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Popkultur

Two Is A Crowd: Sting im Interview zum neuen Album „Duets“

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Sting & Zucchero
Sting (r.) & Duett-Partner Zucchero (Foto: Daniele Barraco)

Ein Interviewdialog ist auch eine Form des Duetts: Sting im Gespräch über sein neues Album Duets, seine bedingungslose Neugier, den Zufall, die Magie des gemeinsamen Musizierens und einsame Gartenspaziergänge.


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Sting - Duets
Sting
Duets
2LP, CD

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Wie kam es eigentlich zu der Idee, ein paar der größten Duett-Aufnahmen deiner Karriere auf einem Album zu vereinen?

Nun, ich hatte gerade erst einen Song mit Melody Gardot aufgenommen, ein Stück namens Little Something. Wir beide hatten so viel Spaß bei der Arbeit, obwohl wir uns nicht mal dafür getroffen haben: Sie war in den Staaten, und ich habe meinen Teil in Italien eingesungen, wenn ich mich recht entsinne. Jedenfalls sind wir einander zum ersten Mal begegnet, als wir dann das Video dazu machten, und ich fand, dass diese Art des Zusammenkommens etwas echt Spannendes hatte – wenn die Verbindung allein durch die Musik entsteht. Singen ist etwas sehr Intimes, aber man kann dabei auch Distanz wahren, was ja in der aktuellen Situation sehr vorteilhaft ist, wo wir schließlich alle mit diesen Masken herumlaufen, damit sich die Sache nicht weiter verbreitet. Nur brauchen wir eben andererseits auch dieses Verbindende, und ich glaube, dass die Musik eine der besten Möglichkeiten bietet, um darüber eine Verbindung herzustellen.

Also schaute ich meine Aufnahmen aus den letzten zwei, drei Jahrzehnten durch und fand dabei sogar ein paar Duette, die ich eingesungen und ehrlich gesagt schon wieder vollkommen vergessen hatte. Sagen wir so: Ich hatte zumindest vergessen, wie sie eigentlich klangen. Also hörte ich mir diese Liste der Songs noch mal ganz genau an: Ich sang da beispielsweise zusammen mit Charles Aznavour, und erst kürzlich hatte ich mir das Mikrofon mit Mylène Farmer geteilt für Stolen Car, was uns einen richtig großen Hit bescheren sollte. Ja, und dann hatte ich auch noch mit Maître GIMS, mit Eric Clapton, Herbie Hancock und Mary J. Blige gesungen… Ich war echt verblüfft, wie viele grandiose Duett-Aufnahmen da zu finden waren, und so fragte ich mich: „Wäre das nicht eine gute Idee, gerade in dieser Zeit des Distanz-Wahrens und der Trennungen, ein Album zu veröffentlichen, das von derartigen Verbindungen handelt?“ Und so also entstand Duets – eher zufällig. Trotzdem bin ich wahnsinnig glücklich mit dem Resultat. Mich hat dieses Album einfach überrascht, und ich hoffe, dass es andere auch überraschen wird.

Für die Zuhörer*innen funktioniert Duets wie eine Zeitreise durch deine Karriere. Welche Erinnerungen, was für Gefühle sind da hochgekommen, als du diese Songs zum ersten Mal wieder hervorgeholt hast?

Ich hatte, wie gesagt, viele dieser Songs mehr oder weniger vergessen, und deshalb war ich auch richtig aufgeregt und aus dem Häuschen, als sie mir dann zum ersten Mal vorgespielt wurden. Natürlich kamen da unglaublich viele Erinnerungen hoch. Zum Beispiel, wie mir Charles Aznavour in den Neunzigern einen Besuch in England abgestattet hat. Wir nahmen zusammen einen Song auf, wobei ich sogar auf Französisch sang, und ich hatte wirklich keine Erinnerung an dieses Stück, bis ich es dann zu hören bekam. Andererseits weiß ich noch genau, was für ein wunderbar charmanter Mann er war, was für eine Ikone! Und dass dieser Charles Aznavour zu mir nach Hause kommt, um gemeinsam mit mir zu Abend zu essen und einen Song aufzunehmen, das war echt eine Riesenehre. Er ist ja auch erst vor zwei Jahren gestorben. Das ist beispielsweise eine wunderschöne Erinnerung, dass ich mit ihm zusammenarbeiten durfte, und es ist einfach der Wahnsinn, dass es davon eine so tolle Aufnahme gibt.

