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Popkultur

Zeitsprung: Am 24.4.1975 stirbt Pete Ham von Badfinger unter tragischen Umständen.

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Foto: Fin Costello/Redferns

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 24.4.1975.

von Christof Leim

Ihr kennt doch sicherlich den Song Without You, nicht wahr? Das Ding, bei dem Mariah Carey in höchste Höhen trällert. Ein Schmachtfetzen, wie er im Buche steht, hundertfach neu aufgelegt, ein Megahit. Im Original stammt er von Badfinger, geschrieben von Pete Ham und Tom Evans. Leider können beide die Früchte ihres Erfolges nicht mehr genießen. Heute vor 45 Jahren schied Pete Ham mit nur 27 Jahren aus dem Leben…

Hört hier Wish You Were Here, Pete Hams letztes Album:

Sogar Sir Paul McCartney höchstselbst nennt Without You „den Killer-Song für alle Zeiten“. Wow. Das Ding ist echt ein Tränendrücker, kitschig, aber geil. Im Original findet er sich auf dem Album No Dice der britisch-walisischen Rockband Badfinger von 1970. Bei denen läuft es ab Ende der Sechziger nicht schlecht: Zunächst sind die Herren ein paar Jahre als The Iveys unterwegs und werden von Ray Davies (The Kinks) unterstützt. Schließlich unterschreiben sie einen Vertrag beim Beatles-Label Apple Music. Wie es heißt, zeigten sich alle vier der „Fab Four“ beeindruckt von den Songwriting-Fähigkeiten der Band. Das liegt vor allem an Gitarrist und Sänger Pete Ham, dem Hauptkomponisten. 

Die neuen Beatles

Aus The Iveys werden Badfinger, im Dezember 1969 erscheint die Single Come And Get It und wird ein weltweiter Top-Ten-Hit. Läuft. Dass die Nummer aus der Feder von McCartney stammt, stört Pete Ham zunächst, schließlich kann er das mit dem Liederschreiben auch ziemlich gut. Und das tut er dann auch: Mit No Matter What, Day After Day und Baby Blue landen Badfinger 1970/71 weltweit in den Charts. Sie werden sogar als die neuen Beatles gehandelt (was man definitiv als Kompliment verstehen muss, aber auch eine Menge Problem bringt). Ham ist da Mitte Zwanzig.

Badfinger zu ihren Zeiten bei Apple Records. Ganz links: Pete Ham – Foto: Apple Corps/Promo

Während dieser Zeit entsteht auch eben jenes Without You, das er mit dem Bassisten Tom Evans komponiert. Der US-Sänger und Lennon-Kumpel Harry Nilsson nimmt 1972 eine eigene Version auf und sammelt damit etliche Nummer-eins-Platzierungen ein, insbesondere in den USA und Großbritannien. Ham und Evans werden 1973 mit dem Ivor Novello Award ausgezeichnet, einem angesehen britischen Songwriting-Preis, sogar die Grammy-Jury bedenkt sie mit einer Nominierung. Heute gilt das Lied als Standard der Popmusik, es existieren Hunderte Coverversionen. Pete Ham spielt sogar einige Sessions für Apple Music und für George Harrison, etwa auf dem Album All Things Must Pass von 1970. Weil es bei Apple aber nicht rund läuft und Badfinger zum Sprung ganz nach vorne ansetzen, greift der Branchenriese Warner Brothers zu. Man könnte also sagen: Es geht voran.

Rock’n’Roll Rip Off

Allerdings nur für eine Weile. Denn es gibt Probleme, und die haben vor allem mit ihrem Manager Stan Polley zu tun, von dem wir noch hören werden. Der betreut zwar etablierte Klienten wie Al Kooper, Lou Christie und Blood, Sweat & Tears, scheint aber in Sachen Finanzen eher kreativ gewesen zu sein und die Musiker an ziemlich unvorteilhafte Verträge gebunden zu haben. Intern gibt es auch Streit, ein paar Singles floppen. Immerhin tourt und arbeitet die Band, verdient aber nur Kleingeld. Da stimmt was nicht. Rückblickend kann man das ganze nur als wirklichen gewaltigen „Rock’n’Roll Rip Off“ bezeichnen, wie es in der Geschichte unserer Musik leider oft vorkam. (Mehr Details zum Abstieg von Badfinger gibt es hier.)

