Popkultur
Die größten Pop-Meilensteine der Musikgeschichte: 15 Alben, die man einfach gehört haben muss
Der Begriff Pop geht auf das Wort „populär“ zurück, womit eine universelle Beliebtheit gemeint ist. Diesen Gedanken hatten wir stets im Hinterkopf, als wir uns daran machten, die folgende Liste der 15 besten Pop-Alben aller Zeiten zusammenzustellen. Herausgekommen ist eine Auflistung von Werken, die rund um den Globus unzählige Menschen in ihren Bann gezogen und berührt haben, die jeweils eine ganze kulturelle Ära definieren sollten – und dabei trotzdem absolut zeitlos klingen: Sie sind heute noch genauso umwerfend wie am Tag ihrer Veröffentlichung. Sicher lassen sich Dutzende andere Alben anführen, die es ebenfalls verdient hätten, auf einer Liste wie dieser zu landen. Was jedoch die nun folgenden 15 Klassiker angeht, können wir von ihnen mit Gewissheit sagen, dass die Welt heute sehr viel ärmer wäre, wenn sie nicht entstanden wären.
von Brett Milano
15: Genesis: Invisible Touch (1986)
Weit entfernt von ihren Prog-Rockwurzeln, fanden Genesis auf ihrem mit reichlich Hits gespickten Invisible Touch-Album die perfekte Mischung aus Experimentellem und Pop-Appeal – verschnürt zu einem ultrageschmeidigen Achtziger-Paket. Sie wussten an diesem Punkt sehr genau, wie man auch noch das letzte Quäntchen Drama aus einem düsteren Song wie Tonight, Tonight, Tonight rausholt – und wann man sich zurückhalten muss, damit sich die emotionale Wucht einer Ballade wie Throwing It All Away perfekt entfalten kann. Die Krönung dieser Songs ist dabei ganz klar die unendlich radiotaugliche Gesangsstimme von Mr. Phil Collins.
Anspieltipp: Throwing It All Away
14: Lady Gaga: Born This Way (2011)
Lady Gagas größter Wurf und ganz klar eines der herausragendsten Pop-Alben des zurückliegenden Jahrzehnts, weil hier der Inklusionsgedanke auf die Musik übertragen wird: Alles vom Stadion-Rock der Siebziger über Judy Garland und Edith Piaf bis hin zu zeitgenössischen Electropop-Sounds hat seinen Platz auf dieser LP. Und Lady Gaga verschnürt mit ihrer unverwechselbar selbstbewussten Art die Sounds zu einem schlüssigen Ganzen. Mit dem Titelsong von Born This Way versichert sie allen Außenseitern und Regelbrechern, dass sie bis ans Ende ihrer Tage eine von ihnen bleiben wird.
Anspieltipp: Born This Way
13: Fleetwood Mac: Fleetwood Mac (1976)
Zwar mag Rumours das ultimative Statement über zerrüttete Ehen und der Dekadenz der Siebziger sein. Aber Fleetwood Mac, das erste Werk der Rumours-Besetzung, klingt sehr viel ausgelassener: Hier darf noch gestaunt und richtig schön dreckig gerockt werden, ja, hier greift die Band auch zum letzten Mal ihre Blues-Wurzeln auf (siehe World Turning). Zugleich verweisen Lindsey Buckinghams I’m So Afraid und Stevie Nicks’ Rhiannon bereits auf den Stimmungswechsel und die mystischen Abenteuer, die vor ihnen lagen.
Anspieltipp: Rhiannon
12: Frank Sinatra: Come Fly With Me (1958)
Bevor der Begriff „World Music“ zu Marketingzwecken ausgeschlachtet wurde, umrundeten Frank Sinatra und Arrangement-Profi Billy May den Erdball. Dabei verpassten sie jedem einzelnen Reiseziel einen Soundtrack, der den jeweiligen Ort so wirken ließ, als könne man sich dort verlieben, in aufregende kulinarische Welten eintauchen und es sich einfach richtig gut gehen lassen. Während diese Begeisterung das gesamte Come Fly With Me-Album auszeichnet, darf Autumn In New York als die wohl innigste und gefühlvollste musikalische Liebeserklärung gelten, die der Metropole der Ostküste jemals gewidmet werden sollte.