Doch auch all die anderen Duette sind wundervoll – immerhin sind da Musiker*innen dabei wie ein Herbie Hancock, mit dem ich ein paar Stücke aufgenommen habe. Wir haben letztlich den Song My Funny Valentine ausgewählt, weil der einfach zu meinen absoluten Lieblingstiteln gehört. Es handelt sich dabei zwar um einen Standard, aber das Arrangement ist dermaßen ungewöhnlich, dermaßen frei, dass es mich jedes Mal umhaut. Ja, und dann gibt es so viele andere Tracks… Mary J. Blige zum Beispiel, die meinen Song Whenever I Say Your Name singt. Das war eine wahnsinnig spannende Zeit, als wir diesen Song zusammen aufgenommen haben, weil sie einfach so eine Ausnahmesängerin ist. Sie gibt dem Song etwas, das ich diesem Stück alleine nie hätte geben können. Was ehrlich gesagt auf all diese Aufnahmen zutrifft: Meine Partnerinnen und Partner bringen etwas mit, was dann wiederum mich inspiriert, mich anspornt, weil das Level meiner Performance da einfach mithalten muss. Ich bin dadurch plötzlich nicht mehr allein in meinem angestammten Reich, sondern teile etwas mit anderen und hoffe, daraus etwas zu lernen. Ich glaube, ich habe aus jedem dieser Songs etwas mitgenommen als Künstler und als Mensch. Das bedeutet mir sehr viel, weil da auch Demut mitschwingt.

Es gibt Künstler*innen, die Angst haben vor derartigen Schulterschlüssen. Du hingegen zeigst mit diesem Album, dass du dich auf so gut wie jedes Genre einlassen und mit Künstler*innen aus allen Ecken der Welt und über Sprachgrenzen hinweg zusammenarbeiten kannst. Gibt es eine Lektion, die wir wiederum daraus lernen können?

Nun ja, weißt du, mein wichtigster Antrieb ist meine Neugier. Sie ist der Grund, weshalb ich Musiker bin. Ich singe meine Songs, weil ich neugierig bin und wissen will, wie die Leute wohl darauf reagieren werden. Diese Neugier ist immer da als Antriebskraft, und es geht mir also gar nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen oder möglichst viele Platten zu verkaufen, denn ich bin neugierig: auf den künstlerischen Prozess. Weil es da keine Garantie gibt, wie die Sache ausgehen wird. Ich mag dieses Risiko. Ich mag diesen Entdeckergeist, der da mitschwingt, dass man sich dabei auf ein Abenteuer einlässt. Das hier ist das Abenteuer meines Lebens, und die Kraft, von der ich mich leiten lasse, ist meine Neugier.

Wo es ja nun schon so viele Duett-Aufnahmen gibt: Gibt es denn noch Künstlerinnen oder Künstler, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?

Oh, natürlich gibt es die, aber ich habe das Gefühl, dass sich solche Dinge immer eher zufällig ergeben. Man trifft sich irgendwie, die Chemie stimmt, und dann spricht man irgendwann über einen Song, den man ja eigentlich mal zusammen aufnehmen könnte. Es hat sich bisher immer alles so organisch ergeben, tut es immer noch, und ich will da auch gar nicht reinpfuschen. Es gibt also niemanden, an dem ich momentan konkret dran wäre. Stattdessen hoffe ich einfach, dass es auch in Zukunft Leute geben wird, die Lust darauf haben, sich mit mir das Mikrofon zu teilen. Übrigens gibt es auch noch ein paar Duett-Aufnahmen, die gar nicht auf dem Album gelandet sind, obwohl sie wahnsinnig gut sind. Erst später ist mir eingefallen, dass ich ja mal mit Pavarotti gesungen habe. Vor vielen Jahren habe ich ein Kirchenlied auf Latein mit ihm gesungen. Vielleicht wird es ja sogar ein Duets-2-Album geben, Material dafür habe ich schon reichlich. Aber was nun dieses Album angeht, bin ich einfach extrem stolz darauf. Und ich glaube daran, dass sich auch in Zukunft solche Aufnahmen ergeben werden. Ich hoffe es.

