&B-Charts.

„Ich versuche, den Leuten zu zeigen, dass wir alle Brüder sind; rot, weiß, schwarz, braun oder gelb, arm oder reich – wir haben all den Blues” – B.B. Kingbbking

Ende der 1960er wurde B.B. genau wie viele andere Bluesgitarristen von einen weißen Rockpublikum entdeckt, was seiner Karriere noch einmal enormen Auftrieb gab. 1970 erreichte er mit The Thrill is Gone Platz 3 der R&B-Charts und schaffte es auch in die Hot 100. Als der Song auf Platz 15 stand, war es definitiv sein bis dahin größter Hit. 1969 reiste B.B. nach Europa. Es war der erste von vielen Besuchen und das Publikum empfing ihn mit offenen Armen, da sie sich sehr bewusst waren, dass er Künstler wie Eric Clapton und Peter Greene maßgeblich beeinflusst hatte. Sein Album Live At The Regal (1964) wurde nicht nur von diesen beiden Musikern, sondern auch von Fans auf beiden Seiten des Atlantiks sehr geschätzt.

„B.B. war ein Held. Und die Band? Hören Sie nur mal, wie sie auf Live At The Regal swingen – wie eine Dampfwalze” – Mick Fleetwood

B.B. Kings Erfolg lässt sich nicht zuletzt durch seine Liveshows erklären. Er hat schon immer härter gearbeitet als die meisten anderen Livemusiker. Er spielte 250-300 Konzerte pro Jahr, auch in mageren Zeiten. Außerdem war er sehr gut darin, seine Bands zusammenzuhalten. Das hatte sicherlich mit seinen Fähigkeiten als Bandleader zu tun, aber auch mit seiner großherzigen Art als Chef.

„Die Jungs sind nicht nur fantastische Musiker. Sie sind mir gegenüber loyal und das beruht auf Gegenseitigkeit. Wir haben einfach Spaß zusammen. Sie sind alle ziemlich lange bei mir geblieben. Sonny Freeman, mein Drummer, der leider mittlerweile verstorben ist, blieb ungefähr 18 Jahre. Mein Trompeter ist jetzt seit 21 Jahren dabei. Momentan gibt es nur einen einzigen, der weniger als 10 Jahre in der Band ist” – B.B. King, 2000

1969 tourte B.B. mit den Rolling Stones durch Amerika. Für viele war es das erste Mal, dass sie diese großartigen Musiker live und in Farbe erlebten. Bill Wyman erinnert sich: „Wir standen immer an der Seite der Bühne und sahen B.B. zu. Er hatte eine 12-köpfige Band und das waren allesamt Virtuosen. Was mich immer am meisten beeindruckte, war, wie er sich von einem Moment auf den anderen von einem wuchtigen Sound zu einem leisen Raunen dämpfte. Der ganze Raum war still – man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Und dann schraubte er sich wieder ganz nach oben. Das faszinierte mich – die vielen Dimensionen seiner Musik”.

B.B. KingPhoto © Andy Freeberg

Während der 1970er erlebten viele Musiker eine Durststrecke, aber selbst da tauchte King immer irgendwo auf. Sogar im Fernsehen trat er auf und das zu einer Zeit, wo sich alle anderen Blueskünstler nur die Nase an der Scheibe plattdrücken konnten. Bei anderen Gitarristen hatte er den Status eines Stammesältesten des Blues erreicht. Darüber hinaus hörte er nie auf, über die Bedeutung des Blues zu sprechen und so half er, das Feuer am Lodern zu halten, als es fast schon erloschen war. Gelegentlich wird Kings Stil als etwas zu glatt kritisiert, aber das kommt wohl von Leuten, die alles getan hätten, um nur ansatzweise so viel Erfolg zu haben wie er.

1987 wurde King in die Rock and Roll Hall of Fame eingeführt und im Jahr darauf arbeitete er mit U2 an ihrem Album Rattle & Hum. Seine Performance auf When Love Comes to Town ließ keinen Zweifel daran, dass er auch im Alter von 63 Jahren nichts von seiner Kraft eingebüßt hatte. Es war nicht seine erste Kollaboration. Neben der Jazzgruppe The Crusaders in den 1970ern hat King u.a. mit der blinden Sängerin Diane Schuur, Alexis Korner, Stevie Winwood und Bobby Bland gearbeitet. 2001 gewannen er einen Grammy zusammen mit seinem langjährigen Freund Eric Clapton für ihr gemeinsames Album Riding With The King. Auf der Tracklist sind Coverversionen von Worried Life Blues und Key To The Highway, sowie eine neue Version von Three O’Clock Blues.

Wie viele seiner Kollegen steht auch B.B. King in der Schuld von Louis Jordan, durch den er zu der Überzeugung kam, dass schwarze Musiker viel erreichen konnten. Über viele Jahre sprach King davon, ein Album mit Songs dieses legendären Künstlers aufnehmen zu wollen. 1999 wurde dieses Album schließlich Realität. Es ist eine Verneigung vor Louis und feiert gleichzeitig die zahlreichen fantastischen Songs, die der „King of the Jukeboxes” geschaffen hat. Das Album trägt den angemessenen Titel Let the Good Times Roll. Mit diesem Song hat B.B. King jahrzehntelang seine Konzerte eröffnet.

Kings größtes Talent war es, die Stimmungsschwankungen der Musikwelt zu überstehen und immer wieder interessante Alben aufzunehmen. Er holte den Blues aus seiner Nische heraus und verhalf ihm zu einem Platz im amerikanischen Mainstream. Er nahm die Musik, die er als Kind gehört hatte, vermischte sie mit verschiedenen anderen Stilen und spielte sie mit einer Vielzahl anderer Musiker. So holte er den Blues ins digitale Zeitalter.