Anspieltipp: Autumn In New York
11: Elton John: Tumbleweed Connection (1970)
Nicht nur eines der größten Pop-Alben, sondern zugleich eines der besten Americana-Alben – aufgenommen jedoch von einem Musiker, der an diesem Punkt noch nie einen Fuß auf US-Boden gesetzt hatte. Andererseits: Wer von uns könnte schon behaupten, den Wilden Westen selbst erlebt zu haben, der hier so grandios von Elton John und Bernie Taupin imaginiert und in Szene gesetzt wird? Die Größe von Burn Down The Mission und Country Comfort ist seither unerreicht; und selbst wenn die Liebeslieder genau genommen nicht wirklich ins Gesamtkonzept von Tumbleweed Connection passen, sind auch diese Songs einfach nur wunderschön.
Anspieltipp: Country Comfort
10: Blondie: Parallel Lines (1979)
… womit sich New Wave öffnen sollte, um die gesamte Geschichte des Pop einzubeziehen: Nie wieder sollten Buddy Holly (hier als Coversong vertreten) und Robert Fripp (Albumgast) so gut zusammen funktionieren und auf ein Album passen. Debbie Harry übertrifft sich selbst mit jedem neuen Song: Gerade noch ist sie die Heldin eines West Side Story-Szenarios, um alles schon im nächsten Moment auf die Schippe zu nehmen. Kurzum: Jeder einzelne Song von Parallel Lines klingt so, als hätte man endlich den Radiosender seiner Träume gefunden.
Anspieltipp: Heart Of Glass
9: David Bowie: Hunky Dory (1971)
Wenn man bedenkt, dass David Bowie noch nicht mal ansatzweise berühmt war, als er dieses Album aufnahm, wirkt die ganze Sache sogar noch dreister. Jeder dieser Songs schreit förmlich „Hey! Hier kommt auch schon der nächste Abstecher, den du im Bereich des Pop nie für möglich gehalten hättest!“ Los geht’s, indem er mit Changes die Sechziger vernichtet, um dann mit Oh! You Pretty Things die sexuelle Revolution zu feiern, die an dem Punkt noch nicht mal volle Fahrt aufgenommen hatte. Nicht zu vergessen: Das Glamrock-Finale Queen B__ch, gefolgt von The Bewlay Brothers, dem verstörendsten Titel, den Bowie je schreiben sollte.
Anspieltipp: Oh! You Pretty Things
8: Madonna: Like A Virgin (1984)
Mit einem Bein stand Madonna noch in der Dance-Subkultur New Yorks, als sie eines der größten Pop-Alben der Achtziger aufnahm: Der Geist dieser von sexuellen Reizen und Selbstmythologie geprägten Kultur, die wenig später durch AIDS böse zugerichtet werden sollte, ist auf und mit Like A Virgin unsterblich geworden. Zugleich verweisen Songs wie Angel bereits auf den klassischen Popstar, der sie werden wollte (und wenig später werden sollte).
Anspieltipp: Material Girl
7: Michael Jackson: Off The Wall (1979)
Michael Jackson lädt die gesamte Welt auf seinen Dancefloor ein. Er zaubert einen durch und durch universellen Pop-Entwurf hervor, bei dessen Entstehung auch Stevie Wonder und Paul McCartney ihre Finger im Spiel hatten. Aufgenommen an einem Punkt, an dem er als Sänger, Songschreiber und Style-Ikone seiner Zeit deutlich voraus war – und dazu lassen die Grooves einen so oder so nicht los: Das macht Off The Wall sogar noch einen Tick besser als den Mega-Nachfolger Thriller.
Anspieltipp: Don’t Stop ’Til You Get Enough
6: Taylor Swift: Red (2012)
Taylor Swifts Red-Album ist gewissermaßen das perfekte Update zu Parallel Lines (Blondie). Und es bedurfte einer sich rasant transformierenden Country-Musikerin, um ein derartiges Werk aufzunehmen. Swift setzt auf noch mehr Attitude, gibt sich noch dreister, wenn sie die jüngsten Jahrzehnte der Pop-Geschichte ins Mix aufnimmt, um das Ganze dann noch mit Hip-Hop- und Electro-Elementen zu unterfüttern. Weitestgehend ohne Autotune eingesungen, klingt sie durchweg umwerfend am Mikrofon. So wird sie zum ultimativen Tourguide für alle, die eintauchen wollen in die Welt der hochemotionalen Liebesdramen.
Anspieltipp: We Are Never Ever Getting Back Together
5: Tina Turner: Private Dancer (1984)
Ein echter Geniestreich von Tina Turner, der es hier gelingt, die stromlinienförmigen Synthiepop-Sounds der Mittachtziger mit der Perspektive der lebensklugen Diva zu verschnüren. Klassischer Soul (I Can’t Stand The Rain) trifft auf theatralische Monologe (Private Dancer) und eine durchweg starke weibliche Perspektive, was diese LP zu einem der größten Alben des Jahrzehnts macht. Heimliches Highlight ist das rockige Steel Claw, von Paul Brady geschrieben und im selben Jahr auch noch von Dave Edmunds eingesungen.
