Popkultur
Bob Marley – Ein jamaikanisches Heldenepos
Wenn es so etwas wie Ikonen in der Popmusik gibt, dann hat folgender Musiker diese Bezeichnung wahrlich verdient: Bob Marley. Marley war Poet, herausragender Musiker, gläubiger Rastafari, politischer Utopist und friedlicher Revolutionär. Er brachte den Reggae in die westliche Welt und setzte sich für die Rechte der afrikanischen Diaspora ein.
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Tragisch war sein Leben, trotz des großen Erfolges: Bob Marley starb an einem schweren Krebsleiden, im selben Jahr wie John Lennon und Bill Haley. Er wurde nur 36 Jahre alt, hinterließ jedoch ein musikalisches Erbe, das in die Geschichte einging. Marley hat den Reggae salonfähig gemacht und viele Künstler eiferten ihm nach, mit Songs wie Blondies The Tide Is High, Paul Simons Mother And Child Reunion und sicher nicht zuletzt Stevie Wonders Master Blaster. Auch in Deutschland hat sich eine wichtige Reggaeszene auf Bob Marleys Spuren etabliert.
Hört hier die größten Hits von Bob Marley
Das Ghetto in Trenchtown und die Gründung von The Wailers
Robert „Bob“ Nesta Marley wird am 6. Februar 1945 im ländlichen Nine Miles auf Jamaika geboren. Seine Mutter ist die damals erst 17-jährige Cedella Booker, sein Vater der 60-jährige britische Offizier Norval Sinclair Marley. Schon ihre Hochzeit ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Hautfarben ein Skandal. Schon als Kind erfährt Robert Ablehnung aufgrund seiner Abstammung, auch im eigenen Dorf. Kein Wunder also, dass das Thema Rassismus für ihn eine ganz persönliche Bedeutung bekommt.
Als Bob 12 ist verlässt sein Vater die Familie und er zieht mit seiner Mutter in die jamaikanische Hauptstadt Kingston. Das Leben im Ghetto Trenchtown hält nichts Gutes für den jungen Bob bereit, die prekären Verhältnisse versperren den meisten eine glückliche Zukunft. Fussball und Musik sind es, die ihn schon immer faszinierten, vor allem die Songs von Ray Charles und Fats Domingo haben es ihm angetan. Und da kommt der Lichtblick: Zusammen mit seinem besten Freund Neville „Bunny“ Livingston, später als Bunny Wailers bekannt, kommt er schon früh mit örtlichen Musikproduzenten in Kontakt, die sein Potenzial erkennen. „Robert Marley saw a way out: his guitar“, hat Bunny später über seinen Freund gesagt.
Die eigene Bandgründung lässt nicht lange auf sich warten. Der dritte im Bunde ist Peter Tosh, zusammen gründen sie 1963 The Wailing Rudeboys, die später als The Wailers für Furore sorgen. Ihre erste Single Simmer Down wird ein erster kleiner Erfolg (Platz 1 der JBS-Radiocharts!). Jedoch zeigt sich auch schnell, dass Bobs Vorstellungen mit denen der Musikproduzenten nicht recht zusammengehen wollen: Seine Texte sind ihnen zu sozialkritisch, zu wenig kommerziell. Geld verdienen die Wailers auch nicht mit ihrer Musik, die damals noch stark von Ska-Einflüssen geprägt war, dem vorherrschenden Genre in Kingston.
Vom Ska zum Reggae – Bob Marley und die Rastafari-Bewegung
1966 heiratet Bob Marley die kubanische Musikerin Rita Anderson, die wie er in Trenchtown lebt. Nur einen Tag nach der Hochzeit reist er in die USA, um Geld für das junge Eheglück und seine Musikkarriere zu verdienen. Zurück in Kingston weht ihm dann ein neuer Musikstil entgegen: Der Rocksteady hat den Ska mehr oder weniger abgelöst, der Beat ist langsamer geworden, weniger aggressiv und erhitzt, und gibt mehr Platz für Melodie und komplexen Rhythmus – der Reggae ist geboren! Ein Musikstil, der die Anliegen der unterdrückten schwarzen Bevölkerung auf Jamaika hörbar macht. Die Wailers springen auf den neuen Trend auf und trennen sich endgültig von ihrem Produzenten Coxone Dodd, der sie nur als Ska-Kombo weiter unterstützen will.
