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Popkultur

Die musikalische DNA von Jeff Beck

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Es gibt Gitarristen, die haben im Rock einiges möglich gemacht. Dann gibt es Jeff Beck, ohne den im Rock so ziemlich alles ein Ding der Unmöglichkeit geblieben wäre. In über 50 Jahren hat er dem britischen Blues den Rock’n‘Roll eingehaucht, die Brücke zwischen Gitarrenmusik und Pop geschlagen, wild experimentiert und ist sich dennoch stets treu geblieben. Bei den Fans kam das nicht immer gut an, viele greifen am liebsten zu seinem Frühwerk und legen lieber die Yardbirds-LPs oder seine frühen Solo-Alben auf. Das ist die Schattenseite von Becks unglaublicher Erfolgsgeschichte: Er war immer ein „guitarist’s guitarist“, weniger ein Crowdpleaser. Dennoch schaffte er es bei einem Rolling Stone-Poll auf den fünften Platz der 100 besten Gitarristen aller Zeiten. Zu Recht!


Hört euch hier einen Vorgeschmack der musikalischen DNA von Jeff Beck an:

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Becks eigentlicher Erfolg kann in seinem ungemeinen Einfluss auf andere gemessen werden. Pink Floyd wollten ihn nach dem Weggang von Syd Barrett als Bandmitglied anheuern, trauten sich aber gar nicht erst, ihn zu fragen. Ebenso traten die Rolling Stones nach dem Tod von Brian Jones an ihn heran, er sollte die vakante Stelle zu übernehmen. Sogar mit Guns N‘ Roses traf sich der Brite im Proberaum. Über die Generationen hinweg war Beck vielen legendären MusikerInnen Vorbild und Partner zugleich, mehr noch als andere seiner Altersklasse. Doch welche Musik, welche Menschen prägten ihn auf seinem Weg? Das ist eine Frage, die so leicht nicht zu beantworten ist. Die musikalische DNA von Jeff Beck zumindest kann kaum mit zehn Tracks entschlüsselt werden. Den Versuch aber ist es wert.


1. Les Paul & Mary Ford – How High The Moon

Wer lange wirken will, muss für gewöhnlich früh anfangen. So auch Jeff Beck. Gerade einmal sechs Jahre alt war der Knirps, als er seine erste E-Gitarre überreicht bekam. Der Grundstein für eine glorreiche Zukunft! Doch woher kam die Inspiration? Natürlich von niemand Geringerem als Les Paul, dessen How High The Moon gemeinsam mit Gattin Mary Ford erstmals das Interesse von Beck weckte, als er es im Radio hörte. „Was ist das!?“, fragte der verwunderte Dreikäsehoch seine Mutter. „Das ist eine E-Gitarre“, kam es zurück und Beck wusste sofort: „Das ist genau mein Ding!“

Mit seiner Intuition sollte er richtig liegen und die Liebe zum Les Paul-Sound verließ ihn nie. Obwohl er, wie er selbst in einem Interview zugab, seine Stratocaster dem Les Paul-Modell jederzeit vorziehe, so widmete er doch dem Tüftler hinter dem ikonischen Gibson-Modell einen denkwürdigen Tribut, als dieser im Jahr 2009 verstarb. 2010 spielte er an Les Pauls Geburtstag ein Gedenkkonzert in dessen musikalischer Heimat, dem Iridium Jazz Club, das später als Live-Album mit dem Titel Rock’n’Roll Party veröffentlicht wurde. Darauf enthalten war auch der Song, mit dem alles anfing: How High The Moon


2. Gene Vincent and the Blues Caps – You Better Believe

Wenn Les Paul den ersten Funken für Becks Gitarrenbegeisterung lieferte, so war es Cliff Gallup, der die Flammen der Leidenschaft im jungen Jeff endgültig auflodern ließ. 1993 widmete er dem Gitarristen von Gene Vincent and the Blues Caps das Tribute-Album Crazy Legs. Eine Platte, wie sie schon längst überfällig gewesen war, wie er damals im Interview berichtete: „Ich wollte so etwas schon immer machen, als einzelner Song auf einem Album aber hätte es nicht funktioniert“, hieß es. „Denn es wäre so radikal anders als alles andere gewesen! Deshalb hat es eine ganze Weile gedauert – dreißig Jahre, um genau zu sein!“

