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Popkultur

Rock’n’Roll fernmündlich: Def Leppard im Interview zur Entstehung von „Diamond Star Halos“

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Def Leppard

Rock’n’Roll fernmündlich: Bei der Aufnahme ihres neuen Albums Diamond Star Halos befanden sich die Mitglieder von Def Leppard in drei verschiedenen Ländern, und zwar von Anfang bis Ende. Technisch kein Problem, und mehr Zeit für Spaß & Familie bringt das auch. Dann kann es aber auch passieren, dass man Texte schreiben muss, während man vor der Schule auf den Nachwuchs wartet. Dem Album schadet das kein bisschen, und auch die fünf Musiker freuen sich über die Freiheiten der volldigitalen, zeitlich und räumlich freien Arbeitsweise. uDiscover traf eine entspannte Band in London.

von Christof Leim

Hier könnt ihr Diamond Star Halos hören:

„Hilft ja nix.“ Das könnten sich Def Leppard vor zwei Jahren gedacht haben, als sie sich eigentlich zur Arbeit an einem neuen Album treffen wollten, aber wegen ihr-wisst-schon-was nicht durften. Weil die fünf Hard-Rock-Helden heutzutage in drei verschiedenen Ländern wohnen (England, Irland, USA), fielen gemeinsame Sessions im Dubliner Studio von Sänger Joe Elliott aus. Dabei wurde es bei der notorisch langsam arbeitenden Truppe so langsam echt wieder Zeit für neue Musik – alle sieben Jahre kann man schon mal machen. Aber nicht nur freuen sich die Fans über frischen Stoff, die Musiker selbst schreiben nach eigenen Aussagen immer an neuem Material, „weil es nun mal das ist, was wir machen“, wie Elliott mehrfach unterstreicht. Kurz: Die Lieder im Kopf müssen raus, auch nach mehr als 40 Jahren im Geschäft.

Klingt, wie es soll

Also beschließt die Band im Frühjahr 2020, ein Album „fernmündlich“ zu komponieren und sogar aufzunehmen. Kein einziges Mal befinden die Musiker bei der folgenden Produktion gemeinsam in einem Raum. Das ist keinesfalls neu, weder für Def Leppard noch für Rockbands überhaupt: Die wenigsten Platten werden gemeinsam live eingespielt, die Spuren entstehen üblicherweise einzeln nacheinander und werden dann zum fertigen Song zusammengesetzt. Hin- und Herschickerei von Sounddateien gehört heute zum alltäglichen Handwerkszeug, viele Alben werden über das Internet zusammengestöpselt – und manchmal, nicht immer, klingen sie auch so, nämlich korrekt, aber steril, fertig, aber schablonenhaft.

Das kann man von Diamond Star Halos nicht behaupten. In den 15 Songs der nach einer Zeile aus dem T.-Rex-Song Bang a Gong (Get It On) benannten Scheibe pflegen Def Leppard ihre typische kompositorische Handschrift. Das heißt, sie tummeln sich zwischen gepflegtem Hard Rock, Schmachtballaderei, bisschen Piano, minimal Country und generell gefälligen, hervorragend gemachten Pop-Rock-Songs, die mitunter ein bisschen brauchen bis zur Entfaltung. Das alles kann man je nach persönlichem musikalischen Nullmeridian als zeitlos oder aus der Zeit gefallen bezeichnen.

Ab jetzt immer von daheim

Im Rückblick freuen sich die fünf Briten über ihren neuen Modus Operandi und wollen das nie wieder anders machen – keine Deadlines, mehr Zeit für die Familie, und jeden Morgen neue Musik im Postfach von den Kollegen von der anderen Seite des Atlantiks. Da sind sich sowohl Joe Elliott als auch die beiden Gitarristen Phil Collen und Vivian Campbell einig, als sie im Frühjahr 2022 in London von ihrem neuen Werk erzählen.

Beim Gespräch erweist sich Joe Elliott – mittlerweile mit weißen halblangen Haaren und Lennon-Brille – als eloquenter Botschafter seiner Band, der zu jedem Stichwort immer professionell eine Geschichte raushauen kann. Phil Collen, der 64-Jährige mit der Chippendale-Figur, wegen der er öfter mal sein Hemd „vergisst“, erweist sich als herzlicher, bestens gelaunter Mensch, der offensichtlich seinen Job immer noch liebt und gerne ausführlich davon erzählt. Deshalb kommt Vivian Campbell, der „Neue“ in der Band mit erst knapp über 30 Dienstjahren, eher selten zu Wort und hält sich entspannt zurück.

