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Popkultur

Bombay Bicycle Club im Interview: „Wir wussten das alles gar nicht mehr zu schätzen“

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Bombay Bicycle Club
Foto: Josh Shinner

Die Mitglieder von Bombay Bicycle Club waren noch nicht einmal mit der Schule fertig, als sie ihre ersten Auftritte spielten. Der Indie-Rock der vier Jungs aus London begeisterte bald national und international, nach dem gefeierten Debütalbum I Had The Blues But I Shook Them Loose wurde jedes Release erfolgreicher, jede Tour größer. Und dann war Schluss.

von Christina Wenig

Nach einer umfangreichen Tournee zum 2014er Album So Long, See You Tomorrow und zehn Jahren als Band kündigte die mittlerweile recht ausgebrannte Band 2016 eine Pause auf unbestimmte Zeit an – die nun vorbei ist. Mit dem neuen Album Everything Else Has Gone Wrong melden sich Bombay Bicycle Club mit neuer Energie und einem neuen Selbstverständnis zurück. Sänger/Gitarrist Jack Steadman und Gitarrist Jamie MacColl sprachen mit uns über ihre dringend gebrauchte Auszeit, das Erwachsenwerden in einer Band und die Notwendigkeit von Optimismus.


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Jack und Jamie, wie fühlt es sich an, fast sechs Jahre nach eurem letzten Album wieder hier zu sitzen und Interviews zu geben?

Jamie: Ich habe wirklich Spaß! Vor fünf Jahren hätten wir wahrscheinlich gedacht „Nicht schon wieder“, aber nun freuen wir uns, in Berlin, Paris oder wo auch immer sein zu können. Deswegen haben wir auch diese Pause eingelegt: Damit wir solche Erfahrungen nicht mehr als selbstverständlich ansehen.

Ihr hattet euren Fans offiziell ja lediglich eine Pause angekündigt, aber wie ihr kürzlich verraten habt, war die Band insgeheim quasi schon aufgelöst…

Jamie: Ja, wir haben all unsere Instrumente verkauft – und dann nicht mal zwei Monate später angefangen, über einen Neustart der Band zu sprechen.

Jack: Der zehnte Jahrestag unseres Debütalbums näherte sich und wir dachten darüber nach, aus diesem Anlass ein paar Shows zu spielen. Aber es fühlte sich komisch an, nur für diese Auftritte zurückzukommen – sowas machen nur alte Bands und wir sind ja noch verhältnismäßig jung. (lacht) Also entwickelte sich die Diskussion in Richtung neuer Musik. Das war alles noch sehr unsicher, weil wir natürlich nicht wussten, ob wir einfach so ein neues Album hinbekommen würden. Aber ich habe langsam wieder angefangen zu schreiben, was nach all dieser Zeit wirklich toll war. Nachdem Eat, Sleep, Wake dann vor etwa einem Jahr entstanden war, ging alles ganz schnell. Eins führte zum anderen.

Eure Jahre als Band waren bis zur Pause sehr intensiv: Vier Alben in nur fünf Jahren, ständiges Touren, alles wurde immer größer. Wie ging es euch, als ihr 2015 dann den Stecker gezogen habt?

Jack: Ich war total aufgeregt, etwas Neues zu machen. Wir haben alle neue Wege eingeschlagen. Ich habe ein Solo-Album mit Musik aufgenommen, die ich nie mit der Band hätte machen können, Jamie ist zur Uni gegangen…

Jamie: Ich kann mich noch erinnern, dass ich direkt am Tag nach unserem letzten großen Gig in London unfassbar krank wurde. Ich war einfach total erschöpft von dem Jahr, das wir hinter uns hatten. Das war alles sehr ungesund, weil wir so viel wie möglich in kürzester Zeit machen wollten. Sowas wollen wir jetzt vermeiden, denn das ist nicht besonders nachhaltig. Ich glaube, wir hatten damals alle nicht mehr wirklich Spaß an der ganzen Sache. Wie schon gesagt, wir wussten das alles gar nicht mehr zu schätzen.

Als Teil solch einer beschäftigten Band erwachsen zu werden, ist sicherlich nicht einfach. Seht ihr Everything Else Has Gone Wrong auch als Resultat eines persönlichen Reifungsprozesses?

