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Popkultur

Der beste Bassist seiner Zeit: Zum 60. Geburtstag von Andy Rourke

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Andy Rourke
Howard Barlow / GettyImages

Heute wäre Andy Rourke 60 Jahre alt geworden. Sein unkonventioneller Stil prägte den englischen Post-Punk und machte die Smiths noch unverkennbarer. Im Mai 2023 starb er an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hinterlässt eine gewaltige Lücke.

von Björn Springorum

England hat zahlreiche überlebensgroße Figuren der Musikgeschichte. Naturgemäß sind es aber eher die Sänger*innen oder Gitarrist*innen, die in der ersten Reihe der Ehrerbietung stehen, die heilig gesprochen und für die Statuen aufgestellt werden. Doch der Blick in die Reihen dahinter offenbart ein ebenso breit gefasstes Spektrum an Ausnahmetalenten. Einer von ihnen verließ uns am 19. Mai 2023. Heute wäre The-Smiths-Bassist Andy Rourke 60 Jahre alt geworden.

Teil der einflussreichsten Band der letzten 50 Jahre

Aber warum gilt er eigentlich als einer der wichtigsten englischen Indie-Tieftöner? Dafür lohnt ein Blick auf seine Zeit mit den Smiths. Die war zwar vergleichsweise kurz, ging nur von 1982 bis 1987. Aber wenn englische Bands etwas können, dann binnen kürzester Zeit die gesamte Musikgeschichte umschreiben und auf ewig prägen. Die Beatles gab es acht Jahre, die Sex Pistols nur für ein Album. Und die Smiths eben von 1982 bis 1987. In dieser Zeit wurden sie laut NME zur „einflussreichsten Band der letzten 50 Jahre“.

Das lag auch an Andy Rourkes distinktiven, melodischen Bass-Sound. Auf Singles wie This Charming Man driftete der gern auch mal ins Funkige ab, in Nowhere Fast in Richtung Rockabilly, bleib aber immer die dichte Grundierung für Johnny Marrs ebenso stilbildendes Gitarrenspiel. „Ich habe immer versucht, eine Melodie innerhalb einer Melodie zu spielen“, so beschrieb er seinen Stil mal. „Ich wollte, dass die Bassspur für sich steht.“

Von der Gitarre zum Bass

Zum Bass kommt Rourke über Umwege. Er beginnt, wie so viele andere, in den frühen Siebzigern, an der Gitarre, lernt John Maher kennen, den man bald nur noch Johnny Marr rufen wird. „Johnny war im selben Jahrgang, aber in einer anderen Klasse“, erinnerte er sich in einem Interview mal. „Ich war in der Klasse der bösen Jungs und geriet etwas aus dem Ruder, also dachte der Direktor, wenn er mich in Johnnys Klasse stecken würde, die die brave Klasse war, würde mich das vielleicht auf Linie bringen.“

Ein kapitaler Irrtum aus Sicht des Direktors – und ein Segen für die Musikwelt. Die beiden bonden über Neil Young, spielen ab 1975 in den Pausen Songs von Young und Springsteen. „Ich hatte klassischen Unterricht, seit ich acht Jahre alt war, also war ich für einen kurzen Moment in der Geschichte ein besserer Gitarrist als Johnny“, so Rourke. „Aber sobald er 13 war, war er nicht mehr zu stoppen. Er war wie ein Rennpferd.“ Bald darauf wechselt Rourke an den Bass und verliebt sich in das Instrument.

Die Angst spielt mit

Gemeinsam mit Drummer Mike Joyce stellt Rourke ab 1982 eine der prägenden Rhythmussektionen der englischen Rockgeschichte. Wenn man weiß, dass die beiden anfangs kaum ein Wort miteinander wechselten, ist diese Chemie und Dichte durchaus verblüffend. „Im ersten Jahr haben Mike und ich kaum miteinander gesprochen, erst als wir auf Tournee waren“, so der Basser. „Ich glaube, Mike mochte mich im ersten Jahr nicht einmal als Person, aber als wir uns erst einmal kennengelernt hatten, verstanden wir uns prächtig.“ Für ihn ist diese anfängliche Reluktanz der Grund für ihre Klasse: „Ich musste Mike etwas beweisen und er wollte mir etwas beweisen. So entstand ein ziemlich dynamischer, aber aggressiver Sound. Sogar auf den ruhigen Stücken gibt es eine Art von Angst zwischen uns, also hat es uns wahrscheinlich geholfen, nicht viel zu reden. Es war nichts Gekünsteltes dabei. Wir haben uns gegenseitig duelliert.“

Der Traum platzt

So etwas kann man eben nicht planen oder nachahmen. Es muss geschehen, muss echt sein. Das gilt ebenso für Marrs Spiel und für Morrisseys einzigartige Art des Textens und Rezitierens. Ein Glücksfall, eine Jahrhundertbegegnung. 1987 platzt dieser Traum wie eine Seifenblase. Davor war Rourke wegen seiner Heroinsucht kurzzeitig aus der Band geflogen, nach dem unrühmlichen Ende klagen Rourke und Joyce gegen Morrissey und Marr. Er braucht Geld für Drogen, findet sich mit einer vergleichsweise geringen Summe ab, muss 1999 sogar Bankrott anmelden.

Dazwischen und danach liegt eine spannende Zeit, in der er mit vielen großen Namen spielte: Sinéad O’Connor, The Pretenders, Killing Joke. Mit Dolores O’Riordan von den Cranberries gründet er D.A.R.K., mit den Bassisten Gary Mounfield (The Stone Roses) und Peter Hook (Joy Division) das Bass-Trip Freebass. An Ideen mangelt es also auch nach seiner Zeit mit The Smiths nicht, an Ambition und Können auch nicht. Allein, die Chemie, das gewisse Etwas sind nicht mehr da. Und Rourke selbst tragischerweise auch nicht mehr.

Rest in peace: Von diesen Musiker*innen mussten wir uns 2023 verabschieden

 

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