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Popkultur

Rock’n’Roll fernmündlich: Def Leppard im Interview zur Entstehung von „Diamond Star Halos“

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Def Leppard

Rock’n’Roll fernmündlich: Bei der Aufnahme ihres neuen Albums Diamond Star Halos befanden sich die Mitglieder von Def Leppard in drei verschiedenen Ländern, und zwar von Anfang bis Ende. Technisch kein Problem, und mehr Zeit für Spaß & Familie bringt das auch. Dann kann es aber auch passieren, dass man Texte schreiben muss, während man vor der Schule auf den Nachwuchs wartet. Dem Album schadet das kein bisschen, und auch die fünf Musiker freuen sich über die Freiheiten der volldigitalen, zeitlich und räumlich freien Arbeitsweise. uDiscover traf eine entspannte Band in London.

von Christof Leim

Hier könnt ihr Diamond Star Halos hören:

„Hilft ja nix.“ Das könnten sich Def Leppard vor zwei Jahren gedacht haben, als sie sich eigentlich zur Arbeit an einem neuen Album treffen wollten, aber wegen ihr-wisst-schon-was nicht durften. Weil die fünf Hard-Rock-Helden heutzutage in drei verschiedenen Ländern wohnen (England, Irland, USA), fielen gemeinsame Sessions im Dubliner Studio von Sänger Joe Elliott aus. Dabei wurde es bei der notorisch langsam arbeitenden Truppe so langsam echt wieder Zeit für neue Musik – alle sieben Jahre kann man schon mal machen. Aber nicht nur freuen sich die Fans über frischen Stoff, die Musiker selbst schreiben nach eigenen Aussagen immer an neuem Material, „weil es nun mal das ist, was wir machen“, wie Elliott mehrfach unterstreicht. Kurz: Die Lieder im Kopf müssen raus, auch nach mehr als 40 Jahren im Geschäft.

Klingt, wie es soll

Also beschließt die Band im Frühjahr 2020, ein Album „fernmündlich“ zu komponieren und sogar aufzunehmen. Kein einziges Mal befinden die Musiker bei der folgenden Produktion gemeinsam in einem Raum. Das ist keinesfalls neu, weder für Def Leppard noch für Rockbands überhaupt: Die wenigsten Platten werden gemeinsam live eingespielt, die Spuren entstehen üblicherweise einzeln nacheinander und werden dann zum fertigen Song zusammengesetzt. Hin- und Herschickerei von Sounddateien gehört heute zum alltäglichen Handwerkszeug, viele Alben werden über das Internet zusammengestöpselt – und manchmal, nicht immer, klingen sie auch so, nämlich korrekt, aber steril, fertig, aber schablonenhaft.

Das kann man von Diamond Star Halos nicht behaupten. In den 15 Songs der nach einer Zeile aus dem T.-Rex-Song Bang a Gong (Get It On) benannten Scheibe pflegen Def Leppard ihre typische kompositorische Handschrift. Das heißt, sie tummeln sich zwischen gepflegtem Hard Rock, Schmachtballaderei, bisschen Piano, minimal Country und generell gefälligen, hervorragend gemachten Pop-Rock-Songs, die mitunter ein bisschen brauchen bis zur Entfaltung. Das alles kann man je nach persönlichem musikalischen Nullmeridian als zeitlos oder aus der Zeit gefallen bezeichnen.

Ab jetzt immer von daheim

Im Rückblick freuen sich die fünf Briten über ihren neuen Modus Operandi und wollen das nie wieder anders machen – keine Deadlines, mehr Zeit für die Familie, und jeden Morgen neue Musik im Postfach von den Kollegen von der anderen Seite des Atlantiks. Da sind sich sowohl Joe Elliott als auch die beiden Gitarristen Phil Collen und Vivian Campbell einig, als sie im Frühjahr 2022 in London von ihrem neuen Werk erzählen.

Beim Gespräch erweist sich Joe Elliott – mittlerweile mit weißen halblangen Haaren und Lennon-Brille – als eloquenter Botschafter seiner Band, der zu jedem Stichwort immer professionell eine Geschichte raushauen kann. Phil Collen, der 64-Jährige mit der Chippendale-Figur, wegen der er öfter mal sein Hemd „vergisst“, erweist sich als herzlicher, bestens gelaunter Mensch, der offensichtlich seinen Job immer noch liebt und gerne ausführlich davon erzählt. Deshalb kommt Vivian Campbell, der „Neue“ in der Band mit erst knapp über 30 Dienstjahren, eher selten zu Wort und hält sich entspannt zurück.

Ihr habt eure Beiträge zur neuen Platte alle bei euch zu Hause aufgenommen. Bedauert ihr, früher monatelang weit weg in Studios rumgehangen zu haben?

