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Popkultur

Ville Valo im Interview: „Ich komme aus der Neil-Young-Schule!“

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Ville Valo
Foto: Joonas Brandt


Anlässlich der Veröffentlichung seines Soloalbums Neon Noir trafen wir Ville Valo in Berlin zum Gespräch. Dabei verriet der ehemalige HIM-Sänger, wie sich das Ende der Band für ihn anfühlte, wie es alleine im Studio war und warum es wichtig ist, neue Dinge zu auszuprobieren.

von Markus Brandstetter

Am 31. Dezember 2017 betraten die finnischen Love-Metaller von HIM ein letztes Mal gemeinsam die Bühne — und traten auf dem von ihnen ins Leben gerufenen Helldone Festival in Helsinki auf. „Genau dort wollten wir unsere Geschichte zu einem Ende bringen“, erzählt Ville Valo beim Interviewtermin zu seinem neuen Soloalbum Neon Noir. Untätig war Valo seitdem keineswegs: Mit der Band Agents veröffentlichte er 2019 die Platte Ville Valo & Agents, auf dem sich die Musiker bislang unveröffentlichten Stücken des 1987 verstorbenen Musikers Rauli Aarre Tapani Somerjoki annahmen. Im Januar 2022 kommt nun sein erstes richtiges Solo-Album auf den Markt. Einige Stücke von Neon Noir kennt man bereits von der 2020 erschienenen EP Gothica Fennica Vol. 1. Auf seinem neuen Werk klingt Valo noch facettenreicher als in der Vergangenheit, dass es sich aber fundamental von seiner berühmten Ex-Band unterscheiden würde, war auch nicht zu erwarten — schließlich war der 46-Jährige der Hauptsongwriter der Gruppe. Neon Noir ist ein Solo-Album mit Betonung auf dem Solo-Faktor: Valo spielte alles selbst ein, nahm sich selbst auf, produzierte — und schuf auch das Artwork. Das alles hat ihm großen Spaß gemacht, wie er im Interview betont.


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Ville, die Auflösung von HIM ist jetzt fünf Jahre her.  Wie fühlte sich das Ende der Band für dich an?

Ich hatte mir das Gefühl nach dem letzten Konzert anders vorgestellt. Ich dachte, dass ich am nächsten Morgen aufwachen und mich so fühlen würde, als wären mir Gliedmaßen abhanden gekommen. Schließlich bin ich mit diesen Jungs und mit unserer Musik aufgewachsen. Das Einzige, was ich danach aber tatsächlich fühlte, war Erleichterung. Den anderen ging es genauso.

Wie ist heute dein Verhältnis zu den anderen ehemaligen Bandmitgliedern? 

Ich bin immer noch in regelmäßigem Kontakt mit ihnen. Wir telefonieren und vergewissern uns, dass es allen gut geht. Ich bin immer noch eng mit [Bassist, Anm.] Midge befreundet, er ist einer meiner besten Freunde. Er fing an, Altenpflege zu studieren. Ich bin mir nicht sicher, wie das Studium genau heißt. Er widmete sich also einem medizinischen Beruf, offensichtlich brauchte er etwas ganz Konträres zu der Band. Wir alle brauchten dringend Abwechslung. Ich fand diese mit Agents und der doch ziemlich schlagerhaften Platte [Ville Valo & Agents, Anm.].

Weil du eben von Agents gesprochen hast, mit denen du ja bereits seit vielen Jahren zusammenarbeitest: Wie wichtig war die Arbeit an dem Album mit Somerjoki-Stücken für dich zu dieser Zeit?

Somerjoki war besonders für meine Eltern eine ganz große Sache — und auch die Musik, mit der ich als Kind aufgewachsen bin. Als ein paar Tapes mit unvollendeten Songideen von ihm gefunden wurden, haben wir beschlossen, diese zum Leben zu erwecken und dazu noch einige seiner Klassiker aufzunehmen. Das war meine Art, mich bei meinen Eltern zu bedanken. Auch in puncto Publikum war das ein großer Unterschied zu dem, was ich sonst so mache. Die Musik ist sehr retro, hübsch und auch ruhig. Keine krachenden Gitarren, keine BHs, die aus der ersten Reihe auf die Bühne fliegen!

