Popkultur
Gegen den Strom: Warum die CD das beste Medium für Musik ist
In der Musik gibt es so manches Konsens-Thema: Die Beatles sind die beste Band aller Zeiten, Jimi Hendrix war der größte Gitarrenvirtuose, der je auf Erden wandelte, und für Metallica ging es allerspätestens mit dem „schwarzen Album“ bergab. Aber kann man das wirklich so stehen lassen? In der Serie „Gegen den Strom“ hinterfragen wir die vermeintlich unumstößlichen Wahrheiten des Rock. Heute: Warum Vinyl nicht das Maß aller Dinge ist.
von Michael Döringer
Kälte, Indifferenz und Schadenfreude
Die CD-Verkaufszahlen befinden sich seit Jahren auf totalem Sinkflug. Eine CD ist nichts mehr wert. Keinem Medium begegnet man mit mehr Kälte und Indifferenz in der Musikwelt, die Schadenfreude über den Niedergang der kleinen Plastikscheiben ist groß, während die Schallplatte gefeiert wird. Wieso so einseitig? Das geht an alle, die ihre Regale noch immer mit Jewel Cases füllen. Eine Liebeserklärung an die CD und ihre Möglichkeiten.
Wie soll man im Jahr 2020 Musik hören? Nichts wird ausdauernder debattiert. Digital- und Analogverfechter führen – wie in allen anderen Bereichen – einen regelrechten Glaubenskrieg, wenn es um das bessere Format und den überlegenen Tonträger geht. Mit jeder technischen Neuerung erhöhen sich schließlich die Möglichkeiten, alte Formate neu zu entdecken. Leute mit Walkman? Kommen immer wieder öfter vor. Der Kampf um das real führende Format ist derweil für die nähere Zukunft längst entschieden. 2019 legte in den USA der Umsatz durch Streaming-Dienste um 20 Prozent zu und macht nun pralle 79,5 Prozent des Gesamtumsatzes mit Musik aus. Auch auf dem deutschen Markt schrumpfen physische Verkäufe weiter stark, bei den digitalen Umsätzen gingen im Jahr 2018 81,7 Prozent auf das Konto von Streaming. Noch toter als die toten Tonträger CD und Vinyl scheint nur der MP3-Download zu sein.
CDs gelten als unsexy
Noch mehr aktuelle Zahlen: Rund 51 Millionen CD-Alben wurden 2018 in Deutschland verkauft. Das klingt nach viel, weil die Fallhöhe so enorm war. Im Vergleich zum Vorjahr sind es aber fast 20 Prozent weniger. 2009 wurden noch über 100 Millionen CDs verkauft. Von diesen Zahlen sind die Vinylverkäufe natürlich weit entfernt. Bedeutet: Die CD ist immer noch das physische Massenmedium, auch wenn ihr Volumen stetig abnimmt. Doch sie ist längst totgesagt und vor allem ästhetisch geächtet. Kein neuer Computer besitzt noch ein Laufwerk, CD-Player verschwinden aus Wohnungen und werden, wenn nicht durch einen Sonos-Lautsprecher, durch einen Retro-Plattenspieler ersetzt. Bei den meisten Audiophilen war dieses Medium sowieso schon immer unten durch. Es gilt heute weder als sexy, CDs im Regal zu haben, noch sie zu hören. Wieso eigentlich?
Das Hauptargument, das oft für Vinyl und gegen CDs angeführt wird, ist nämlich falsch: Neutral und technisch betrachtet ist die CD in Sachen Klangqualität der Schallplatte in jeder Hinsicht überlegen. „Klingt einfach besser“, diesem Spruch fehlt jede objektive Grundlage. Aber wir wollen hier ja sowieso subjektiv werden hier. Es gibt genug fachkundige Erörterungen im Netz zum Thema Analog vs. Digital, wie das folgende Video.
Die Musik diktiert das Medium
Es soll hier auch gar nicht darum gehen, ob Vinyl oder CD besser klingt. Wer Platten lieber mag: fair enough. Man weiß sowieso längst, dass guter Klang von vielen Variablen abhängt. Manche lieben den sogenannten warmen Sound der undefinierten Bassfrequenzen (Vinyl), andere den manchmal kühlen, geschnitten scharfen Klang der CD. Welche Genres man hört, sollte deshalb viel stärker auch das Medium diktieren. Genau so wie die Technik, mit der Musik aufgenommen wurde beziehungsweise wie man sie neu gemastert hat. Fakt ist: Wie am Anfang der CD-Ära gibt es horrende Qualitätsunterschiede. Viele aktuelle Vinyl-Reissues sind so mies gemastert und gepresst, dass der analoge Tonträger keinen Sinn macht, denn er klingt unter Umständen sogar schlechter als dein Spotify-Stream.
