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Popkultur

„Time Waits For No One“: Dave Clark erinnert sich an „magische“ Zusammenarbeit mit Freddie Mercury

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Freddie Mercury
Bild: Simon Fowler © Mercury Songs Ltd

Dave Clark erinnert sich lebhaft daran, wie er das erste Mal mit Freddie Mercury darüber sprach, ob dieser auf dem Konzeptalbum seines Musicals Time von 1986 mitwirken solle. „Ich sprach mit Freddie und er zählte alle Namen auf und meinte: ‘Du hast doch schon Stevie Wonder, Dionne Warwick, Laurence Olivier, Cliff Richard… Da kommst du wirklich ein bisschen spät, mein Lieber!’“ Zum Glück war Mercury aber von dem Projekt begeistert und die Zusammenarbeit an dem Song Time wurde ein Riesenerfolg.

von Martin Chilton

Vor allem der Humor des  Queen-Frontmanns trug dazu bei, dass Dave Clark die Zusammenarbeit mit ihm so genoss. Der Song stammte aus der gemeinsamen Feder von Clark und John Christie. Die Originalversion – mit mehrfach geschichteten Backingvocals und kraftvollen Drums – erschien auf dem Soundtrack des Musicals.

Drei Jahrzehnte nachdem Mercury den Gesang in den Abbey Road Studios aufgenommen hat, taucht eine bisher unveröffentlichte, minimalistische Version auf und wird unter dem vollständigen Titel Time Waits For No One erneut zum Hit. Clark, seines Zeichens Gründer der Dave Clark Five, die 1964 mit ihrer Single Glad All Over I Want To Hold Your Hand von den Beatles von der Spitze der Charts verdrängten, sprach mit uDiscover Music über die unvergessliche Session mit dem Queen-Star im Januar 1986.

„Freddie mochte künstlerische Experimente und das haben wir versucht umzusetzen“

Drei Monate zuvor war Mercury schon für den ersten Track des Time-Projekts, In My Defence, aus München eingeflogen, wo er zu der Zeit lebte. Für die zwölfstündige Session, die außerdem mit Champagner und Wodka geölt wurde, brachte Freddie seinen eigenen Koch mit. Auch als er drei Monate später für den Titelsong von Time zurückkehrte, war er in Topform.

„Im Studio waren nur Mike Moran am Klavier und Freddie“, erinnert sich Clark. „Es war absolut unbeschreiblich. Ich hatte Gänsehaut! Dann nahmen wir 48 Spuren mit Backingvocals auf. Das hatte es in der Abbey Road noch nie gegeben. Die finale Produktion bestand aus 96 Spuren. Ich fand das Ergebnis toll und Freddie fand es auch toll. Dass wir es anders angingen als zu der Zeit üblich, war eine gemeinsame Idee. Freddie hatte damals ein Faible für Experimente und darum versuchten wir, das auch so umzusetzen.“

„Ursprünglich wollte Freddie den Song mit Queen aufnehmen“, berichtet Clark, „aber ich stellte mir etwas Anderes vor und sagte, ‘Freddie, ich würde gerne meine Leute dafür holen. Keine Sorge, wenn es nicht funktioniert, bezahle ich das und wir machen es nochmal.’ Mike hatte Freddie vorher noch nie getroffen, aber die Chemie stimmte sofort und Jahre später schrieben sie gemeinsam das Album Barcelona. Für mich war das das größtmögliche Kompliment für meine Musikerauswahl.“

„Er spielte wirklich fantastisch“

Mike Moran hat einen spannenden Background: Der in Leeds geborene Musiker studierte am Royal College Of Music in London und arbeitete dann als Sessionmusiker. 1974 spielte er neben den Gitarristen Chas Hodges und Dave Peacock (besser bekannt als Chas’n’Dave) mit dem großartigen Jazz-Arrangeur und Saxophonisten Oliver Nelson von Verve und Blue Note Records auf dem Album In London With Oily Rags. Außerdem war Moran Co-Autor des Spaßsongs Snot Rap mit dem durchgeknallten DJ Kenny Everett.