Jack: Auf jeden Fall. Wir wussten gar nicht, wer wir außerhalb dieser Blase waren, in der wir gelebt haben. Das war ja nicht das echte Leben. Du gehst auf Tour und alle kümmern sich um dich, als wärst du ein Baby: Du kriegst gesagt, wann du wo sein musst und musst nicht wirklich nachdenken. Da fragt man sich schon, wie man sich in der echten Welt als normaler Mensch, ganz auf sich allein gestellt, schlagen würde.

Jamie: Ich hatte Schwierigkeiten damit, meine persönliche Identität von der Band abzukapseln. Ich war sehr davon definiert, ein Teil von Bombay Bicycle Club zu sein, was nicht sonderlich gesund ist. Viele unserer Songs handelten ja auch vom Teenager-Dasein, sodass ich mich irgendwann gefragt habe „Werde ich nun ewig in diesem Kreislauf gefangen sein, älter zu werden, aber immer noch die Songs zu singen, die wir mit 15 geschrieben haben?“ Das fühlte sich echt merkwürdig an. Außerdem ist es schwierig, Songs darüber zu schreiben, permanent auf Tour zu sein. Das ist ein Thema, mit dem sich 99,9 Prozent der Menschen überhaupt nicht identifizieren können. Eines der besten Ergebnisse unserer Pause ist also, dass Jack neue Songs schreiben konnte, die mehr zu unserem jetzigen Leben passen und zu denen man leichter eine Verbindung herstellen kann.

Man kann den Albumtitel leicht als Statement des Versagens lesen, tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall.

Jack: Genau, es soll optimistisch und hoffnungsvoll sein. Wenn man sonst nichts mehr hat, hat man immer noch die Musik. Das wäre mein letzter Zufluchtsort, wenn die Welt den Bach runtergeht. Aber auch auf einer weniger dramatischen Ebene: Wenn man einen schlechten Tag hat oder von dem aktuellen politischen Klima frustriert ist, kann man einfach nach Hause gehen, Kopfhörer aufsetzen und Musik hören. Es ist eine Form von Eskapismus.

Wo du das politische Klima schon ansprichst: Gerade gibt es nicht besonders viele hoffnungsvolle Alben. War es schwierig für dich, diese Mentalität beim Schreiben zu erhalten? Oder blendest du die Außenwelt einfach ganz aus?

Jack: Das tue ich wirklich, nicht nur gedanklich: Wir haben den Großteil des Albums in einer sehr abgeschiedenen, ruhigen Ecke des Landes mit Blick aufs Meer geschrieben – sehr stressfrei. Ich halt es für wichtig, einen Rückzugsort zu haben, an dem noch Freude herrscht.

Jamie: Gerade gibt es sehr viel Musik, die die aktuelle Politik-Landschaft kommentiert. Das ist natürlich wichtig, aber ich denke nicht, dass alle Musik das tun muss. Für mich hat auch solche Musik einen Wert, die eine Flucht aus der Realität ermöglicht und eine positive Message hat. Die Band Idles macht das zum Beispiel sehr gut: Das ist Protestmusik, der aber ein gewisser Optimismus zugrunde liegt. Wir wollen auf jeden Fall eine positive Einstellung gegenüber der Zukunft der Welt bewahren. Irgendjemand muss es ja tun. (lacht)

Wie hat es sich auf die Arbeiten am neuen Album ausgewirkt, mehrere Jahre Abstand zu euren bisherigen Releases zu haben?

Jack: Wenn so viel Zeit vergeht, verspürt man weniger Druck durch die Außenwelt. Hätten wir dieses Album direkt nach dem letzten geschrieben, wären wir viel angespannter gewesen, denn das war unser bis dato erfolgreichstes und wir hätten uns darüber den Kopf zerbrochen, ob das neue da mithalten kann. Über sowas sollte man beim Schreiben nie nachdenken. Wir hatten das Gefühl, wieder ganz neu von vorne anfangen zu können und alle Freiheiten zu haben, weswegen wir zum Beispiel mit einem Produzenten gearbeitet haben, der uns etwas aus unserer Komfortzone gedrängt hat.

