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Popkultur

„Believe“: Wie Cher vor 25 Jahren die Popmusik vermeintlich mit Autotune ruiniert

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Cher
Foto: Barry King/WireImage/Getty Images

Es gibt eine Zeit vor Believe und eine danach: Chers megaerfolgreiche Comeback-Single erscheint vor genau 25 Jahren. Und wird die Popmusik durch den exzessiven Einsatz von Autotune für immer verändern.

von Björn Springorum

Effekte gibt es schon seit es Musik gibt. Jeder Verstärker, jedes Pedal, jeder Knopf im Studio verändern den Klang der Musik mal mehr, mal weniger subtil. Cher entscheidet sich vor genau 25 Jahren für einen, sagen wir, eher weniger subtilen Weg. Ihr letzter Top-Ten-Hit (Just Like Jesse James) liegt da mittlerweile zehn Jahre zurück. Sie braucht ein Comeback, und sie braucht es dringend. Da hilft eben nur das ganz große Besteck. Eine rigorose Maßnahme. Ein Urknall.

Die Comeback-Queen

Das weiß sie besser als die meisten: 1998 hat sie schon mehrere erfolgreiche Comebacks hinter sich. 1971 mit Gypsys, Tramps & Thieves, 1979 mit Take Me Home und dann wieder 1987 mit I Found Someone. Sie weiß also mittlerweile, dass sie es kann. Und was dafür nötig ist. Dass sie mit diesem vierten Comeback gleich eine Revolution anzettelt und nach Ansicht nicht weniger die Popmusik für immer ruiniert, hätte aber wohl selbst sie damals kaum gedacht. Dennoch: Der Song wird ihr größter Hit. Und das ist die Geschichte dahinter.

Autotune ist eigentlich ein Effekt, der stimmliche Schwankungen und kleinere Misstöne im Studio ausgleicht. 1997 wird er von Antares Audio Technologies eingeführt und soll es vor allem Produzent*innen und Sänger*innen leichter machen. Endlich muss man ein Stück nicht zigfach einsingen, bis jeder Ton sitzt – man schiebt die leicht schiefen Töne einfach in die richtige Richtung. Journalist Jan Kevdes erklärte das mal so: „Autotune ist eine Software, ein Algorithmus, der ein hineinkommendes Audiosignal analysiert und versucht zu verstehen, welcher Ton hier getroffen werden sollte. Wenn der Sänger oder die Sängerin den Ton schon perfekt trifft, wird die Software gar nicht aktiv. Aber wenn die Software den Eindruck hat, hier liegt etwas ein bisschen zu hoch oder zu niedrig, dann korrigiert sie den Ton.“

Autotune soll eigentlich nach Erdöl suchen

Dann kommt Cher. Und reizt die Möglichkeiten dieser neuen Technologie für ihren neuen Song Believe bis aufs Extremste aus. Denn Autotune kann eigentlich viel mehr als kleinere Korrekturen: Ursprünglich wurde die Software in den Siebzigern entwickelt, um Ölquellen aufzuspüren. „Man hat im Boden Detonationen erzeugt, und die sonischen Reflexe, die man dann aufgezeichnet hat, konnte man algorithmisch analysieren, um zu gucken, wo es sich lohnt zu bohren“, erklärt Kevdes.

Eine Detonation löst Cher auch aus. Gemeinsam mit ihrem Produzenten Mark Taylor, der damals noch ein völlig unbeschriebenes Blatt ist, bereitet sie im Sommer 1998 in den Londoner Dreamhouse Studios eine neue Ära in der Popmusik vor. Autotune wird sehr bald schon als „Cher-Effekt“ berühmt, Kulturjournalist Simon Raynolds nennt den Effekt den wichtigsten Sound des 21. Jahrhunderts, während Dan Auerbach von den Black Keys sicher ist, dass Cher damit die Popmusik ruiniert hat.

Die Zukunft der Popmusik beginnt 1998

Fest steht so oder so: Danach ist nichts mehr wie davor. Cher läutet schon 1998 die Zukunft der Popmusik ein, das schillernde, technologische 21. Jahrhundert, in dem nichts unmöglich scheint. Das Glühen und Flattern von Chers Stimme an den Schlüsselstellen des Liedes verkündet ihre eigene technologische Künstlichkeit – eine Mischung aus posthumaner Perfektion und engelhafter Transzendenz, die ideal für die vage Religiosität des Refrains ist: „Glaubst du an ein Leben nach der Liebe?“

Cher ist völlig hin und weg von dem exzessiv eingesetzten Effekt; ihr Label Warner Bros. hingegen ist weniger enthusiastisch: Präsident Rob Dickins höchstpersönlich verlangt, den Autotune deutlich abzuschwächen. „Jeder liebt diesen Song, aber wir wollen diesen Teil ändern“, so soll er gesagt haben. Cher bleibt knallhart: „Nur über meine Leiche könnt ihr diesen Teil des Songs ändern!“, soll sie entgegnet haben. Der Effekt bleibt drin, am 19. Oktober 1998 landet der Breakup-Song bei den weltweiten Radiostationen.

Größter Erfolg ihrer Karriere

Und hebt in Großbritannien gleich ab: Believe wird der erfolgreichste Song des Jahres und ist bis heute der meistverkaufte Track einer Solokünstlerin. In den USA dauert es ein wenig, doch am 13. März 1999 steht die Nummer auch dort ganz oben an der Spitze der Singlecharts. Cher ist damals 52 – so alt wie keine Frau vor ihr, die an der US-Chartspitze stand.

Elf Millionen verkaufte Singles sorgen aber auch für eines: einen unkontrollierbaren Autotune-Boom. Bald schon verwenden ihn alle – Radiohead, Lil Wayne, T-Pain. Ohne Autotune würde es auch die junge Rap-Generation nicht geben. Und alles wegen Cher. Davon mag man halten, was man will. Musiker und YouTuber Rick Beato kritisiert aber vollkommen zurecht die zunehmende Maschinisierung und Robotisierung der Popmusik. Er sagt, dass die KI-gestützte Umwälzung der Musik dadurch nur beschleunigt wird, weil „niemand mehr merkt, wenn etwas digital verändert wurde.“ Zu Songs wie Despacito ergänzt er: „Es klingt sehr roboterhaft. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Computer so etwas erschaffen hat.“

Cher dürfte das egal sein. Ihr viertes Comeback war ihr bislang erfolgreichstes. Und Believe bleibt bis heute ihr größter Triumph.

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