Ihr habt eure Beiträge zur neuen Platte alle bei euch zu Hause aufgenommen. Bedauert ihr, früher monatelang weit weg in Studios rumgehangen zu haben?

Phil: Ein bisschen. Sich für länger in einem Studio zu verschanzen, kostet einfach so viel Energie und Zeit. Diesmal hatten wir mehr Energie für uns selber. Wir konnten alle noch andere Sachen machen, die wir normalerweise nicht hätten tun können. Ich habe einen dreijährigen Sohn, Vivian ist Autorennen gefahren, solche Dinge. Das fand ich viel inspirierender und auch entspannter. Man musste auch nicht darauf warten, dass ein anderer im Studio mit seinem Part fertig wird. Es gab bei dieser Arbeitsweise einfach viel weniger Druck.


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Joe: Dieses Album hätte mit der herkömmlichen Arbeitsweise definitiv weniger Spaß gebracht. Ich würde das immer wieder so machen! Wir hatten viel mehr Freiheiten. Insgesamt hat jeder so zehn oder zwölf Stunden die Woche an der Platte gearbeitet, würde ich schätzen, ansonsten mussten wir uns um den Rest des Lebens kümmern. Die Kids waren ja meistens zu Hause während der Lockdown-Zeit. Und später dann habe ich zum Beispiel Texte im Auto geschrieben, während ich vor der Schule gewartet habe. Die neuen Lieder liefen dann auf dem Handy, gleichzeitig blätterte ich durch mein Notizbuch mit gesammelten Versen und probierte aus. Wenn meine drei Kinder nachmittags im Garten spielten, habe ich die Ideen dann auf meinem Laptop aufgenommen. Ich will nicht blasiert klingen, aber das fiel mir echt nicht schwer. Die Ideen waren ja da, sie mussten nur organisiert werden. Eine sehr erfreuliche Erfahrung. Zumal wir auch keinerlei Zeitbeschränkung oder Deadlines hatten, einen keinen Abgabetermin, keine Plattenfirma, nichts – nur unser eigenes Bedürfnis, Musik zu machen. Wir schreiben quasi immer, und nicht notwendigerweise für Def Leppard.

Als Rock’n’Roll-Band versucht man meist, große Emotionen rüberzubringen und für einen gewissen Eskapismus zu sorgen. Man denkt gewissermaßen „groß“. Als Eltern in der Gegend rumzufahren, um die Thronfolger einzusammeln, und dabei womöglich noch rumzuwarten – das ist normales Tagesprogramm und quasi „klein“. Wie passt das zusammen? Wie passt die große Rocksause in den Alltag?

Joe: Das ist eine Herausforderung, aber keine riesige. Viele Leute haben womöglich eine Vision von Songwritern im Kopf, wie sie an einer viktorianischen Tafel sitzen mit Tintenfass, Federkiel und Kerzen wie im Schloss von Dracula. Weil man das eben zur Inspiration braucht. Alles Bullshit, zumindest für mich. Wenn meine Kollegen mir ein neues Lied zugeschickt hatten und eine Gesangsstimme brauchten, musste ich den Job eben erledigen. Fertig. Dabei spielte keine Rolle, wo ich mich befinde, sondern was mir im Kopf herumgeht. Ich habe Texte an meinem Schreibtisch geschrieben, im Bett, in einem Flugzeug, überall.

Also empfandet ihr das Ganze nicht als umständlicher oder weniger produktiv? Mehr Vorteile als Nachteile?

Joe: Es gab keine Nachteile! Das geht alles heutzutage ja alles technisch einfach. Bei unseren ersten Platten waren wir alle Single, kinderlos und konnten ohne Probleme auf irgendwelchen Sofas schlafen, um rund um die Ohr im Studio zu arbeiten zu können. Heutzutage muss man das gar nicht mehr, und das Ergebnis klingt trotzdem nicht künstlich oder unzusammenhängend. Aber ich hatte auch noch Glück: Unser Gitarrentechniker Dave Wolffe strandete bei mir – und erwies sich als das beste Kindermädchen, das wir je hatten! (lacht) Das gab mir die Zeit, mich mit der Musik zu beschäftigen.

Heute haben wir halt alle Familien und versuchen das Leben zu Hause möglichst normal zu gestalten, wenn man das denn so nennen will. Denn üblicherweise gibt es sechs Wochen Pause zwischen zwei Tourabschnitten, von denen ist man aber noch eine Woche im Jetlag, und eine weitere Woche vor Abreise bereitet man sich dann wieder vor. Bleiben vier Wochen dazwischen. Und in der Zeit muss man dann noch aufpassen, nichts Blödes anzustellen – sich die Stimme zu ruinieren oder beim Apfelschälen in die Finger zu schneiden (lacht).

