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Popkultur

Interview mit Emigrate: „Ich hatte das Gefühl, mit der Musik aufhören zu müssen“

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Emigrate
Foto: Tobias Ortmann

Rammstein-Gitarrist Richard Z. Kruspe meldet sich mit dem vierten Emigrate-Album The Persistence Of Memory zurück. Darauf singt er mit Till Lindemann, stellt sich den Dämonen der Vergangenheit und macht sich mit monumentalem Industrial Rock bereit für die Zukunft.

 von Björn Springorum

Hier könnt ihr The Persistence Of Memory hören:

Während die neue Rammstein-Single gerade erst für ihre Galaxiepremiere in den Weltraum geballert wurde, begibt sich Richard Z. Kruspe auf seine ganz eigene Reise: Für seine vierte Emigrate-Platte The Persistence Of Memory ist er tief in seine eigene Vergangenheit gereist. Von dort hat er viele alte Songskizzen, aber auch jede Menge Erkenntnisse über sich selbst mitgebracht. Und nutzt sein knalliges neues Industrial-Rock-Spektakel für den Schulterschluss zwischen gestern, heute und morgen.

2007, 2014, 2018, 2021… die Pausen zwischen den Emigrate-Alben wurden bislang jedes Mal kürzer. Wird dir Emigrate immer wichtiger?

Ich nehme das Verstreichen der Zeit gar nicht so wahr. Emigrate ist nicht nur eine eine musikalische Freiheit, sondern auch eine terminliche Freiheit. Es gibt keinen Plan. Doch nach der letzten Rammstein-Platte bin ich in ein wahnsinnig tiefes Loch gefallen, war verloren in meiner Welt. In mir tobten verschiedene Kriege und ich hatte das Gefühl, mit der Musik aufhören zu müssen. Ich sah einfach keinen Sinn mehr darin. Das war eine richtig harte Bruchlandung, die ich so noch nie erlebt hatte. In mir war eine richtige Leerelink. Selbst für uns war diese Stadiontour durchaus etwas Neues. Und wenn dir dann jeder erzählt, wie toll und gut du bist, ob das stimmt oder nicht, dann bist du wie auf einen Entzug, wenn es dann vorbei ist. Ich musste erst mal wieder auf den Boden kommen. Also floh ich in die Erinnerungen, in die Vergangenheit. So ist auch der Albumtitel The Persistence Of Memory zu erklären.

Was hast du in der Vergangenheit gefunden?

Ich stieß auf diese ganzen alten Songs und Ideen und betrachtete sie noch mal genau. Sie halfen mir dabei, mich wieder in die Gegenwart zu bewegen, um danach endlich wieder in die Zukunft schauen zu können. Eine Zeitreise zurück zur Inspiration, sozusagen. Vielleicht braucht diese Emigrate-Dekade einen Abschluss. Dieses Album ist vielleicht das Ende einer Ära, die Klammer, bevor etwas Neues beginnt. Vielleicht brauchte es diesen Blick zurück, um etwas Neues anzufangen.

Hast du den Richard von damals noch erkannt?

Teilweise. Manchmal war ich aber auch sehr verwundert. (lacht) Der Song Come Over war ein solcher Fall. Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Ich erinnerte mich dann aber daran, dass mein Sohn einfach total auf dieses Lied abgefahren ist und es ganz viel in ihm bewegt hat. Dann habe ich den Song in seinem Sinne weitergeschrieben. Einen solchen Song hätte ich in der heutigen Zeit wahrscheinlich niemals so geschrieben, doch ich wollte die Vergangenheit auch nicht verleugnen. Also schrieb die Songs so um, dass der heutige Richard gut mit ihnen leben kann.

Wie viel wurde konkret umgeschrieben?

Stellenweise habe ich 80 Prozent oder mindestens um die Hälfte umgeschrieben. Die Musik war für mich eher der Motor aus der Vergangenheit, der mir aufzeigte, was ich damals erlebt hatte, um mich im Hier und Jetzt wieder zu inspirieren, weiterzumachen. Ich war so unmotiviert: Weshalb brauche ich das alles überhaupt noch? Man sagt ja immer, man soll im Moment leben, und das stimmt natürlich auch. Aber manchmal muss man auch die Vergangenheit verstehen, um weiterzumachen.