Clark erinnert sich, wie er Moran das erste Mal traf: „Mein Freund Mike Smith, der mittlerweile verstorbene DC5-Sänger, lebte in den Water Gardens im Hyde Park. Als ich einmal da war, sagte er ‘Komm, ich stelle dich meinem Nachbarn vor. Er ist am Royal College Of Music und gibt nebenher Klavierunterricht.’ Mike Smith sagte zu ihm ‘Das ist ja alles schön und gut mit der klassischen Musik, aber ich wette, du kannst keinen Rock’n’Roll spielen.’ Und dann legte Mike Moran los und uns verschlug es fast die Sprache! Er spielte fantastisch und seit dem Tag waren wir dicke Freunde.“

Freddie Mercury, Dave Clark und John Christie

Von links nach rechts: Freddie Mercury, Dave Clark und John Christie. Foto: Dave Clark International

„Ich fand es toll, wenn Freddie alleine performte“

Auch wenn die finale Version von Time mit den vielen Backingvocals von Mercury, Christie und Peter Straker ein Hit war und im Mai 1986 Platz 32 der Charts erreichte, dachte Clark später oft an die minimalistische Originalversion mit Mercury und Moran zurück. Mitte der 1990er Jahre versuchte er zum ersten Mal, seiner Intuition zu folgen.

„Tief im Inneren wusste ich natürlich, dass die finale Version funktionierte. Man kann wirklich nichts dagegen sagen, denn sie ist traumhaft. Aber ich fand es auch toll, wenn Freddie den Song ganz allein performte. Ungefähr zehn Jahre nach ihrer Entstehung wollte ich diese andere Version suchen – selbst, wenn es nur für mich gewesen wäre. Es gab 96 Spuren, 48 davon mit Gesang. Habe ich sie gefunden? Nein.“

Aber Clark ist hartnäckig und hat sich nicht einfach geschlagen gegeben. „Alle paar Jahre schickte ich meinen Toningenieur mit dem Auftrag, nochmal alles zu durchforsten ins Abbey-Road-Archiv. Die Version, auf der Mercury allein und ohne weitere Stimmen zu hören war, konnten wir einfach nicht finden. Ende 2017 tauchte sie endlich auf und ich dachte ‘Wow, die ist unglaublich.’“

Da Moran für das Original sehr viele, immer leicht unterschiedliche Versionen gespielt hatte, entschied Clark, dass er die Klavierbegleitung für die neue Veröffentlichung 2019 nochmal neu einspielen sollte. Moran nahm die neue Klavierspur in seinem Studio im englischen Buckinghamshire auf und so konnte Clark genau die Produktion umsetzen, die er immer wieder hören wollte.

„Du kannst deiner Zeit voraus sein und die Menschen akzeptieren das nicht“

Clark erinnert sich, dass er sich in seinem Penthouse in der Londoner Curzon Street aufhielt, als er zusammen mit Christie den Originaltext zu dem Song schrieb. „Ich kenne John Christie seit ungefähr 40 Jahren. Er ist ein ausgesprochen talentierter Songwriter aus Australien. Unser Song funktionierte einfach und wenn man sich die ganze Produktion des Originals wegdenkt, dann merkt man, dass der Titeltrack genau das ausdrückt, was das Musical vermitteln sollte. Die Zeit wartet auf niemanden von uns. Es ist natürlich leichter gesagt als getan, aber man muss versuchen, jeden Moment zu genießen.“

Time verband Science-Fiction mit Rockmusik und futuristischen Special Effects, darunter auch Material von Laurence Olivier. Das Musical lief für zwei Jahre im Dominion Theatre in der Tottenham Court Road in London. Der Text für den Titelsong enthält die Zeile „We’ve got to build this world together/Or we’ll have no more future at all/Because time/It waits for nobody.“

Clark ist stolz darauf, dass sowohl der Song als auch das Musical heute noch aktuell sind. „Wenn man Time gesehen hat, dann ging es genau darum. Wir bekamen super Kritiken, aber aus der sogenannten intellektuellen Presse kamen auch negative Stimmen und Kommentare wie ‘Wie kann man dafür Laurence Olivier nehmen? Wie kann man alternative Energiequellen wie das Meer oder die Sonne ansprechen?’ Wir haben uns damit wirklich auseinandergesetzt und die fanden, dass es Quatsch war. Aber das war es nicht und heute ist das alles Realität. Ein bisschen wie Prinz Charles, über den alle lachten, als er über Blumen und Pflanzen und saubere Luft sprach. Jetzt wird er ernstgenommen.“

„Freddie machte großartige Bemerkungen“

Freddie wirkte zwar selbst nicht an der Bühnenshow mit, aber er war ein großer Fan von Clarks Produktion. „Am Eröffnungsabend kam Freddie zu mir und machte großartige Bemerkungen zu dem Musical“, erzählt er. „Manchmal ist man seiner Zeit voraus und die Leute können nicht damit umgehen, weil sie es nicht verstehen. Mehr als eine Million Menschen haben sich die Show angesehen.“