In dieser Zeit interessiert sich Bob immer mehr für die Ansichten der Rastafari-Bewegung, die sich in den 60er Jahren auf Jamaika verbreitet: Was von vielen als pseudo-religiöse Alternativbewegung wahrgenommen wird, die vor allem auf übermäßigem Marihuana-Konsum und einer Durchhänger-Mentalität aufbaut, ist aber weitaus mehr und hat ein wirkliches Anliegen. Sie ist eine Lebensphilosophie, die für Freiheit und Gleichheit unter den Völkern einsteht und vor allem der unterdrückten afrikanischen Bevölkerung ihre Stimme wieder geben will. Die Musik der Rastafari ist der Reggae, der laut ihnen wie keine andere Musik die Kraft besitzt, ihre Spiritualität zu vermitteln. Bob ist fasziniert von diesem Glauben an Gleichheit unter den Menschen und wird ein treuer Anhänger.
Ein Neuanfang auf Island Records – Catch A Fire, Burnin’ & Natty Dread
Anfang der 1970er entscheidet Bob sich dazu, mit seiner Band nach London zu gehen, um ihrer Musikkarriere neuen Wind zu geben. Sie unterschreiben einem Vertrag beim Londoner Label CBS Records, dass sie jedoch nur kurze Zeit später wieder abschießt und sie praktisch auf die Straße setzt. Kurze Zeit später lernen sie aber den Produzenten Chris Blackwell kennen, Inhaber von Island Records und Reggae Liebhaber. Er zahlt der Band einen Vorschuss von schlappen 4.000 Dollar, um auf Jamaika ihr erstes Album Catch A Fire aufzunehmen. Blackwell beweist damit eine unglaublich gute Intuition zu einer Zeit, in der die meisten Produzenten auf Rockmusik setzen. Das weltweit veröffentlichte Debüt macht die Wailers zwar noch nicht zu Stars, Blackwell hat aber genug Kontakte im Musikbusiness, um es zu einem großen Kritikererfolg werden zu lassen: In der BBC One Heavy Rotation läuft es rauf und runter und Musikkritiker feiern es als neue Sensation mit großen Potenzial. Die Single Stir It Up tut wie ihr befohlen und mischt die internationale Musikbranche ziemlich auf.
Aber jetzt hatten die Wailers Blut geleckt: Es ist also doch was zu holen mit ihrer Musik, mit der es bisher so holprig voran ging! Noch im selben Jahr erscheint die Platte Burnin, inklusive der Hits Get Up Stand Up und I Shot The Sheriff, mit dem Eric Clapton ein Jahr später an die Spitze der US-Singlecharts stürmt und den Reggae in die Popmusik überführt. Obwohl Bunny Wailers und Peter Tosh die Band nach diesem Album verlassen, folgt Album Nummer drei ein Jahr später auf dem Fuße. Mit Natty Dread erblickt auch die Reggae Hymne No Woman, No Cry das Licht der Welt. Übrigens sind die Lyrics auf Patois (jamaikanisches Kreolisch) verfasst und in keinster Weise frauenfeindlich. Auf Englisch bedeutet es so viel wie: No, woman, don’t cry, ist also ganz offensichtlich tröstlich gemeint. Natty Dread ist ein politisches und soziales Statement mit deutlichen Rastafari-Anklängen und gleichzeitig eine Ode an die Heimat.
Bob Marley und die Politik – Das Smile Jamaica Concert
Bob Marley ist ein politischer Mensch, seine Songs haben utopisches Potenzial, es geht ihm um die Verbreitung des Friedens und die Befreiung aller Menschen aus politischer Unterdrückung. Innerhalb der Politik seines Landes schlägt er sich allerdings auf keine Seite, auch nicht im Wahlkampf 1976, dem Jahr in dem auch das neue Album Rastaman Vibration erscheint. Einige Zugeständnisse macht er allerdings, als er zusagt, auf dem Smile Jamaica Concert in Kingston zu performen, das von der politischen Linken organisiert wird. Dann passiert das Unerklärliche: Zwei Tage vor dem Konzert werden Bob, Rita und sein Manager in Marleys Haus in Kingston überfallen, auf sie wird geschossen. Sie scheinen allesamt Schutzengel zu haben, denn sie werden nur leicht verletzt. Der Anschlag muss aus politischen Gründe passiert sein. Obwohl man es kaum glauben mag, findet das Konzert am geplanten Datum statt und Bob steht ganze 90 Minuten auf der Bühne: Ein knallhartes Statement gegen politisch motivierte Gewalt. Er verachtete die Art und Weise wie Politiker ihre Machtpositionen schamlos ausnutzten, trotzdem schmückten diese sich nach seinem Tod gern mit seiner freiheitlichen Botschaft. Dabei hatten sie seine oberste Forderung nie befolgt: Die unbedingte Gleichheit zwischen Schwarz und Weiß.