B. B. King war der unangefochtene King of the Blues, doch nun ist der König von uns gegangen und ob es einen vergleichbaren Künstler geben wird, bleibt abzuwarten. B.B. King eröffnete jede Show mit dem Song Let the Good Times Roll und so wollen wir ihn gerne in Erinnerung behalten.

B.B. King – Sein Lebenswerk in 35 Songs! Jetzt Playlist anhören!

Popkultur

„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge

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Tom DeLonge HEADER
Foto: Christopher Polk/Getty Images

Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:

… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …

Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan

Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?

DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …

Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?

In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.

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blink-182: Alle Studioalben im Ranking

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Popkultur

Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.

von Christof Leim

In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.

Hier könnt ihr das Album hören:

Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still. 

Neues Spielzeug

Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“  singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.

Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo

Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.

Fünf Minuten mindestens

Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.

Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.

Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…

Filme und Bücher als Inspiration

Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.

Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel. 

Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool

Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.

Ein Cover wie ein Bildband

Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch. 

Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs

Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“  und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.

…und die Rückseite ist genauso bombastisch.

Auf die Straße. Natürlich.

Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit. 

Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images

So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.

Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

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Popkultur

„Wicked Game“ von HIM: Wie eine Coverversion den Finnen alle Türen öffnete

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„Wicked Game“ von HIM HEADER

Mit ihrer Coverversion des Chris-Isaak-Hits Wicked Game legten HIM so ziemlich alle Grundsteine für ihre einzigartige Erfolgsgeschichte. Im Folgenden lest ihr, welchen Stellenwert der Song in der HIM-Historie einnimmt und warum die Finnen das Stück mindestens viermal in unterschiedlichen Versionen aufgenommen haben.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Greatest Lovesongs Vol. 666 von HIM anhören:

Es ist der Song, der HIM ins Rampenlicht befördert. Schon für ihre Demo This Is Only The Beginning nehmen Ville Valo und seine Bandkollegen eine Coverversion des Chris-Isaak-Klassikers Wicked Game auf und schinden damit jede Menge Eindruck — zum Beispiel bei BMG-Mitarbeiter Asko Kallonen, der die Newcomer sofort unter Vertrag nimmt. Am 19. Oktober 1996 veröffentlichen HIM ihre erste EP und geben der Welt damit einen Vorgeschmack auf eine der letzten großen Karrieren der Rock’n’Roll-Geschichte. 666 Ways To Love: Prologue heißt das gute Stück und die junge Band arbeitet für die Veröffentlichung mit Produzent Hiili Hiilesmaa zusammen, der laut Ville Valo maßgeblich an der Entwicklung des typischen HIM-Sounds beteiligt ist. Auch Wicked Game ist auf der EP zu hören — doch es handelt sich noch lange nicht um die letzte Version des Songs.

Wicked Game: ein melancholischer Love-Song mit großer Bedeutung für HIM

Im Sommer 1997 starten HIM mit der Produktion ihres Debütalbums Greatest Lovesongs Vol. 666. Einmal mehr spielen sie dafür Wicked Game ein, und zwar in der Version, die am 28. September 1998 als Single erscheint und die für viele Rock-Fans der erste Berührungspunkt mit HIM sein dürfte. Wüsste man nicht, dass es sich um eine Komposition von Chris Isaak handelt: Das Stück könnte auch ein Ville-Valo-Eigengewächs sein. Melancholie, Fatalismus, Liebe: Wicked Game enthält alle Trademarks des Finnen, weshalb HIM die Nummer auch bloß nachspielen müssen, um sie sich zu eigen zu machen. Damit heben sie sich von vielen anderen Bands und Musiker*innen ab, denn nur wenige Stücke werden so oft gecovert wie Wicked Game. Das britische Lifestyle-Magazin Dazed bezeichnet den Hit sogar mal als „möglicherweise einflussreichsten Love-Song in der modernen Musik“.

Auf die Idee für das Stück kommt Chris Isaak laut eigener Aussage nach einem Telefonat. So möchte eine Frau damals ein spontanes Treffen mit dem Musiker arrangieren, doch der hat gemischte Gefühle. In einem Interview verrät er: „Ich habe den Song zwischen dem Telefonat und dem Besuch geschrieben. Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn man sich stark zu einer Person hingezogen fühlt, die nicht unbedingt gut für einen ist. Ich glaube, dass ich damit einen Nerv getroffen habe, denn viele von uns fühlen sich stark zu anderen Menschen hingezogen, die uns nicht unbedingt gut tun.“ Genau jene Hin- und Hergerissenheit zwischen Liebe und Düsternis ist es, die den Eindruck erweckt, es handele sich um einen Song aus der Feder von HIM-Frontmann Ville Valo. Manchmal passt es einfach.

Wicked Game: Der Song, mit dem HIM ihren Sound fanden

Noch heute hat Wicked Game seinen festen Platz in der HIM-Geschichte. „Das war einer der ersten Songs, die wir als Band zusammen gespielt haben, und er hat uns sehr dabei geholfen, unseren Sound zu finden“, erklärt HIM-Sänger Ville Valo Jahrzehnte später in einem Interview. „Das fällt in der Regel leichter, wenn man die Songs von jemand anderem spielt. Man muss nicht über den Text nachdenken oder so. Man kennt das Lied sowieso auswendig und das macht es einfacher.“ Ihr typischer Sound ist es auch, der HIM ab Ende der Neunziger in die Rock-Champions-League katapultiert. Schon mit ihrem zweiten Langspieler Razorblade Romance (1999) gelingt ihnen der große Durchbruch. Und wieder ist auf dem Album eine neue HIM-Aufnahme von Wicked Game zu finden. Die Jungs mögen den Song echt.

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