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Popkultur

Letzter Vorhang für den Maestro: Morricones unsterbliche Soundtracks

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Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images

Ennio Morricone erfand den Klang des Italo-Western. Wir verneigen uns vor einem der ganz Großen der Filmmusik und lassen seine unvergesslichsten Soundtracks in all ihrer gegebenen Pracht Revue passieren.

von Björn Springorum

Spaghetti-Western?

Spaghetti-Western. Mit diesem Begriff konnte man ihn jagen. Überhaupt wurde Ennio Morricone, der stolze Römer, der kolossale Maestro des Kinoklangs, recht einsilbig, wenn man ihn auf seine Western-Soundtracks ansprach. Gewiss, vor allem seine Melodien sind es, die Filme wie Spiel mir das Lied vom Tod oder Zwei glorreiche Halunken auf ewig in unserem cineastischen Kollektivgedächtnis verankert haben; er sah den Western aber stets nur als Facette seines Schaffens. Vollkommen zurecht: Rund 500 Soundtracks für Kino und Fernsehen stammen aus seiner Feder, Western machen da eben nur einen Bruchteil aus.

Sie haben dennoch bis heute den größten Einfluss. Ob Regisseure wie Quentin Tarantino, kontemporäre Rock-Bands wie Kadavar oder natürlich Metallica, die den unsterblichen Pathos seines Stückes Ecstasy Of Gold sage und schreibe seit 1983 als Intro bei ihren Konzerten benutzen: Insbesondere seine staubig-melodramatischen Western-Klangwelten zwischen Saloon und Steppe haben die Popkultur geprägt. Wie viel geniales, berührendes, experimentelles oder bombastisches Zeug der im Alter von 91 Jahren verstorbene Morricone sonst noch so zu verantworten hat, wollen wir uns in diesem Nachruf der musikalischen Art mal zu Gemüte führen.


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Für eine Handvoll Dollar

Ab 1964 arbeitet Regisseur Sergio Leone ausschließlich mit Ennio Morricone an seinen Western. Ihre erste Zusammenarbeit geschieht aus Leones Sicht dennoch eher widerwillig. Als Morricone anmerkte, dass die beiden zur selben Schule gegangen und sogar in derselben Reihe gesessen hätten, einigt man sich. Für eine Handvoll Dollar, der Auftakt zu Leones prägender Dollar-Trilogie,  gilt als Geburtsstunde des Italo-Western. Liegt natürlich auch am Soundtrack: Morricones Stil ist selbst so früh in seiner Karriere evokativ, nostalgisch, voller visueller Eindrücke. Die leiernden Gitarren, die Trompeten, die Chöre führen sofort hinein in den Wilden Westen zwischen den USA und Mexiko. Idealisierung hin oder her.

Für ein paar Dollar mehr

Teil zwei der Dollar-Trilogie ist fast als verbesserte Variante des Vorgängers zu werten. Der Film ist ausgefeilter, die Musik ist es auch. Leone und Morricone arbeiten enger und besser zusammen, verstehen sich mittlerweile und wissen, was Bild und Klang gut tut. Heraus kommt ein unvergessliches Stück Western-Musik voller pfeifender Cowboys, Maultrommeln, Flöten und Blei.

Zwei glorreiche Halunken

Regisseur Sergio Leone hat längst erkannt, welche Macht die Musik seines getreuen Komponisten Ennio Morricone hat. Oftmals lässt er erst den Soundtrack komponieren und dreht dann den Film dazu – um seinem Cast gleich die passende Musik bei den Dreharbeiten mitzuliefern. Zwei glorreiche Halunken von 1966 ist bereits ihre dritte Zusammenarbeit. Das ikonische Titelstück des Films ist zu Beginn der Dreharbeiten schon neun Jahre alt. Es wird das Klangdesign des Western auf ewig verändern: Ein einsamer Pfeifer in der Wüste, eine Maultrommel, das Heulen eines Kojoten, dazu die volle sinfonische Breitseite eines Orchesters. Noch Jahrzehnte später hat diese Musik die Kraft, Zeit und Raum zu biegen – auch oder insbesondere beim monumentalen The Ecstasy Of Gold oder der elegischen Flamenco-Nummer The Trio, die diesen Soundtrack endgültig magisch machen.