Wie habt ihr denn „fernmündlich“ ein Album geschrieben? Hattet ihr einen gewaltigen Cloud-Speicher irgendwo, in den jeder Sounddateien reinschieben konnte?

Phil: Genau. Wir hatten ein System namens Bounce Boss, in dem man Files austauschen und kommentieren kann. Was wir zu Hause aufgenommen haben, ging so an unseren Produzenten und Toningenieur Ronan McHugh, und der sorgte dann dafür, dass es großartig klingt. Das machte die Aufnahmen sehr entspannt, eine Deadline gab es nicht, es ging nur ums Songwriting. Und wir haben nicht mal per se für ein Def-Leppard-Album komponiert.

Habt ihr alle Material beigesteuert?

Vivian: Ich habe diesmal keine Songs geschrieben. Als mir klar wurde, dass wir jetzt tatsächlich eine Platte machen, musste ich erst erstmal aufholen und mit der Technik klarkommen, die die anderen benutzen. Ich habe mir die Ausrüstung gekauft und die passende Software runtergeladen – und dann stand ich da. Ich musste den Produzenten anrufen und fragen, wie ich da was Vernünftiges rauskriege (lacht). Kurzum: Ich habe an der Platte zwar nicht mitgeschrieben, aber gespielt und gesungen.

Waren die anderen Jungs zu schnell?

Vivian: Ja, die haben echt Gas gegeben. Ursprünglich sollten wir 2020 ja auch auf US-Stadiontour gehen mit Mötley Crüe, Poison und Joan Jett. Als die abgesagt wurde, schickte Joe eine E-Mail: ‚Hey, lasst uns ein Album machen!‘ – und dann ist alles explodiert.

Warum bringt ihr überhaupt noch eine neue Platte raus? Ihr könntet wie Kiss bis zur Rente mit den Hits auf Tour gehen.

Joe: Weil wir den Kopf vollhaben mit Songs. Das ist nun mal, was wir tun – Lieder schreiben. Was anderes kennen wir gar nicht. Ich sehe keinen Sinn darin, ein Künstler sein zu wollen, wenn man seine Karriere nicht weiterbringt und sich nur mit den gleichen Songs im Kreis dreht. Zu wem das passt – bitte schön. Wenn Kiss keine neue Musik rausbringen wollen, dann sollen sie das so machen. Manche Bands dürfen oder können das auch gar nicht mehr. Wir können! Seit dem letzten Def-Leppard-Album habe ich neun Songs für meine Zweitband Down’n’Outz geschrieben, Phil bastelt ständig an Material für Man Raze oder Delta Deep, Viv hat ein Album mit Last In Line rausgebracht. Wir sind schon ziemlich produktiv. Ich habe diesmal sogar zwei Songs auf dem Piano geschrieben, und Phil spielt Ukulele.

Aber ihr „müsst“ natürlich kein neues Album mehr machen. Befindet ihr euch also in einer sehr komfortablen Ehrenrunde?

Joe: Ohne die Platte – ja. Aber jetzt gehen wir mit einem neuen Album im Gepäck auf Tour, wie früher auch. Wir werden einige dieser Stücke diesen Sommer in den USA live spielen, und nächsten Sommer dann in Europa. Das ist keine Ehrenrunde, das ist die nächste Station unserer Karriere, und die dauert hoffentlich so lange, wie wir das wollen. Wenn die Stones und The Who 55 beziehungsweise 57 Jahre als Bands existieren, dann haben wir mit unseren 45 ja noch zehn oder zwölf Jahre Zeit. Das ist länger als die Beatles überhaupt zusammen waren!

Apropos Historie: Könnt ihr euch eigentlich noch an eure erste Show in Deutschland erinnern? Die fand statt am 10. Juni 1981 in der Essener Grugahalle als Vorgruppe für Ritchie Blackmore & Rainbow.

