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Popkultur

40 Jahre „Rock The Casbah“: Wie The Clash unfreiwillig einen Schlachtruf für die US-Armee schufen

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The Clash
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Der große Hit mag auf Combat Rock natürlich Should I Stay Or Should I Go sein. Ungleich größere Sprengkraft und Strahlkraft besitzt allerdings Rock The Casbah – umso mehr in unsteten Zeiten wie diesen. Zum 40. Geburtstag des Songs erzählen wir seine Geschichte als Kriegslied wider Willen.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Combat Rock anhören:

1982 steuern The Clash auf ihren Höhepunkt zu. Ihre fünfte Platte Combat Rock, veröffentlicht im Mai dieses Jahres, wird nicht nicht nur die letzte sein, die im klassischen Line-Up aus Joe Strummer, Mick Jones, Paul Simonon und Topper Headon entsteht; sie ist bis heute auch die meistverkaufte. Gerade mal fünf Jahre nach ihrem selbstbetitelten Debüt erreichen die Engländer den Gipfel, der nach dem drogenbedingten Ausstieg von Headon noch im selben Jahr nie wieder erreicht werden wird.

Rückkehr zur chaotischen Energie

Wirklich entspannt ist es im Lager von The Clash aber auch schon zu Beginn des Jahres nicht mehr. Das Triple-Album Sandinista! entzweit nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Band selbst. Strummer und Simonon wollen zurück zur chaotischen Anarchie der Anfangszeit, Jones ist dagegen, Headon wird von Kokain und Heroin aufgefressen. Nicht unbedingt die ideale Ausgangslage. Und dennoch eine Situation, aus der The Clash auferstehen wie der Phönix aus der Asche.

Der Vietnamkrieg hinterlässt Narben

Geprägt von Englands postkolonialer Tristesse, vom Vietnamkrieg und dem Film Apocalypse Now entsteht ein trippiges, bei aller Energie unheilvolles Album. Im Zentrum von all dem steht Rock The Casbah, eine ganz und gar singuläre musikalische Fabel. Komponiert ausgerechnet von Schlagzeuger Topper Headon, als er sich ohne seine drei Bandmitglieder im Studio wiederfindet und versunken vor sich hin klimpert. Als die anderen zurückkommen, sind sie vollkommen begeistert und ändern nur noch Kleinigkeiten – ein Novum bei The Clash, deren Songs überwiegend vom Duo Strummer/Jones komponiert werden.

Getextet auf dem Klo

Nur mit den Lyrics ist Strummer unzufrieden. Er verzieht sich auf die Toilette und kommt mit dem fertigen Text zurück. Der enthält die Fragmente einer Session mit dem Geiger Tymon Dogg, bei der Strummer und Dogg orientalische Tonleitern abarbeiteten, zu denen Strummer immerzu rock the casbah! schrie. Nichts Ungewöhnliches: Als Sohn eines Diplomaten wurde Strummer in der Türkei geboren, wuchs in Indien und Mexiko auf, besuchte auch Teheran und entwickelte einen sehr eklektischen Musikgeschmack. Wenn man jetzt noch weiß, dass Manager Bernie Rhodes zunehmend irritiert auf die immer längeren Songs der Band reagiert und an einem Punkt verzweifelt ausrief, does everything have to be as long as this rāga?, ist der thematische Hintergrund klar (Raga ist ein indischer Musikstil, berühmt und berüchtigt für seine Überlänge und Komplexität).

Eine arabische Fabel

Rock The Casbah ist eine Fabel, die von einem arabischen König erzählt, der westliche Rockmusik verbannen will. Inspiriert von der Iranischen Revolution, bei der 1979 alle westliche Musik verboten wurde, erzählt der Song von der Anweisung des Königs an seine Kampfpiloten, alle Menschen zu bombardieren, die sich dem Dekret widersetzen. Die wiederum widersetzen sich aber lieber diesem Befehl und spielen in ihren Cockpits westliche Rockmusik.

Joe Strummer weint

Dass The Clash mit dieser Nummer die Büchse der Pandora öffnen sollen, ahnt damals niemand. Bei der Operation Desert Storm, dem Ersten Irakkrieg, ist Rock The Casbah der erste Song, den das Radio der dortigen Truppen ausstrahlt. Und als Joe Strummer erfährt, dass ebenjener Songtitel auf einer der Bomben geschrieben steht, die 1991 auf den Irak herabregnet, bricht er in Tränen aus. Ein Song für die Freiheit auf einem dezidierten Anti-Kriegs-Album, missbraucht für militärische Zwecke und Truppenmoral. Rock The Casbah als Soundtrack für den Bombenhagel – da kann man sich schon mal vom Glauben abfallen.

Doch damit endet die politische Geschichte des Stückes nicht. Nach den Anschlägen vom 11. September landet der Song auf einer Liste mit unangemessenen Songs, 2006 nennt ihr das konservative Blatt National Review unter seiner Top 50 der konservativen Rock-Songs. Ausgerechnet! Der Kulturjournalist Charile Pierce kommentiert das damals so: „Die Vorstellung, dass The Clash als Sprachrohre für das gewagte Spiel im Nahen Osten herhalten sollen, hätte ausgereicht, um Joe Strummer von den Toten auferstehen zu lassen.“

Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack und das Gefühl der Ausbeutung. Alles, was Joe Strummer will, ist ein Statement gegen Fanatismus in jedweder Form. Was er erntet, ist der Schlachtruf der US-Streitkräfte. Im Grunde also ein ganz ähnliches Phänomen wie wenn der ehemalige US-Präsident Trump Born In The USA bei seiner Wahlkampftour erschallen lässt – und nicht mal weiß, worum es in dem Song wirklich geht.

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