Bekenntnisse eines Ex-Plattensammlers
Das hier soll eine Verteidigung der CD werden, weil es solche Verteidigungen so gut wie nie gibt. Ich liebe CDs – ihren Klang, ihre Bedienung, ihre Optik.
Das hier ist auch das Bekenntnis eines ehemaligen Plattensammlers, der die CD neu entdeckt hat. Irgendwann habe ich mich frustriert gefragt, warum ich den Quatsch mit den Platten eigentlich mache. Sie werden immer teurer, schwieriger zu bekommen und bieten mir persönlich den geringsten Hörkomfort. Die angebliche überlegene Klangqualität des Analogen, ich habe sie glaube ich nie wirklich erlebt, trotz gutem Tonabnehmer und Anlage. Vielleicht sind meine auralen Sensoren einfach zu schlecht ausgebildet, wahrscheinlich höre ich aber einfach auch schlecht. Von daher freue ich mich, wenn ich eine CD einlege und erst mal alles schön laut ist.
Habenwollen geht nicht digital
Ich erwarte nicht, dass ich andere mit meinen Argumenten überzeugen kann. Vielleicht befinden sich da draußen manche ja in der exakt selben Situation. Aber ich spüre die stille Mehrheit, die immer noch auf die CD schwört. Die 50 Millionen Verkäufe können ja nicht alle von den Supermarkt-Aufstellern für das neue Helene Fischer-Album kommen. Auch wenn ich also kein Vinyl mehr kaufe, brauche ich den physischen Tonträger. Das mag irrational sein, aber das Album in meine Mediathek oder der Ordner auf meiner Festplatte reichen mir einfach nicht. Bevor ich nicht irgendwas ins Regal stellen kann, habe ich nicht das Gefühl, die Musik wirklich bei mir zu haben.
Praktische Argumente seit 1982
Warum also CD statt Vinyl? Die klassischen Mehrwertversprechen, die der Chef von Philips im Jahr 1982 zur Markteinführung der CD wohl geliefert hat, gelten noch immer: ist kleiner und braucht weniger Platz als eine Schallplatte, hat fast doppelt so viel Spielzeit. Bitte mal praktisch denken, Leute! Wer schon einen Umzug mit 20 Kisten Platten gemacht hat, wird das verstehen. Noch dem zweiten Umzug ist einem die analoge Leidenschaft immer egaler. Man stellt sich über die Jahre eine ganze Regalwand voll, vor der ich man sich irgendwann fürchtet. Bei CDs dauert das wenigstens ein bisschen länger und die kleinen Dinger sind weit weniger bedrohlich.
Kompromisse und Rituale
Wir wollen trotzdem gerecht abwägen: Die schönen großen Schallplatten-Artworks sind unschlagbar. Wie schön ist es, ein Gatefold-Cover zum ersten mal aufzuklappen? Digital ist nicht unbedingt in jeder Hinsicht besser als analog. Doch die CD scheint mir der perfekte Kompromiss zwischen Schallplatte und digitalem File zu sein. Man bekommt das Beste von beidem, nämlich einen physischen Tonträger mit Cover und Booklet, ein Produkt zum Sammeln, Besitzen und Liebhaben. Gleichzeitig hat man die Vorzüge des digitalen Klangs, sofern man ihn mag, und die Unannehmlichkeiten des Plattenhörens fallen weg. Auch so ein Vinyl-Argument ist nämlich, dass das Ritual des Plattenauflegens dem Musikhören ein bisschen mehr Magie verleiht. Nadel aufsetzen, Platte umdrehen nach 20 Minuten, die ganze Experience. Völlig legitim, ich lese ja auch gerne echte Bücher und blättere Papierseiten um. Aber beim Musikhören kann ich auf diesen Zeitaufwand echt verzichten. Die Magie suche ich dann lieber in der Musik.
Wer Plattenknistern für warmen Sound und Gedanken braucht, der kann sich auch einen Kamin zulegen. Das Ritual des Plattenumdrehens? Pure Nostalgie. Wenn ich mir Exile On Main St, The River oder die erste Use Your Illusion in voller Länge reinziehen möchte, warum soll ich währenddessen dreimal aufstehen müssen? Diese peinliche Stille verleiht dem Albumkonzept garantiert keinen zusätzlichen Zauber. Und ich sitze wirklich gern ein ganzes Album lang bequem auf der Couch und skippe im Notfall mit der Fernbedienung den einen schlechten Song weiter. Und den gibt es fast immer, macht euch bloß nichts vor.