Was die Faszination Becks am Saitenwunder Gallup ausmachte? „Als ich Gitarre lernte, war Cliff Gallup mein größter Einfluss. Der Schnitt war tief und die Wunde ist nie verheilt“, drückte es Beck poetisch aus. „Es war so radikal. Heutzutage klingt es vermutlich nicht so metallisch oder bedrohlich, aber als ich 1956 die Platte aufdrehte… Junge, Junge!“ Rock’n‘Roll steckte damals noch in den Kinderschuhen und die Produktion der meisten Songs war noch geschliffen. Anders Vincent und seine Band: „Da war dieser schreiende Kerl und diese plärrenden Gitarrensoli – das war damals unerhört und bis heute hat niemand etwas Vergleichbares hinbekommen!“ Starke Worte.


3. Booker T. & the M.G.‘s – Green Onions

Von vielen bewundert, war Beck sich nie zu schade als glühender Verehrer seiner Idole in Erscheinung zu treten. Die meisten von ihm erwiderten den Respekt, den ihnen der Gitarrist entgegen brachte, und einigen verdrehte er eigenhändig den Kopf. So auch Steve Cropper, einem der einflussreichsten Gitarristen des Rhythm’n’Blues sowie des frühen Soul-Sounds, wie er von Stax Records bekannt gemacht wurde. Mit der Stax-Hausband Booker T. & the M.G.‘s landete Cropper einen unvergesslichen Hit mit Green Onions, der noch heute gerne von Beck gespielt wird.

Nicht allein Croppers extrem präzises und doch feinfühliges Gitarrenspiel, sondern auch seine Übersicht im Studio bewunderte der gerade einmal drei Jahre jüngere Beck. Prompt lud er ihn 1972 dazu ein, das selbstbetitelte Album der Jeff Beck Group zu produzieren. „Ich hätte ihn nach England eingeflogen, wären wir nicht nach Memphis gekommen“, sagte Beck 1999 in einem Interview. Der US-Amerikaner fand im Studio aber keinen Schüler, sondern einen Meister vor. „Ich weiß nicht viel übers Gitarrespielen“, frotzelte Cropper gegenüber dem Magazin Guitar Player. „Aber ich weiß genug darüber, was möglich ist – und dann schaute ich Jeffs Händen zu und dachte: ‚Das geht doch gar nicht. Wie macht der das? Natürlich hat er‘s mir nicht gezeigt!‘“


4. B.B. King – Key to the Highway (Live)

Ein paar Berufsgeheimnisse müssen eben sein. Nicht, dass Beck nicht gerne geteilt hätte! Kaum ein anderer Musiker hat dermaßen oft die Zusammenarbeit mit alten Hasen und auch jungen Hüpfern gesucht. Angefangen als Teil des Gitarren-Trios im Zentrum der Yardbirds hin zu seinen späteren Kollaborationen mit KünstlerInnen aus der Rock- und Pop-Welt: Beck ist durch und durch ein Teamplayer, der für das Miteinander auf der Bühne lebt.

Manche musikalische Partner allerdings sind ihm dabei wichtiger als andere. B.B. King etwa gehörte zu einer Generation von Blues-Musikern, der das Genre mit der E-Gitarre zusammen brachte. Lange nachdem Eric Clapton und Beck die Verbindung aus Delta-Blues und verstärktem Sechssaiter in England weiter entwickelt hatten, zollten sie dem Beale Street Blues Boy aus Mississippi immer wieder Tribut und durften sich gelegentlich die Bühne mit ihm teilen. Gerne spielten sie auf diversen Konzerten zusammen Standards wie Key to the Highway, denen unter ihren Fingern ein neues Leben eingehaucht wurde.


5. Muddy Waters – You Shook Me

Die Yardbirds waren so etwas wie die Ursuppe der britischen Rock-Szene und vermittelten zwischen den Blues-Wurzeln des Genres und seiner Zukunft. Led Zeppelin gehören gemeinhin zu einer der größten Bands aller Zeiten, ihr Faible für das Werk anderer ist aber bestens dokumentiert. Für nicht wenige Rock-Fans handelt es sich deshalb bei dem Quartett um nicht mehr als eine Bande musikalischer Langfinger! Auf ihrem ersten Album findet sich ein Cover von Muddy Waters‘ You Shook Me, das Beck erst fünf Monate vor dem Debüt von Jimmy Page und seinen Kollegen in einer verteufelt ähnlichen Version neu eingespielt hatte…