Das Originalvideo von Freddie entstand im Dominion. „Als die Veröffentlichung von Time Waits For No One näherrückte, dachte ich, ich will nicht das alte Material zusammenschneiden, obwohl das natürlich am naheliegendsten gewesen wäre, weil Freddie nicht mehr hier ist,“ erklärt Clark. „Die Show lief erst zwei Wochen und die Formalitäten waren etwas kompliziert. Am Anfang war die Show 15 Minuten länger. Ein paar Wochen später hatten wir sie festgezurrt.“

Wegen der Arbeitsschutzbedingungen und Arbeitszeitbeschränkungen hatten sie nur 180 Minuten Zeit, um das Video zu drehen. Danach musste ihre Ausrüstung verschwinden und für die Show im Dominion Platz machen. „Ich war ein bisschen nervös, dass ich nicht die Aufnahmen kriegen würde, die ich mir vorstellte, darum organisierte ich zwei zusätzliche Kameras. Wir filmten mit vier Kameras und hochwertigem 35mm-Film,“ sagt Clark. „Ich führte eine Kamera weiter oben und die unteren hielten den Auftritt fest. Wir benutzten die komplette Bühnenbeleuchtung und ich hatte sogar weitere Lampen dazugeholt. Als wir fertig waren, wollte Top Of The Pops das Video noch in derselben Woche zeigen. Sie haben es sofort zusammengeschnitten und zwei Tage später war es raus. Unglaublich.“

Eine Mischung aus Edith Piaf, Jennifer Holliday und Shirley Bassey“

Das Material von Mercury, der in dem erfolgreichen Biopic Bohemian Rhapsody von Rami Malek gespielt wird, ist absolut fesselnd. Der Künstler transportiert jede einzelne Emotion des Songs. Einige der Bilder waren 2014 in der preisgekrönten Dokumentation The Dave Clark Five And Beyond zu sehen. Aber Clark wusste, dass sich noch weitere Negative und bisher nicht entwickelte Filme in den Rank Laboratories in Pinewood befanden. „Ich ließ mir die Sachen aus Pinewood schicken, um zu sehen, was dort noch schlummerte. Einiges davon war nie genutzt worden, es gab keine Ausdrucke, nur die Originalnegative und die wollte ich nicht beschädigen. Ein Stück außerhalb Londons gibt es eine Einrichtung, die auf Film spezialisiert ist. Dorthin fuhr ich mit meinem Cutter und wir verbrachten vier Tage da. Ich war zuversichtlich und tatsächlich war das der Anfang des neuen Videos.“

Clark traf Mercury schon 1976 zum ersten Mal, als Queen im Hyde Park auftraten. Er erzählt, dass der Sänger ihn kurz vor den Dreharbeiten im Dominion fragte: „Wie soll ich das präsentieren?“ Clark antwortete, er wolle eine Mischung aus „Edith Piaf, Jennifer Holliday und Shirley Bassey“. Es gibt ein paar tolle Interviewmitschnitte aus dem Jahr 1986, in denen sich Mercury an seine Reaktion erinnert: „Mein Lieber, ich habe alle Kleider, das ist überhaupt kein Problem“, scherzte er.

„Freddie hatte Humor und das zeigte sich auch in seiner schnippischen Antwort auf meine Bitte“, sagt Clark. „Edith Piaf war ja sogar noch vor meiner Zeit und hatte viel Gefühl. Freddies Vibrato erinnerte mich an sie. Außerdem erwähnte ich Jennifer Holliday, die damals sehr populär war, und Shirley Bassey, denn sie ist wie Freddie überlebensgroß. Als ich mir das neue Video ansah, dachte ich, ‘Wow, er hat sich das wirklich angenommen’, denn wenn er alleine ist, hört man diese ganzen Einflüsse heraus.“

„Wir redeten viel über die Musik, die wir liebten“

Als Teenager war Mercury ein Fan der Dave Clark Five und die beiden unterhielten sich häufig über ihre Einflüsse und Lieblingsmusik. „Wir sprachen oft über die Musik, die wir liebten und das größte Kompliment, das Freddie mir machte, war, als er sagte, ‘Ist dir klar, dass die Idee für We Will Rock You von eurem Song Bits And Pieces von 1964 stammt?’ Ich fragte ihn, wie das sein könne, weil der Song nur als 4-Spur-Aufnahme existierte und auf nur einer davon wurde gestampft. Aber Freddie bestand darauf: ‘Daher kam die Idee.’ Das war toll.“

