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Popkultur

(Re-)Born This Way: Wie Lady Gaga sich und Political Pop neu erfand

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Lady Gaga
Foto: Kevin Mazur/WireImage/Getty Images

Über eine Million US-Verkäufe in der ersten Woche, in 25 Ländern auf Platz eins der Charts, insgesamt 39 Mal Platin und sieben Mal Gold: Lady Gagas zweites Album Born This Way steht auf den Listen der Superlative ganz weit oben.

von Sina Buchwitz

Dennoch muss die Künstlerin 2011 harsche Kritik einstecken: Ihre drastische 180-Grad-Wendung weg vom Kaugummi-Pop hin zu düsteren Glam-Rock-Elektrosounds gilt für den damals größten Popstar der Welt als Wagnis. Die dazugehörigen politischen Statements kosten sie beinahe den Kopf.

Hört Born This Way hier in voller Länge:

Als Lady Gaga 2008 mit ihrer Debütsingle Just Dance in die Charts kracht, scheint sie ein Wesen vom andern Stern zu sein: Die trübe Popkultur ist gerade gnadenlos überfressen von Internetlästereien und stumpfsinnigen Reality-Stars, die der Idee des mysteriösen Popstars den Todesstoß versetzen. Es sind Gagas bowie-esque Gesichtsbemalungen und extravaganten Auftritte, die den fast vergessenen Flair des glamourösen Idols wiederaufleben lassen.

Der perfekte Popstar

Sie ist wie besessen vom Konzept des perfekten Popstars: Ihre eigenen Erfahrungen und Lebenseinstellungen versteckt sie in ohrwurmigen Radiosongs mit kryptischen Messages, die frühestens auf den zweiten Blick verständlich werden. Das soll sich drei Jahre später mit dem zweiten Album ändern – nun möchte die Künstlerin den Blick von sich selbst abwenden und ihre Berühmtheit stattdessen nutzen, um ihre Message unmissverständlich in die Welt zu tragen.

Für die Lady ist das ein mutiges Unterfangen: Auf dem (ersten) Höhepunkt ihrer kommerziellen Karriere beschließt sie, ihre Stimme einer Minderheit zu schenken und sich klar auf Seiten der LGBT+-Community zu positionieren. Ihre Verbindung zur Szene reicht weit zurück: Schon als 20-Jährige tritt sie in queeren Clubs auf und erschafft sich dort eine ergebene Fanbase. Höchste Zeit also, diese Loyalität zu erwidern.

Auf dem Titeltrack Born This Way wird Gagas Botschaft mehr als deutlich: „No matter gay, straight, or bi / lesbian, transgendered life / I’m on the right track baby / I was born to survive.“ Das sitzt. Zugegeben: Popmusik zur Selbstliebe hat Gaga nicht neu erfunden. Gloria Gaynors I Will Survive gilt schon in den Siebzigern ebenso als Hymne der Selbstentfaltung wie Madonnas Vogue der Neunziger.

Klare Worte & Kritik

Es ist die marktschreierische Wörtlichkeit, die so ungewohnt wirkt. Während zuvor höchstens Katy Perry ihre Anhänger*innen ermutigend, aber weiterhin kryptisch als Fireworks bezeichnete oder Christina Aguilera ihre Fans daran erinnert, dass sie alle Beautiful seien, ist es Gaga, die die Worte eindeutig ausspricht: Gay. Lesbian. Transgender.

Und das kommt zur rechten Zeit: 2011 sind die Selbstmorde queerer Jugendlicher auf einem Allzeithoch. Gleichzeitig ist Lady Gagas Sexualität stetiges Gesprächsthema der Öffentlichkeit. Logisch also, diese Aufmerksamkeit sinnvoll zu nutzen.

Dennoch sorgt Gagas Einsatz für Unmut. Neben der zur erwartenden Ablehnung der konservativen LGBT+-Gegner*innen erzürnt das Album mit Titeln wie Judas (mit provokantem Video-Release ausgerechnet am Ostersonntag), Bloody Mary und Black Jesus + Amen Fashion auch die Gemüter vieler gläubiger Zuhörer*innen. Sogar aus den eigenen Reihen wird Kritik laut. Ihr Plattenlabel bezeichnet sie als „zu schwul“, Pop-Kollegin Madonna nennt Gagas Musik als „reduktiv“ und behauptet, Born This Way sei ein Abklatsch ihres Songs Express Yourself.

Dabei hat Born This Way sehr viel mehr zu bieten. Das beweisen nicht nur die Verkaufszahlen, sondern vor allem der Sound des Albums: Rockig angehauchte Singles wie Marry The Night klingen gerade genug nach Springsteen und Co., um nicht nur auf der Tanzfläche zu wirken, sondern auch im Radio gut anzukommen und Lady Gagas Popmusik auch einer neuen, reiferen Zielgruppe zugänglich zu machen.

Namhafte Unterstützung

Für You And I holt sich die Sängerin Brian May als Unterstützung; bei The Edge Of Glory mischt der verstorbene Clarence Clemons mit, der schon für Springsteens E Street Band gespielt hat. Schillernde Hymnen wie Born This Way finden auf der Platte ebenso Platz wie klassische Rock-Balladen (You And I) und anrüchige Disco-Klopper wie Scheiße.

Heute ist von Born This Way neben den millionenschweren Plattenverkäufen und kritischen Nörgeleien vor allem eines geblieben: eine weltweitbekannte Hymne zur bedingungslosen Selbstliebe. Keine heimliche Botschaft, versteckt in einem Fleischkleid, keine mysteriös-doppeldeutigen Lyrics.

Mit ihrem zweiten Album erhob sich Lady Gaga aus der (vermeintlich) glitzernden Bedeutungslosigkeit und wurde zur kraftvollen Stimme für Minderheiten. Ihre gleichnamige Organisation, die Born This Way Foundation, gründete sie 2012. Seitdem setzt sich die BTWF mit verschiedenen Aktionen und Forschungsarbeiten für die psychische Gesundheit junger Menschen ein.

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