------------

Popkultur

60 Jahre „The Times They Are A-Changin’“: Dylans großer Wendepunkt

Published on

Bob Dylan
Foto: John Byrne Cooke Estate/Getty Images

Im Februar 1964 veröffentlicht Bob Dylan sein drittes Album The Times They Are A-Changin’. Wenige Monate später wird in den USA der wegweisende Civil Rights Act verabschiedet. Auch dank seiner Lieder.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr The Times They Are A-Changin’ hören:

Einen Bob Dylan kann man nicht einfach so erfassen. Der Mann ist ein Mythos, mehr Enzyklopädie als Musiker. Ein Enigma. In den frühen Sechzigern ist das aber noch nicht so. Da ist Dylan der politisch engagierte Folker aus Greenwich Village, der Typ an der Seite von Joan Baez, der Liedermacher der Stunde. Nachdem er auf seinem zweiten Album The Freewheelin’ Bob Dylan mit Blowin’ In The Wind einen der wichtigsten und besten Protestsongs aller Zeiten geschrieben hat, politisiert er sich noch mehr. Er marschiert aus der Ed Sullivan Show, weil er sich nicht zensieren lässt, er singt mit Baez beim Marsch auf Washington.

Das Ende der Politik

Zu dieser Zeit nimmt er auch die Songs für sein drittes Album auf – The Times They Are A-Changin’. Es entsteht zwischen August und Oktober 1963 und erscheint am 10. Februar 1964. Nicht viel Zeit, die dazwischen liegt, sollte man meinen. Und doch sind es Welten: Ende 1963 ist Dylan desillusioniert, hat die Schnauze voll von der Politik und davon, für irgendeine Agenda vor den Karren gespannt zu werden. Ironischerweise erscheint sein politischstes Album, als er selbst schon gar nicht mehr politisch ist. Ein genauer Blick auf die Entstehungsgeschichte dieses Albums ist da natürlich umso spannender.

Das unsterbliche Titelstück entsteht im September 1963. Dylans Freund Tony Glover erinnerte sich mal an einen Besuch in Dylans Wohnung im September 1963, wo er ein frühes Manuskript des Songs sah. Nachdem er die Worte „Come senators, congressmen, please heed the call“ gelesen hatte, soll Glover Dylan gefragt haben: „Was soll der Scheiß, Mann?“, worauf Dylan antwortete: „Ach weißt du, es scheint, als wollen die Leute so was hören.“ Was Dylan vorschwebt, ist eine große Hymne des Wandels, eine Momentaufnahme, ein Spiegel der Friedensmärsche, Proteste und Antikriegsbemühungen. „Dies war definitiv ein Song mit einem Ziel. Es war natürlich von den irischen und schottischen Balladen beeinflusst … Come All Ye Bold Highway Men, Come All Ye Tender Hearted Maidens. Ich wollte einen großen Song schreiben, mit kurzen, prägnanten Strophen, die sich auf hypnotische Art und Weise aufeinander stapeln. Die Bürgerrechtsbewegung und die Folk-Musik-Bewegung standen sich damals eine Zeit lang ziemlich nahe und verbündeten sich.“ Das taten sie auch – oder vor allem – wegen seiner Person.

Versehrte Lieder für eine versehrte Zeit

Die Songs auf dem Album sind spärlich instrumentiert und von bedrückender Schwere. Sein Witz und seine Leichtigkeit, die die ersten beiden Alben auflockerten, sind verschwunden. Was bleibt, sind versehrte Lieder für eine versehrte Zeit. Akustikgitarre, Mundharmonika und Dylans narrativer, fiktionaler Gesang. Karg, trist, desillusioniert. Mehr ist es nicht. Mehr braucht es nicht. Dylan singt in Ballad Of Hollis Brown von armen Farmern, die ihre Familie umbringen und liefert eine astreine Murder Ballad. In North Country Blues erzählt er vom Niedergang der Minenindustrie in den Staaten und in Only A Pawn In Their Game thematisiert er die benachteiligte Schwarze Bevölkerung.

Nur wenige Wochen nachdem er das Album aufgenommen hat, wird Kennedy erschossen. Für ihn ist das Attentat eine Wasserscheide, eine Zäsur, der Anfang vom Ende seiner politischen Musik. „Was es bedeutet, ist, dass sie versuchen, dir zu sagen: ‚Hoffe nicht einmal, dass du etwas ändern kannst‘“, soll er gesagt haben. Nur drei Wochen nach der Ermordung Kennedys verleiht das Emergency Civil Liberties Committee an Dylan seinen jährlichen Tom-Paine-Preis für seinen Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung. Seine Rede bei der Annahme ist kontrovers, wird von Applaus und Buhrufen begleitet.

Als The Times They Are A-Changin’ dann schließlich erscheint, hat Dylan es längst satt, die Galionsfigur der Bürgerrechtsbewegung zu sein. Er entdeckt die Beat-Literatur für sich, verkündet, nur noch Songs zu schreiben, die für ihn sprechen. Sein Vermächtnis kann er damit nicht mehr zunichte machen: Am 2. Juli 1964 wird der Civil Rights Act verabschiedet, ein wegweisendes Bürgerrechts- und Arbeitsgesetz , das Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und nationaler Herkunft verbietet. Natürlich hat es nicht Dylan durchgesetzt. Doch seine Lieder haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die Welt eine bessere wurde. Auch wenn er 1964 erst mal nichts mehr mit der Politik zu tun haben wollte.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Als aus Robert Allen Zimmerman der große Bob Dylan wurde

Don't Miss