Jamie: Ich sehe dieses Album fast schon als eine Art Reaktion auf seinen Vorgänger. So Long, See You Tomorrow war sehr massiv produziert, vielschichtig und so voller Ideen, dass es zeitweise schon fast zu viel wurde. Mittlerweile sind wir etwas entspannter und okay damit, dass nicht jeder Song mit einem Mega-Refrain endet oder so. Dadurch ist das Album vermutlich etwas simpler geworden. Neben der Tatsache, dass Jack jetzt mit Mr. Jukes ein neues Ventil hat, ist eine wichtige Veränderung natürlich auch, dass unser Bassist Ed erstmals ein paar Songs beigesteuert hat, nachdem er sein Solo-Projekt Toothless gestartet hat.

Euer Produzent war John Congleton, der von Blondie bis Marilyn Manson schon mit zahlreichen Mega-Stars gearbeitet hat. Anders als ihr hat er eine sehr intuitive Arbeitsweise: Ihr habt kürzlich verraten, dass er euch kaum Retakes erlaubt hat. Wie war es für euch, diese Kontrolle abzugeben?

Jack: Mir fiel das anfangs wirklich schwer, weil ich das genaue Gegenteil von ihm bin. Ich würde hundert Takes von einem Part einspielen, damit alles absolut perfekt ist. Aber ich bin froh, dass wir diese Erfahrung mit ihm gemacht haben, ich mag seine Arbeitsweise und habe viel gelernt. John zwingt dich dazu einzusehen, dass das Publikum vermutlich weitaus weniger auf Perfektionismus achtet als du selbst und man sich nicht wegen jeder Kleinigkeit den Kopf zerbrechen muss.

Jamie: Für Jack war es vermutlich einfach schon sehr entspannend, dieses Mal nicht selbst zu produzieren. Wir sind alle offener und selbstbewusster geworden. Ich persönlich bin mittlerweile nicht mehr allzu besorgt um meinen Beitrag zur Musik, weil ich ein Leben außerhalb der Band gefunden habe. Mein Selbstwert ist nicht mehr so abhängig von Bombay Bicycle Club.

Jamie, in einem Interview hast du verraten, dass im September nicht einmal die Hälfte der Songs fertig waren. Das heißt, dass dieses Album in einer sehr kurzen Zeitspanne entstanden ist.

Jamie: Ich habe meinen Master-Abschluss im Juli gemacht, im August habe ich geheiratet und erst danach haben wir wirklich mit den Aufnahmen angefangen. Wir haben elf Songs in zwölf Tagen eingespielt – dafür hätten wir früher zwölf Wochen gebraucht. John hat definitiv gut gegen unsere Zwangsneurose angekämpft, alles endlos zu diskutieren. Er meint nur „Letztendlich ist das echt nicht so wichtig“. (lacht) Man könnte sich von dieser Einstellung ein bisschen angegriffen fühlen, aber letztendlich ist sie gut, denn er hat verstanden, dass das eigene Leben nicht damit steht und fällt, wie ein Album ankommt.

Dieser kurze Abstand zwischen den Aufnahmen und der Veröffentlichung schafft auch eine gewisse Unmittelbarkeit, oder? Ihr müsst jetzt nicht noch monatelang auf den fertigen Songs sitzen.

Jack: Ja, diese Zwischenphase ist echt nervig, weil man einfach nur will, dass die Leute es endlich hören können.

Jamie: Unmittelbarkeit ist ein gutes Wort dafür, weil es das Gefühl dieses Albums widerspiegelt – eben weil es, anders als die Vorgänger, nicht so vielschichtig und detailversessen, sondern eher schlicht und emotional ist. Vielleicht hat sich der Arbeitsprozess also auf das Endergebnis ausgewirkt.

Macht ihr jetzt schon Pläne für eure Zukunft?

Jamie: Wir haben darüber noch gar nicht wirklich geredet, mal schauen. Mich würde es überraschen, wenn alles wieder so laufen würde wie früher – Album nach Album nach Album, ohne Pause. Dann würden wir glaube ich schnell wieder an den gleichen Punkt gelangen wie vor sechs Jahren. Ich denke, dass keiner von uns nur diese eine Sache für den Rest seines Lebens tun will. Jack wird verschiedene Arten von Musik machen, Ed wird mehr Solo-Sachen aufnehmen, Suren wird mit anderen Künstler*innen arbeiten und ich werde mich außerhalb der Musik beschäftigen. Das halte ich für gesund, weil es darauf hinausläuft, die eigene Identität nicht von Bombay Bicycle Club verschlingen zu lassen. Letztendlich ist das hoffentlich der nachhaltigere Weg, diese Band aufrechtzuerhalten.

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