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Popkultur

Nebel, Hall, Kajal und Vogelnester: Die Geschichte des Goth Rock in 7 schaurig-schönen Songs

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Siouxsie And The Banshees
Foto: Fin Costello/Redferns/Getty Images

Wenn morbide Gedanken, jenseitige Melodien und finstere Orte feinstes Entertainment versprechen, befinden wir uns entweder in einem Film von Tim Burton, oder im musikalischen Äquivalent dazu: dem unheilschwangeren, verhexten, Trauer tragenden, todessehnsüchtigen Goth Rock. Eine Geschichtsstunde in sieben schicksalhaften Moritaten.

von Björn Springorum

Halloween ist nur einmal im Jahr. Goth ist jeden Tag. 24/7. Haare wie nach einem Griff in die Steckdose, Gesichter bleicher als Nosferatu, die Augen dunkel, die Kleidung schwarz (klar, bis es was dunkleres gibt), der Tanzstil so getragen und weltschwer wie die Musik selbst. Jaha, Goth Rock ist nichts für Anfänger in Sachen trüber Wolken. Es ist die seltsame kleine Schwester von Wave und Punk; die, die keine Freunde hat, sich die Fingernägel schwarz lackiert, Edgar Allan Poe auswendig rezitieren kann und erst bei Dunkelheit so richtig munter wird.

Geboren irgendwann in die späten Siebzigern als untotes Nebenprodukt des Post-Punk, zum modrigen Leben erweckt wie Frankensteins Kreatur irgendwo in einem düsteren englischen Keller, verbreitet sich diese Trauer tragende Spielart des Rock alsbald wie ein Grabeshauch in der Welt. Wie Dracula, der aus Transsylvanien nach England kommt, zieht die Musik in die Welt hinaus, verschlechtert die Stimmung und vertreibt das Sonnenlicht wie das literarische Genre des Schauerromans (Gothic Novel), das dieser Spielart seinen betrüblichen Namen gibt.

Die folgenden sieben Beispiele sind natürlich weder ein vollständiger Überblick über die unheilvollsten Großtaten aus der Gruft noch für sich genommen die besten Exempel dieses Genres. Sie ergeben aber ein recht kohärentes Panoptikum des Grauens, eine Chronik der Anfänge, die als Beginner’s Guide ebenso dienlich ist wie als zeitloses Kompendium der schwarzen Zunft.

1. Bauhaus – Bela Lugosi’s Dead

Wie bei jedem Genre ist es unmöglich zu sagen, wann und wo genau es begann. Der Begriff Gothic Rock wurde schon in den Sechzigern genutzt, um die Musik der Doors zu beschreiben, später fiel er auch in Verbindung mit The Velvet Underground. Der erste wichtige Goth-Rock-Song aber, dieser erste aller Sargnägel, ist Bela Lugosi’s Dead von Bauhaus. Aufgenommen an einem tristen, eisig kalten, feuchten Januartag 1979 in der Weite Northamptonshires, erschienen völlig unpassend im August desselben Jahres, trägt die neunminütige Inkantation alle Insignien des Genres in sich: repetitive Rhythmen, sterile Drums, viel Hall auf Gitarren und Peter Murphys Gesang, pulsierender, monotoner Bass, das Begräbnis einer Horrorikone zum Thema. Aufgenommen live in einer sechsstündigen Session, eher Mantra als Rock-Song: bis heute unerreicht!