Joe: Ja, kann ich, und sie war ein absolutes Desaster! (lacht) Noch in der Nacht davor stand ich im Studio, um die letzten Spuren für unser Album High & Dry einzusingen, während der Rest der Band schon mit der Fähre aufs Festland übersetzte. Ich bin dann schnell nach Hause, habe in aller Eile gepackt und bin zum Hafen gerast. Eine halbe Stunde vor unserer Show kam ich in Essen an und habe die Jungs angefleht, mit unserem alten Stück Switch 625 anzufangen – weil es ein Instrumental ist. Alle neuen Songs hatten wir wegen der Albumaufnahmen nicht vernünftig für den Liveeinsatz proben können, und entsprechend klangen wir auch. Fürchterlich! Wir wurden von der Presse komplett zerrissen, völlig zu Recht. Aber wir wurden dann besser… (lacht)

Offensichtlich, denn nach Deutschland seid ihr trotz dieser Pleite regelmäßig zurückgekehrt.

Joe: Ja! Im Dezember 1983 zum Beispiel haben wir auf einem sehr coolen Festival in den Dortmunder Westfalenhallen gespielt, „Rock Pop In Concert“ hieß das. Da waren sie alle dabei: Iron Maiden, Ozzy Osbourne, die Scorpions, Judas Priest. Das Ganze wurde sogar im TV übertragen, und wir haben ein grandioses Konzert abgeliefert. Aber mehr noch erinnere ich mich an ein Fußballspiel gegen Iron Maiden am gleichen Tag, bei dem sie drei unserer Torhüter ins Krankenhaus befördert haben! Aber wir sind schon ewig mit den Jungs befreundet und haben uns später der Bar großartig amüsiert.

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Zeitsprung: Am 7.1.1979 brüllen Def Leppard auf ihrer ersten EP.

Popkultur

„Please Please Me“: Vor 60 Jahren erscheint das schlüpfrige Debüt der Beatles

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The Beatles Header
Foto: Mirrorpix/Getty Images

Am 22. März 1963 erscheint das erste Beatles-Album Please Please Me. Es beginnt mit einer frechen Aufforderung zum Oralverkehr, endet mit dem Orkan Twist And Shout – und macht die Beatles endgültig zu Stars.

von Björn Springorum

Heute kennt man sie ja alle, die Geschichten. So gut, dass es sich manchmal fast so anfühlt, als wäre man damals dabei gewesen. Auf der Reeperbahn. Im Cavern Club. Als Astrid Kirchherr aus den vier unscheinbaren Liverpooler Jungs die coolen Beatles macht. Bei ihrem vergeigten Vorspielen für Decca am Neujahrsmorgen 1962. Im Van von Gig zu Gig im kalten Großbritannien. Damals kennen diese Geschichten aber eben nur die wenigsten. Auch weiß niemand, dass hinter den Kulissen der Popmusik, hinter den in Großbritannien so angesagten Stammhaltern wie Cliff Richard und den Shadows eine Wachablösung vorbereitet wird. Eine neue Zeitrechnung. Gut, niemand außer Brian Epstein vielleicht.

George Martin hat den richtigen Riecher

Im März 1963 ist die Welt noch weit von einer Beatlemania entfernt. Seit 1961 besteht die Band aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und dem glücklosen Drummer Pete Best, der ja bekanntlich kurz vor ihrem großen Durchbruch gefeuert werden. Im Mai 1962 unterschreiben sie bei EMI und arbeiten fortan mit Produzent George Martin zusammen. Auch das weiß damals niemand: Die Band und ihr Produzent werden gemeinsam Musikgeschichte schreiben. Selbst wenn er ihnen anfangs nicht zutraut, jemals einen Hit zu komponieren. Seine Meinung ändert er schnell, als nach Love Me Do auch die zweite Beatles-Single Please Please Me einschlägt und in verschiedenen Hitparaden sogar bis an die Spitze klettert.

Das Rätselhafte ist: Nach den frühen Erfolgen ihrer ersten Singles will Martin ein ganzes Album mit den Beatles aufnehmen. Ein Album, von einer eher bei Teenagern beliebten Band? Ein absolutes Novum und nach Ansicht vieler ein vorprogrammierter Reinfall. Erwachsene kaufen Alben mit langweiliger Musik, die Kids Singles mit dem heißen Scheiß. So läuft das damals. Ist Martin aber egal. Der wittert Anfang 1963 etwas in der Luft, das die Welt für immer verändern wird.

Das Debüt wird an einem Tag aufgenommen

Recht zackig geht es damals noch in den Studios zu, viel Zeit für Experimente ist nicht vorgesehen. Ihr allererstes Album Please Please Me nehmen die Beatles dann auch an einem einzigen Tag auf – am 11. Februar 1963. Pete Best musste auf George Martins Anraten da schon seine Koffer packen und Platz machen für Ringo Starr. Wie wir aus der Peter-Jackson-Doku Get Back wissen, ist ein Studiotag zum Ende ihrer Karriere nicht mal genug Zeit, in der man die eine oder andere Meinungsverschiedenheit aus der Welt zu räumen. Man sieht also: Am Anfang der kurzen und dafür unerreicht steilen der Karriere soll alles noch ganz anders sein als am Ende knapp sieben Jahre später.

