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Popkultur

„Wie ein Fremder“: Interview mit Roland Meyer de Voltaire zur deutschen Musik-Doku des Jahres

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Aljoscha Pause & Roland Meyer de Voltaire
Regisseur Aljoscha Pause und Roland Meyer de Voltaire. Foto: Thomas Rabsch

Die Musik-Doku Wie ein Fremder zeichnet Aufstieg, Fall und Wiedergeburt des Roland Meyer de Voltaire nach. Erst Deutschlands gefragtester Indie-Darling, dann nichts mehr und jetzt ein Künstler, der einen rigorosen Neuanfang wagt. Zur Veröffentlichung der intimen Dokumentation haben wir mit dem Musiker gesprochen.

von Björn Springorum

Hört hier nochmal das Voltaire-Debüt Heute ist jeder Tag:

Es ist ein tragisches Märchen, wie es nur die Popmusik schreiben kann. In den frühen 2000ern gehen Voltaire an den Start, eine junge deutsche Indie-Band mit einnehmender Atmosphäre, eindringlichen Texten und außergewöhnlichem Gesang. Presse, Labels und Musikfernsehen überschlagen sich, der Rolling Stone nennt Voltaire 2005 neben den Arctic Monkeys als die Band, die 2006 richtig abräumt. Daraus wird nichts. Die Bonner Band zerbricht an den Erwartungen von außen und innen, zieht sich in sich selbst zurück.

Sänger Roland Meyer de Voltaire steigt aus, hat mentale Probleme, kündigt seine Wohnung, vagabundiert umher, auf der Suche nach einem neuen Sinn, einem neuen Inhalt. Mittlerweile macht er wieder Musik. Doch es hat lang gedauert. Englisch statt deutsch, melancholisch oszillierender Elektro-Pop statt Indie, Introspektion statt öffentlicher Seelenstriptease. Das war nötig, um das Kapitel Voltaire zu verarbeiten.

Abgeschlossen wird diese Geschichte von Hoffnung und Enttäuschung, von Erwartungen und Tränen, von Ruhm und Scheitern mit der feinfühligen Dokumentation Wie ein Fremder. Sechs Jahre begleitete der gefeierte Doku-Regisseur Aljoscha Pause (Being Mario Götze) den Künstler auf seinem Irrweg durch das Labyrinth der Musikbranche. Am 5. Juni erscheint das Endprodukt auf DVD und Blu-ray. Entstanden ist ein intimes, nahes und dennoch nie pathetisches Porträt über einen Menschen, der eigentlich nie etwas anderes machen wollte als Musik. Und daran fast zerbricht. Ganz nach Hesse, der in seinem Demian schreibt: „Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?“

Roland, wie lange musstest du darüber nachdenken, als man mit der Idee einer Dokumentation an dich herantrat?

Drei Tage. Ich arbeite zwar schon lang mit Aljoscha zusammen, doch diese Idee kam einfach aus dem Nichts. Er hatte mit seinen Fußball-Dokus anscheinend alles über das Thema gesagt, was es zu sagen gab, und wollte sich mal an einem Musikfilm versuchen. Ich war entsprechend baff und rief erst mal gefühlt jeden Menschen an, dem ich vertraute. (lacht) Alle sagten mir, ich solle es tun. Und weil ich ihn schon lange kenne, sagte ich zu.

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Aljoscha Pause hat dich über sechs Jahre mit der Kamera begleitet. Wie können wir uns das vorstellen?

Wir hatten die Abmachung, dass ich ihn immer dann, wenn irgendetwas in Bewegung oder geplant war, mit seinem Team dazu holen würde. Das haben wir kombiniert mit regelmäßigen Treffen, bei denen wir sehr lange Gespräche über alles mögliche geführt haben.

Da kam sicherlich einiges hoch, oder?