Vom Vinyl-Hype zur CD
Die Erkenntnis, wie sehr ich CDs mag, kam letztendlich durch den Vinyl-Hype, den auch ich lange mitgemacht habe. Irgendwann sah ich nicht mehr ein, wieso die Vinyl-Pressung des neuen Albums von Band XY doppelt so viel kosten muss wie die CD-Version. Alte Klassiker als Erstpressung bei Discogs kaufen? Schon längst unmöglich, weil mit Second-Hand-Vinyl richtig viel Geld verdient werden will. Hey, dann greife ich eben am Wühltisch beim Elektrogroßmarkt zu. Die wollen ja scheinbar alle CDs so schnell wie möglich zu Schleuderpreisen loswerden. Besten Dank. So kann ich die Alben nämlich auch im Auto hören.
Vielleicht ein komisches Argument, weil das Privatauto ja auch eher kein Zukunftsmodell ist. Aber ich höre wirklich gern CDs im Auto und will mein Smartphone weder per Bluetooth noch Klinkenkabel verbinden. Ich will mein Handschuhfach gerammelt voll mit CDs haben als wär es 1999. Das ist natürlich auch eine Form von Nostalgie, wie auch das Festhalten an Vinyl. Nur eben so viel praktischer. Und auch wenn Streaming noch viel praktischer ist, wir sollten alle irgendwie ein bisschen am physischen Tonträger festhalten, egal in welcher Art. Gerade jetzt, wo nach und nach alles digitalisiert wird und sich verflüchtigt, will man die wirklich wichtigen Sachen auch mal wieder in die Hand nehmen. Da kann eine kleine Plastikbox die Welt bedeuten.
Gegen den Strom: Warum die 80er die beste aller Dekaden waren

Popkultur
Zeitsprung: Am 4.6.1990 verstirbt Punk-Ikone Stiv Bators nach Zusammenstoß mit einem Taxi.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.6.1990.
von Frank Thießies und Christof Leim
Als Sänger Stiv Bators am 4. Juni 1990 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls stirbt, ist dies ironischerweise die am wenigsten glamouröse Form des Ablebens für einen Rockstar mit Hang zum Morbiden. Dabei hatte der Sänger der Dead Boys und The Lords Of The New Church Zeit seines Lebens mit der Todessehnsucht gespielt. Ein Rückblick auf den Werdegang einer Legende des Punk und Gothic Rock.
Hier könnt ihr euch Young, Loud And Snotty anhören, das Debüt der Dead Boys:
Joey Ramone höchstselbst hatte ihnen geraten überzusiedeln: Ursprünglich stammen die Dead Boys aus Cleveland, Ohio; in New York City jedoch werden sie schnell eine der Hausbands im CBGB’s, eines legendären Punk-Epizentrums, und zu einem Publikumsmagneten für die aufkeimende Sicherheitsnadel-Szene. Mit ihrem programmatischYoung, Loud And Snotty betitelten Debüt von 1977 und der Punk-Hymne Sonic Reducer sowie ihren drastisch-provokanten, autoaggressiven Bühnenshows macht sich die Band im verrottenden Big Apple einen Namen. Ihr Anführer: Sänger Steven John Bator, genannt Stiv Bators. Bereits ein Jahr später folgt ein zweites Album, We Have Come For Your Children, welches übrigens auch den von Guns N‘ Roses Jahrzehnte später popularisierten Song Ain’t It Fun enthält.
Gothic-Größe
Mag die Band selber auch Spaß an jenen Gigs und den Provokationen haben, so ist sie anfangs doch etwas zu sperrig für einen Mainstream-Erfolg. Hier liegt vermutlich einer der Gründe dafür, dass sich die Dead Boys im Jahre 1979 auch schon wieder auflösen. Vorerst versteht sich. Nachdem Sänger Stiv Bators auf seinem Dezember 1990 erscheinenden Solodebüt Disconnected schon die Punk-Wurzeln zugunsten eines Garagen-Power-Pop-Sounds kappt, verschlägt es den Frontmann kurze Zeit später nach London. Dort gründet er nach der Zwischenstopp-Band The Wanderers 1981 schließlich zusammen mit Leuten von The Damned, Sham 69 und The Barracudas eine neue Supergoup: The Lords Of The New Church. Deren kühler, vergleichsweise gefälliger und gar nicht mehr so stachliger Sound, eine Mischung aus Gothic, Glam, Garagen Rock und einer kleinen Portion Punk, trifft genau den (britischen) Zeitgeist in der Post-Punk-Ära und soll in Sachen Klang und Look zahlreiche nachkommende Düsterrocker wie etwa die finnischen Finsternisfreunde The 69 Eyes maßgeblich prägen.
