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Popkultur

Nashville Milestones | Keith Urban: Love, Pain & The Whole Crazy Thing

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Keith Urban – Love, Pain & The Whole Crazy Thing

Wer an 2006 denkt, denkt an die Fußball-WM in Deutschland. An die Begeisterung und daran, dass erstmals im neuen Deutschland – naiv und ohne nationalistische Ideologie – Menschen aller Altersgruppen die deutsche Fahne schwenkten. 2006 steht für die WM und auch für das Scheitern des deutschen Teams im Halbfinale gegen Italien. Das tat weh. Man erfand den Begriff „Sieger der Herzen“. Weltpolitisch war das Jahr wie andere: Chaos, Kriege, Kämpfe … Musikalisch war das Jahr durchaus erfreulich. Nicht unbedingt wegen des Country-Hits von Texas Lightning „No No Never“ – immerhin Platz 3 in der Jahresgesamtbilanz – sondern vor allem wegen eines blonden, smarten Australiers mit Colgate-Lächeln und Gitarre: Keith Urban. Mit „Love, Pain & The Whole Crazy Thing“ veröffentlichte der gerade frisch gebackene Ehemann von Hollywood-Diva Nicole Kidman sein viertes Studio-Album. Ein Volltreffer! In Amerika landete er mit dem von Hit-Nase Dann Huff produziertem Werk auf Platz 3 – und wiederholte damit das gleiche Top-Ergebnis, das er schon mit dem Vorgänger-Album „Be Here“ einfuhr. Mit „Love, Pain …“ punktete er allerdings erstmals auch außerhalb des nordamerikanischen Country-Habitats. Sogar in Europa: Platz 52 in der Schweiz, Platz 23 in Österreich und – immerhin! – Platz 32 in Deutschland. Für einen Country-Act war das mehr als beachtlich.

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Natürlich ist Keith Urban ein Country-Mann reinsten Wassers, doch mit dem Reinheitsgebot des Genres nimmt es der Sänger, Gitarrist und Songschreiber dennoch nicht so genau. Warum auch? Einen Trend ignorieren kann teuer werden. Im Härtefall kostet es die Karriere. Dass Keith Urban nicht gewillt ist, diesen Preis zu bezahlen, machte er endgültig mit „Love, Pain & The Whole Crazy Thing“ und einem mehrheitstauglichen, perfekt auf das Autoradio zugeschnittenen Happy-Country-Pop-Sound deutlich. Die CD markiert somit eine Zäsur in seiner Karriere. Sie avancierte aber auch zum letzten fehlenden Puzzleteil des Country-Superstars Keith Urban. Bei allen Deutungen und Interpretationen des Werks sollte man aber nicht vergessen, dass es sich dabei einfach auch um eine richtig gute CD handelt. Wir hören rein:

Mit dem von John Shanks (u.a. Joe Cocker) und Keith Urban geschriebenen “Once In A Lifetime” geht das Album gleich mal kräftig wummernd los. Ein lupenreiner Rocksong mit einer schönen Hookline und einem grandiosen Gitarrensolo. Das stammt übrigens nicht – wie man vermuten könnte – von Produzent Dann Huff, sondern von Dan Bukovac. Bis zu dieser Session war Bukovac noch eher ein Geheimtipp, seitdem gehört er zur ersten Session-Garde in Nashville.

Beim nächsten Song “Shine” arbeitete Urban mit Routinier Monty Powell zusammen. Ergebnis: ein harmonisch gefälliger Mix aus Rock, Folk und Pop. In schottisch-irische Traditions-Gefilde geht es beim nächsten Track, “I Told You So”, den der fesche Keith im Alleingang schrieb. Eine Art Rock-Marsch mit verspielter Percussion und Saiteninstrumenten.

Wie schon beim Vorgänger-Album, als er den Uralt-Werbehit “Jeans On” von David Dundas aus der Pop-Mottenkiste holte, kramte er auch für “Love, Pain & The Whole Crazy Thing” wieder eine Rarität aus: “I Can’t Stop Loving You” heißt der Heuler, den Billy Nicholls 1978 schrieb und mit dem Leo Sayer einen seiner großen Hits landete. Der Song hat den berühmten Test-of-Time bestanden. Vor allem da der frisch verliebte Keith Urban zu diesem Zeitpunkt wohl den perfekten Schmusekater abgab.

Nach der netten Eigenkomposition “Won’t Let You Down” wartet das Album mit einer weiteren Überraschung auf: Bei “Faster Car”, ebenso ein Keith Urban-Original, präsentiert der Schelm doch glatt einen Rasierklingen-scharfen Bläsersatz um ungeniert Rhythm & Blues-Tupfer einzustreuen. Wann gab es so etwas zuletzt in Nashville? Bei einem weiteren Album-Highlight hat Keith Urban ausnahmsweise keine Autoren-Aktien: “Stupid Boy” stammt aus der Feder des Songwriter-Teams Sarah Buxton, Deanna Bryant und Dave Berg. Dem Trio gelang eine in Sixties-Farben schimmernde Song-Perle. Nach verhaltenem, akustischem Intro steigert sich der Song Strophe für Strophe zur fulminanten Power-Ballade mit feurigem Gitarrensolo. Ähnliches gilt auch für “Everybody”, der vorletzte Track der CD und eine Gemeinschaftsproduktion von Urban und dem 80er- und 90er Rockstar Richard Marx. Zwischendrin versteckt: Der akustische Folk-Blues “Tu Compana”, der kantigste, erdigste und in seiner Sessionhaftigkeit vielleicht sogar seelenvollste Titel der CD. Es sind Songs wie diese, die den Posterboy des Country auch bei Genre-Hardlinern so beliebt und glaubwürdig machen.

Alles in allem ein Album, das für sonnige Cabrio-Ausflüge genauso geeignet ist, wie für geschundene Fußballfan-Seelen. Eine CD, die aufhellt, begeistert und in manchen Momenten Trost spendet. Was will man mehr?

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Text: Gunther Matejka
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