Ich versuche immer, nach vorne zu schauen. Klar, es ist einiges nicht so gekommen, wie man das vielleicht erwartet hätte, aber so wirklich drin war ich erst, als ich die Doku zum ersten Mal sah. Ich habe alles noch mal erlebt. Die Zeit mit Voltaire, aber auch die Jahre danach. Das war traurig und schön zugleich. Vor allem aber habe ich gemerkt, dass man zu viel vom Leben erwartet, wenn man denkt, alles in der Hand haben zu müssen. Ich möchte ein erfülltes Leben führen und so viel aus ihm herausholen wie es nur geht; in dieser Hinsicht hat mir Wie ein Fremder vor Augen geführt, dass daran sowohl die guten als auch die schlechten Dinge ihren Anteil haben.

„Ich habe mich damals eher in Sachen verbissen, als sie bewusst zu erleben.“

Das Leben immer bis zum Äußersten leben, kann aber auch eine Menge Druck bedeuten.

Sicherlich. Man kann nicht immer nur aus den Vollen schöpfen, immer dasselbe von sich fordern. Das führt irgendwann zu einer Monokultur, die nichts mehr Neues hergibt. Man braucht immer einen Ausgleich. Bei mir war es der Versuch, alles bewusster zu erleben. Sport, aber auch ein freier Abend mit einem Bier. Mehr im Moment zu sein.

War das zu Zeiten von Voltaire, wo tausend Dinge gleichzeitig passierten, überhaupt möglich?

Wenn, dann nur sehr schwer. Ich habe mich damals eher in Sachen verbissen, als sie bewusst zu erleben. Ich habe mal während des Kölner Karnevals eine neue Voltaire-Platte geschrieben und die ganze Zeit wie besessen mit heruntergelassenen Rollläden daran gearbeitet. (lacht) Das würde ich heute nicht mehr so machen.

Klingt ja auch nicht unbedingt angenehm…

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Wir bekommen gesagt, dass wir das sind, was wir leisten und erreichen. Da hatte ich natürlich immer noch Glück im Vergleich zu vielen anderen, weil ich das tun konnte, was ich liebte. Doch erst jetzt komme ich in ein Alter, in dem ich all das auch mal reflektiere.

Hast du den Roland erkannt, der dir in der Dokumentation begegnet ist?

Ich habe mich stets wiedererkannt, konnte aber nicht mehr alles von dem verstehen, was ich da so von mir gegeben habe. Kommt wohl davon, dass man sich nicht oft von außen sieht.

„Es hätte mir gut getan, öfter auf mich selbst zu hören.“

Damals wurden Voltaire als Hoffnungsträger bezeichnet, als nächstes großes Ding, als Sensation. Konntest du das irgendwann überhaupt noch hören?

Diese Zeit erinnere ich als durchweg anstrengend. Ich hatte früher unheimlich viel Angst vor dem, was da alles passierte. Ich stand auf der Bühne neben mir, wusste gar nicht so recht, was das alles sollte. Es ging alles so unheimlich schnell, dass ich irgendwann einfach nur noch dachte: Das ist jetzt eben so. Es ist eben so, dass wir den Plattenvertrag kriegen, dass wir das Geld kriegen und all diese Aufmerksamkeit. Ich habe mir nie etwas darauf eingebildet. Andererseits konnte ich auch nur sehr wenig genießen.

Was würdest du ändern, wenn du könntest?

Rückblickend war das schon alles ganz gut so. Das habe ich natürlich nicht immer so gesehen, bin aber mittlerweile überzeugt davon. Dennoch hätte es mir gut getan, öfter auf mich selbst zu hören.

So wie du es bei deinem neuen Projekt Schwarz jetzt hoffentlich tust?

Hoffentlich, ja. (lacht) Es gab zwei Prämissen für diesen Neustart: Englische Texte und eher elektronische Klänge. Der Rest war und ist Bauchgefühl.

+++ Update vom 1.10.2020: Die Dokumentation Wie ein Fremder gibt es ab sofort auch bei Netflix im Streaming-Angebot +++

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