2020 war ein schwieriges Jahr für uns alle. Wie hast du die Lockdown-Phasen verbracht?

Wie du schon ganz richtig sagst: 2020 war schwierig für jeden Menschen auf diesem Planeten, für jeden Mann, jede Frau, jedes Kind. Ich bin da keine Ausnahme, schließlich hatte ich ursprünglich das geplant, was ich normalerweise mache: eine Tour durch Europa stand an, dazu eine Residency in Las Vegas, und mein Theaterstück The Last Ship sollte stattfinden. Bis dann all diese Pläne zerschlagen wurden. Na ja, wir saßen da ja alle im selben Boot. Im März letzten Jahres bin ich daher zurück nach England gegangen und habe dort zwei Monate verbracht. Ich habe da ein schönes Haus, umgeben von Feldern, ich kann  Spaziergänge machen. Ich war also nicht eingesperrt in einer kleinen Wohnung. Für viele Menschen war das jedoch die Realität, und ich kann mir vorstellen, wie hart das gewesen sein muss, wenn man auf engstem Raum mit weinenden Kleinkindern im Lockdown ist. Da wird es dann wirklich schwierig. Verglichen damit hatte ich eine lockere Zeit. Später war ich dann in Italien, wo ich auch ein Zuhause habe, und jetzt bin ich gerade in Frankreich. Ich hatte echt Glück, dass ich immer einen Garten hatte, in dem ich mich bewegen konnte.

Ich habe viel nachgedacht, habe neue Musik geschrieben, habe darüber nachgedacht, was ich sagen will, was ich sagen muss. Und ganz oft kam ich dann zu dem Schluss, dass ich vielleicht besser gar nichts dazu sagen sollte. Ich glaube, die Welt ist momentan an einem Punkt, an dem so viel Lärm um alles gemacht wird, dass ich dem nicht auch noch etwas hinzufügen will. Es war also eine nachdenkliche Phase, und ich glaube, dass wir alle die Gelegenheit hatten zum Nachdenken: Über unser Verhältnis zum Planeten, unser Verhältnis zur Umwelt, unser Verhältnis zueinander und zu unserem Land. Denn ich bin überzeugt, dass wir es hier mit einer elementaren Herausforderung zu tun haben, schließlich sind wir soziale Wesen, die plötzlich dazu aufgefordert werden, nicht mehr sozial zu sein. Das ist schwierig, aber es ist auch eine Chance, um die Dinge anders zu gestalten. Um sich anderen Herausforderungen zu stellen, was sich auf lange Sicht sogar als Segen erweisen kann.

Das soll jetzt nicht so klingen, als sei das alles ein Spaziergang, aber wenn wir diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen, bahnen wir womöglich den Weg für Schlimmeres. Es wird auch nicht die einzige Pandemie bleiben, vielleicht folgen schon bald weitere. Wir haben den Klimawandel, wir haben existentielle Fragen, die wir zusammen als Weltgemeinschaft angehen müssen, bei denen Entscheidungen auf Länderebene nicht mehr ausreichend sind. Ich mache mir große Sorgen um die politische Landschaft, denn da wird vieles enger und kleiner gedacht, obwohl man den Fokus vergrößern müsste. Wir sitzen im Schlamassel, aber wir haben auch eine Chance, nur scheint das Zeitfenster für diese Chance ziemlich klein zu sein. Um Veränderungen auf den Weg zu bringen, brauchen wir den politischen Willen dazu, und deshalb sind unsere Wahlstimmen so wichtig wie nie.

