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Popkultur

Punk hat sein Coming-Out: 10 Jahre „Transgender Dysphoria Blues“ von Against Me!

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Against Me!
Foto: Wally Skalij/Los Angeles Times via Getty Images

2014 veröffentlichen Against Me! ihre sechste Platte Transgender Dysphoria Blues. Es ist Laura Jane Graces erstes Album nach ihrem Coming-Out als trans Person – und ein autobiografisches Punk-Mantra für mehr Selbstbestimmung.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Transgender Dysphoria Blues hören:

2012 gehören Against Me! zu den größten Punk-Bands der USA. Sie füllen große Hallen, sind hoch in den Charts, spielen Tourneen mit Billy Talent und anderen Größen. Lange vorbei die Zeiten, in denen sie in einem alten Buick LeSabre die Ostküste hoch und runter tingelten, um kleine verschwitzte Punkrock-Shows abzureißen. Sie spielten ihre hitzigen Songs von Klassenkritik und sozialer Ungerechtigkeit in kleinen Kneipen oder in Waschsalons. Manchmal kam kein einziger Mensch.

Die Punk-Szene gibt ihr Halt

Angeführt wird die Band von Laura Jane Grace, geboren 1980. Sie wächst als Junge auf, fühlt sich aber seit Teenager-Tagen als Frau. Depression und Unsicherheit sind die Folge, lange Jahre versteckt sie ihr wahres Ich, hat im Mai 2012 ihr Coming-Out. Sie macht öffentlich, dass sie transgender ist und beginnt daraufhin mit ihrer Transformation. „Das erste Mal, dass ich es wusste, war, als ich Madonna bei einem im Fernsehen übertragenen Konzert sah. Und ich dachte: ‚Warum nicht ich?‘“, so Grace. Als Kind eines Militärs wuchs sie auf Armeestützpunkten auf und fühlte sich die meiste Zeit ihrer Kindheit einsam und verwirrt, wurde in der Schule schikaniert und war von einem unauslöschlichen Gefühl des toxischen Andersseins verwirrt.

In der Punk-Szene stößt das auf Irritation, aber vor allem auf eine Welle des Supports. Wieder wird sie für sie zum Halt: Damals triggert eine direkte Konfrontation mit willkürlicher Polizeigewalt ihr Anarcho-Gen, sie findet eine Heimat zwischen all den anderen stachelhaarigen Misfits. Nur der Vater, ein Konservativer wie aus dem Bilderbuch, reagiert wie erwartet: Die beiden sprechen danach jahrelang nicht miteinander.

Die Mär vom wütenden weißen Mann

Grace macht das, was jede*r Künstler*in in ihrer Situation tun würde: Mitten ihn ihrer Transition schreibt sie ein Album darüber. Vor zehn Jahren erscheint Transgender Dysphoria Blues – ein definitives Statement, ein feuriges, wütendes, verwirrtes, stolzes, unsicheres, verzweifeltes Manifest, das all das ausdrückt, was ihr durch den Kopf geht und ging. „Wenn man in einer Punkband ist, wird man als wütender weißer Mann dargestellt“, sagt sie. „Das bist du: wütend, weiß, männlich. Und du schreist dir die Lunge aus dem Leib und bist wütend über dies und das. Aber man wird in gewisser Weise zu einer Parodie, und je mehr ich das sah, desto frustrierter war ich.“

Dem sechsten Album hört man all das an. Es entstand in tumultartigen Zeiten des Umbruchs. Ihr Körper veränderte sich, die Wahrnehmung ihrer Band veränderte sich, Drummer Jay Weinberg steigt aus, ein Baum kracht auf ihr Studio. Um ein Haar wäre es das auch mit Against Me! gewesen. Doch Grace macht weiter, muss dieses Album machen. Weil sie etwas zu sagen hat. Und dazu endlich ihre Stimme gefunden hat.

„Die Platte hat die Band fast umgebracht“

Heute gilt das Album als eines der besten amerikanischen Punk-Werke aller Zeiten, ein von Kritiker*innen und Publikum geliebtes definitives Statement in unter 30 Minuten. Doch der Weg zu Transgender Dysphoria Blues war steinig. „Anfangs gab es diesen Druck“, so die Sängerin in einem Interview von 2014. „Ich wusste, dass diese Songs gut genug sind, dass sie auf eine Platte kommen müssen. Ich musste die Platte also fertigstellen, egal was passiert. Und nur darum ging es – ohne zu wissen, was darüber hinaus passieren würde. Danach immer noch eine Band zu haben, fühlt sich ziemlich gut an. Aber definitiv hat die Platte die Band fast umgebracht.“

Das Album ist der letzte Akt in der ungewöhnlichen, erstaunlichen Karriere von Against Me! Ein letztes Album – Shape Shift With Me – ist eher als Experiment zu sehen, seit Jahren liegt die Band auf Eis, während Grace solo weitermacht. Wenn Transgender Dysphoria Blues also vielleicht nicht Against Me! gerettet hat, dann auf jeden Fall Laura Jane Grace.

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