Anspieltipp: Steel Claw
4: Tony Bennett: The Beat Of My Heart (1957)
Der junge Tony Bennett versammelt ein Dreamteam aus Jazzmusikern um sich – unter anderem sechs Schlagzeuger, daher der Albumtitel – und liefert die ultimativen Interpretationen von Stücken, die Cole Porter, Johnny Mercer und andere einst komponierten. Ob man das Ergebnis nun dem Jazz oder dem Pop zuordnet, tut wenig zur Sache, weil die Rechnung für beide Seiten mehr als aufgehen sollte. Ja, und obwohl wir Bennett auch als älteren Gentleman umwerfend finden, klingt er hier wahnsinnig gut und dazu auch verdammt sexy.
Anspieltipp: Let’s Face The Music And Dance
3: The Beatles: Help! (1965)
Wie bitte? Dieses Album – und nicht Sgt. Pepper? Allerdings, denn Help! (die richtige, sprich: UK-Version, versteht sich) war der Punkt, an dem die Kreativität der Beatles ein für alle Mal mit ihnen durchgehen sollte: Die inhaltlichen Perspektiven von John (man denke ans Titelstück und You’ve Got To Hide Your Love Away), die hochfliegenden Melodien von Paul (The Night Before und Yesterday) – und als Krönung war da sogar noch ein Element, das Pepper nicht hatte: einen richtig krassen Rocksong wie Dizzy Miss Lizzy nämlich.
Anspieltipp: Help!
2: The Beach Boys: Smile (1967)
Jahrzehntelang war es bloß ein Gerücht und gar kein greifbares Album. Doch als die Welt dann schließlich Smile zu hören bekam – sowohl Brian Wilsons Neuaufnahme von 2004 als auch, später dann, die restaurierte Originalaufnahme von 1967 –, entpuppte sich dieses Werk als genau das, was man sich immer davon versprochen hatte: Eine visionäre Zusammenstellung von Songs, die auf ganz eigene Weise funktionieren. So umwerfend schön, ausgelassen und augenzwinkernd, dass selbst die vielen, vielen Smile umrankenden Mythen nicht über diese Qualität hinwegtäuschen konnten. Sicher, die Welt konnte dieses Album aufgrund der Verzögerungen im Jahr 1967 noch nicht verändern. Doch das ist halb so schlimm, denn es tut letztlich nichts zur Sache, wann ein derartiges Werk erscheint: Smile ist und bleibt eines der größten Pop-Alben aller Zeiten. Und es wird auch im nächsten Jahrhundert noch relevant klingen.
Anspieltipp: Good Vibrations
1: Stevie Wonder: Songs In The Key Of Life (1976)
Wenn es ein Album gibt, auf dessen Groove sich immer noch alle einigen konnten, dann ist es Songs In The Key Of Life. Stevie Wonder mag auf den Vorgängern vielleicht sogar noch etwas mutiger gewesen sein, doch hier wusste er einfach, dass die ganze Welt hinhören und erfahren wollen würde, was im Verlauf dieser 2,5 LPs passiert. Dass die Hits eigentlich eher Hymnen sind, braucht man nicht zu sagen (und Sir Duke war wohl der einzige #1-Hit des Jahrzehnts, dessen Titel sich auf Duke Ellington bezog). Aber seine ganze Wucht entfaltet dieses Album, wenn man auch die unbekannteren Stücke wie das ernüchternde Village Ghetto Land und den Funk-Bonustrack All Day Sucker genauer betrachtet. Die Liebe (auch die körperliche) steht dabei immer wieder im Mittelpunkt, wobei Songs In The Key Of Life insgesamt für eine Haltung und eine positive Weltsicht steht, die mit jedem Jahr relevanter wird.
Anspieltipp: All Day Sucker

Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
-
6 Anekdoten, die nur aus dem Leben von Keith Moon stammen können
-
Zeitsprung: Am 21.4.1959 kommt Robert Smith von The Cure zur Welt.
-
Herzschmerz, Todesfälle und der Wunsch nach Frieden: 20 Rockballaden für die Ewigkeit
-
„Bohemian Rhapsody“: Die Geschichte des Klassikers, für den Queen alle Regeln brachen