„Es war eine sehr geradlinige Angelegenheit, eher wie eine Aufführung“, so sagte George Martin mal zu den legendären Debüt-Aufnahmen der Beatles. „Wir buchten eine Morgen- und eine Nachmittags-Session und fügten dann noch die Abend-Session hinzu.“ Darüber schreibt der Beatles-Chronist Mark Lewisohn später: „In der Geschichte der aufgenommenen Musik gab es wohl nie wieder derart 585 produktive Minuten.“ Neben Chef George Martin sind Norman Smith und Richard Langham als Tontechniker dabei, als im Studio 2 der Abbey Road Studios (damals noch EMI-Studios) Musikgeschichte auf Tape gebannt wird. „Wir probten unser erstes Album nicht“, erinnerte sich Ringo Starr einst. „Wir nahmen es live auf.“ Davon profitiert das schnörkellose, direkte Material bis heute. Please Please Me klingt als einziges Beatles-Album wie eines ihrer Konzerte in Hamburg oder Liverpool – wo der Schweiß von der Decke tropft und alles nach Bier und Zigaretten riecht.

John Lennon ist heftig erkältet

Um zehn Uhr morgens geht es los, John Lennon schleppt eine üble Erkältung mit ins Studio, (McCartney schnieft auch, kein Wunder, das schreckliche englische Wetter…), und lutscht eine Halspastille nach der anderen. Sie nehmen den ganzen Tag auf, bis sie um zehn Uhr abends ihr Cover von Twist And Shout im Kasten haben. Die Nummer muss solange warten, weil Lennons Stimmbänder nach dem rachenzerfetzenden Gebrüll der Nummer vollkommen ruiniert sein würden. Denkt zumindest George Martin. Und zeigt sich beeindruckt: „Ich weiß nicht, wie die das machen. Wir nahmen den ganzen Tag auf, doch je später es wurde, desto besser wurden sie.“ Lennon sieht das etwas anders: Er kann danach wochenlang nicht schlucken. Alles für den Ruhm eben.

Und der kommt. Mit großen Schritten. Zwar wird das Debüt dann doch Please Please Me genannt und nicht Off The Beatle Track, wie McCartney vorschlägt; die Gottwerdung der vier Protagonisten ist von da an aber nicht mehr aufzuhalten. Das Album, das damals für gerade mal 400 Pfund (heute umgerechnet 9000 Pfund) aufgenommen wird, erscheint vor 60 Jahren am 22. März 1963, ist im Mai auf Rang eins der britischen Charts geklettert und bleibt dort satte 30 Wochen, bis es vom Nachfolger With The Beatles abgelöst wird. Da ist die Beatlemania längst ausgebrochen. Und die vier Jungs aus Liverpool auf dem Expressweg zur größten Band der Welt.

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Zeitsprung: Am 26.2.1970 erscheint in den USA ein halbherziges Beatles-Album.

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Popkultur

Zeitsprung: Am 22.3.1987 brillieren Anthrax mit „Among The Living“.

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.3.1987.

von Christof Leim

Bunte Shorts und schnelle Riffs: Mit „Among The Living“ legen Anthrax am 22. März 1987 einen Klassiker des Thrash Metal hin. Dabei wäre die Sache beinahe beim Mix gehörig schief gegangen. Für den „Zeitsprung“ blickt Scott Ian zurück auf Comics und Sozialkritik, Hetfields Segen und die zufällige Erfindung des Rap-Metal.

Hier könnt ihr euch die Thrash-Granate ganz anhören:

Mit ihrem zweiten Album Spreading The Disease hatten Anthrax 1985 ihren Stil gefunden. Thrash Metal als Genre explodiert, und die New Yorker reiten ganz vorne mit. Die fünf blutjungen Headbanger touren was das Zeug hält, eine Pause gibt es nicht: „Als es mit den Shows für Spreading The Disease losging, haben wir mit dem Songwriting einfach weitergemacht“, erinnert sich Gitarrist Scott Ian im Gespräch mit dem Autor. „Uns war klar, dass wir in einem Jahr eine neue Platte abliefern müssen.“ 