„Bei Rammstein muss ich mich dann immer wieder stoppen, wenn ich merke, dass ich schon wieder ein zweites Du hast schreibe.“

Mit Freeze My Mind gibt es auch den allerersten Emigrate-Song von 2001 auf dem neuen Album. Wie war wie war dein Leben damals – es war 9/11, mit Rammstein habt ihr Mutter veröffentlicht 

Mein Leben war damals durch eine wahnsinnige Enttäuschung geprägt. Die resultierte daraus, dass ich mich unverstanden fühlte. Ich hatte diese Wut in mir, dieses Bedürfnis, es allen anderen zu zeigen. Es war wie ein Aufbruch in eine neue Welt und ich musste mich weiter bewegen. Es war durchaus auch ein Verlassen der der Komfortzone. Deswegen auch der Name Emigrate. Das hatte alles Sinn und Verstand. Ich glaube, die größte Motivation kommt immer daher, jemandem etwas beweisen zu wollen. Ob das die Eltern sind, ob das deine Kollegen sind oder ob das vielleicht du selbst bist. Es geht darum, seinen Wert zu fühlen.

Letzten Endes möchte man doch einfach, dass die Leute einen mögen, oder?

Man will gefallen, aber das kann auch eine große Falle sein. Gerade beim Schreiben. Man muss schon aufpassen, dass man nicht immer dasselbe erzählt. Das passiert bei Rammstein öfter als bei Emigrate, weil dieses Projekt gar nicht kommerziell ausgelegt ist. Ich muss damit kein Geld verdienen, und das fand ich immer sehr schön daran. Bei Rammstein muss ich mich dann immer wieder stoppen, wenn ich merke, dass ich schon wieder ein zweites Du hast schreibe.

„Ich kann auch bei Tag dunkel sein.“

Wann, wie und wo arbeitest du an Emigrate oder an Musik im Allgemeinen?

Ich habe mich früher immer über meine Arbeit definiert. Das konnte ich durch viele Therapien abstreifen. An Wochenenden oder spät abends arbeite ich überhaupt nicht mehr und will Zeit mit meinem Kind verbringen, wenn es bei mir ist. Ich brauche das Arbeiten während der Nacht nicht mehr. Ich kann auch bei Tag dunkel sein

Inwiefern profitiert Rammstein von Emigrate?

Immens. Emigrate hat viele Probleme gelöst, die es gar nicht hätte geben müssen. Bei Rammstein wollten einige immer so viel machen wie ich, konnten es aber nicht. Das führte zu Neid und Stress, was ich aber gar nicht nachvollziehen konnte, weil ich der Meinung war, die anderen wollten es so. Deswegen musste ich weg, musste ich nach New York ziehen, um mit Weitsicht auf die Dinge zu sehen und zu schauen, worum es eigentlich geht. Ich konnte all meine Energie in ein anderes Projekt fließen lassen, ich konnte mit ganz anderen Leuten arbeiten.

„Es gibt diese kleinen Kämpfe und Egos nicht mehr.“

Bei Always On My Mind kommt der diesmal einzige Gast des Albums zum Einsatz – Till Lindemann. Wie kam es dazu?

Lange Geschichte. (lacht) Unsere Plattenfirma wollte vor Jahren mal ein Elvis-Coveralbum machen. Ich fing an zu schreiben, verwarf es aber irgendwann wieder. Ich war aber so unfassbar fasziniert von Elvis‘ Stimme in diesem Song. Egal, welches Instrument ich im Studio hochgefahren habe: Sie hat sich immer durchgesetzt. Ich nahm mir also vor, den Song mit meiner Musik und seiner Stimme auf das Album zu packen und überlegte, wer diesen Song singen könnte. Iggy Pop? Michael Poulsen von Volbeat? Nur an Till habe ich irgendwie nie gedacht. Manchmal ist es eben einfach zu naheliegend. Dabei ist er schlichtweg der einzige, der so singen kann. Ich fragte ihn, er hatte Lust darauf und wir nahmen das Ganze letztendlich dann sogar als Duett auf, weil ich es so emotionaler fand.

Es herrscht also Harmonie zwischen euch?

Ich bin alt genug, um unsere Beziehung zu genießen. Es gibt diese kleinen Kämpfe und Egos nicht mehr, die da aufeinanderprallen. Jetzt geht es nur darum, dass man Spaß hat.

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