Nach dem Anschlag kehren Bob und Rita ihrer Heimat den Rücken und ziehen nach London, wo das 1977 das Album Exodus erscheint, das den Zenith in Marleys Karriere beschreibt. Er ist nun weltweit ein gefeierter Musiker. Die Songs Jamming, Three Little Birds und One Love kann heute jeder mitsummen.
Die Uprising-Tour und Bob Marleys Tod
1977 wird Bob Marley Krebs diagnostiziert, den er aufgrund seiner religiösen Überzeugungen nicht behandeln lässt. Stattdessen nimmt er ein weiteres Album namens Uprising auf, der bekannte Redemption Song, so heißt es, handelt von der Auseinandersetzung mit seinem eigenen Tod. Obwohl es ihm gesundheitlich immer schlechter geht, startet Marley seine geplante Welttournee. Europa schafft er ganz. Die US-Tour muss abgebrochen werden, weil er zu schwach ist um weiter aufzutreten. Nicht einmal sein letzter Wunsch, in Jamaika zu sterben, kann erfüllt werden und so stirbt Bob Marley auf dem Weg in seine Heimat in Miami. Er wird in seinem Geburtsort Nine Miles bestattet, zusammen mit seiner Lieblingsgitarre, einer roten Fender Stratocaster.
„Good friends we have, good friends we’ve lost / Along the way / In this great future, you can’t forget your past / So dry your tears, I say.”
„Uprising Live“: So umwerfend war die letzte Tournee vor Bob Marleys Tod

Popkultur
Zeitsprung: Am 9.6.1982 trotzen Mötley Crüe einer Bombendrohung. Oder doch nicht?
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 9.6.1982.
von Christof Leim
1982 machen sich Mötley Crüe auf in den amerikanischen Norden zur Crüesing Through Canada Tour ’82. Seit dem Vorjahr steht ihr erstes Album Too Fast For Love in den Läden, jetzt soll die Musik unter die Leute. Allerdings scheint in Edmonton jemand etwa dagegen zu haben – und droht, die vier Krachmacher in die Luft zu sprengen…
Hört hier in das Mötley-Crüe-Debüt Too Fast For Love rein:
Bei der Polizei von Edmonton geht die die telefonische Drohung ein, das Leben der Musiker sei in Gefahr, wenn sie am 9. Juni 1982 auf die Bühne gehen. An diesem Tag sollen Mötley Crüe ihre dritte Show in einem Club namens Scandals spielen. Doch Bassist und Bandchef Nikki Sixx lässt sich davon nicht beeindrucken und sagt in einem Nachrichtenbeitrag der CBC News: „Uns ist das egal. Wir sind hier, um allen eine gute Show zu bieten. Wer daran keinen Spaß hat, muss sich das nicht anschauen.“
Glücklicherweise verläuft das Konzert ohne Zwischenfall, Mötley Crüe spielen sogar noch zwei weitere Gigs in der Stadt in einem anderen Laden namens Riviera Rock Room. Der Mut der Band hat sich also ausgezahlt und bringt nicht nur 1000 Punkte an „street credibility“, sondern auch Presseberichte in Kanada und zu Hause in Kalifornien.
Mötley Crüe früher. Ganz früh.
Was eine verdammt coole Band also, was? Wirklich? Natürlich nicht. Wie sich später herausstellt, wurde die Bombendrohung vom Management der Truppe lanciert, um Aufmerksamkeit zu generieren. Eine PR-Aktion, nichts weiter, und sie funktioniert hervorragend. Die Show ist eben alles. Dem Tod kommt Nikki Sixx erst fünf Jahre später so richtig nahe, aber das ist eine andere Geschichte (die hier steht).