Klinisch tot
Ihre ersten drei Alben, The Lords Of the New Church (1982), Is Nothing Sacred? (1983) und The Method To Our Madness (1984), hauen die neuen Gothic-Größen noch im Jahrestakt raus. Auf der Bühne bemüht Bators immer wieder gerne seinen seit Dead-Boys-Zeiten etablierten Mikrofonkabel-Strangulations-Trick. Ein Gimmick, welches dem Sänger 1983 bei einem Gig fast wortwörtlich das Genick bricht: Als Fans zu sehr an der Strippe ziehen, verliert Bators das Bewusstsein und muss gar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Für einige Minuten ist er sogar klinisch tot. Sein lakonischer Kommentar dazu soll gelautet haben: „Ich bin einmal fast auf der Bühne gestorben. Wie um Himmels Willen soll man das noch übertreffen?“
Is This The End?
Zwar nicht so kurzlebig wie die Dead Boys, sind auch die Lords Of The New Church nach New Wave-Vorstößen sowie einem Madonna-Cover von Like A Virgin im Sommer des Jahres 1989 für Bators schon wieder Geschichte. Dort fasst der inzwischen in Paris lebende Sänger 1990 den Plan, zusammen mit dem späteren Schlagzeuger der Toten Hosen, Vom Ritchie, plus den Punk-Legenden Dee Dee Ramone und Johnny Thunders eine neue Gruppe ins Leben zu rufen. Doch die kurz unter dem Namen The Whores Of Babylon agierende Formation hat keinen Bestand.
Als Stiv Bators am 3. Juni 1980 auf der Straße von einem Auto – manche behaupten, es sei ein Taxi gewesen – erwischt wird und so Opfer eines Verkehrsunfalls wird, ahnt der Sänger noch nicht, wie folgenschwer seine Verletzungen sind. Das Krankenhaus verlässt er jedenfalls unbehandelt, nachdem er ein paar Stunden warten musste. Keine gute Idee: Stiv Bators verstirbt in der folgenden Nacht im Schlaf an einem Schädel-Hirn-Trauma. Er wurde 40 Jahre alt.
Zur arg gewöhnlich anmutenden Todesursache („Rockstar von Taxi angefahren“) kommen in der Folgezeit nicht nur eine, sondern gleich zwei des Rock’n’Roll würdige Mythen: Auf Bators Wunsch hin soll seine Asche von seiner Freundin Caroline Warren über dem Pariser Grab von Doors-Sänger Jim Morrison verstreut worden sein – angeblich jedoch nicht, bevor Warren davon noch schnell ein Näschen geschnupft haben soll. Was letztlich dann doch eine Prise mehr ist, als nur ein Toter-Rockstar-Mythos für Fußgänger…
Zeitsprung: Am 6.8.1996 spielen die Ramones ihre letzte Show
Popkultur
Zeitsprung: Am 3.6.1983 ermordet „Layla“-Trommler Jim Gordon seine Mutter.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 3.6.1983.
von Christof Leim
Jim Gordon gehört in den Sechzigern und Siebzigern zu den Besten in Sachen Rock’n’Roll-Schlagzeug. Er spielt auf legendären Alben wie Pet Sounds von den Beach Boys, Pretzel Logic von Steely Dan und Apostrophe von Frank Zappa. Doch Gordon ist krank: Irgendwann beginnt er, Stimmen zu hören. Am 3. Juni 1983 schließlich kommt es zu einer Tragödie…
Hier könnt ihr das legendäre Album von Derek & The Dominos reinhören:
Derek & The Dominos 1970. Ganz links: Jim Gordon.
Keine Frage, es läuft gut damals für Jim Gordon, sehr gut sogar: Angeblich geht auf der Höhe seines Erfolges die Nachfrage so weit, dass der Drummer jeden Tag zwischen Studiosessions in Los Angeles und abendlichen Auftritten in Las Vegas hin- und herfliegt. Er spielt auf All Things Must Pass, dem ersten Soloalbum von Ex-Beatle George Harrison, und gehört 1970 er zur Bluesrock-Supergroup Derek & The Dominos mit Eric Clapton. Die wird vor allem bekannt mit dem Klassiker Layla. In diesem Song verarbeitet Clapton seine Liebe zu Pattie Boyd, der Ehefrau seines Freundes George Harrison. (Die ganze Geschichte zu dieser verzwickten Situation findet ihr hier.)
