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Popkultur

Die musikalische DNA von Kendrick Lamar

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Seitdem Kendrick Lamar Duckworth das Mic aufgenommen hat, wird im Rap-Game wieder gezittert. Als das Good Kid aus Compton sich im Sommer 2013 zum King Of New York krönte, folgte zwar eine Welle der Entrüstung, die sich in zahlreichen Diss-Tracks niederschlug. K-Dot das Wasser reichen konnte keiner der – allesamt verdienstvollen – MCs –, die sich zu Wort meldeten. Mit einem Schlag hatte Lamar die gesamte junge Rap-Garde auf die hinteren Plätze verwiesen. Und mehr noch: Er sollte Recht behalten.


Hör dir hier die musikalische DNA von Kendrick Lamar als Playlist an während du weiter liest:


Keiner erzählt wie Kendrick, keiner hat den Flow wie Kendrick, keiner kann seine Stimme modulieren wie Kendrick, keiner bringt dermaßen konsequent Jahrzehnte alte Musiktraditionen mit zeitgenössischem Rap zusammen wie Kendrick, keiner ist dermaßen agil wie Kendrick. Keiner hat die Vision wie Kendrick. Aus dem aufmüpfigen Teenager ist schon längst der größte Rapper der Welt geworden. Und nicht wenige sprechen ihm den Titel zu, den sonst nur Künstler wie 2Pac oder Eminem für sich beanspruchen konnten: G.O.A.T., greatest of all time.

Ob er das wirklich ist oder nicht, das sei an dieser Stelle dahin gestellt. Sicher ist so viel: Kendrick hat dem Rap-Game nach langen Jahren der allgemeinen Verdumpfbackung wieder mehr Consciousness eingehaucht. Er hat die Charts getoppt und sich dennoch nicht verbogen. Er war sogar mit Taylor Swift im Studio und hat dennoch seine Würde nicht verloren. Das geht vor allem, weil er seinen Horizont nie begrenzt hat. „Ihr könnt meine Musik nicht kategorisieren, sie ist Menschenmusik“, sagte er mal und ja, das lässt sich so unterschreiben. Wir stellen euch die Menschen vor, deren Schaffen tief in seine musikalische DNA eingeschrieben ist.


1. The Temptations – The Way You Do The Things You Do

 

Kaum ein anderer Rapper vor ihm hat dermaßen schnell den Mainstream für sich gewonnen wie Lamar. Und das, obwohl der Mainstream für gewöhnlich recht wenig um Rap-Technik, Street Cred oder lyrische Inhalte interessiert. Einer der Gründe, warum K-Dot weltweit erfolgreich werden konnte, liegt ohne Zweifel in seinem Gespür für fantastische Hooks und eingängige Produktionen begründet. Bitch, Don’t Kill My Vibe, i, King Kunta – alles Hits. Lamar ist nicht nur Rapper, er ist auch Songwriter.

Das Talent dafür hat er buchstäblich mit der Muttermilch eingesaugt. Seinen Namen nämlich liehen sich die Eltern von Eddie Kendricks, dem Lead-Sänger der Temptations. Kendricks ist die Stimme von Songs wie The Way You Do The Things You Do und eine der unbestrittenen Motown-Größen. Der nicht selten experimentelle Soul-Sound seiner Gruppe prägte ganze Generationen und erreichte von Detroit aus auch das ferne Los Angeles. Und obwohl Lamar sicherlich nicht der beste Sänger ist: Die ebenso sparsame wie clevere Melodieführung seiner Refrains ist eindeutig der Tradition verpflichtet, die sein Namensgeber so entschieden beeinflusst hat.


2. Funkadelic – Ain’t That Funkin’ Kinda Hard On You?

 

Soul ist einer der zwei großen Referenzpunkte, auf den sich Hip Hop bezieht, der andere ist der Funk. Und wer Funk sagt, muss auch Funkadelic beziehungsweise Parliament sagen. Lamar hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die kosmischen Weirdos aus dem Umfeld von George Clinton glühend verehrt und nennt sie neben dem Jazz-Trompeter Miles Davis als einen seiner größten Einflüsse, wenn es um die Musik zwischen den fünfziger und siebziger Jahren geht.

