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Popkultur

OUTLAWS | RELOADED

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Outlaws – Reloaded

Ende der 60er-Jahre hübschten pfiffige Produzenten den Country-Sound für die breite Masse auf – sehr zum Missfallen einiger Stars. Johnny Cash, Willie Nelson, Kris Kristofferson & Co. initiierten die Outlaw Country-Bewegung. Jetzt treten ambitionierte Künstler wie Chris Stapleton und Jamey Johnson in die Fußstapfen der legendären Rebellen.

Johnny Cash

Johnny Cash

Chet Atkins war als Gitarrist nahezu unschlagbar. Kein Lick, kein Akkordwechsel, den der 1924 in Luttrell, Tennessee geborene und 77-jährig im Jahr 2001 in Nashville verstorbene Musiker nicht mühelos aus dem Westernhemd-Ärmel geschüttelt hätte. Sein Status als Virtuose ist und bleibt: makellos. Für seine langjährige Produzententätigkeit gilt das allerdings weniger. Nicht, weil Chet Atkins zu wenig erfolgreich gewesen wäre – ganz im Gegenteil. Der smarte Lockenkopf mit den flinken Fingern hatte auch für massenkompatible Hits ein glückliches Händchen. Als Produzent für Floyd Cramer, Eddy Arnold, Jimmy Dean, Charley Pride, Bobby Bare, Perry Como und die Everly Brothers sammelte er Goldene Schallplatten wie andere Leute Briefmarken. Seine Hitformel war indes umstritten. Der Vorwurf: zu seicht, zu soft, zu glatt. Und vor allem: zu wenig Country.

Es waren nicht die ohnehin an der Music Row Gescheiterten, die übersehenen Talente, die in diesen Mecker-Kanon einstimmten, sondern etablierte Nashville-Größen. Stars wie Willie Nelson, Johnny Cash, Waylon Jennings, Merle Haggard, David Allan Coe, Kris Kristofferson. Und natürlich die ohnehin einer alternativen Gesinnung nachhängenden Musik-Rebellen wie Townes Van Zandt, Steve Earle und Billy Joe Shaver. Sie alle verweigerten sich zunehmend dem Nashville-Establishment. Der eine oder andere – wie zum Beispiel Willie Nelson und Waylon Jennings – kehrten Nashville sogar den Rücken, um in der vitalen Live-Szene von Austin, Texas, einzutauchen und kurzfristig ein neues musikalisches Glück zu finden. Für die Gegenbewegung des zu brav gewordenen Country-Sounds war schnell ein passendes Label gefunden: Outlaw Country, oder Outlaw Movement. Wenn damit schon nicht gleich ein neues Genre geboren wurde, so zumindest eine neuer Trend, eine neue Mode. Es dauerte nicht lange, da wurde aus dem neuen Trend, aus der neuen Mode auch ein neuer Marktplatz. So fuhr nicht nur Waylon Jennings mit dem verwegenen Gauner-Image – und dazu passenden Alben wie „Ladies Love Outlaws“ – Bestseller ein.

Waylon_Ladies

Auch wenn dieses Kapitel Country-Geschichte schon vor rund 40 Jahren geschrieben wurde, steht es dennoch beispielhaft für das Musikbusiness: Eine Bewegung bewirkt eine Gegenbewegung. Das ist heute nicht anders. Ein Trend – beispielsweise in Richtung glattem Pop – folgt geradezu reflexartig eine Strömung in die entgegengesetzte Richtung, also hin zu rustikalem, bodenständigen, roots-verankerten Country. Aktueller Beleg: das Album „Traveller“ von Chris Stapleton. Sein Anfang Mai in den USA veröffentlichtes Debüt präsentiert Country, das der Genre-Bezeichnung mit jeder Note gerecht wird: erdig, naturbelassen, klischeefrei, ehrlich, gehaltvoll. In den 14 – größtenteils selbstgeschriebenen – Titeln erzählt er vom wirklichen Leben: von Frust und Suff, von Herz und Schmerz, von der Einsamkeit einer suchenden Seele oder davon, wie sein Vater vom Glauben abkam. Zum Teil harter Tobak. Seine in rustikale Country-, Folk- und Americana-Klänge gekleidete Poesie trägt der rübezalbärtige Sänger mit rauer Wind- und Wetter-Stimme vor. Keine Frage, Mainstream-Country klingt anders. Ganz anders! Dennoch marschierte das gemeinsam mit Dave Cobb produzierte Album auf Platz zwei er US-Country-Charts, und – umso bemerkenswerter! – auf Platz 14 der Pop-Charts.