Immer Chaos
Über zu wenig Action während ihrer Kanadareise können sich Mötley Crüe allerdings nicht beschweren. Das ging schon los am Flughafen von Edmonton, wie Sänger Vince Neil in seiner Autobiografie Tattoos & Tequila schreibt: Bei der Einreise werden die Musiker nämlich erstmal verhaftet. Warum sie in ihrem Bühnenoutfit – Leder, Schminke, High Heels, Haare bis zur Decke – durch die Zollkontrolle laufen, kann drei Dekaden später wohl niemand mehr so richtig erklären. Die kanadischen Behörden stellen sich solche Fragen gar nicht erst und konfiszieren kurzerhand sämtliche Nietengürtel und Lederarmbänder, und Vince darf nicht mal seine Reiselektüre behalten (Playboy, Hustler, wegen der Interviews). Ansonsten gibt es Kloppereien mit Hockeyspielern, die ja in Kanada an jeder Ecke rumstehen, wie man weiß, aber dummerweise besser ausgerüstet sind. Außerdem fliegen ganz klassisch Fernseher aus Hotelfenstern. Man hat ja einen Ruf zu verlieren beziehungsweise aufzubauen. Wir würden uns nicht wundern, wenn das alles ebenso PR-Aktionen gewesen wären. Ein Einschätzung, die Vince Neil übrigens teilt. Immerhin hat sich diesmal niemand selbst angezündet oder als Doppelgänger von Nikki Sixx ausgegeben. Aber so läuft das wohl im Showgeschäft, was?
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Zeitsprung: Am 17.2.1988 zündet sich ein Mötley-Crüe-Fan selber an. Aua!
Popkultur
„Come On“: Die erste Single der Rolling Stones wird 60 Jahre alt!
Schon mit ihrem ersten veröffentlichten Song Come On landeten die Rolling Stones einen Hit. Auch wenn er aus der Feder einer anderen Rocklegende stammt: Chuck Berry. Später konnten Mick Jagger und Co. die Nummer noch nicht einmal mehr leiden. Am 7. Juni 1963 erschien die Single in Großbritannien.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Come On von den Rolling Stones anhören:
Schon als sich Mick Jagger und Keith Richards Ende 1961 auf der Zugfahrt von Dartford nach London kennenlernen, kann man erahnen, welche Musik die beiden einmal spielen werden. So trägt Jagger ein paar Blues-Platten von Muddy Waters und Chuck Berry mit sich herum. Richards überlegt, ob er den schlaksigen jungen Mann überfallen und die Platten klauen soll — entscheidet sich dann aber doch für ein Gespräch über die Musik. Wenig später gründen die beiden eine gemeinsame Band. Sie soll sich zu einer der größten in der Rockgeschichte entwickeln: The Rolling Stones — ein Name, der von Muddy Waters inspiriert ist. Der erste Song, den die Gruppe aufnimmt: Come On von Chuck Berry.
Come On: Die erste Single der Rolling Stones
Das Original nimmt Berry im Jahr 1961 in den Chicagoer Chess Studios auf. Gerade einmal 1:53 Minuten dauert der Song. Doch die kurze Zeit reicht der Gitarrenlegende, um einen gekonnten Rumba hinzulegen und einen weiteren Beitrag zur Konstruktion des Rock’n’Roll zu leisten. Inhaltlich geht es in dem Stück Blues-typisch um einen Kerl, bei dem wirklich alles schiefläuft: Seine Freundin hat ihn verlassen, der Wagen springt nicht an und arbeitslos ist er auch noch. Es sind Themen, mit denen sich offenbar auch die jungen Rolling Stones identifizieren können. Im Mai 1963 fahren sie mit einem Bus in ein Aufnahmestudio der Plattenfirma Decca und covern Come On.