„Er liebte Musik und war sehr begeisterungsfähig. Er zeigte mir Videos der Sopranistin Montserrat Caballé. Es war großartig. Was ich an Freddie liebte, war, dass er seiner Zeit voraus war. Er kreierte Bohemian Rhapsody. Und mit Barcelona war er nicht weniger experimentierfreudig und verschmolz Oper und Rock’n’Roll. Pavarotti kam später mit Nessun Dorma. Freddie war der Wegbereiter.“

„Mein Idol war Buddy Rich“

Clark, der selbst nach einem Rodelunfall 1972, bei dem er sich vier Fingerknöchel brach, mit dem Schlagzeugspielen aufhören musste, wuchs mit Jazz auf und ist der Ansicht, dass viele Popstars seiner Zeit von Jazzgrößen beeinflusst wurden. „Es gab ein paar echte Charaktere damals. Ich denke, Mick Jagger übernahm viele seiner Moves von dem Sänger George Melly. Seine Handbewegungen, viele von seinen Gesten am Anfang, erinnern stark an ihn“, erklärt er.

Clarks größste Inspiration als Schlagzeuger war Buddy Rich, der einige wichtige Alben veröffentlicht hat, wie zum Beispiel Buddy Rich Just Sings in den 1950ern bei Verve Records. „Als ich jung war, hörte ich vor allem traditionellen Jazz, weil der in vielen Musiklokalen gespielt wurde“, sagt Clark. „Buddy Rich war mein Idol. Ich habe ihn getroffen und habe auch viele Fotos mit ihm. Er war sehr nett. Er kam zu einem unserer Konzerte mit Dave Clark Five und besuchte uns backstage. Ich sagte zu ihm ‘Buddy, du bist mein Idol. Ich bin nicht mal annähernd so gut wie du. Weit davon entfernt.’ Und er sagte: ‘Dave, ich kann keine 40,000 oder 50,000 Tickets für ein Konzert verkaufen und auch nicht Millionen von Alben absetzen. Was du hier machst, ist für uns Schlagzeuger großartig.’ Das war ein tolles Kompliment.“

Freddie Mercury

Freddie Mercury bei den Dreharbeiten zu “Time Waits For No One” auf der Bühne des Londoner Dominion Theatre. Foto: Mercury Songs Ltd

„Freddie brachte mich immer zum Lachen“

Genauso wie Mercury war auch Rich für seine Bühnenpräsenz bekannt. Man merkt, dass Clark, der bei Mercury war, als dieser im November 1991 starb, diese Mega-Persönlichkeit der Musikwelt des 20. Jahrhunderts vermisst. „Das Schöne war, dass Freddie mich immer zum Lachen gebracht hat“, erzählt er. „Er war ein phänomenaler Bühnenkünstler, aber er war auch sehr clever. Noch bevor jemand mit der Produktion beauftragt war, hatte er die Storyboards zu seinen Videos fertig. Er liebte Kunst und ich erinnere mich, dass er ein Bild von Picasso auf dem Klo hängen hatte. Er war unglaublich. Wir verstanden uns super. Alle hatten mir gesagt, dass es ein Albtraum war, mit ihm zu arbeiten, weil er so ein Perfektionist war. Aber das bin ich auch. Wenn Freddie etwas nicht gefiel, dann sagte er mir das – und umgekehrt genauso. Ich erwartete eine interessante Zusammenarbeit, aber es war ein absoluter Traum.“

In den ersten fünf Tagen nach ihrer Veröffentlichung am 20. Juni 2019 verkaufte sich die Single Time Waits for No One so gut, dass sie in die Charts einstieg. In derselben Zeit wurde das Video mehr als fünf Millionen Mal angeschaut. Clark ist stolz darauf, diese andere Seite von Freddie festgehalten zu haben.

„Wir wollten einfach nur etwas Außergewöhnliches machen. Jetzt, fast vier Jahrzehnte später, freut es mich, dass ich Freddie so zeigen kann und dass die Leute sehen, wie er war, wenn er nicht vor 100.000 Menschen stand und eine Band im Rücken hatte, sondern ganz allein für sich wirken konnte“, sagt Clark. „Freddies Performance auf Time Waits For No One war einfach magisch.“

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