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„Every Breath You Take“: Alles über den größten Hit von The Police & Sting

Popkultur

Zeitsprung: Am 4.6.1990 verstirbt Punk-Ikone Stiv Bators nach Zusammenstoß mit einem Taxi.

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Foto: Fin Costello/Redferns/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.6.1990.

von Frank Thießies und Christof Leim

Als Sänger Stiv Bators am 4. Juni 1990 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls stirbt, ist dies ironischerweise die am wenigsten glamouröse Form des Ablebens für einen Rockstar mit Hang zum Morbiden. Dabei hatte der Sänger der Dead Boys und The Lords Of The New Church Zeit seines Lebens mit der Todessehnsucht gespielt. Ein Rückblick auf den Werdegang einer Legende des Punk und Gothic Rock.

Hier könnt ihr euch Young, Loud And Snotty anhören, das Debüt der Dead Boys:

Joey Ramone höchstselbst hatte ihnen geraten überzusiedeln: Ursprünglich stammen die Dead Boys aus Cleveland, Ohio; in New York City jedoch werden sie schnell eine der Hausbands im CBGB’s, eines legendären Punk-Epizentrums, und zu einem Publikumsmagneten für die aufkeimende Sicherheitsnadel-Szene. Mit ihrem programmatischYoung, Loud And Snotty betitelten Debüt von 1977 und der Punk-Hymne Sonic Reducer sowie ihren drastisch-provokanten, autoaggressiven Bühnenshows macht sich die Band im verrottenden Big Apple einen Namen. Ihr Anführer: Sänger Steven John Bator, genannt Stiv Bators. Bereits ein Jahr später folgt ein zweites Album, We Have Come For Your Children, welches übrigens auch den von Guns N‘ Roses Jahrzehnte später popularisierten Song Ain’t It Fun enthält.

Gothic-Größe

Mag die Band selber auch Spaß an jenen Gigs und den Provokationen haben, so ist sie anfangs doch etwas zu sperrig für einen Mainstream-Erfolg. Hier liegt vermutlich einer der Gründe dafür, dass sich die Dead Boys im Jahre 1979 auch schon wieder auflösen. Vorerst versteht sich. Nachdem Sänger Stiv Bators auf seinem Dezember 1990 erscheinenden Solodebüt Disconnected schon die Punk-Wurzeln zugunsten eines Garagen-Power-Pop-Sounds kappt, verschlägt es den Frontmann kurze Zeit später nach London. Dort gründet er nach der Zwischenstopp-Band The Wanderers 1981 schließlich zusammen mit Leuten von The Damned, Sham 69 und The Barracudas eine neue Supergoup: The Lords Of The New Church. Deren kühler, vergleichsweise gefälliger und gar nicht mehr so stachliger Sound, eine Mischung aus Gothic, Glam, Garagen Rock und einer kleinen Portion Punk, trifft genau den (britischen) Zeitgeist in der Post-Punk-Ära und soll in Sachen Klang und Look zahlreiche nachkommende Düsterrocker wie etwa die finnischen Finsternisfreunde The 69 Eyes maßgeblich prägen. 

Klinisch tot

Ihre ersten drei Alben, The Lords Of the New Church (1982), Is Nothing Sacred? (1983) und The Method To Our Madness (1984), hauen die neuen Gothic-Größen noch im Jahrestakt raus. Auf der Bühne bemüht Bators immer wieder gerne seinen seit Dead-Boys-Zeiten etablierten Mikrofonkabel-Strangulations-Trick. Ein Gimmick, welches dem Sänger 1983 bei einem Gig fast wortwörtlich das Genick bricht: Als Fans zu sehr an der Strippe ziehen, verliert Bators das Bewusstsein und muss gar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Für einige Minuten ist er sogar klinisch tot. Sein lakonischer Kommentar dazu soll gelautet haben: „Ich bin einmal fast auf der Bühne gestorben. Wie um Himmels Willen soll man das noch übertreffen?“

Is This The End?

