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Popkultur

5 Jahre „Stranger In The Alps“: Phoebe Bridgers tritt in Joni Mitchells Fußstapfen

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Phoebe Bridgers
Titelfoto: Andrew Benge/Getty Images

2017 debütiert die weitgehend unbekannte Musikerin Phoebe Bridgers mit einem traurigen, gespenstischen, elegischen Folk-Album. Stranger In The Alps macht Phoebe Bridgers zur größten neuen Antiheldin des Folk – und zu einer ernstzunehmenden Bewerberin auf die Stelle „Joni Mitchell der Generation Y“.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Stranger In The Alps anhören:

Phoebe Bridgers ist ein Phänomen. Jung, talentiert, selbstbestimmt, kampfbereit, klug, witzig, reflektiert – die absolute Horrorvorstellung jedes Cis-Manns also, der um seine Vorherrschaft in der Musikindustrie bangt. Als sie vor fünf Jahren mit ihrem sorgsam gereiften, eigentümlich wisen, verletzlichen, melancholischen Debüt Stranger In The Alps Herzen im Sturm erobert und zum Durchmarsch ansetzt, will man sie aus einem toxischen Reflex heraus klein halten, als Plastikprodukt der Industrie abtun.

Abendstern der neuen Folkmusik

Vergeblich. Man hat sich mit der Falschen angelegt. Phoebe Bridgers ist alles. Aber nicht fake. Der traurige Abendstern der neuen Folkmusik hat sich all das hart erarbeitet. Mit Willen, Eifer und Durchsetzungsvermögen. Sie wächst in einem Zuhause auf, in dem Joni Mitchell und Neil Young laufen, gravitiert als Teenager zum Emo-Punk der Bright Eyes. Beides resoniert in ihrer Musik: Die sanfte, nackte, fragende Folklore einer Joni Mitchell und die Angst, das Rohe, die Unsicherheit und der Hang zum Morbiden aus der breiten Emo-Palette.

Phoebe Bridgers wird am 17. August 1994 in Pasadena bei Los Angeles geboren. Sie startet ihr Leben auf dieser Erde in einer Welt, die seit einigen Monaten ohne Kurt Cobain auskommen muss. Ihr Vater baut Filmsets, ihre Mutter nimmt bald nach ihrer Geburt als Nachthausmeisterin im Kunstkomple der University Of California an. Schon mit wenigen Monaten starrt Phoebe Bridgers wie gebannt auf die Klavierstimmerin, hört wie verzaubert zu.

Erst Punk, dann Folk

Das mit dem Klavierspielen klappt als 13-Jährige dann allerdings doch nicht so ganz. „Ich habe es verdammt noch mal gehasst, zu etwas gezwungen zu werden“, erinnerte sie sich mal. „Noten lesen fühlte sich an wie Mathehausaufgaben.“ Sie greift zur Gitarre, ruft ihre eigene Rebellion aus. Und schaut seither nicht zurück. Sie spielt auf Wochenmärkten, bekommt Unterricht in Sachen Folkmusik, steigt mit 15 in die All-Girl-Punk-Band Sloppy Jane ein. Ihre Konzerte werden rasch notorisch: Sängerin Haley Dahl schreit, brüllt, grunzt, lässt Farbe aus ihrem Mund laufen, zieht sich  aus bis auf die Unterwäsche. Wie Hole, nur irgendwie gefährlicher. Dass sich Phoebe Bridgers dennoch tieftrauriger Folkmusik hingibt, ist nur auf den ersten Blick überraschend: Die Musik von Laurel Canyon fließt durch ihre Venen; die Themen ihrer Songs, die könnten aber auch zu Geschrei und Gezeter passen.

„Ich hatte deutlich mehr Selbstbewusstsein als Talent“

Nach der High School wird Bridgers am Berklee College Of Music in Boston angenommen. Die Einführungswoche ist so fürchterlich, dass sie sich zurück in die Arme von Los Angeles flüchtet und alles auf eine Karte setzt: Sie schnappt sich ihre Gitarre, spielt jeden Gig, den sie kriegen kann, lernt Leute kennen. „Ich war verblendet“, sagt sie heute dazu. „Ich hatte deutlich mehr Selbstbewusstsein als Talent.“ Schadet nichts: Das eine blieb, das andere kommt nach und nach. Sie tritt in Werbespots für Taco Bell oder Apple auf, singt 2014 in einer iPhone-Werbung ein Cover der Pixies-Nummer Gigantic.

Mit der Kohle erkauft sie sich die Freiheit, ihr Debüt Stranger In The Alps zu schreiben und aufzunehmen. „Dafür kann man schon einen Teil seiner Seele geben“, scherzte sie mal, wie immer mit einem Funken Wahrheit. Sie lernt früh: Wenn sie in fünf Tagen genug Geld verdienen kann, um ein Jahr an ihrer Musik zu arbeiten, dann läuft in Sachen Privilegien gründlich was falsch. Gemeinsam mit Musikguru Tony Berg produziert sie ein Album, das von roher Emotion, intimer Verletzlichkeit und erwachsener Reflexion getragen wird. Strangers In The Alp mag das Werk einer 23-Jährigen sein. Ihre Seele, die ist deutlich älter. Erst als das Album im Kasten ist, macht sie sich auf die Suche nach einem Label, findet im Indie-Spezialisten Dead Oceans den geeigneten Partner für ihre Vision.

Intim und introspektiv

Diese Vision trifft im heraufziehenden herbst 2017 den Zeitgeist. Phoebe Bridgers wird schnell zur Poetin der Generation Y, zur melancholischen Galionsfigur. Ihre Musik ist traurig, ja. Aber zu keiner Zeit selbstmitleidig oder melodramatisch. Phoebe Bridgers packt alles, was sie hat, in ihre Texte. Die desaströse Beziehung mit Musiker Ryan Adams, den Tod ihres Vorbilds Elliott Smith, Los Angeles, ihre Jugend, ihre Ängste, den Verfall von allem um uns herum. Die Intimität ist en par mit Joni Mitchell, die Introspektive und Ausgestaltung der Lyrics nah an Bob Dylan. Für ein Debüt ist das nicht weniger als eine der größten Indie-Sensationen dieses Jahrtausends.

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Zeitsprung: Am 7.11.1943 kommt Joni Mitchell zur Welt.

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