Hetfield findet es gut

Vor allem Drummer und Hauptsongwriter Charlie Benante hat jede Menge Ideen, die die Band bei Soundchecks und im Bus ausarbeitet. Anthrax verfolgen vor allem die mit dem Song A.I.R. von Spreading The Disease eingeschlagene Richtung, legen aber noch einen drauf. Schon während der Europatour im Herbst 1986 als Vorgruppe von Metallica haben sie die beiden späteren Klassiker I‘m The Law und Indians am Start. „Ich kann mich erinnern, dass wir James Hetfield die Songs im Bus vorgespielt haben. Er fand die Riffs großartig. Und auch wir wussten, dass das Zeug einschlagen würde. Es klang noch besser als A.I.R., mit besseren Riffs und schnelleren Parts.“ Leider kommt bei dieser legendären Konzertreise Cliff Burton ums Leben, der Bassist von Metallica und ein Freund von Anthrax. 

Thrash Metal ist eine ernste Angelegenheit. Not. – Foto: Brian Rasic/Getty Images

Zurück in den USA können Anthrax mit Hilfe von Island Records sogar Eddie Kramer als Produzenten gewinnen, der mit einigen der größten Namen im Rock gearbeitet hatte, darunter Jimi Hendrix, Led Zeppelin und The Rolling Stones. Für die Musiker zählt aber eine andere Referenz: „Wir wollten ihn vor allem, weil er einige der besten Kiss-Platten produziert hatte, nämlich Alive! und Rock And Roll Over“, stellt Scott klar. Die Band steht auf die Liveatmosphäre, die Kramer seinen Aufnahmen zu verleihen vermag. Die Produktion im Quadradial Studio in Miami läuft hervorragend, es „herrscht eine Energie wie in einem Football-Stadion“. 

Ersoffen in Hall und Echo

Doch beim Mix in den Compass Point Studios auf den Bahamas, in dem schon Iron Maiden reihenweise Klassiker geschaffen hatten, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Beeindruckt vom Megaerfolg des Def Leppard-Meilensteins Hysteria (1987) und seiner poppigen Produktion von Robert „Mutt“ Lange ertränkt Kramer die Anthrax-Songs in Hall und Echo. Das klingt nicht nur weicher, sondern lässt angesichts der rasenden Geschwindigkeit der Stücke sämtliche Details verschwimmen. Kurz: eine Katastrophe. Die Band fällt aus allen Wolken und macht – Kiss-Fans hin, Legende her – deutliche Ansagen. Vor allem Scott bleibt stur, weil er weiß, dass die Zukunft seiner Gruppe von dieser Platte abhängt. Glücklicherweise einigen sich die Parteien und kreieren einen trocknen, megafett drückenden, heute klassischen Thrash-Sound.

Textlich schwanken Anthrax auf Among The Living zwischen ernsthaft, lustig und Nerdkram: Während Indians die Vertreibung der nordamerikanischen Ureinwohner anprangert, vertont Scott gleich zweifach seine Liebe zu den Horror-Thrillern von Stephen King. Dessen Bücher The Stand (deutscher Titel: Das letzte Gefecht) und Apt Pupil (verfilmt als Der Musterschüler) standen Pate für die Stücke Among The Living und Skeletons In The Closet

Comics und Sozialkritik

Efilnikufesin (N.F.L.) thematisiert den Drogentod des Schauspielers John Belushi von den Blues Brothers, während Caught In The Mosh den Umgang mit dummen, nervigen Mitmenschen mit einem Moshpit vergleicht, dem man nicht entkommen kann. „Ich habe über die Themen gar nicht groß nachgedacht“, meint Scott dazu. „Ich würde euch ja gerne erzählen, dass I Am The Law als Metapher für irgendwas steht, eine schlechte Regierung oder böse Cops. Aber nein: Der Song handelt von Judge Dredd, weil ich auf Comics stehe. Damals wusste ich es auch gar nicht besser, ich war gerade mal 22 Jahre alt. Für mein Hirn ergab I Am The Law genauso viel Sinn wie Horror Of It All, in dem es um den Tod von Cliff geht. Ich wurde zum Texter der Band und musste mich anstrengen, damit nicht unterzugehen.“

Dass Anthrax nicht immer alles bierernst sehen, zeigt sich in einem musikalischen Experiment: Weil die Musiker auf Run-DMC und die Beastie Boys stehen, schreibt Scott mit seinem Gitarrentechniker John Rooney einen nach eigenen Worten „blödsinnigen“ Rap-Song, spielt dazu das jüdische Folk-Stück Hava Nagila als Metal-Riff – und fertig ist I‘m The Man, der erste (erfolgreiche) Rap-Metal-Crossover

Die zufällige Erfindung des Rap-Metal

So haben Anthrax nach der Hardcore-Thrash-Vermählung bei S.O.D. zum zweiten Mal musikalische Grenzen eingerissen. Dabei war die Nummer »ein totaler Witz«, wie Scott auch drei Dekaden später noch betont. I‘m The Man wird zunächst auf der B-Seite von I Am The Law versteckt, findet aber großen Gefallen, gehört fortan zum Liveset und wird später sogar auf einer eigenen EP veröffentlicht.