Phil: Ein bisschen. Sich für länger in einem Studio zu verschanzen, kostet einfach so viel Energie und Zeit. Diesmal hatten wir mehr Energie für uns selber. Wir konnten alle noch andere Sachen machen, die wir normalerweise nicht hätten tun können. Ich habe einen dreijährigen Sohn, Vivian ist Autorennen gefahren, solche Dinge. Das fand ich viel inspirierender und auch entspannter. Man musste auch nicht darauf warten, dass ein anderer im Studio mit seinem Part fertig wird. Es gab bei dieser Arbeitsweise einfach viel weniger Druck.


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Joe: Dieses Album hätte mit der herkömmlichen Arbeitsweise definitiv weniger Spaß gebracht. Ich würde das immer wieder so machen! Wir hatten viel mehr Freiheiten. Insgesamt hat jeder so zehn oder zwölf Stunden die Woche an der Platte gearbeitet, würde ich schätzen, ansonsten mussten wir uns um den Rest des Lebens kümmern. Die Kids waren ja meistens zu Hause während der Lockdown-Zeit. Und später dann habe ich zum Beispiel Texte im Auto geschrieben, während ich vor der Schule gewartet habe. Die neuen Lieder liefen dann auf dem Handy, gleichzeitig blätterte ich durch mein Notizbuch mit gesammelten Versen und probierte aus. Wenn meine drei Kinder nachmittags im Garten spielten, habe ich die Ideen dann auf meinem Laptop aufgenommen. Ich will nicht blasiert klingen, aber das fiel mir echt nicht schwer. Die Ideen waren ja da, sie mussten nur organisiert werden. Eine sehr erfreuliche Erfahrung. Zumal wir auch keinerlei Zeitbeschränkung oder Deadlines hatten, einen keinen Abgabetermin, keine Plattenfirma, nichts – nur unser eigenes Bedürfnis, Musik zu machen. Wir schreiben quasi immer, und nicht notwendigerweise für Def Leppard.

Als Rock’n’Roll-Band versucht man meist, große Emotionen rüberzubringen und für einen gewissen Eskapismus zu sorgen. Man denkt gewissermaßen „groß“. Als Eltern in der Gegend rumzufahren, um die Thronfolger einzusammeln, und dabei womöglich noch rumzuwarten – das ist normales Tagesprogramm und quasi „klein“. Wie passt das zusammen? Wie passt die große Rocksause in den Alltag?

Joe: Das ist eine Herausforderung, aber keine riesige. Viele Leute haben womöglich eine Vision von Songwritern im Kopf, wie sie an einer viktorianischen Tafel sitzen mit Tintenfass, Federkiel und Kerzen wie im Schloss von Dracula. Weil man das eben zur Inspiration braucht. Alles Bullshit, zumindest für mich. Wenn meine Kollegen mir ein neues Lied zugeschickt hatten und eine Gesangsstimme brauchten, musste ich den Job eben erledigen. Fertig. Dabei spielte keine Rolle, wo ich mich befinde, sondern was mir im Kopf herumgeht. Ich habe Texte an meinem Schreibtisch geschrieben, im Bett, in einem Flugzeug, überall.

Also empfandet ihr das Ganze nicht als umständlicher oder weniger produktiv? Mehr Vorteile als Nachteile?

Joe: Es gab keine Nachteile! Das geht alles heutzutage ja alles technisch einfach. Bei unseren ersten Platten waren wir alle Single, kinderlos und konnten ohne Probleme auf irgendwelchen Sofas schlafen, um rund um die Ohr im Studio zu arbeiten zu können. Heutzutage muss man das gar nicht mehr, und das Ergebnis klingt trotzdem nicht künstlich oder unzusammenhängend. Aber ich hatte auch noch Glück: Unser Gitarrentechniker Dave Wolffe strandete bei mir – und erwies sich als das beste Kindermädchen, das wir je hatten! (lacht) Das gab mir die Zeit, mich mit der Musik zu beschäftigen.

Heute haben wir halt alle Familien und versuchen das Leben zu Hause möglichst normal zu gestalten, wenn man das denn so nennen will. Denn üblicherweise gibt es sechs Wochen Pause zwischen zwei Tourabschnitten, von denen ist man aber noch eine Woche im Jetlag, und eine weitere Woche vor Abreise bereitet man sich dann wieder vor. Bleiben vier Wochen dazwischen. Und in der Zeit muss man dann noch aufpassen, nichts Blödes anzustellen – sich die Stimme zu ruinieren oder beim Apfelschälen in die Finger zu schneiden (lacht).

Wie habt ihr denn „fernmündlich“ ein Album geschrieben? Hattet ihr einen gewaltigen Cloud-Speicher irgendwo, in den jeder Sounddateien reinschieben konnte?

Phil: Genau. Wir hatten ein System namens Bounce Boss, in dem man Files austauschen und kommentieren kann. Was wir zu Hause aufgenommen haben, ging so an unseren Produzenten und Toningenieur Ronan McHugh, und der sorgte dann dafür, dass es großartig klingt. Das machte die Aufnahmen sehr entspannt, eine Deadline gab es nicht, es ging nur ums Songwriting. Und wir haben nicht mal per se für ein Def-Leppard-Album komponiert.

