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Popkultur

Erst hell, dann dunkel: Das kann die neue Ärzte-Platte

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Foto: Jörg Steinmetz

Erst acht Jahre ohne Album, jetzt schon das zweite innerhalb von zwölf Monaten: Auch auf Dunkel steuern die Ärzte ihren ollen Punk-Kahn souverän, selbstsicher und überaus unterhaltsam durch die Fahrwasser von Punk, Rock und Pop. Braucht man das noch? Vielleicht mehr denn je.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Dunkel von den Ärzten anhören:

Als die Ärzte vor fast genau einem Jahr ihr letzten Album Hell veröffentlichen, hätte man es im Spiegel der Pandemie durchaus auch mit „Hölle“ übersetzen können. Ganz frei von Schwächen war die 13. Platte der Berliner nicht, aber dennoch locker ihr bestes Album des 21. Jahrhunderts. Diese Chuzpe, diesen Schwung und dieser wiederentdeckte Schabernack haben sie auch auf das Schwesteralbum Dunkel herüberretten können: Der 90-Sekünder KFM (steht für Karnickelfickmusik) beginnt mit einer Hommage an Rage Against The Machine und hoppelt dann in herrlich nostalgischer Neunziger-Manie locker-punkig ins Ziel.

Schrei nach Nostalgie

Ist aber nur der Auftakt zu einem Album, das eben bewusst nicht in der Vergangenheit steckenbleiben will und sich nur soweit in Nostalgie suhlt, wie es die Bundesprüfstelle für gefährliche Vergangenheitsglorifizierung zulässt. Wissen steht als Anti-Liebeslied für die Alternative-Rock-Seite der Ärzte, Dunkel klingt eher nach einem Bela-B-Alleingang, Anti ist so ungestüm schrammelig wie lange nicht, textlich wie immer eindeutig gegen rechts, gegen Dummheit, gegen hässliche Frisuren, gegen alles, was ihnen nicht passt.

Nazis sind eben doof

Das ist auch bei Doof nicht weniger platt und plakativ als sie schon damals bei Schrei nach Liebe waren; aber das macht nichts. Die Ärzte wissen um ihre Stärken und spielen sie konsequent aus – Nazis sind doof, das kann man nun mal nicht prosaischer ausdrücken. Und verfehlt seine Wirkung auch nach dem tausendsten Song gegen Rechtsextremismus nicht. Niemals aufhören, niemals kapitulieren, keinen Zentimeter nach rechts.

Auch die Frage, ob das noch Punk ist (oder jemals war), stellt sich auf Dunkel zu keinem Zeitpunkt. Die Ärzte sind keine Underground-Dosenstecher, klar, aber eben so charmant unverbesserlich, dass man sie nur gernhaben kann. Ohne Schwächen kommt aber auch der 14. Langspieler des Trios nicht aus. Gut, bei 19 Songs würde es auch schon an ein Wunder grenzen, wenn da kein Ausfall dabei wäre. Himmel, selbst die beiden Use Your Illusion-Teile hätten die eine oder andere Straffung vertragen.

Kommt ne Rapperin zu den Ärzten

Schrei hätte sie sich zum Beispiel sparen können, Schweigen will auch nicht so richtig in die Gänge kommen. Dafür nehmen sie mit Kraft die neue Neue Deutsche Härte und Bands wie Eisbrecher aufs Korn – eh so eine herrliche Paradedisziplin der Band, andere durch den Kakao zu ziehen. Wer Innovationen auf Dunkel sucht, findet natürlich wenige, das hätte ja jetzt aber auch niemand erwartet. Dafür überraschen sie bei Kerngeschäft mit Feature-Guest Ebow, die im zweiten Teil der Nummer für den wahrscheinlich ersten richtigen Rap-Part auf einem Ärzte-Album sorgt.

Richtig schön ist auch der andächtig beginnende, später explodierende Abschluss Our Bass Player Hates This Song, ein Hohelied auf die Demokratie. Bei einem Album, das zwei Tage vor der Bundestagswahl erscheint, bekommt das noch mal eine ganz andere Strahlkraft. Kleine Höhepunkte wie diese beantworten die Frage, ob man die Ärzte im Jahr 2021 eigentlich noch braucht, mal wieder mit einem klaren, lauten „Ja“. Es ist eben irgendwie doch keine Band wie sie.

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