Zwar nicht so kurzlebig wie die Dead Boys, sind auch die Lords Of The New Church nach New Wave-Vorstößen sowie einem Madonna-Cover von Like A Virgin im Sommer des Jahres 1989 für Bators schon wieder Geschichte. Dort fasst der inzwischen in Paris lebende Sänger 1990 den Plan, zusammen mit dem späteren Schlagzeuger der Toten Hosen, Vom Ritchie, plus den Punk-Legenden Dee Dee Ramone und Johnny Thunders eine neue Gruppe ins Leben zu rufen. Doch die kurz unter dem Namen The Whores Of Babylon agierende Formation hat keinen Bestand. 

Als Stiv Bators am 3. Juni 1980 auf der Straße von einem Auto – manche behaupten, es sei ein Taxi gewesen – erwischt wird und so Opfer eines Verkehrsunfalls wird, ahnt der Sänger noch nicht, wie folgenschwer seine Verletzungen sind. Das Krankenhaus verlässt er jedenfalls unbehandelt, nachdem er ein paar Stunden warten musste. Keine gute Idee: Stiv Bators verstirbt in der folgenden Nacht im Schlaf an einem Schädel-Hirn-Trauma. Er wurde 40 Jahre alt. 

Zur arg gewöhnlich anmutenden Todesursache („Rockstar von Taxi angefahren“) kommen in der Folgezeit nicht nur eine, sondern gleich zwei des Rock’n’Roll würdige Mythen: Auf Bators Wunsch hin soll seine Asche von seiner Freundin Caroline Warren über dem Pariser Grab von Doors-Sänger Jim Morrison verstreut worden sein – angeblich jedoch nicht, bevor Warren davon noch schnell ein Näschen geschnupft haben soll. Was letztlich dann doch eine Prise mehr ist, als nur ein Toter-Rockstar-Mythos für Fußgänger…

Zeitsprung: Am 6.8.1996 spielen die Ramones ihre letzte Show

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Popkultur

Zeitsprung: Am 3.6.1983 ermordet „Layla“-Trommler Jim Gordon seine Mutter.

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Jim Gordon

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 3.6.1983.

von Christof Leim

Jim Gordon gehört in den Sechzigern und Siebzigern zu den Besten in Sachen Rock’n’Roll-Schlagzeug. Er spielt auf legendären Alben wie Pet Sounds von den Beach Boys, Pretzel Logic von Steely Dan und Apostrophe von Frank Zappa. Doch Gordon ist krank: Irgendwann beginnt er, Stimmen zu hören. Am 3. Juni 1983 schließlich kommt es zu einer Tragödie…

Hier könnt ihr das legendäre Album von Derek & The Dominos reinhören:

Derek & The Dominos 1970. Ganz links: Jim Gordon.

Keine Frage, es läuft gut damals für Jim Gordon, sehr gut sogar: Angeblich geht auf der Höhe seines Erfolges die Nachfrage so weit, dass der Drummer jeden Tag zwischen Studiosessions in Los Angeles und abendlichen Auftritten in Las Vegas hin- und herfliegt. Er spielt auf All Things Must Pass, dem ersten Soloalbum von Ex-Beatle George Harrison, und gehört 1970 er zur Bluesrock-Supergroup Derek & The Dominos mit Eric Clapton. Die wird vor allem bekannt mit dem Klassiker Layla. In diesem Song verarbeitet Clapton seine Liebe zu Pattie Boyd, der Ehefrau seines Freundes George Harrison. (Die ganze Geschichte zu dieser verzwickten Situation findet ihr hier.)

Vielleicht gerät das Stück deshalb so eindringlich, denn der Gitarrengott leidet.  Am Schlagzeug: Jim Gordon. Die sieben Minuten lange Nummer endet mit einem langen, elegischen Piano-Outro, das aus Gordons Feder stammt. Zumindest offiziell: Später wird kolportiert, dass er die Idee von seiner damaligen Freundin Rita Coolidge übernommen habe. Die Songwriting-Credits laufen heute noch auf Clapton/Gordon. Das Lied gewinnt sogar später einen Grammy, als Clapton es für sein Unplugged-Album neu auflegt. (Mehr dazu hier.)