Schon das Cover macht übrigens klar, dass hier einer Country nicht als schickes Vehikel für belanglose Musik verwendet: Düstere Schwarz-Weiß-Fotos und eine glamourfreie Großaufnahme mit Pick-Up, Highway und staubiger Prärie bringen das bestimmte Gefühl von Freiheit und Verlorenheit sofort in Wallung. Damit scheint Stapleton den Menschen aus der Seele zu sprechen. Eine Fähigkeit, die er als Mann hinter den Kulissen ohnehin seit Jahren unter Beweis stellt. So schrieb der 1978 in Lexington, Kentucky, geborene Musiker seit der Jahrtausendwende rund 150 Songs für viele Nashville-Größen. Darunter für Stars wie Vince Gill, Sheryl Crow, Luke Bryan, Tim McGraw und Peter Frampton. Seine bislang größten Songwriter-Erfolge feierte er mit „Never Wanted Nothing More“, mit dem Kenny Chesney fünf Wochen lang die Charts anführte; George Strait landete mit „Love’s Gonna Make It Alright“ und Darius Rucker mit „Come Back Song“ einen soliden Chartserfolg. Kurz: Stapleton weiß wie Hit geht. Für sein Album verlässt er sich dennoch nicht auf die bewährte Hitformel. Im Gegenteil: Der bärtige Nonkonformist erinnert nicht selten an seine geistigen Rebellen-Vorfahren – eine Seelenverwandtschaft, die er in dem grandios staubigen Country-Rocker „Outlaw State Of Mind“ musikalisch voll auf den Punkt bringt.

Aus ähnlichem Holz ist der gleichaltrige, ebenfalls aus Kentucky stammende Sturgill Simpson geschnitzt. 2013 debütierte er mit dem Independent-Album „High Top Mountain“, mit dem er auf Platz 31 der Country-Charts landete; der 2014 erschienene Nachfolger „Metamodern Sounds In Country Music“ verkaufte sich schon rund 120.000 Mal und erreichte Platz acht der Charts. Ähnlich wie Stapleton setzt auch Simpson auf ungeschminkte Country- und Alternative-Country-Sounds – und auch auf Produzent Dave Cobb. Um seiner Musik einen möglichst authentischen (Outlaw)-Anstrich zu verpassen, vertraut Simpson bei den Sessions auf legendäre Musiker – wie Hargus „Pig“ Robbins und dem früheren Waylon Jennings-Gitarristen Robby Turner. „Ich habe meinem Produzenten gesagt, dass ich das Feeling dieser alten Country-Alben haben möchte.“ Ist ihm gelungen. Dass er damit auf das richtige Pferd setzte, belegen Auftritte in der Grand Ole Opry, bei David Letterman und Conan O’ Brien sowie bei gemeinsamen Tourneen mit Dwight Yoakam, der Zac Brown Band und mit Ober-Outlaw Willie Nelson.

Wegbereiter und Pionier der neuen Outlaw-Bewegung ist natürlich der von Publikum und Kritik gleichermaßen gefeierte Jamey Johnson. Der düstere Bär mit Zottelbart erschien 2006 mit dem Top-20-Album „The Dollar“ auf der Country-Bildfläche – und machte sofort von sich Reden. Schon das 2008 erschienene Album „That Lonesome Song“ kletterte auf Platz sechs und mit dem 2010 veröffentlichten Album „The Guitar Song“ krönte Nashville einen neuen Star: Platz eins der Country-, Platz vier der Pop-Charts. Doch der 1975 in Enterprise, Alabama, geborene Künstler ließ sich – trotz Arbeiten für George Strait, James Otto und Joe Nichols – nicht vom Establishment vereinnahmen. Warum auch? Wie bei Willie, Johnny, Waylon, Chris & Co. ist seine Gesinnung schließlich konsequent auf Rebell und Outlaw gebürstet. Mehr noch als seine etwa gleichaltrigen Weggefährten umweht den finsteren Gesellen eine unberechenbare, fast schon gefährliche Aura.

„Man weiß nie, woran man bei Jamey Johnson ist. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er mit den Aufnahmen überhaupt nicht zufrieden ist und mir gleich eine scheuert – dabei war er offenbar total begeistert“, berichtet sein Produzent Dave Cobb über die sehr speziellen Sessions. Aber auch davon, dass Jamey Johnson wie kaum ein anderer in der Lage ist, Songs mit einer geradezu magischen Interpretation aufzuladen. Eine Fähigkeit, die über jede Kritik erhaben ist – und die ihm in seiner relativ kurzen Karriere eine ganze Reihe von Hits und Awards einbrachte. Darunter mehrere CMA-Awards und sechs Grammy-Nominierungen. Künstlerisches Verbiegen scheint bei diesem Künstler aber genauso wenig vorstellbar, wie bei Chris Stapleton und Sturgill Simpson. Klarer Fall: Chet Atkins wäre an ihnen grandios gescheitert.

Text: Gunther Matejka
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