„Der Song war seicht, aber auch sehr poppig“, erinnert sich Gitarrist Richards in According To The Rolling Stones. „Wir nahmen Come On zusammen mit mehreren Bo-Diddley-Songs auf. Die Nummer wurde wahrscheinlich ausgesucht, weil sie chartorientierter war.“ Vermutlich hätten einige Mitarbeiter von Decca Records die Entscheidung getroffen. „Uns war das egal“, ergänzt Richards. „Wir wollten einfach eine Single veröffentlichen.“ Tatsächlich gelingt mit Come On ein größerer Erfolg als erwartet. Nach dem Release am 7. Juni 1963 steigt der Song auf Platz 21 der britischen Single-Charts ein — und ebnet den Weg für ein jahrzehntelanges Rockmärchen.
Ein unliebsamer Startschuss für eine große Erfolgsgeschichte
Live findet der Song nach der Veröffentlichung kaum statt. Das liegt daran, dass Come On nicht gerade zu den Lieblingsstücken der Stones gehört. Gitarrist Ronnie Wood findet die Nummer zwar super, wie er in einem Interview verrät: „Meiner Meinung nach ein brillanter Song. Ich mag auch das Original von Chuck Berry.“ Mick Jagger) äußert laut Bill Wymans Rolling Stones Story allerdings: „Ich glaube nicht, dass Come On sehr gut war — es war scheiße. Weiß Gott, wie der Song in die Charts kam; es war ein Hype. Wir mochten das Stück so wenig, dass wir es bei keinem Gig spielten.“ Genau das sorgt kurze Zeit später noch für Ärger.
Was das britische Magazin NME über Come On und die B-Seite I Want To Be Loved von Willie Dixon zu sagen hatte
Als Stones-Manager Andrew Oldham mitbekommt, dass seine Schützlinge Come On auf der Bühne boykottieren, flippt er aus. „Er drehte durch, weil wir Come On nicht spielten“, erinnert sich Bassist Bill Wyman. „Er befahl uns, den Song bei jeder Show zu bringen.“ Das machen die Stones dann auch — allerdings nicht lange. Von der fertigen Single erhalten die Musiker damals übrigens nur vier Stück; weitere Exemplare müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. Unvorstellbar, dass eine der größten Rockbands des Planeten einmal so stiefmütterlich behandelt wurde. Heute sind die Stones schon lange Legenden. Angefangen hat der Erfolg mit ihrer ersten Single Come On am 7. Juni 1963.
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Popkultur
Zum Pride Month: Die queeren Wurzeln des Rock
Rock ohne die LGBTQ+-Community? Undenkbar. Ob die frühen Anfänge im Blues, die Erfindung des Rock’n’Roll, Glam Rock oder Heavy Metal: Die Geschichte der Rockmusik erstrahlt in bunten Regenbogenfarben. Wir haben die queeren Wurzeln des Rock für euch unter die Lupe genommen. Erster Halt: die 1910er-Jahre!
von Timon Menge
Man mag es bisweilen vergessen haben oder verdrängen, aber es gab in der Geschichte der Menschheit lange Zeiten, in denen die Mitglieder der LGBTQ+-Community ihre Identität für sich behalten mussten, weil ihnen sonst juristische Verfolgung oder gar der Tod drohte. Noch schlimmer: In Teilen der Welt ist es bis heute so, zum Beispiel in Jamaika oder Uganda. Zusätzlich herrschen vielerorts mehr oder minder unterschwellige Ressentiments gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft. Dafür muss man sich nur einmal eine Kommentarspalte zu einem Artikel mit dem entsprechenden Thema anschauen. Eine der Lösungen ist, der Community zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, ob von innen oder von außen. Ein traditionell gutes Mittel dafür ist die Kultur — im Speziellen die Musik.
Ma Rainey und Bessie Smith: Die „Bisexual Queens Of The Blues“
Zu den vielleicht ersten öffentlichen Ikonen der LGBTQ+-Community gehören die beiden bisexuellen Blues-Sängerinnen Ma Rainey und Bessie Smith. Sie lernen sich 1912 während einer Minstrel Show kennen, einer Art Wanderzirkus, der weiße US-Bürger*innen unterhält, indem auf der Bühne Schwarze Stereotype präsentiert werden. Meistens kommt dabei das sogenannte Blackfacing zum Einsatz, bei dem sich weiße Darsteller*innen ihre Gesichter dunkel anmalen und Schwarze als naive Sklaven zeigen, die ihre Besitzer*innen trotz aller Misshandlungen lieben. Es gibt allerdings auch Schaustellergruppen wie die Rabbit Foot Minstrels, zu denen Rainey und Smith gehören, und die ausschließlich aus Schwarzen Mitwirkenden bestehen.