Traurige Eskalation

Kurzum: Für Jim Gordon könnte es nicht besser laufen. Nur leider geht es dem am 14. Juli 1945 geborenen Musiker psychisch nicht gut. Er beginnt, Stimmen zu hören, unter anderem die seiner Mutter. Diese Stimmen nötigen ihn zu hungern und halten ihn zusehends davon ab, sich zu entspannen, zu schlafen oder Schlagzeug zu spielen. Seine medizinische Betreuung schätzt die Ursache dieser Probleme falsch ein und behandelt ihn wegen Alkoholmissbrauchs. Das hilft leider nicht.

Am 3. Juni 1983 greift Jim seine 72 Jahre alte Mutter Osa Marie Gordon mit einem Hammer an und ersticht sie mit einem Messer. Später gibt er an, eine Stimme habe ihm das befohlen. Erst nach seiner Verhaftung wird diagnostiziert, dass Gordon massiv an Schizophrenie leidet. Wegen einer vor kurzem beschlossenen juristischen Reform gilt das vor Gericht nur eingeschränkt als Entlastung: Gordon wird am 10. Juli 1984 zu mindestens 16 Jahren Gefängnis verurteilt („16 years to life“). Er ist 38 Jahre alt und sollte nie mehr öffentlich Schlagzeug spielen.

Der erste Anspruch auf Begnadigung steht ihm 1991 zu, doch das Gericht lehnt dies mehrere Male ab. 2005 gibt Gordon an, seine Mutter sei noch am Leben, 2014 erscheint er nicht zur Anhörung. Die Staatsanwaltschaft verkündet, der Inhaftierte sei weiterhin „massiv psychologisch eingeschränkt“ und „eine Gefahr, wenn er nicht seine Medikamente nimmt“. Die Diagnose der Schizophrenie wird 2017 bestätigt, das zehnte Gnadengesuch wird im März 2018 abgelehnt. Jim Gordon verstirbt schließlich am 13. März 2023 im Alter von 77 Jahren in einer medizinischen Strafvollzugsanstalt in Kalifornien.

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Zeitsprung: Am 16.1.1992 spielt Eric Clapton ohne Strom & landet den größten Hit seiner Karriere.

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Popkultur

20 Jahre „Paper Monsters“: Als Dave Gahan richtig laufen lernte

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Dave Gahan HEADER
Foto: Bernd Mueller/Getty Images

Über 20 Jahre singt Dave Gahan die Texte von Martin Gore. Dann erscheint sein Solodebüt Paper Monsters, auf dem er erstmals für alles verantwortlich ist. Für den Depeche-Mode-Frontmann ist es die ultimative Feuertaufe; für viele Fans ein Fragezeichen. 20 Jahre später wollen wir mal schauen, wie die Platte gealtert ist.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Paper Monsters anhören:

Dave Gahans erste Soloplatte erscheint so spät, dass man sich fragt, warum sie überhaupt noch kommt. 2003 hat er mit Depeche Mode alles durch – 20 Jahre an der Spitze einer der größten Pop-Bands der Achtziger, mehrere Überdosen, Nahtoderfahrungen, Suizidversuche, angehimmelt von Millionen und auch intern alle Streits, Ego-Schlachten und Machtkämpfe durch, die so eine Band aus drei Männern eben so mit sich bringt.

Kein egozentrischer Alleingang

Mit anderen Worten: Ein Soloalbum hätte eigentlich viel früher Sinn ergeben. Es kam aber eben nie dazu. Doch genau dieser Umstand macht Paper Monsters zu einer spannenden Ausnahmeerscheinung. Das Album ist nicht das Produkt eines zickigen Frontmanns, der insgeheim denkt, die anderen eh nicht zu brauchen. Es ist ein ehrliches, tief gefühltes Statement eines Künstlers, der nach zwei Jahrzehnten ausschweifendem Leben weiß, wer er ist, was er sagen möchte. Und vor allem, was er an seinen Bandkollegen hat.