Among The Living erscheint am 22. März 1987 und knackt mit einem Platz 62 die Top 100 in den USA. Die Scheibe zählt nicht nur zu den wichtigsten Alben von Anthrax, sondern eines ganzen Genres. Die neun Songs bersten förmlich vor Thrash-Energie und klingen dabei größer, eingängiger und vielseitiger als auf dem Vorgänger. „Sechs der Stücke könnten wir noch heute jeden Abend spielen“, findet Scott und hat Recht. „Das sagt schon was. Sie sind so gut.“ 

Bunte Shorts sind Metal!

Das Quintett begleitet nach der Veröffentlichung erneut Metallica in Europa, die mit neuem Bassisten Jason Newsted ihre Master Of Puppets-Tour beenden. In den USA sind Anthrax da bereits als Headliner unterwegs. Dabei gibt sich die Band bei allem ernsthaften Geriffe locker auf der Bühne: Die Zeiten von Nieten und Leder sind endgültig vorbei, unfassbar bunte Shorts und Shirts setzen einen deutlichen Kontrapunkt zum vorherrschenden Stil in der Welt der harten Musik.

Mit der Platte beschleunigt sich das Leben im Anthrax-Lager noch mehr: „Alles passierte richtig schnell! Man muss sich das mal vor Augen führen: Among The Living erschien nur drei Jahre nach Fistful Of Metal. „Im Mai 1987, am Anfang der Tour, haben wir kleine Clubs mit 500 Leuten ausverkauft. Im Dezember standen wir in den USA jeden Abend vor 7000 Fans. Ich war gerade mal 24.“

Zeitsprung: Am 23.2.1992 treffen Anthrax auf Al Bundy.

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Popkultur

35 Jahre „Surfer Rosa“: Wie die Pixies quasi Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ schrieben

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Foto: Rob Verhorst/Getty Images

Zu punkig für Grunge, zu arty für Punk: Schon mit ihrem Debüt Surfer Rosa setzt sich das Alternative-Rock-Kuriosum Pixies 1988 genüsslich zwischen alle Stühle. Der Erfolg kommt dennoch und beeinflusst alles von Nirvana bis Radiohead – auch wegen der großartigen Selbstverlusthymne Where Is My Mind.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Surfer Rosa anhören:

Als Punk noch nicht ganz tot und Grunge noch nicht ganz da ist, finden die Pixies zusammen. Allerdings nicht in Seattle, wo der Grunge geboren wurde, sondern in Boston an der Ostküste der USA, dem Epizentrum des US-amerikanischen Hardcore Punk. Okay, und der Heimat von Aerosmith, aber die dürften für die Pixies jetzt weniger eine Rolle gespielt haben.

Lang bevor Kurt Cobain und seine Truppe auf die Idee kam, dass die Dynamik einer zurückhaltenden Strophe und eines wild um sich schlagenden Refrains vielleicht auch für Nirvana eine gute Idee wäre, kultivieren die Kommilitonen Joey Santiago und Black Francis während ihres Nebenjobs in einer Lagerhalle die Idee einer Band. Zwei sind dafür aber in der Regel zu wenig, also schalten sie im Januar 1986 eine der wahrscheinlich kuriosesten Stellengesuche in der Welt des Rock’n’Roll: Gesucht wurde jemand für den Bass mit Vorlieben für sowohl den Folk-Act Peter, Paul And Mary als auch für die seltsamen Alternative Punks von Hüsker Dü. Nur eine Person meldet sich auf die Annonce – und sie spielt nicht mal Bass: Kim Deal. Scheint kein Hindernis zu sein, die beiden nehmen sie mit offenen Armen in ihre Mitte auf.