Für Rainey und Smith ist die Wander-Show ein Karriere-Katalysator. Heute gelten beide zurecht als Blues-Legenden und werden sogar als „Bisexual Queens Of The Blues“ betitelt. Das liegt zum Beispiel daran, dass sie quasi den Soundtrack zu einem großen US-amerikanischen Umbruch liefern. So strömen in den 1910er- und den 1920er-Jahren viele US-Bürger*innen vom Land in die wachsenden Großstädte, wo bisher grundlegende Gesetze des Zusammenlebens neu verhandelt werden. Kultur, soziale Fragen, Politik, Kriminalität, Sexualität: Alles verändert sich und Künstler*innen wie Ma Rainey und Bessie Smith bilden die Veränderungen in ihren Songs ab. So lautet ein Auszug aus dem Text von Prove It On Me Blues von Ma Rainey:
They say I do it, ain’t nobody caught me
Sure got to prove it on me;
Went out last night with a crowd of my friends,
They must’ve been women, ’cause I don’t like no men.
Sister Rosetta Tharpe: Die „Godmother Of Rock And Roll“
Während der Transformation des Blues zum Rock spielt vor allem eine Schwarze, queere Musikerin eine entscheidende Rolle: Sister Rosetta Tharpe, eine der frühen Frauen des Rock’n’Roll. Schon mit vier fängt sie an, Gitarre zu spielen. Später kombiniert sie die Gospelmusik ihrer Kindheit mit ihrer verzerrten Gitarre sowie ihrem ausdrucksstarken Gesang und legt damit einen wichtigen Grundstein für die Entstehung des Rock’n’Roll. In ihren Texten singt sie über Themen wie Sexualität und Liebe und lebt offen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Das dürfte sie nicht nur einmal in Schwierigkeiten gebracht haben — dennoch feiert sie als Musikerin große Erfolge. Heute, also noch 50 Jahre nach ihrem Tod, gilt die „Godmother Of Rock And Roll“ als Ikone der LGBTQ+-Community.
Little Richard: Der „Architect Of Rock And Roll“, der seine Meinung änderte
Auch Little Richard, der übrigens von Sister Rosetta Tharpe entdeckt wird, gehört zu den frühesten Sprachrohren der LGBTQ+-Community. Als Schwarzer homosexueller Mann aus dem Süden der Vereinigten Staaten ist ihm vermutlich fast jedes Vorurteil schon einmal begegnet. Dennoch steht der „Architect Of Rock And Roll“ für seine Sexualität ein und lebt sie mehr oder minder offen aus. So lautet der Text seines größten Hits Tutti Frutti ursprünglich:
Tutti Frutti, good booty
If it don’t fit, don’t force it
You can grease it, make it easy
Für die Änderung der Lyrics in „Tutti Frutti, aw rooty“ sorgt Produzent Robert Blackwell, der sich wegen des eindeutigen Originaltextes Sorgen macht. Ab Anfang der Achtziger vollzieht Little Richard leider eine 180-Grad-Wende, spricht sich in der TV-Show Late Night With David Letterman öffentlich gegen das Schwulsein aus und bezeichnet Homosexualität noch 2017 als „unnatürlich“. Sie widerspreche „Gottes Willen“.
Musicals und der Broadway
Einen besonderen Stellenwert in der Musikhistorie der LGBTQ+-Community nehmen auch Musicals und der Broadway ein. So leben Komponisten wie Marc Blitzstein schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offen schwul und prägen die Bühnenwelt maßgeblich. Die lesbische US-Theaterproduzentin Cheryl Crawford gründet unter anderem die Schauspielschule Actors Studio, an der zum Beispiel Marlon Brando, James Dean, Marilyn Monroe, Al Pacino, Robert De Niro, Dustin Hoffman und Jack Nicholson ausgebildet werden. Einen der größten Meilensteine im LGBTQ+-Theater markiert die Rocky Horror Show, die am 19. Juni 1973 am Londoner West End Premiere feiert, und bei der es sich um eine der berühmtesten Travestie-Shows der Welt handeln dürfte.