Als Funkadelic 2014 mit First Ya Gotta Shake The Gate mit ihrem ersten Album seit fast einem Jahrzehnt zurück kehrten, freute das nicht nur Funk-Fans. Dass die Platte für Kendrick aber ganz besonders werden sollte, dafür musste er fast zwei Jahre warten. Im Herbst 2015 veröffentlichte die Band einen Louie Vega-Remix des Stücks Ain’t That Funkin’ Kinda Hard On You?, auf dem auch ein Gast-Part von Lamar zu hören war. Es kam aber noch besser: Anfang 2016 wurde eine zweite Version des Stücks releaset, zu Lamars Verse gesellte sich Ice Cube dazu. Drei Generationen auf einem Track vereint – besser ging’s wohl kaum.


3. N.W.A. – Straight Outta Compton

Denn apropos Ice Cube: Wenn wir über Kendrick Lamar reden möchten, dürfen wir von einer ganz besonderen Crew nicht schweigen. „Straight outta Compton / crazy motherfucker called Ice Cube / from the gang called Niggaz Wit Attitude“, heißt es in den ersten Sekunden von Straight Outta Compton und seitdem ist Rap nicht mehr derselbe. Ice Cube, Eazy-E und der Rest von N.W.A. schrieben damit als Pioniere des Gangsta Rap Geschichte.

Die Musik war der wütende, unerbittliche und nicht selten verzweifelte Ausdruck einer harten Lebensrealität, die der ein Jahr vor Veröffentlichung ihres bahnbrechenden Debütalbums geborene Lamar am eigenen Leib erfahren musste. Wie N.W.A. fand er einen Ausweg in der Musik und nahm mit good kid, m.A.A.d. city eine Platte auf, die seine Lebensgeschichte in ein beklemmendes Narrativ verwandelte. Lamars Zweitwerk war unter anderem deshalb eine solche Sensation, weil er darauf den harten Gangsta Rap im Stile N.W.A.s mit aus New York beeinflusstem Storytelling zur perfekten Synthese brachte.


4. Dr. Dre – The Watcher

 

Für Straight Outta Compton saß niemand Geringeres als Dr. Dre hinter den Reglern. Lamars Bewunderung für den Produzenten und Rapper ist bestens dokumentiert. Auch wissen wir, dass Dr. Dre das Talent des Jungspunds schon früh erkannte. Fast aber hätte es sich Lamar selbst versaut, als er 2010 mit Tech N9ne und Jay Rock auf Tour war. „Mein Kumpel Ali und ich waren bei Chili’s essen, ich werd’ das nie vergessen“, erinnerte er sich grinsend. „Wir bekamen diesen Anruf von wegen ‚Yo, Dr. Dre mag deinen Kram.‘ Wir haben sofort aufgelegt…“

Es kam aber dann doch noch alles so, wie es sollte: Den nächsten Anrufer würgte Lamar nicht so schnell ab. Besser für ihn. So nämlich bekam er die Chance, einen seiner Kindheitsidole zu treffen und sogar mit ihm ins Studio zu gehen. Neben Rakim, Tha Dogg Pound und DMX nannte er den Mastermind Dre als einen seiner prägendsten frühen Einflüsse. Die Verehrung für den zwei Jahrzehnte älteren Rapper hat dabei nicht abgenommen, im Gegenteil: Noch heute konsultiert Lamar ihn in Karrierefragen ebenso wie für kreativen Input. Stimmt schon: „Times is changin’ / young niggas is aging“. Niemand aber ist besser in Würde gealtert als Dre.


5. 2Pac – California Love

Das erste Mal, dass Lamar Dre live und in Farbe erleben durfte, war im Jahr 1995. Gemeinsam mit 2Pac drehte Dre in Compton das erste der zwei Videos zum Überhit California Love. Der Achtjährige war mit seinem Vater dabei und beobachtete von Papas Schultern aus das Treiben. 2Pac sollte nur einem Jahr später den Schussverletzungen nach einem Drive-By-Shooting in Las Vegas erliegen, sein Erbe aber wird von Lamar noch immer gepflegt.