Slide-Gitarre und U2

Die große Frage bei Gahans Premiere auf der Solistenbühne ist dann aber trotzdem die, die sich jeder erfolgreiche Bandmusiker bei einem Alleingang stellen muss – egal, ob Phil Collins, Freddie Mercury oder Ozzy: Kann er es überhaupt, so ganz ohne Hilfe? Bei Depeche Mode übernimmt bekanntlich Martin Gore das Gros des Songwriting und der Lyrics, 20 Jahre lang sang Gahan also Texte, die gar nicht von ihm sind. Auf Paper Monsters kommt dann sogar beides von ihm, die Töne und die Worte, und natürlich hört man dem Album an, wessen Lieder der Messias der Popwelt da die letzten Jahre von der Bühnenkanzel predigte: Dave Gahan orientiert sich für sein erstes Soloalbum an Songs Of Faith And Devotion, packt ein wenig melancholische U2-Stimmung drüber und lebt sich spannenderweise an der Slide-Gitarre aus.

Läuterung oder Selbstdarstellung?

Die kommt von Knox Chandler, ein gefragter Studiomusiker, der Dave Gahan auch kompositorisch unter die Arme greift. Paper Monsters ist wie das Depeche-Mode-Album einer Americana-Band – weit, voller Hall, Streichern, Pianos und Gahans innerstem Seelenleben. Denn vor allem das ist dieses Album: Sein großer persönlicher Moment, das erste Mal, dass wir auch in seinen Kopf schauen können. Lyrisch gibt es deswegen auch die volle Nabelschau. Toxische Beziehungen, Alkoholsucht, zehrende Liebeslieder, existentielle Motive und mehr als eine Zeile, die sein Verhalten der letzten 20 Jahre verurteilt. Dave Gahan will Läuterung erfahren, tänzelt aber immer wieder auf der Schwelle zur Selbstdarstellung. Das ist die Gefahr aller Soloalben. Bei Paper Monsters geht es gerade noch mal gut.

Gahans beste Gesangsleistung

Musikalisch entsteht in den New Yorker Electric Lady Studios eine überwiegend ruhige, elegische, verträumte Platte. Produzent Ken Thomas, bekannt vor allem durch seine Arbeit mit Sigur Rós, beschert dem heiliggesprochenen Personal Jesus des Pop einen dichten, atmosphärischen Sound, sorgsam austariert zwischen glitzernder Electronica, endloser Weite, Western-Flair und zerrenden Gitarren. Synthesizer sind überraschenderweise Mangelware auf Paper Monsters. Dann wiederum ist ja irgendwie klar, dass Gahan möglichst viel Raum zwischen sich und seinem Hauptarbeitgeber schaffen möchte. Im Vordergrund steht aber natürlich eh sein größter Trumpf – seine Stimme. Mit Anfang 40 sind seine Tage als größtes Sexsymbol des Planeten so langsam vorüber, da konzentriert er sich lieber ganz auf sein volles, unverkennbares Timbre. Besser singt Dave Gahan auf keinem Depeche-Mode-Album. Das scheint er sich für seinen ganz persönlichen Auftritt aufgespart zu haben.

Bei Erscheinen sorgt Paper Monsters für gemischte Reaktionen und performt auch in den Charts eher unauffällig. So wirklich scheint 2003 niemand zu wissen, was man mit diesem Album anfangen soll. Vor allem wird dann auch seine stimmliche Leistung gelobt (etwa im schleppenden, gitarrenlastigen Hidden Houses), weniger die einzelnen Songs. Durchaus auffällig ist, wie weit Paper Monsters vom damals aktuellen Depeche-Mode-Album Exciter entfernt ist. Man kann es als also durchaus Statement sehen, dass Gahan mit dem experimentellen und elektronischen Sound seiner Hauptband nicht allzu zufrieden war. Zeigt auch das, was danach passiert: Auf Playing The Angel geht es 2005 wieder deutlich organischer zu. Und noch etwas ist neu: Erstmals steuert Gahan drei Songtexte bei. Hat also doch etwas bewirkt, dieser erste Alleingang. Zumindest für ihn persönlich.

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