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Popkultur

Review: „Get Back“ von Peter Jackson ist ein überlanges Fest für Beatles-Ultras

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The Beatles
Foto: Ethan A. Russell ©Apple Corps Ltd.

Acht Stunden lang nimmt sich Peter Jackson Zeit, um die unheilvollen Sessions zu Let it Be zu sezieren und zu einem neuen Narrativ zusammenzusetzen. Am Ende kommen dabei keine neuen Beatles heraus. Aber eine Band, die so nah, verletzlich und unsicher wirkt wie nie zuvor.

von Björn Springorum

Die Erlösung kommt spät. Aber sie kommt. Ganz am Ende von Peter Jacksons ausufernder Dokumentation Get Back betreten die Beatles endlich das Dach ihrer Londoner Plattenfirma Apple und spielen das letzte Konzert ihrer Geschichte. Die Gravitas des Moments verdient alle Zeit, die 40 Minuten werden zum erwarteten Höhepunkt einer langen und manchmal langwierigen Dokumentation über den beschwerlichen Weg zu Let It Be und Auflösung. Gefilmt im Split-Screen, sehen wir einmal die Band bei ihrem letzten Auftritt und einmal die Menschen auf der Straße. Ein genialer Kniff und eine Entschädigung für die acht Stunden, die man dafür investieren musste.

Repetition und Ödnis

Nicht, dass Get Back deswegen eine schlechte Dokumentation ist. Das Gegenteil ist der Fall. Man ist so nah dran an den Beatles als wäre man ein Kameramann, hat fast das Gefühl, die schicksalhaften Januarwochen wirklich miterlebt zu haben. Wie ein Besuch bei Freunden, die sich plötzlich streiten. Ob die extreme Überlänge nötig ist, kann nur Peter Jackson beantworten, doch der Regisseur von Der Herr der Ringe und Der Hobbit ist ja nicht gerade bekannt dafür, sich kurz zu fassen.

Was er durch die Länge(n) schafft, ist ein authentischer Blick auf das Arbeiten als Band, sezierend scharf und gut darin, einen Scheinwerfer auf die endlose Repetition und Ödnis zu lenken, die jede*r Musiker*in kennt und die inhärent in jedem Schaffensprozess ist. Es war nicht unbedingt ein Zuckerschlecken, Let It Be in zwei Wochen zu schreiben, dabei ständig von Kameras begleitet zu werden und gleichzeitig ein Live-Set für eine unbestimmte Location einzustudieren.

Zwist, Machtspiele, Frustration, Entfremdung

Get Back ist deswegen weniger eine glorifizierende Geschichte der besten Band der Welt. Sondern ein ungeschminkter Blick auf die Schwierigkeiten, John, Paul, George und Ringo zu sein. Die Band steht mit dem Rücken zur Wand, ihr Mentor Brian Epstein ist tot, der Film Magical Mystery Tour war der erste Flop ihrer makellosen Goldesel-Karriere. Es gibt Zwist, Machtspiele, Frustration, Entfremdung. Gebündelt wird das alles in einem zunehmend desillusionierten George Harrison, der am 10. Januar 1969 kurzerhand die Band verlässt. Die scherzt erst, dass man dann eben Clapton hole und nippt kichernd an Tees. Doch ein Blick in ihre Gesichter zeigt die Müdigkeit und die Unsicherheit.

Es sind diese Momente, die Get Back so wertvoll machen. Immer dann, wenn Paul McCartney mal nicht den Clown oder den General gibt. Wenn John Lennon mal nicht so stoned und abwesend wirkt, dass er Kulisse sein könnte. Doch auch wenn Peter Jackson einem vollkommen neuen Blick auf die lange Jahre für anstrengend, toxisch und aufreibend gehaltenen Sessions zu ihrem letzten Album verspricht, kann er eines nicht überschminken: Es steht nicht gut um die Band. Und alle spüren es.

Die alte Magie blitzt immer wieder auf

Dennoch flackert sie immer wieder auf in den Twickenham Film Studios und später auch bei Apple, diese Magie zwischen Lennon und McCartney. Wenn sie sich bei Two Of Us plötzlich so intensiv in die Augen sehen. Wenn sie groben Skizzen und kleinen Melodien zu viert nach und nach einen großen Song entlocken. Wenn Harrison voller Begeisterung erzählt, was er am Vorabend im Fernsehen gesehen hat. Oder wenn sie spontan beschließen, Get Back zur Anti-Fremdenhass-Hymne zu deklarieren. Yoko Ono und Linda (damals noch Eastman) plaudern sorglos, als würde in ihrem Rücken gerade nicht Geschichte geschrieben, Ringo steppt, es gibt Bier und Wein zwischendurch. Get Back ist in Teilen auch Paartherapie, weil die Kamera zeigt, wie sich die Fab Four wieder anzunähern versuchen.

Es braucht aber selbst für unerschütterliche Beatles-Chronist*inneen manchmal einen langen Atem, um in den Genuss dieser Rosinen zu kommen. Dafür wird man mit tiefen Einblicken belohnt, die die Beatles so zeigen wie nie zuvor. Nahbar, verletzlich, echt, unsicher. Die Figur des Michael Lindsay-Hogg, der Regisseur der ursprünglichen Dokumentation, fällt zunehmend als Aggressor auf, dem es nur um seinen Film geht und der die Band unbedingt dazu bringen will, sich endlich für eine möglichst bombastische Location für ihr langewartetes Live-Comeback festzulegen. Seine Vorstellung: Das Amphitheater in Tripolis, beleuchtet von Kerzen.

Es endet auf dem Dach

Es zeigt, wie weit er an der Realität vorbei denkt. Die Beatles halten es zu diesem Zeitpunkt gerade mal so zu viert in einem Raum aus. Sie fühlen sich zunehmend gegängelt von den Kameras und den großen Plänen, die alle zu haben scheinen, dass es am Ende eigentlich nur auf dieses längst legendäre Rooftop-Konzert am 30. Januar 1969 hinauslaufen kann, exakt vier Wochen nachdem die Arbeiten an Let It Be begannen.

Was bleibt, ist ein kontroverses Album, das von Anfang an verflucht war. Was aber auch bleibt, ist eine Session, die bei aller Anspannung und bei allem Zeitdruck neben Let It Be eben noch das halbe Abbey Road sowie manchen frühen Solosong der Post-Beatles-Ära hervorbringt. Das ist ein mehr als untrügliches Zeichen, dass diese Band gemeinsam wirklich alles schaffen konnte. Egal, wie schlecht es um sie stand. Gerade diesen Punkt hat Peter Jackson meisterhaft herausgestellt.

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