Als 2015 To Pimp A Butterfly erschien, zollte Lamar dem Idol auf die wohl denkbar schönste Weise Tribut: Im Hidden Track des Albums ist der Zusammenschnitt eines 2Pac-Interviews zu hören, das so geschickt arrangiert war, dass daraus ein Gespräch zwischen den beiden Rappern wurde. Ein mehrminütiger Gänsehautmoment für jeden Rap-Fan. Es ist nicht der einzige 2Pac-Verweis in Lamars Werk. In seinem legendären Gastvers für Big Seans Control bezeichnet er sich nicht ohne als „Makaveli’s offspring“. „I’m the king of New York / King of the coast / One hand, I juggle them both“, heißt es weiter – ein Zugeständnis daran, dass der Westküstenrapper Lamar seine Inspiration auch stets von der Ostküste bezog.


6. Nas – N.Y. State of Mind

Neben 2Pac und anderen Rappern aus New York, wie etwa der stark in den Feud zwischen Ost und West involvierten Notorious B.I.G. oder Jay Z, gehört auch Nas zu den großen Vorbildern Lamars. Nicht wenige sahen good kid, m.A.A.d city in der Nachfolge von dessen Überalbum Illmatic und fanden, dass der New Yorker spätestens mit To Pimp A Butterfly endgültig übertrumpft worden sei. Ob das so stimmt, sollen andere entscheiden. So viel zumindest ist sicher: Mit Tracks wie N.Y. State of Mind setzte Nas 1994 neue Maßstäbe im Rap und formulierte das vor, was Lamar mit To Pimp A Butterfly ins Jahr 2015 übertragen sollte. Illmatic vereinte perfektes Storytelling und makellose Rap-Technik mit einer musikalischen Finesse, die jede Facette der Hip Hop-Kultur in sich aufgesogen hatte.

Nasty Nas selbst erwidert die Bewunderung seines Schülers im Geiste. Auf die Vergleiche zwischen Illmatic und good kid angesprochen sagte er gegenüber Genius: „Das ist für mich kein fairer Vergleich, weil Illamtic eine andere Zeit repräsentiert und etwas gänzlich anderes aus anderen Gründen zum Ausdruck bringt. […] Es ist auch Kendricks Album gegenüber nicht fair, weil sein Album etwas ganz Neues zum Ausdruck bringt, das unsere Zeit abbildet. Sein Sound zeigt, was gerade abgeht, er hat einen Einfluss aufs Zeitgeschehen.“ Gibt es in der Rap-Welt ein größeres Kompliment? Wohl kaum…


7. Mobb Deep – Shook Ones, Pt. II

Im selben Interview spricht Nas auch davon, wie er sich selbst nach dem Erfolg seines kongenialen Erstlingswerks starker Konkurrenz ausgesetzt sah. Ob ihn damals Selbstzweifel geplagt hätten, wurde er gefragt und antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Oh, aber sicher! Weil Jay Z am Kommen war. Das erste Ghostface-Album kam. Da war Raekwon. Da waren Mobb Deep.“ Gegenüber dem knallharten Gangsta Rap positionierte sich das Duo Mobb Deep an der Ostküste mit düsteren Lyrics und Hardcore-Anleihen.

Neben Mobb Deep-Mitglied Havoc war es vor allem der Rapper Prodigy, der Mobb Deep zu Ruhm verhelfen sollte. Der 2017 verstorbene MC gehörte zu technisch versiertesten seiner Zunft und beeinflusste auch Lamar bei seinen ersten Gehversuchen. Als der nämlich ausgestattet mit nichts weiter als einem Mic und einer gecrackten ProTools-Version als 16-jähriger das Mixtape Youngest Head Nigga In Charge aufnahm, ist darauf der Einfluss des New Yorkers deutlich auszumachen. „Ich war ein riesiger Prodigy-Fan“, erinnerte sich Lamar. „Ich habe komplett seinen Stil gebitet!“


8. Snoop Doog – The Doggfather

Doch nicht nur der unerbittliche Flow eines Prodigy, der sich mit Lines wie „I’m only 19, but my mind is old / And when the things get for real, my warm heart turns cold / Another nigga deceased, another story gets told“ für immer seinen Platz in der Rap-Geschichte gesichert hatte, lieferten für Kendrick als Teenager Inspiration. Auch Mos Def oder, und das überrascht vielleicht eher, Snoop Dogg zählen zu Lamars frühen Helden.

