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Popkultur

Zeitsprung: Am 15.6.1965 nimmt Bob Dylan „Like a Rolling Stone“ auf. Gefällt nicht allen.

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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

"Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 15.5.1965.

von Christian Böhm und Christof Leim

Die Session läuft eher chaotisch, aber dabei entsteht einer seiner bekanntesten Songs: Am 15. Juni 1965  nimmt Bob Dylan „Like A Rolling Stone“ auf. Das Stück entsteht wütend und gefällt zuerst nicht allen. Doch später verneigen sich Künstler und Künstlerinnen unterschiedlichster Genres mit Coverversionen vor ihm.

Hier könnt ihr euch das zugehörige Album Highway 61 Revisited anhören:

 Nein, die Rolling Stones haben ihn nicht geschrieben, sie haben ihn nur nachgespielt. Und auch benannt haben sie sich nicht nach ihm: Like A Rolling Stone ist einer von Bob Dylans bekanntesten, laut eigener Aussage sogar sein „bester Song“. Seine Plattenfirma sieht das jedoch zumindest am Anfang anders. Seit dem Erscheinen hat das Lied so viele Neuinterpretationen erfahren, dass die Menge der verschiedenen Versionen des Songs so umfangreich wie Dylans Gesamtkatalog erscheinen. Man mag es mögen oder nicht, das Stück ist in jedem Fall wichtig – nicht zuletzt für Dylan selbst, für den zur einer musikalischen Wandlung gehörte.

Sprichwörter & Lebensweisheiten

„A rolling stone gathers no moss“. Dieses englische Sprichwort kann zweierlei bedeuten: Der Stein, der rollt, setzt kein Moos an, er ist also immer in Bewegung und befreit sich vom Unkraut. Soweit die positive Variante. Aber: Die Pflanze, die mit dem Stein immer in Bewegung bleibt und keine Wurzeln schlägt, kann auch nicht wachsen. Diese negative Deutung entspricht wohl dem deutschen „Ein unsteter Mensch kommt zu nichts.“ Aber dagegen steht eben „Wer rastet, der rostet.“

Kurz zur Vorgeschichte: Als Bob Dylan beginnt, den Text zu schreiben, ist er 24 Jahre alt und gerade auf Tournee – und die fordert ihn, sie stresst ihn. Er hatte begonnen, die elektrische Gitarre zu spielen, begleitet von einer lauten Band. Bisher konnte man Dylan musikalisch klar dem Folk zuschreiben, und es ging hauptsächlich um ihn und seine Akustikgitarre. Schon die A-Seite seiner letzten Platte Bringing It All Back Home vom März 1965 aber enthält ausschließlich elektrisch verstärkte Instrumente, was vielen Folk-Puristen nicht gefällt, auch bei seinen neuerdings rockigeren Livekonzerten nicht. Beim Newport Folk Festival will man ihm später am 25 Juli 1965 den Strom abstellen. Angeblich kommt es noch extremer: Folk-Sänger Pete Seeger, der ebenfalls auf dem Billing steht, droht damit, die Kabel mit einer Axt zu durchtrennen, um dem Auftritt von Dylan und seiner Band ein Ende zu bereiten. Dylan aber ruft seinen Musikern “Play fucking loud“ zu und stimmt eine verzerrte Version von Like A Rolling Stone an.

Er schreibt sich den Druck vom Leib

Manche bisherigen Fans beschimpfen den Künstler jetzt als Judas und Verräter. Es läuft gerade eigentlich gut, aber dann auch wieder nicht. Dass sein Publikum Dylans Weg zu etwas stilistisch Neuem und das teilweise Überwinden seiner Wurzeln nicht akzeptieren will, setzt ihn unter enormen Druck.

Wütend, in einer Art Stream of Consciousness, schreibt er nun Texte nieder, darunter ein mehr als 20 Seiten umfassendes Gedicht. Er nennt es Like A Rolling Stone. Später reduziert er es auf Liedtext-Größe, aus 20 Seiten werden vier Strophen plus Refrains. (Das nun vierseitige Originalmanuskript wurde übrigens kürzlich versteigert für sage und schreibe zwei Millionen US Dollar.) Später sagt Dylan, er habe während des Dichtens gemerkt, dass er in Zukunft immer auf diese Art schreiben will: Einfach drauf los, so wie die Beat Poets, denen er sich ja schon länger verbunden fühlte. Und das rettet ihn, denn nach der Tour befindet er sich in einem Zustand so großer Erschöpfung, dass er die Musik fast an den Nagel hängt. Aber der neue Text gefällt ihm selbst sehr gut. Er komponiert die Musik dazu und weiß: Das wird etwas! Auch sein Manager glaubt an einen Hit. Dylans Selbstbewusstsein ist wieder aufgebaut, nachdem er doch gerade noch nicht sicher war, wohin er mit seiner Kunst wollte.