Vielleicht gerät das Stück deshalb so eindringlich, denn der Gitarrengott leidet. Am Schlagzeug: Jim Gordon. Die sieben Minuten lange Nummer endet mit einem langen, elegischen Piano-Outro, das aus Gordons Feder stammt. Zumindest offiziell: Später wird kolportiert, dass er die Idee von seiner damaligen Freundin Rita Coolidge übernommen habe. Die Songwriting-Credits laufen heute noch auf Clapton/Gordon. Das Lied gewinnt sogar später einen Grammy, als Clapton es für sein Unplugged-Album neu auflegt. (Mehr dazu hier.)
Traurige Eskalation
Kurzum: Für Jim Gordon könnte es nicht besser laufen. Nur leider geht es dem am 14. Juli 1945 geborenen Musiker psychisch nicht gut. Er beginnt, Stimmen zu hören, unter anderem die seiner Mutter. Diese Stimmen nötigen ihn zu hungern und halten ihn zusehends davon ab, sich zu entspannen, zu schlafen oder Schlagzeug zu spielen. Seine medizinische Betreuung schätzt die Ursache dieser Probleme falsch ein und behandelt ihn wegen Alkoholmissbrauchs. Das hilft leider nicht.
Am 3. Juni 1983 greift Jim seine 72 Jahre alte Mutter Osa Marie Gordon mit einem Hammer an und ersticht sie mit einem Messer. Später gibt er an, eine Stimme habe ihm das befohlen. Erst nach seiner Verhaftung wird diagnostiziert, dass Gordon massiv an Schizophrenie leidet. Wegen einer vor kurzem beschlossenen juristischen Reform gilt das vor Gericht nur eingeschränkt als Entlastung: Gordon wird am 10. Juli 1984 zu mindestens 16 Jahren Gefängnis verurteilt („16 years to life“). Er ist 38 Jahre alt und sollte nie mehr öffentlich Schlagzeug spielen.
Der erste Anspruch auf Begnadigung steht ihm 1991 zu, doch das Gericht lehnt dies mehrere Male ab. 2005 gibt Gordon an, seine Mutter sei noch am Leben, 2014 erscheint er nicht zur Anhörung. Die Staatsanwaltschaft verkündet, der Inhaftierte sei weiterhin „massiv psychologisch eingeschränkt“ und „eine Gefahr, wenn er nicht seine Medikamente nimmt“. Die Diagnose der Schizophrenie wird 2017 bestätigt, das zehnte Gnadengesuch wird im März 2018 abgelehnt. Jim Gordon verstirbt schließlich am 13. März 2023 im Alter von 77 Jahren in einer medizinischen Strafvollzugsanstalt in Kalifornien.
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Zeitsprung: Am 16.1.1992 spielt Eric Clapton ohne Strom & landet den größten Hit seiner Karriere.
Popkultur
20 Jahre „Paper Monsters“: Als Dave Gahan richtig laufen lernte
Über 20 Jahre singt Dave Gahan die Texte von Martin Gore. Dann erscheint sein Solodebüt Paper Monsters, auf dem er erstmals für alles verantwortlich ist. Für den Depeche-Mode-Frontmann ist es die ultimative Feuertaufe; für viele Fans ein Fragezeichen. 20 Jahre später wollen wir mal schauen, wie die Platte gealtert ist.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch Paper Monsters anhören:
Dave Gahans erste Soloplatte erscheint so spät, dass man sich fragt, warum sie überhaupt noch kommt. 2003 hat er mit Depeche Mode alles durch – 20 Jahre an der Spitze einer der größten Pop-Bands der Achtziger, mehrere Überdosen, Nahtoderfahrungen, Suizidversuche, angehimmelt von Millionen und auch intern alle Streits, Ego-Schlachten und Machtkämpfe durch, die so eine Band aus drei Männern eben so mit sich bringt.
