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Der historische Verriss: “M.I.U. Album” von The Beach Boys

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Auch Experten liegen manchmal mächtig daneben. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken. Oder war es doch berechtigte Kritik, die der allgemeinen Meinung entgegensteht? Zeit für eine erneute Analyse.

Dieses Mal geht es um die einzige amerikanische Band, die es während der 1960er-Jahre ernsthaft mit den Beatles aufnehmen konnte. Mit ihrem perfekt produzierten und psychedelisch tiefgründigen Sixties-Pop-Rock und Alben wie Pet Sounds wurden die Beach Boys zu Legenden und Nationalhelden. Doch in den 1970ern konnten sie ihrem Ruf nicht immer ganz gerecht werden, die Band war vor allem durch Brian Wilsons psychische Probleme höchst verunsichert.


Hört hier in das M.I.U. Album rein:

Für das ganze Werk klickt auf “Listen”.

Nachdem er sich eine Weile aus der Band zurückgezogen hatte, kehrte er Mitte der 1970er für eine Reihe von Alben zurück, von denen das M.I.U. Album (1978) das dritte war. Für viele Fans markierte es eine gelungene Rückkehr zum klassischen Sound der Band. Doch viele waren auch anderer Meinung. In der damaligen Rezension für den amerikanischen Rolling Stone war Kritiker Tom Carson mehr als enttäuscht von diesem Versuch, an die guten alten Zeiten anzuknüpfen. Hatte er recht? Folgendermaßen argumentierte er:

Einerseits ist dieser letzte Satz verständlich, andererseits ungültig. Denn es handelt sich eben doch um Brian Wilson und die Beach Boys. Ihre Gesangsharmonien und ihr Songwriting ist unvergleichlich, auch auf diesem Album. Auf den zwei vorangegangenen Alben bemühte die Band Rock ’n’ Roll der Fünfziger (15 Big Ones) beziehungsweise überließ Brian Wilsons exzentrischen Vorstellungen die Oberhand (The Beach Boys Love You). In dieser Hinsicht ist das M.I.U. Album das authentischste Beach Boys-Album dieser Phase, eine Rückbesinnung auf ihre alte Größe. Nur waren die alten Songs eben so groß, dass sie nur sehr schwer übertroffen werden konnten. Ein Schicksal, das noch jede wichtige Band ereilt hat. Was macht die Platte für Tom Carson so uninteressant?

Es stimmt: Brian Wilson hält sich auf diesem Album – freiwillig oder unfreiwillig – zurück. Aber seine beiden Songs sind absolute Perlen, sowohl das fröhliche Hey, Little Tomboy als auch das tragisch-schöne My Diane, auf dem sein Bruder Dennis diese Zeile singt: „Everything is old, and nothing is new.” Genau das ist die Zwickmühle dieses Albums, doch aus dieser Erkenntnis machen sie das Beste. Die konstruierte Künstlichkeit und der Versuch, die jugendliche Unschuld wieder einzufangen, sind Dinge, die nur der Wahrnehmung des Kritikers entspringen. Er wirft der Band einen kläglichen Rückgriff auf die alte Zeit vor, bemüht aber selbst ständig Vergleiche mit diesem Material. Es müsste ihm einleuchten, dass dieser Widerspruch nicht aufzulösen ist, und man die Musik vielleicht doch etwas losgelöster von der Geschichte betrachten müsste – oder eben das Damals und Heute nicht so sehr gegeneinander ausspielen sollte. Doch auch das abschließende Urteil fällt er aus einer vermeintlich allwissenden, klügeren Position:

Aus diesem Fazit spricht eine übertriebene Resignation und Enttäuschung. Statt die neuen Bemühungen der Band wenigstens ein bisschen zu würdigen, spricht er ihnen jede künstlerische Handlungsfähigkeit ab. Das ist mehr als unfair. Vor allem weil, wie er selbst sagt, es in dieser Musik um einen Bewusstseinszustand geht. Er selbst war offensichtlich nicht auf derselben Wellenlänge. Aber zugegeben: Es muss unglaublich schwer gewesen sein, im Jahr 1978 ein objektives Urteil über das andauernde Werk der Beach Boys zu fällen, so viele Jahre nach Good Vibrations, God Only Knows oder I Get Around. Heute ist das anders. Wenn man die Augen nur ein bisschen zusammenkneift, erkennt man das große Ganze – auch auf dieser Platte.


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