Folk Rock und Punk im Studio

Am 15. Juni 1965 beginnen die Aufnahmen von Like A Rolling Stone. (Der Song landet auf Highway 61 Revisited, doch die anderen Lieder werden zu einem späteren Zeitpunkt eingespielt.) Doch es läuft keine gewöhnliche Session im Studio A von Columbia Records in New York: Keine Noten werden ausgeteilt, die Musiker bekommen keine „Sheets“ mit einem Überblick über das Stück und seine Akkordwechsel, dafür aber sehr deutliche Ansagen von Bob, wie das Ganze nicht klingen soll: „Ich will, dass du nichts von dem B.B.King-Scheiß spielst, none of that fucking blues“ lautet die Anordnung. Später fasst der Chef zusammen: „Ich sagte ihnen, wie sie spielen sollten, und wenn sie das nicht wollten, naja, dann konnten sie mit mir nicht spielen.“ So kämpft sich die Besetzung durch den Song. Es braucht mehrere Versuche, um bis zum ersten Refrain zu kommen. 

Sessiongitarrist Al Kooper schlägt Produzent Tom Wilson vor, eine Begleitung auf der Orgel zu spielen. Und dieser Part schafft es dann tatsächlich auf die Aufnahme. Sensationell, denn Kooper ist eigentlich nur im Studio zu Gast, um zuzuschauen. Und ein  besonders guter Organist war er damals auch noch nicht. Nun schreibt den Orgelpart – und wird die Gitarre danach gegen die Orgel eintauschen. Insgesamt herrscht bei den Aufnahmen doch irgendwie eine Art von Magie. Al Kooper erinnert sich: „Es lief komplett nach Gehör. Und völlig unorganisiert – das war der reine Punk. Es passierte einfach.“  Hatte Dylan sich gerade vom Folk zum Rock entwickelt, gibt es im Studio quasi schon Punk, obwohl der noch gar nicht erfunden war.

Zu lang, zu rockig, aber extrem erfolgreich

Der fertige Werk klingt roh, es ist eine Rock-Nummer geworden. Und sie ist lang, über sechs Minuten zu lang, findet Columbia Records und weigert sich, das Lied zu veröffentlichen. Dreiminütige Singles spielen die Radios am liebsten, aber Dylan verweigert sich gegenüber Kürzung. 30 Jahre später werden Fettes Brot die Drei-Minuten-Radio-Regel aufs Korn nehmen: 1995 blenden sie ihren Song Nordisch by Nature, den es auch in einer viel längeren Version gibt, aus mit den Worten „Lieber Radio-Discjockey, wir haben soeben die Drei-Minuten-Dreißig-Schallgrenze erreicht. An dieser Stelle blenden wir den Titel für Sie aus.“

Das Originalmanuskript von Dylans Songtext zu „Like A Rolling Stone“ – Foto: Slaven Vlasic/Getty Images

Zurück zu Dylan: Erst als ein New Yorker DJ eine Testpressung erhält und Like A Rolling Stone im Club so lange spielt, bis das Vinyl hinüber ist, entscheidet sich das Label um. Der Song erscheint am 20. Juli 1965, schafft es bis auf Platz zwei in die Charts und hält sich zwölf Wochen in der Hitparade – Dylans bis dato größter Erfolg. Das Lied über ein Mädchen aus gutem Hause, das auf der Straße landet und inmitten von Herumtreibern und Landstreichern lebt, für die sie zuvor nur Spott parat hatte, das Lied mit dem prägnanten Refrain, in dem gefragt wird, wie es sich wohl anfühlt, alleine zu sein und ohne Heimat, dieses Lied kürt der Rolling Stone (und dreimal dürft ihr raten, woher die die Musikzeitschrift ihren Namen hat…) zum „besten Song aller Zeiten“. Kulturtheoretiker Greil Marcus schreibt 2005 sogar ein ganzes Buch über ihn.  

Große Nachwirkungen

Jimi Hendrix, Johnny Winter, Steve Wynn, natürlich die Stones und viel weitere Namen aus aller Welt tauchen auf, wenn man im Internet die Liste der Cover-Versionen  aufruft. Wolfgang Niedecken veröffentlicht mit BAP 1982 die deutsche (also: kölsche) Version mit dem Titel Wie ne Stein, und schon 1978 kommt Wolfgang Ambros’ Version heraus auf dem Album Wie im Schlaf, das ausschließlich deutsche Versionen von Dylan-Songs enthält. Die Interpretation von Punker Johnny Thunders fällt zugegebenermaßen gar nicht besonders punkig aus. Martin Scorsese betitelt seine Dylan-Dokumentation 2005 natürlich mit einem Zitat aus Like A Rolling Stone: No Direction Home.

Der Stein kommt also gut ins Rollen im Sommer 1965. Für Dylan markiert das Stück einen  Befreiungsschlag: Er hat seine Wurzeln verlassen oder besser: ausgeweitet und ist daran gewachsen, auch gegen die Widerstände, die ihm entgegenschlugen. „Wer rastet, der rostet“? Passt! „Ein unsteter Mensch kommt zu nichts“? Passt hier nicht. Erst kürzlich erhielt Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur.

Zeitsprung: Am 9.7.1962 nimmt Bob Dylan das poetische „Blowin’ In The Wind“ auf.

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