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Popkultur

Eiskalte Fluten: Vor 35 Jahren setzen die Sisters Of Mercy Hamburg mit „Floodland“ ein Denkmal

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The Sisters Of Mercy
Foto: Martyn Goodacre/Getty Images

Eigentlich ist schon nach dem dräuenden Debüt der Sisters Of Mercy 1985 Schluss. Aus der Asche des Alten erschafft Andrew Eldritch 1987 die Reinkarnation der Band – und legt mit dem Hamburg-inspirierten Floodland vor 35 Jahren einen großen Klassiker des Goth Rock vor.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Floodland hören:

Es ist kein Wunder, dass die Achtziger das Jahrzehnt von Post-Punk und Goth Rock sind, von dystopischer Apokalyptik und nebelumwallter Finsternis. Kalter Krieg, Tschernobyl und weltweite Aufrüstung verbreiten Weltuntergangsstimmung und das ungute Gefühl, dass eh niemand das Ende des Jahrzehnts erleben wird. In diese Zeit werden auch The Sisters Of Mercy hineingeboren. Deren enigmatischer Frontmann Andrew Eldritch ist von Anfang an Steuermann und Rädelsführer der Band, hat aber schon ins einer Karriere mit gesundheitlichen und psychischen Problemen zu kämpfen.

Grabestiefe Schwere

Mit First And Last And Always legen The Sisters Of Mercy 1985 ein gotisches, gespenstisch monotones Kammerspiel vor, getragen von der grabestiefen Schwere des Klassikers Marian. Doch Eldritch macht es seinen Mitmusikern schwer, bald nach Veröffentlichung verlassen sie den Totenkahn, die Band wird frühzeitig zu Grabe getragen. Das kurzlebige Projekt The Sisterhood, mit dem Eldritch weitermachen will, erweist sich ebenfalls als Rohrkrepierer, also macht er trotz eines Versprechens aller ehemaligen Mitglieder einfach unter dem Namen The Sisters Of Mercy weiter. Alleine, versteht sich: Die morbide Goth-Galionsfigur Eldritch als Epitom des düsteren Antihelden, gehüllt in Schwarz und noch dunklere Gedanken. Aber halt: Ganz allein ist er natürlich nicht. Treu an seiner Seite ist weiterhin Doktor Avalanche, der Drumcomputer der Band.

Neue Heimat St. Pauli

Eldritch verlässt seine Heimat Leeds und lässt sich sich in St. Pauli nieder. Dort schreibt er die Songs für Floodland, deren Inspiration er auf langen Spaziergängen durch Hamburg findet. All das Wasser in der und um die Stadt, gepaart mit der frischen Trennung und dem desolaten Zustand der Welt, führt zu einem Weltuntergangsnarrativ mit dem Element Wasser als wiederkehrendem Symbol. Andrew Eldritch ist der stille Beobachter, gehüllt in Schwarz, der Chronist einer Welt, die sich gerade selbst abschafft – mehr Goth geht nun wirklich nicht!

Eitler Künstler, der Eldritch aber nun mal ist, lässt er es sich nicht nehmen, ausgerechnet auf dem zentralen Song This Corrosion gegen seinen ehemaligen Mitstreiter Wayne Hussey und dessen klischeehaften Texte auszuteilen. Auch Driven Like The Snow wird zur Nabelschau: Hier arbeitet Eldritch eine (weitere) gescheiterte Beziehung auf. Es passt, dass Andrew Eldritch nach der desaströsen Banderfahrung alles allein stemmt: Er singt, er spielt, er programmiert Drum-Maschine und Sequencer.

Jim Steinman und der Vampir

Im Januar 1987 reist Eldritch nach New York City. Zwar nicht in einem Sarg an Bord eines Schiffes wie einst Graf Dracula, aber sicherlich dennoch mit einer gehörigen Portion Weltschmerz im Handgepäck. In den Power Station Studios in Manhattan arbeitet er ausgerechnet mit Meat-Loaf-Kollaborateur Jim Steinman an den Songs This Corrosion und Dominion / Mother Russia – mit sechs Background-Sänger*innen und einem 40-köpfigen Chor. Allein für This Corrosion kann Eldritch seiner Plattenfirma 50.000 Pfund aus den Rippen leiern – auf 2022 umgerechnet mehr als das Dreifache! Der Rest von Floodland nimmt zurück zuhause in England unter bescheideneren Bedingungen Gestalt an – aber immer noch mit mehreren Produzenten und in mehreren Studios. Warum sollte es auch diesmal einfacher sein, mit Eldritch zu arbeiten?

Irgendwie, irgendwann wird Floodland tatsächlich fertig. Was heute als großer, nebliger, majestätischer Klassiker des Goth Rock über jeden Zweifel erhaben ist und die psychotische Paranoia der Achtziger in monotone, dräuende Hymnen kleidet, stößt damals auf Stirnrunzeln und offene Feindseligkeit. Der Rolling Stone allerdings urteilt recht treffend: „Meat Loaf und The Cure machen ein Remake von Lou Reeds Berlin.“ Ein kommerzieller Erfolg wird Floodland trotzdem – und bereitet die Bühne für Vision Thing, mit dem die Sisters Of Mercy 1990 in Hard-Rock-Gefilde abdriften. Zu einem weiteren Studioalbum ist es seither bekanntlich nicht gekommen.

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