Wie B.B. King gehört Waters zu denjenigen Blues-Musikern, die eine Brücke zwischen dem klassischen Sound und dem Rock’n‘Roll schlugen. Deswegen verwundert es wohl kaum, dass sowohl Beck wie Led Zeppelin von ihm eine gehörige Portion Inspiration bezogen. Noch 1993 war Beck sofort dabei, als er von Paul Rodgers – bekannt durch seine Arbeit mit Free und Bad Company – angefragt wurde, ihn bei einem Tribute-Album für Muddy Waters zu unterstützen. Und selbst in Zeiten, als er schon längst auf seinen berüchtigten Electro-Guitar-Sound umgestiegen war, erwies Beck seinem Idol den gebührenden Respekt: 2001 spielte er dessen Rollin‘ and Tumblin’ für das Album You Had It Coming neu ein.


6. Stevie Wonder – Superstition

Nicht nur den Blues, sondern auch den Soul hat Beck im Laufe seiner Karriere verinnerlicht. Doch nicht nur aus Memphis kam seine Inspiration, sondern auch aus dem US-Bundesstaat Michigan. Genauer gesagt vom Label Motown. Derweil Stax Records, für die Steve Cropper so wichtig war, sich eher am Rhythm’n‘Blues abarbeiteten, fand die Labelheimat von Stevie Wonder einen viel harmonischen Sound. Auf Wonders Musik kam Beck immer wieder zurück und coverte einige seiner Songs. Für Wonders Album Talking Book ging Beck mit dem blinden Sänger sogar ins Studio.

Als die Anfrage vom Plattenlabel kam, zögerte Beck nicht lange. „Ich sagte, dass ich Stevies Kram lieben würde, sie teilten ihm das mit und er war sehr offen dafür“, erinnerte er sich. „Ursprünglich lautete die Abmachung, dass er mir einen Song schreiben sollte und ich im Gegenzug auf seinem Album spielen würde – und so kam Superstition ins Spiel…“ Das Stück basierte auf einem Drumbeat, den Beck – eigentlich nicht unbedingt ein begnadeter Schlagzeuger – improvisierte und sollte mit dem eingängigen Riff Wonders zum Nummer-Eins-Hit werden. Für Wonder allerdings, nicht für Beck! Der veröffentlichte seine Interpretation des Stücks etwas zu spät. Kein Grund für böses Blut allerdings. Noch 2009 spielten sie ihre gemeinsame Version beim Rock and Roll Hall of Fame 25th Anniversary Concert.


7. Django Reinhardt – Minor Swing

Angefangen von Komponisten wie Les Paul hin zur Goldkehle Stevie Wonder: Beck war stets ein Fan des klassischen Songformats, hatte aber auch ein Herz für ungewöhnliche Sounds. Seine Leidenschaft für Django Reinhardt erklärt sich da wie von selbst. „Django war übermenschlich. An ihm ist nichts Normales, als Person oder Gitarrist“, erklärte er 2007 enthusiastisch in einem Interview. Das dreifingrige Spiel des europäischen Jazz-Pioniers hat bis heute nichts an seiner Magie verloren und auch Beck konnte sich ihr bei seiner späten Entdeckung des Maestros nicht entziehen.

„Sein elektrisches Spiel aus den Vierzigern ist beschämend!“, jubilierte er. „Seine Lead-Licks – puh! Ich spiele sie mit niedriger Geschwindigkeit ab und habe dennoch keinen Plan, was er da eigentlich macht. Kürzlich stieß ich auf einen seltenen, zerkratzten Schwarz-Weiß-Film, der ihn beim Spielen zeigt. Ich studiere ihn in Zeitlupe. Doch alles, was zu sehen ist, sind diese zwei dreckigen Finger, die wie der Blitz über das Griffbrett huschen.“ Eine Begeisterung, die leicht nachzuvollziehen ist. Mit Songs wie Minor Swing vereinte Reinhardt seine Roma-Abstammung mit US-amerikanischem Jazz zu einer einzigartigen Mischung, die bis heute in ihrer Brillanz unübertroffen ist.