Spiel mir das Lied vom Tod

Obgleich auf den ersten Blick ein brutales Rachedrama, passt der englische Titel Once Upon A Time dennoch deutlich besser zu dieser episch-schmerzvollen Geschichte über den Niedergang des Wilden Westens. Da passt die wallende Melodramatik des Titelstückes, die die Melancholie der letzten Grenze unerreicht einzufangen weiß. Noch besser – wenn auch deutlich unbekannter – ist Jill‘s America, eine Nummer, die sehr gut zeigt, wie weit Morricone 1968 schon von seinen Italo-Wurzeln entfernt ist. Und dann ist da natürlich noch Man With A Harmonica, dieses sinistre, gnadenlose Thema, dessen morbide Mundharmonika bis heute einen Schauer über den Rücken jagt. Nicht übel für ein Gespann, das immer noch zu den B-Movies gezählt wird.

Es war einmal in Amerika

1984 will es Sergio Leone noch einmal wissen. Sein letzter Film soll sein Opus Magnum werden, soll für das Genre des Gangsterfilms dasselbe tun wie seine Western für das ihrige. Ehrensache, dass auch sein alter Kumpel Morricone wieder mit dabei ist. Der hat inzwischen auch Dutzende andere Werke abseits von Colt, Cowboys und Canyons vollendet und ist zu gern bereit, ein überlebensgroßes Amerika-Epos in Musik zu fassen. Vom andächtigen, zutiefst melancholischen Main Theme bis zum schwelgerischen Deborah‘s Theme zeigt Morricone sein Händchen für Feingefühl und wohldosierten Pathos im Angesicht einer epischen Geschichte.

Die Unbestechlichen

Morricone bleibt den uramerikanischen Themen treu. 1987 erschafft er die Musik für den Gangster-Klassiker Die Unbestechlichen – und setzt mit seinem Thema für Al Capone (gespielt von Robert de Niro) ganz nebenbei der nervösen Musik des italienischen Giallo-Films ein hübsch dramatisches Denkmal. Mehr als zurecht gab es für diesen packenden Soundtrack eine Oscar-Nominierung. Ja, er kann es eben auch ohne Leone.

Cinema Paradiso

Schon im Folgejahr arbeitet Morricone wieder in der Heimat. Für Cinema Paradiso, dieses Hohelied auf die Kraft und Magie des (italienischen) Kinos, schreibt er 1988 einen traumgleichen, sentimentalen, romantischen Score, der wie wenige andere Soundtracks die glanzvolle Ära des frühen Hollywood in Töne fasst.

The Hateful Eight

Auch wenn es ausgerechnet dieses Spätwerk von 2015 ist, das Morricone endlich den Oscar einbringen soll: Vor allem ist es wohl Regisseur-Exzentriker Quentin Tarantino, der von dieser Zusammenarbeit mit seinem großen Idol profitiert. Nachdem er schon in früheren Filmen Ausschnitte alter Morricone-Soundtracks in seinen Filmen verwendete, kann er diesmal den Maestro persönlich für die Musik zu seinem beklemmenden Western-Kammerspiel gewinnen. Der klaustrophobisch-paranoiden Stimmung inmitten dieses Schneesturms tut das fast schon zu gut!

Diese Liste ließe sich sehr, sehr lang fortsetzen. Es ist deswegen wichtig zu erwähnen, dass es sich bei einem wie Morricone durchaus lohnt, links und rechts von seinen großen Welterfolgen zu schauen. Tut man das, stößt man auf obskure Perlen wie seine festliche, aufwühlende Musik zum Historien-Drama Allonsanfan, deren Titelstück sich Tarantino für Inglourious Basters ausborgte.

Ciao, maestro. Und grazie per la musica.

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