2. The Cure – Pornography

Drei Platten haben The Cure schon veröffentlicht, als sie 1982 mit Pornography um die Ecke biegen. Verschwunden sind der Pathos-Pop und Wave des Frühwerks, jetzt ziehen diese dräuende, beunruhigende Dunkelheit und fiebrig-gotische Stimmung endgültig in den Sound der Band ein, verscheuchen mit Freuden auch die letzten Fleckchen Sonnenschein mit ihren Schatten. Befeuert von Depression, Drogenmissbrauch, Desorientierung und jeder Menge weiterer schlechter Dinge mit D gilt Pornography als düsterer Tiefpunkt (oder Höhepunkt, je nach Sichtweise) der Band. Und als Werk, das Goth, wie wir ihn kennen, definiert. Einzelne Songs herauszuheben ist deswegen fast unmöglich. Wer es aber so richtig wissen will: Besonders offenbar wird die Verfassung der Crawley-Fledermäuse im abschließenden, alles verzehrenden Malstrom eines Titeltracks: versponnen, düster, verzweifelt – Goth wird nicht mehr goth als das.

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3. Siouxsie And The Banshees – Spellbound

Einer der Gründe, warum The Cure auf Pornography so klingen wie sie klingen, ist diese Band: Siouxsie And The Banshees, die Londoner Goth-Ikonen schlechthin. Auch die beginnen als Punk-Outsider, werden zu Post-Punk-Experimentalist*innen und widmen sich schließlich den dunklen Flecken auf ihrer Seele. Das Album Juju von 1981 ist ein gutes Beispiel, wie nah sich Goth Rock und Post-Punk sein können – und die Nummer Spellbound ist bis heute einer der primären Gründe, warum wir Goth Rock so definieren wie wir ihn definieren. Außerdem hat Frontdame Siouxsie Sioux im Alleingang Style, Habitus und Duktus des Gothic girl definiert. R-e-s-p-e-c-t!


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 4. The Sisters Of Mercy – Marian

Die Gitarren verloren im Hall, der Gesang so voller Pathos, dass er aus dem Jenseits selbst zu uns zu sprechen scheint: Mit First And Last And Always inszenieren sich auch die Sisters Of Mercy 1985 als große Goth-Leichenbeschauer. Poppiger und theatralischer als ihre frühen Kolleg*innen, ohne den Hauch des Todes zu kurz kommen zu lassen, skizzieren die Engländer mit dem schmerzhaft schönen Marian eine verwundete Welt am Abgrund.

5. Virgin Prunes – Decline And Fall

Hossa, endlich mal eine Band außerhalb Englands. Aus Dublin, Irland schicken die Virgin Prunes seit 1977 ihren stoischen Post-Punk in die Welt, flirten insbesondere auf ihrem Debüt …If I Die, I Die von 1982 aber unverblümt mit Goth Rock und memento mori. Allein das ritualistische Opener-Doppel aus Ulakanakulot und Decline And Fall jagt bis heute zuverlässig Schauer den Rücken hinunter.

6. The Cult – Go West

Dass Goth Rock auch ohne Särge, Dracula und Fledermäuse funktioniert, beweisen The Cult. Die sind 1984 noch weit von ihrem durchaus poppigen Rock späterer Tage entfernt und tragen auf ihrem sehr spirituellen Debüt Dreamtime Schamanismus, Todeskulte, rituelle Tänze und das halbe indianische Pantheon zusammen. Originell und merkwürdig passend zu den nervös flirrenden Gitarren, dem metallischen Bass und diesem Trance-Rhythmus der Drums.

7. Joy Division – The Eternal

Nicht zuletzt müssen hier natürlich Joy Division genannt werden. Obschon natürlich keine Goth-Band, finden sich bei Ian Cutris und seinem Klub der Verdammten viele essentielle Elemente des frühen Goth Rock – besonders auf dem zweiten und finalen Werk Closer. Die rotzige Punk-Attitüde wurde fast gänzlich gegen eine desillusionierende Aura aus Angst, Schrecken und Tristesse eingetauscht. Wer den treibenden Friedhofs-Fun einiger englischer Kollegen sucht, wird hier nicht fündig. Wer Songs aus einer dunklen Anderswelt hören, fühlen, atmen möchte, muss nicht weiter suchen als nach dem dramatisch-abgründigen The Eternal. Schleppend, brütend, launisch wie ein Regentag in Manchester. Geht’s noch deprimierender? Wüssten wir auch gern…

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