War das für dich ein wichtiger Durchlauferhitzer, um anschließend solo durchzustarten?

Ich denke, es ist in erster Linie einfach wichtig, sich selbst immer wieder herauszufordern. Dinge zu machen, mit denen man sich vielleicht nicht besonders wohl fühlt. Ich brauchte das — und ich wusste, dass ich das tun muss. Es hat sich einfach natürlich angefühlt. Der beste Weg, sich in dieser verrückten Welt der Musik und speziell der Musikindustrie zurechtzufinden, ist, auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. Denn es gibt so viele Leute, die einem sagen, was man ihrer Meinung nach tun sollte. Und das kann sehr schnell sehr kompliziert werden. Ich komme da aus der Neil-Young-Schule. Ich mache, was ich will — und vergraule damit andere!

Wann wusstest du, dass es Zeit wird, mit einem Solo-Album rauszukommen?

Das fing so zeitgleich mit dem Agents-Ding an. Wir haben 2018 das Album fertig gebracht, sind 2019 dann auf Tour gegangen. Im Sommer 2019 war die Tour vorbei und ich begann im Herbst desselben Jahres mit den ersten Songs. Die Idee war zunächst, einfach ein paar Demos aufzunehmen und zu schauen, ob sie was taugen. Ich dachte zunächst schon daran, später auch Musiker oder sogar eine fixe Band dazu zu holen — aber nachdem es Demos waren, machte ich einfach alles. Ich lernte vieles im Aufnahmeprozess, etwa, wie man Schlagzeug aufnimmt und das Instrument gut klingen lässt. Ich weiß nicht, wieviele Hüte ich mir aufsetzte. Ich war Musiker, Songwriter, Produzent und Recording Engineer. Es war eine coole Art und Weise, mir selbst zu zeigen, dass ich fähig bin, etwas aus dem Nichts zu erschaffen und tatsächlich etwas zu haben, das im Radio gespielt werden kann. Das ist ein ziemlich tolles Gefühl. Ich könnte jetzt Andrew Eldritch zitieren und sagen, es ist eine Sache der Vision. Ich denke, es ist eine wichtige Lektion, die man lernen muss, und ein wichtiger Schritt. Es war lehrreich für mich, mir selbst zu beweisen, dass ich es kann.

Hattest du gar keine Hilfe von außen?

Tim Palmer, der mein Co-Produzent war, hat mir geholfen, den Wald vor lauter Bäumen nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn man alleine arbeitet, ist es schwer zu erkennen, wenn etwas fertig ist. Ich habe im Laufe des Prozesses gelernt, dass man auf sein Bauchgefühl vertrauen sollte. Es kann aber schon vorkommen, dass man das große Ganze gar nicht sieht, wenn man gerade so fokussiert auf einen Abschnitt ist wie ein Rennpferd. Es ist gut, dass es jemanden gibt, der sagen kann: „Hey, hast du gemerkt, dass der Click-Track die ganze Zeit an war?“.

Wie ging es weiter?

Die EP war 2020 fertig und kurz bevor Covid kam, haben wir sie über Distrokid hochgeladen. Das war auch witzig, weil ich das alles noch nie gemacht hatte. Haben wir das richtige Format fürs Cover? Sind die Songtitel alle richtig geschrieben? Diese DIY-Arbeitsweise war eine tolle Erfahrung. Wir veröffentlichten es nicht nur für die Leute, sondern auch für die Plattenfirmen. Sie können sich die Musik anhören, sehen, was sie denken und bei Interesse auf uns zukommen. Der andere Weg wäre gewesen, dass ich herumgereist wäre und vor Plattenfirmenleuten prahlen hätte müssen. Das ist etwas, das ich gar nicht mag. So auf die Art: „Also, ja, das Album wird großartig werden! Nein, ich habe keine Songs, aber es wird toll werden!“ Die EP war für mich in vielen Hinsicht ein Eisbrecher. Dann kam Covid und hat alle Türen erstmal geschlossen.