Kein egozentrischer Alleingang
Mit anderen Worten: Ein Soloalbum hätte eigentlich viel früher Sinn ergeben. Es kam aber eben nie dazu. Doch genau dieser Umstand macht Paper Monsters zu einer spannenden Ausnahmeerscheinung. Das Album ist nicht das Produkt eines zickigen Frontmanns, der insgeheim denkt, die anderen eh nicht zu brauchen. Es ist ein ehrliches, tief gefühltes Statement eines Künstlers, der nach zwei Jahrzehnten ausschweifendem Leben weiß, wer er ist, was er sagen möchte. Und vor allem, was er an seinen Bandkollegen hat.
Slide-Gitarre und U2
Die große Frage bei Gahans Premiere auf der Solistenbühne ist dann aber trotzdem die, die sich jeder erfolgreiche Bandmusiker bei einem Alleingang stellen muss – egal, ob Phil Collins, Freddie Mercury oder Ozzy: Kann er es überhaupt, so ganz ohne Hilfe? Bei Depeche Mode übernimmt bekanntlich Martin Gore das Gros des Songwriting und der Lyrics, 20 Jahre lang sang Gahan also Texte, die gar nicht von ihm sind. Auf Paper Monsters kommt dann sogar beides von ihm, die Töne und die Worte, und natürlich hört man dem Album an, wessen Lieder der Messias der Popwelt da die letzten Jahre von der Bühnenkanzel predigte: Dave Gahan orientiert sich für sein erstes Soloalbum an Songs Of Faith And Devotion, packt ein wenig melancholische U2-Stimmung drüber und lebt sich spannenderweise an der Slide-Gitarre aus.
Läuterung oder Selbstdarstellung?
Die kommt von Knox Chandler, ein gefragter Studiomusiker, der Dave Gahan auch kompositorisch unter die Arme greift. Paper Monsters ist wie das Depeche-Mode-Album einer Americana-Band – weit, voller Hall, Streichern, Pianos und Gahans innerstem Seelenleben. Denn vor allem das ist dieses Album: Sein großer persönlicher Moment, das erste Mal, dass wir auch in seinen Kopf schauen können. Lyrisch gibt es deswegen auch die volle Nabelschau. Toxische Beziehungen, Alkoholsucht, zehrende Liebeslieder, existentielle Motive und mehr als eine Zeile, die sein Verhalten der letzten 20 Jahre verurteilt. Dave Gahan will Läuterung erfahren, tänzelt aber immer wieder auf der Schwelle zur Selbstdarstellung. Das ist die Gefahr aller Soloalben. Bei Paper Monsters geht es gerade noch mal gut.
Gahans beste Gesangsleistung
Musikalisch entsteht in den New Yorker Electric Lady Studios eine überwiegend ruhige, elegische, verträumte Platte. Produzent Ken Thomas, bekannt vor allem durch seine Arbeit mit Sigur Rós, beschert dem heiliggesprochenen Personal Jesus des Pop einen dichten, atmosphärischen Sound, sorgsam austariert zwischen glitzernder Electronica, endloser Weite, Western-Flair und zerrenden Gitarren. Synthesizer sind überraschenderweise Mangelware auf Paper Monsters. Dann wiederum ist ja irgendwie klar, dass Gahan möglichst viel Raum zwischen sich und seinem Hauptarbeitgeber schaffen möchte. Im Vordergrund steht aber natürlich eh sein größter Trumpf – seine Stimme. Mit Anfang 40 sind seine Tage als größtes Sexsymbol des Planeten so langsam vorüber, da konzentriert er sich lieber ganz auf sein volles, unverkennbares Timbre. Besser singt Dave Gahan auf keinem Depeche-Mode-Album. Das scheint er sich für seinen ganz persönlichen Auftritt aufgespart zu haben.
Bei Erscheinen sorgt Paper Monsters für gemischte Reaktionen und performt auch in den Charts eher unauffällig. So wirklich scheint 2003 niemand zu wissen, was man mit diesem Album anfangen soll. Vor allem wird dann auch seine stimmliche Leistung gelobt (etwa im schleppenden, gitarrenlastigen Hidden Houses), weniger die einzelnen Songs. Durchaus auffällig ist, wie weit Paper Monsters vom damals aktuellen Depeche-Mode-Album Exciter entfernt ist. Man kann es als also durchaus Statement sehen, dass Gahan mit dem experimentellen und elektronischen Sound seiner Hauptband nicht allzu zufrieden war. Zeigt auch das, was danach passiert: Auf Playing The Angel geht es 2005 wieder deutlich organischer zu. Und noch etwas ist neu: Erstmals steuert Gahan drei Songtexte bei. Hat also doch etwas bewirkt, dieser erste Alleingang. Zumindest für ihn persönlich.
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