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Popkultur

50 Jahre „Transformer“: Lou Reeds wildeste Seite

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Lou Reed
Foto: Gijsbert Hanekroot/Getty Images

Ausgerechnet ein Lied über Oralverkehr und Drag-Queens verschafft Lou Reed den Durchbruch. Das dazugehörige Glam-Rock-Glanzstück Transformer ist ein wilder Ritt durch durch lustvollen Abgründe New York Citys.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Transformer anhören:

Zu Beginn der Siebziger ist Lou Reed eine Ikone, eine Koryphäe, ein Fixstern der Kunstwelt in New York City. Mit The Velvet Underground hat er die Regeln der Popmusik auf den Kopf gestellt, ließ Rock’n’Roll und Kunstinstallation zusammenfließen. Außerhalb der Kunstszene ist Reed aber weitgehend unbekannt. Nicht gerade ein Niemand, aber eben auch keine Figur des öffentlichen Interesses. Das merkt man an den verhaltenen Reaktionen auf sein Solo-Debüt Lou Reed, mit dem er im April 1972 vorstellig wird. Selbst acht eigentlich für The Velvet Underground aufgenommene Songs können den kommerziellen Misserfolg nicht retten.

Der einstige Schüler wird zum Mentor

Auftritt David Bowie. Der ist selbst ein riesiger Fan von Lou Reed zählt The Velvet Underground zu seinen größten Einflüssen. Zu dieser Zeit kommt seine Karriere gerade so richtig ins Rollen, im Sommer 1972 verzaubert er die Welt mit Ziggy Stardust. Reeds Label RCA wittert eine Chance und sperrt den Pionier mit seinem Jünger im August 1972 ins Londoner Trident Studio. Gemeinsam mit dem Bowie-Kumpel und Mitglieder der Spiders From Mars, Mick Ronson, produzieren Lou Reed und David Bowie in effektiven Sessions ein Album, das immer noch vier eigentlich für The Velvet Underground gedachte Tracks enthält; vor allem aber wird Transformer das Album sein, das seinen Schöpfer von der Underground-Ikone zum Rockstar transformiert.

Oralverkehr in der BBC

Daran ist vor allem ein Song Schuld, der es nach damaligen Maßstäben eigentlich niemals hätte an der Zensur vorbei schaffen dürfen: Die erste Single Walk On The Wild Side ist ein verkommenes Bänkellied, ein inniger Einblick in die Halbwelt von New York City, voller Drogen, Oralsex und Drag-Queens. Ursprünglich für die Bühnenadaption eines gleichnamigen Romans von 1956 geschrieben, entwickelt der Song über die Zeit ein Eigenleben als ausschweifendes Tagebuch seines Komponisten.

Die eingängige Nummer mit dem prägnanten Bass wird von schillernden Persönlichkeiten und Misfits aus Lou Reeds sozialem Zirkel bevölkert: Die Holly im Song ist Drag-Queen Holly Woodlawn, hinter Little Joe steckt Schauspieler Joe Dallesandro und auch die Sugar Plum Fairy hat mit dem Künstler Joe Campbell ein reales Vorbild. Reed würdigt allesamt Personen aus dem Dunstkreis von Andy Warhols Factory, eine feine, kleine, höhnische Charakterstudie aus dem Sündenpfuhl, die es sogar in die Top Ten der BBC schaffte. Ganz klar: Drüben in England wusste man wohl noch nicht, was die Phrase giving head wirklich meint…

Cabaret und große Balladen

Walk On The Wild Side ist ein frühes Beispiel für die sexuelle Offenheit und fluide Gendertypen im Rock’n’Roll – und bis heute sein mit Abstand erfolgreichster Song. Transformer hat aber noch so viel mehr zu bieten: Der Meilenstein des Glam-Rock verbindet androgyne, sinnliche Rock-Moritaten mit glamourösen, geschminkten Cabaret-Nummern und andächtigen Hymnen wie Satellite Of Love, veredelt von David Bowies Background-Gesang. Und klar, außerdem ist hier auch noch das schwelgerische, Streicher-schwangere Perfect Day drauf. Schönere Balladen werden nur sehr, sehr selten geschrieben.

Reed und Bowie im Clinch

Das Freischwimmen von The Velvet Underground ist damals gar nicht mal unbedingt Lou Reed oberstes Begehr. Transformer erlaubt es ihm aber, seinen Kopf aus den Fenstern der Factory zu stecken und mal zu schauen, wie weit einer wie er mit Texten wie diesen und Bowie als Produzenten kommt. Die Antwort: Nicht allzu weit. Noch 1972 zerstreiten sich die beiden, Reed soll Bowie sogar eine zentriert haben. Immerhin: Ab Ende der Siebziger besucht Reed seinen alten Kumpel hin und wieder in West-Berlin. Die Gräben schließen sich und die beiden bleiben bis zu Reed Tod 2013 enge Freunde. An die Erfolge von Transformer kann Reed nicht mehr anknüpfen. Auch nicht mit Metallica.

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