Du hast auch die Drums alleine eingespielt und aufgenommen?

Ja, das habe ich. Editing ist heutzutage ziemlich einfach, das hat es enorm erleichtert. Ich habe mir meine Konsole und mein Pro-Tools-Zeug aufgebaut und bin vom Computer zum Drumkit hin- und hergewechselt. Ich spiele Schlagzeug, seit ich elf bin, ich habe damals Stunden genommen. Ich bin kein großartiger Drummer, aber ich habe ein ganz gutes Gefühl und habe früher auch in Bands Schlagzeug gespielt. E-Bass hingegen war ja mein erstes Instrument, das war auch kein Problem. Gitarre und Keyboards sind die Instrumente, an denen ich nicht besonders gut bin. Aber es waren ja meine eigenen Stücke, ich konnte sie spielen, wie ich wollte. Ich hatte auch einen starken Willen und wollte das unbedingt hinbekommen. Es ist schließlich ein Solo-Album — und als Finne habe ich das Wort „Soloalbum“ vielleicht zu wörtlich genommen! Aber das war interessant. Ich habe auch an dem Cover gearbeitet, mit gelegentlicher Hilfe eines Grafikers bei technischen Dingen. Beim Mix hatte ich Hilfe, das ist ein Aspekt, der mich einfach nicht so interessiert, da braucht es einfach eine andere Perspektive.

Also ein ganz anderer Prozess als mit HIM.

Ja, es war ganz anders. Es klingt aber dennoch auch wie eine Fortsetzung dessen, was in der Vergangenheit passiert ist. Ich mag es, muss ich sagen. Ich denke, es gibt genug Neues und genug Altes darauf. Es ist entspannter als früher, was nicht heißt, dass es nicht aggressiv ist. Aber es hat diese Zärtlichkeit, die, wie ich denke, mit dem Alter kommt. Es hat eine Ruhe, die ich mag.

Hast du den technischen Aspekt der Arbeit genossen?

Ich bin ziemlich geeky. Also ja, definitiv! Ich habe großes Interesse für modulare Synthesizer und all das Zeug. Ich finde Klänge einfach spannend. Wie sie erzeugt werden und woher sie kommen. Die Psychoakustik dahinter.

Also war es eine gute Erfahrung, das ganze ohne Band zu machen.

Ja, das Coole an diesem Album war gerade, dass keine Band beteiligt war. Es gab keine Bandplanung, wir mussten keine zehn Songs zusammenstellen, bevor wir ins Studio gehen konnten. Das bedeutete, dass ich tatsächlich in der Lage war, einen Song von Grund auf neu zu beginnen. Ich konnte auch viele Dinge rückwärts machen und habe dann oft neu angefangen. Deshalb hat es lange gedauert. Ich veränderte Melodien, tauschte ganze Refrains aus, merkte, wie es nicht funktioniert. Das ist ein Luxus, den man als Musiker normalerweise im Studio nicht hat. Und es war nur ich da, dem ich die Schuld geben konnte, wenn etwas scheiße klang. Ich konnte jede Menge schräger Entscheidungen treffen, ungewöhnliche Tunings verwenden, Sachen ausprobieren. Ich kümmerte mich nicht darum, wie man es normalerweise macht. Ich traf keine intellektuellen Entscheidungen — sondern hatte einfach Spaß. Normalerweise hat eine Albumproduktion immer viel logisches Denken. Diesmal: null. Und genau darum geht es: Musik zu machen macht mich glücklich und wuselig und aufgeregt!

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