8. Mahavishnu Orchestra – Meeting of the Spirits

À propos ungewöhnliche Mischungen: So wie Beck selbst so manchen Fan mit seiner Synthese aus elektronischen Sounds und seinem Gitarrenspiel vor den Kopf schlug, so gefielen ihm stets die stilistischen Grenzgänger am liebsten. Eine besondere Rolle kam dabei immer John McLaughlin zu, der als Gitarrist zum Beispiel auf Miles Davis‘ Überalbum Bitches Brew zu hören ist und mit seiner Band Mahavishnua Orchestra eine ungewöhnliche Fusion aus Rock, Jazz und indischer Musik zum Einklang brachte. Für Beck handelt es sich bei dem britischen Kollegen um nichts weiter als „den besten lebenden Gitarristen“, wie er noch 2010 gegenüber dem Magazin Uncut sagte.

Ob es ein Zufall ist, dass die beiden auf der Bühne gerne eine John Lewis-Komposition namens Django, natürlich gewidmet dem kongenialen Reinhardt, spielen? Wohl kaum! Denn im Jazz finden die beiden Ausnahmegitarristen ihren gemeinsamen Nenner. Doch es gibt noch mehr, das Beck an McLaughlin bewundert. „Er hat uns so viele verschiedene Facetten der Gitarre geschenkt und tausende von uns an Weltmusik herangeführt, indem er indische Musik mit Jazz und Klassik zusammenbrachte“, schwärmte Beck. Auch mit anderen Musikern aus dem Umkreis des Mahavishnu Orchestras wie Jan Hammer und Narada Michael Walden arbeitete Beck regelmäßig zusammen. Ein wahres Meeting of the Spirits…


9. Ravi Shankar – Raga Kausi Kanhara

Von der psychedelischen Musik des Mahavishnu Orchestras ist es nur ein kleiner Schritt hin zu der Ravi Shankars. Der bengalische Sitar-Meister gehörte zu den erfolgreichsten und besten seiner Zunft und löste auch in der westlichen Pop-Musik ein gewaltiges Echo aus, als seine klassischen Kompositionen dort zum ersten Mal Gehör fanden. Von den Rolling Stones hin zu den Beatles, den Animals und den Byrds: In England wie in den USA fand die Sitar schnell ihren Einzug in die Pop-Musik.

Schon zu Yardbirds-Zeiten experimentierte Beck mit orientalischen Tonleitern, blickt aber etwas verschämt auf diese Zeit zurück. Einen „schwachen Abklatsch dessen, was die Beatles taten, nachdem sie den Maharishi getroffen hatten“, nannte er seine damaligen Versuche, die komplexen Patterns Shankars auf die Gitarre zu übertragen. Sie nämlich bedeuteten in seiner Jugend einen Ausweg aus der Eintönigkeit der Rock’n‘Roll-Platten, die Beck und Jimmy Page in ihren Kinderzimmern rauf und runterspielten. „Dass eine solche Kunstfertigkeit auf einem ganz anderen Instrument möglich war!“, erinnerte sich Beck. „Für uns kam das so erfrischend wie eine Frühlingsbrise.“


10. Kate Bush – You’re The One

Am Ende dieser Serie geht es für gewöhnlich darum, wo sich die musikalische DNA unserer Helden weiter in die Musikgeschichte eingewebt hat. Bei Jeff Beck aber? Eigentlich ist es komplett unmöglich, wir sagten das bereits, seinen Einfluss adäquat abzubilden. Zumindest, geht es um die Rock-Musik. Welcher Gitarrist zählt Beck, der von auch Hard Rock bis Metal seine Spuren hinterlassen hat, nicht auf die eine oder andere Art zu seinen Inspirationsquellen? Eben.

Doch auch im Pop-Geschäft hinterließ der ewig fleißige Musiker seine Spuren. Wusstet ihr, dass er unter anderem bei Cindy Lauper im Studio aushalf? Ja, genau – die mit Girls Just Want To Have Fun! So ist Beck eben, wie seine eigenen Stifterfiguren schert er sich recht wenig um Konventionen oder ob ihm ein Platz im Rampenlicht zukommt. Er lebt für die Musik. Einer seiner schönsten Gastauftritte findet sich deshalb auf Kate Bushs Album The Red Shoes. Die spärlichen Gitarrenakkorde, die das Grundgerüst der Power-Ballade tragen, hat er für die visionäre Künstlerin eingespielt und rundete das Stück mit einigen präzisen Licks ab, die sich ganz in den Dienst des großen Ganzen stellen. Typisch Beck: visionär und doch bescheiden.


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