Habt ihr alle Material beigesteuert?

Vivian: Ich habe diesmal keine Songs geschrieben. Als mir klar wurde, dass wir jetzt tatsächlich eine Platte machen, musste ich erst erstmal aufholen und mit der Technik klarkommen, die die anderen benutzen. Ich habe mir die Ausrüstung gekauft und die passende Software runtergeladen – und dann stand ich da. Ich musste den Produzenten anrufen und fragen, wie ich da was Vernünftiges rauskriege (lacht). Kurzum: Ich habe an der Platte zwar nicht mitgeschrieben, aber gespielt und gesungen.

Waren die anderen Jungs zu schnell?

Vivian: Ja, die haben echt Gas gegeben. Ursprünglich sollten wir 2020 ja auch auf US-Stadiontour gehen mit Mötley Crüe, Poison und Joan Jett. Als die abgesagt wurde, schickte Joe eine E-Mail: ‚Hey, lasst uns ein Album machen!‘ – und dann ist alles explodiert.

Warum bringt ihr überhaupt noch eine neue Platte raus? Ihr könntet wie Kiss bis zur Rente mit den Hits auf Tour gehen.

Joe: Weil wir den Kopf vollhaben mit Songs. Das ist nun mal, was wir tun – Lieder schreiben. Was anderes kennen wir gar nicht. Ich sehe keinen Sinn darin, ein Künstler sein zu wollen, wenn man seine Karriere nicht weiterbringt und sich nur mit den gleichen Songs im Kreis dreht. Zu wem das passt – bitte schön. Wenn Kiss keine neue Musik rausbringen wollen, dann sollen sie das so machen. Manche Bands dürfen oder können das auch gar nicht mehr. Wir können! Seit dem letzten Def-Leppard-Album habe ich neun Songs für meine Zweitband Down’n’Outz geschrieben, Phil bastelt ständig an Material für Man Raze oder Delta Deep, Viv hat ein Album mit Last In Line rausgebracht. Wir sind schon ziemlich produktiv. Ich habe diesmal sogar zwei Songs auf dem Piano geschrieben, und Phil spielt Ukulele.

Aber ihr „müsst“ natürlich kein neues Album mehr machen. Befindet ihr euch also in einer sehr komfortablen Ehrenrunde?

Joe: Ohne die Platte – ja. Aber jetzt gehen wir mit einem neuen Album im Gepäck auf Tour, wie früher auch. Wir werden einige dieser Stücke diesen Sommer in den USA live spielen, und nächsten Sommer dann in Europa. Das ist keine Ehrenrunde, das ist die nächste Station unserer Karriere, und die dauert hoffentlich so lange, wie wir das wollen. Wenn die Stones und The Who 55 beziehungsweise 57 Jahre als Bands existieren, dann haben wir mit unseren 45 ja noch zehn oder zwölf Jahre Zeit. Das ist länger als die Beatles überhaupt zusammen waren!

Apropos Historie: Könnt ihr euch eigentlich noch an eure erste Show in Deutschland erinnern? Die fand statt am 10. Juni 1981 in der Essener Grugahalle als Vorgruppe für Ritchie Blackmore & Rainbow.

Joe: Ja, kann ich, und sie war ein absolutes Desaster! (lacht) Noch in der Nacht davor stand ich im Studio, um die letzten Spuren für unser Album High & Dry einzusingen, während der Rest der Band schon mit der Fähre aufs Festland übersetzte. Ich bin dann schnell nach Hause, habe in aller Eile gepackt und bin zum Hafen gerast. Eine halbe Stunde vor unserer Show kam ich in Essen an und habe die Jungs angefleht, mit unserem alten Stück Switch 625 anzufangen – weil es ein Instrumental ist. Alle neuen Songs hatten wir wegen der Albumaufnahmen nicht vernünftig für den Liveeinsatz proben können, und entsprechend klangen wir auch. Fürchterlich! Wir wurden von der Presse komplett zerrissen, völlig zu Recht. Aber wir wurden dann besser… (lacht)

Offensichtlich, denn nach Deutschland seid ihr trotz dieser Pleite regelmäßig zurückgekehrt.

Joe: Ja! Im Dezember 1983 zum Beispiel haben wir auf einem sehr coolen Festival in den Dortmunder Westfalenhallen gespielt, „Rock Pop In Concert“ hieß das. Da waren sie alle dabei: Iron Maiden, Ozzy Osbourne, die Scorpions, Judas Priest. Das Ganze wurde sogar im TV übertragen, und wir haben ein grandioses Konzert abgeliefert. Aber mehr noch erinnere ich mich an ein Fußballspiel gegen Iron Maiden am gleichen Tag, bei dem sie drei unserer Torhüter ins Krankenhaus befördert haben! Aber wir sind schon ewig mit den Jungs befreundet und haben uns später der Bar großartig amüsiert.

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Zeitsprung: Am 7.1.1979 brüllen Def Leppard auf ihrer ersten EP.

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