Die Blase platzt komplett, als im Dezember 1974 Warner Brothers (genauer: die Verlagsabteilung) Stan Polley verklagen, weil Vorschusszahlungen verschwunden sind – und der Herr Manager gleich mit. Große Unterstützung erfährt das gerade veröffentlichte fünfte Badfinger-Album Wish You Were Here da natürlich nicht mehr und verpufft wie ein nasser China-Böller. Schecks an die Musiker platzen und bleiben schließlich ganz aus. Badfinger stehen vor dem Ruin und können wegen der Kontrakte nicht mal ohne Polley agieren. Schließlich erfährt Ham, dass Geld, das ihm noch aus den Bandkonten zusteht, verschwunden ist. Er trifft sich mit Tom Evans, die beiden gehen – nicht unverständlich – in einen Pub. Dort trinkt Ham erstmal einen Whiskey. Und dann noch neun. Beide beschließen, Polley endgültig zu feuern. Nach Mitternacht fährt Evans ihn nach Hause. Laut der Bandbiografie Without You: The Tragic Story Of Badfinger soll Ham zu seinem Bassisten gesagt haben: „Mach dir keine Sorgen. Ich weiß einen Ausweg.“

Traurig

Pete Ham hat zu der Zeit gerade ein Haus gekauft, seine Partnerin erwartet ein Kind. Ohne Einkommen, ohne Rücklagen und ohne Perspektive für die lange hartnäckig verfolgte Karriere versinkt der Musiker in Verzweiflung. Am Morgen des 24. April 1975, drei Tage vor seinem 28. Geburtstag, erhängt sich Pete Ham in seiner Garage. Er hinterlässt einen Brief, der zu Herzen geht. Adressiert ist er an seine Freundin Anne Herriot und ihren Sohn Blair: „Anne, ich liebe dich. Blair, ich liebe dich. Mir ist es nicht erlaubt, zu lieben und allen zu vertrauen. Es ist besser so. Pete. PS: Stan Polley ist ein seelenloser Bastard. Ich werde ihn mitnehmen.“ Einen Monat später kommt seine Tochter Petera zur Welt.

Pete Ham wird in Swansea, Wales beigesetzt. Badfinger lösen sich auf, der Warner-Kontrakt ist da schon lange im Schredder gelandet, und sogar Apple streichen die Alben aus ihrem Angebot. Damit endet nicht nur eine vielversprechende Bandkarriere (mit folgenden problematischen Reunions); vor allem findet ein begabter Songwriter, Sänger und Gitarrist ein viel zu frühes Ende. 

Ehrung in der Heimatstadt

Heute gilt Pete Ham als einer der ersten Vertreter des so genannten Power Pop. Am 27. April 2013, seinem 66. Geburtstag, wird sein Werk in seiner Heimatstadt Swansea mit einer offiziellen blauen Plakette in der Nähe eines frühen Proberaums geehrt. Ehemalige Bandkollegen, Olivia Harrison und die Petera Ham-Eddie sind zugegen und erinnern an den Künstler. „Es ist toll, dass ich seine Musik habe“, erklärt die damals 37-jährige Tochter, die ihren Vater natürlich nie kennenlernen konnte. „Die meisten Menschen können ihre Eltern nach deren Tod nicht mehr hören, es gibt vor allem Fotos. Ich höre mir seine Lieder gerne an, wenn ich ins Bett gehe. Das fühlt sich an, als wäre er in meiner Nähe.“ Rest in peace.

Mit dieser Plakette wurde Pete Ham 2013 in seiner Heimatstadt Swansea geehrt – Foto: Rhysowainwilliams/WikiCommons

Epilog: Leider wird dem betrügerischen Manager Stan Polley nie so richtig das Handwerk gelegt. 1991 bekennt er sich wegen eines anderen Schwindels für schuldig und erhält eine Bewährungsstrafe. Er stirbt 2009 mit 87 Jahren. Leider kämpft auch Hams Bandkollege und Mitkomponist Tom Evans mit massiver Problemen geschäftlicher und persönlicher Natur. So gibt es immer wieder Streit um die Tantiemen zu Without You, außerdem soll Tom nie über den Suizid von Ham hinweggekommen sein. Tom Evans nimmt sich am 19. November 1983 ebenfalls das Leben. Er wurde 36 Jahre alt. Seine Geschichte erzählen wir ein andermal. Bis dahin gibt es glücklicherweise noch eine Menge guter Songs von Ham und Evans zu hören.

Depressiv? Hier bekommst du Hilfe: Wenn du selbst depressiv bist oder Selbstmordgedanken hast, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du Hilfe von Beratern, die dir Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Zeitsprung: Am 23.12.1972 wird das Equipment von Grand Funk Railroad gepfändet.

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