Disco und der Christopher Street Day
Genau wie in der Welt der Musicals findet die LGBTQ+-Community auch in der Disco einen Heimathafen. Ihren Ursprung haben die Tanzlokale im Zweiten Weltkrieg, als es jungen Menschen durch die Nazis untersagt war, Swing- und Jazzmusik aus den Vereinigten Staaten zu hören. In den späten Sechzigern schwappt der Trend über den großen Teich, wo vor allem Afroamerikaner*innen, die Schwulenszene und Latinos in die Diskotheken strömen. In der Bar Stonewall Inn in der Christopher Street in New York City kommt es am 29. Juni 1969 zu den sogenannten Stonewall-Unruhen, bei denen die Bar um 1:20 Uhr nachts von Polizeibeamten gestürmt wird. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und dem LGBTQ+-Publikum der Bar schockieren. In Gedenken an die Ereignisse feiern wir heute deshalb jedes Jahr den Christopher Street Day. Ihren Höhepunkt erreicht die Disco-Ära ab Mitte der Siebziger mit Künstler*innen wie Grace Jones und dem Film Saturday Night Fever.
Glam Rock und Heavy Metal: Die LGBTQ+-Community in der Radaumusik
Nachdem Ma Rainey, Bessie Smith, Sister Rosetta Tharpe und Little Richard die Grundsteine dafür gelegt hatten, bleibt die LGBTQ+-Community auch weiterhin ein wichtiger Einfluss auf die Rockwelt. Da wären zum Beispiel Marc Bolan und David Bowie, die mit der Erfindung des Glam Rock Rollenmuster aufbrechen und androgyne Alter Egos erfinden. The Kinks thematisieren in ihrem Song Lola das Thema Transsexualität. Charismatische Künstler wie Freddie Mercury und Elton John sind weit oben auf der Spitze des Rockolymp zu finden und prägen das Genre nicht nur durch ihr grenzenloses Können, sondern auch durch ihre kreativen Kostüme. Und der homosexuelle Judas-Priest-Sänger Rob Halford erschafft die Metal-Mode, indem er sich am Dresscode der Sadomaso-Szene orientiert. Die Einflüsse der LGBTQ+-Community sind überall — und wir verdanken ihr einen großen Teil dessen, was wir heute unter Rockmusik verstehen.
Die Achtziger und Neunziger: LGBTQ+ im Mainstream sorgt für Homophobie
In den Achtzigern und Neunzigern explodiert der Einfluss der LGBTQ+-Community auf die Pop- und Rockmusik. Ob Culture Club, Wham!, die Pet Shop Boys, Cher, Blur, Cyndi Lauper, Madonna, Prince oder Frankie Goes To Hollywood: Zum ersten Mal ist die Szene in der Mitte des Mainstreams angekommen. Leider ruft das auch jede Menge Gegenwind auf den Plan. So führt die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den Achtziger-Jahren einen offenen Krieg gegen die LGBTQ+-Gemeinde. Das HI-Virus und AIDS werden öffentlich als „Schwulenpest“ verschrien. Nach gefühlten Schritten in die richtige Richtung erleidet der Kampf für die Akzeptanz der LGBTQ+-Community große Rückschläge. Doch die Bewegung gibt keine Ruhe und sorgt Stück für Stück dafür, dass sie akzeptiert wird. Erschreckend: Erst seit 1994 ist es in Deutschland nicht mehr illegal, homosexuell zu sein.
Mit Musik zu mehr Aufmerksamkeit und Toleranz
Heute sind wir zum Glück so weit, dass es selbst in den konservativsten Musikrichtungen eine LGBTQ+-Community gibt, was Country-Künstler*innen wie Orville Peck und Sarah Shook & The Disarmers unter Beweis stellen. Doch es ist auch offenkundig, dass es noch viel Arbeit zu tun gibt, bis die Sexualität von Musikerinnen und Musikern einfach keine Rolle mehr spielt. Die Lösungen dafür sind Sichtbarkeit, Aufklärung und Toleranz. Dafür war und ist die Musik eins der besten Hilfsmittel. Das Beste, was wir tun können, ist, die LGBTQ+-Community ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, bis auch der oder die Letzte verstanden hat, dass Gender, Liebe und Sexualität mindestens so bunt sind wie die Pride-Flagge.
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