„Es wurden viele Storys über den OG gestrickt“, erzählte Lamar, als er 2016 bei den BET Hip Hop Awards die Laudatio auf den Kollegen halten durfte. „Er hat sich den Respekt eines Uni-Professors erarbeitet, seine Dissertation aber hat er auf der Straße geschrieben. Sein Aufstieg im Game war authentisch, mit einem zweifellos meisterhaften Flow und einem einzigartigen Stil gesegnet, der für immer unser Verständnis von West Coast-Musik verändert hat“, hieß es weiter. Noch heute zeigt sich in Lamars stimmlichen Experimenten und seinem hintergründigen Humor, wo er selbst als Studenten beim Professor Doggfather gut aufgepasst hat.


9. Eminem – Lose Yourself

Geht es um Rap-Technik, führt allerdings kein Weg an einem Rapper aus dem Norden der USA vorbei. Eminem hat die vielleicht überraschendste Karriere im Game überhaupt hingelegt: Das White Trash-Kid aus dem Trailer Park arbeitete sich mit viel irrwitzigem Humor, polarisierenden Statements und absolut übermenschlichen Fähigkeiten zum Rap God hoch. Noch heute, nach einigen enttäuschenden Alben von Marshall Mathers, nennen ihn viele zuerst, wenn die Frage nach dem G.O.A.T. aufgeworfen wird. Doubletime, komplexe Reimketten, Assonanzen wie aus dem Maschinengewehr und brüllende Punchlines – Eminem beherrscht das wie kein Zweiter.

Dass Lamar den Kollegen deswegen als „Genie“ bezeichnet, ist daher nur verständlich. Ems aggressiver Stil soll seinen eigenen Angaben nach legendäre Tracks wie den Backseat Freestyle beeinflusst haben und gerade dessen pubertären Humor dürfte er sich auch vom älteren Kollegen abgeschaut haben. 2013 durfte Lamar sogar im Studio des Idols vorbeischauen, um einen Gast-Verse für The Marshall Mathers LP 2 beitragen. Unter strengen Auflagen allerdings! Um den Zögling zu testen, soll Eminem zum Schreiben alleine in einem Raum eingesperrt zu haben. Angeblich, weil Eminem dachte, dass Lamar einen Ghostwriter für seine Texte habe! Frei nach dem Motto: „Look / If you had / One shot / Or one opportunity / To seize everything you ever wanted / In one moment / Would you capture / Or just let it slip?“ Die Antwort auf diese Frage ist auf dem Feature-Track Love Game zu hören.


10. David Bowie – Lazarus

„What a honor, what a soul. David Bowie, Spirit of Gold. RIP“, twitterte Lamar erschüttert am 11. Januar 2016, dem Tag, als der Tod des flamboyanten britischen Sängers bekannt gegeben wurde. Wie groß seine Überraschung gewesen sein muss, als er hörte, dass Bowies aufwühlendes Abschiedsalbum Blackstar von seiner eigenen Musik beeinflusst war!

Produzent Tony Visconti erzählte gegenüber dem Rolling Stone: „Wir haben [während der Aufnahmen] viel Kendrick Lamar gehört. Natürlich klingt unser Endergebnis nicht danach, aber wir haben einfach geliebt, wie offen Kendrick war und dass er nicht einfach nur ein Hip Hop-Album gemacht hat. Er hat alles mit aufgenommen und genau das wollten wir auch. Das Ziel war in vielerlei Hinsicht, keinen Rock’n’Roll zu machen.“ Das ist Bowie und Visconti gelungen. So wie es Lamar auch immer wieder gelingt, sich allen Kategorien zu entziehen. Er macht Menschenmusik, sagt er. Besser ließe es sich nicht auf den Punkt bringen.


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