Hinterlistige kleine Kobolde

Wenn eine Band schon so anfängt, ist entweder gar nichts oder eben doch Großes zu erwarten. Rasch noch einen Schlagzeuger gefunden, das Wörterbuch zufällig auf irgendeiner Seite aufgeschlagen und sich für den Namen Pixies entschieden – also diese hinterlistigen kleinen Kobolde aus der englischen Fabelwelt. Man probt in einer Garage, man spielt in Bostoner Bars, man entwickelt einen Sound, der an der anderen Küste der USA sehr bald zu einer Blaupause für das werden soll, was unter dem Namen Grunge in den Mainstream kracht wie eine schlechtgekleidete Rakete mit fettigen Haaren.

Nach einem Demo und einem Plattenvertrag beim angesehenen Alternative-Pulsmacher 4AD geht es für die Pixies Ende 1987 ins Studio. Das Vorhaben: Ein Debüt aufnehmen. Der Produzent: Steve Albini. Den kennt man in der Szene kaum, zuvor hat er kaum als Produzent gearbeitet. Später, klar, wird er mit Nirvana an In Utero arbeiten, aber 1987 sind es erneut die Pixies, die ihn bekannt machen sollen. Was in zwei verschiedenen Studios in Massachusetts entsteht, ist ein körperlicher, viszeraler, schroffer Sound voller anatomischer Referenzen und Anspielungen auf Selbstverletzung: Bone Machine, Break My Body oder Broken Face heißen die Songs, die die junge Band in diesen Tagen auf die Tape-Maschinen bannt. In Cactus geht es um einen Sträfling, der seine Freundin bittet, ihre Hand an einem Kaktus aufzuspießen, ihr Kleid mit Blut zu beschmieren und es ihm zu senden. Ganz normales Zeug also.

Gesangsaufnahmen im Badezimmer

Der karge, trockene Sound der Drums wird von metallisch sägenden Gitarren und einer Vielzahl menschlicher Laute kontrastiert – singen, schreien, krächzen, würgen, jaulen. Nicht oft harmonisch und melodisch, aber dann (wie bei Where Is My Mind?) so richtig. Laut/leise, hart/sanft, eingängig/abgefahren lauten die Devisen, auf die sich Band und Produzent sofort einigen können. Steve Albini erinnerte sich mal an das erste Treffen mit der Band, bei dem sie über den Sound der Platte sprachen: „Und am nächsten Tag waren wir auch schon im Studio.“

Zehn Tage hat man Zeit, 10.000 US-Dollar ist das Budget. 1.500 davon bekommt Steve Albini, der in alter DIY-Manier auf Royalties verzichtet. Allein in den USA soll sich die Platte über 700.000 Mal verkaufen – das nennt man dann wohl nackten Idealismus. Dafür erweist sich Steve Albini sozusagen als fünfter Pixie und lebt sich bei den Aufnahmen voll in seinen unorthodoxen Produktionsmethoden aus. Ist ja auch fair. Kim Deals Gesang auf Where Is My Mind? wird im Badezimmer aufgenommen, um mehr Echo zu bekommen, Black Francis nimmt seinen Gesang auch mal durch einen Gitarrenverstärker auf. Außerdem erlaubt er sich, Gespräche im Studio mitzuschneiden und unter die Songs zu legen. Ein genialer Kauz eben.

Urmutter des Grunge

Als das Album erscheint, wird es in den USA erst mal gepflegt ignoriert, während es sich in Großbritannien zum echten Hit mausert. Skurrilerweise war die Platte in den USA zunächst nur als UK-Import zu bekommen, wird dann aber auch in den Staaten nach und nach zu einem verehrten Underground-Juwel – klar, spätestens als MTV seine Klauen in den Grunge gräbt und alle langsam checken, was schon einige Jahre zuvor in Boston vor sich ging. Und dann ist da natürlich noch Where is My Mind?, diese geniale, schleppende, jenseitige Hymne an dissoziatives Verhalten, weltberühmt gemacht durch den Film Fight Club.

Heute gilt Surfer Rosa als Grunge-Blaupause. Kurt Cobain gab zu, dass Surfer Rosa der mit Abstand größte Einfluss auf Smells Like Teen Spirit war. „Ich wollte einen Pixies-Song schreiben“, sagte er mal. Auch das Verpflichten von Steve Albini geht auf diese Platte zurück. Ähnlich geht es PJ Harvey, die danach sofort mit Albini arbeiten will.

Und die Pixies? Machen es wie jede gute Band: Fangen an, ihre Stadt und sich selbst zu hassen, halten aber noch bis 1993 durch. Es reicht, um die Alternative-Rock-Welt für immer zu verändern.

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24. September 1991: Der beste Tag der Musikgeschichte

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