Popkultur
Frank Sinatra und die Mafia: Im Herzen ein Gangster
Was ist dran an Frank Sinatras Verbindungen zum organisierten Verbrechen? Das große Stigma aller Italo-Amerikaner, betrifft es auch einen der größten Sänger aller Zeiten? Wir haben noch einmal die Fakten gecheckt und unsere Phantasie spielen lassen.
Über 2000 Seiten dick war Frank Sinatras FBI-Akte irgendwann. Über viele Jahrzehnte hatten es die Behörden offensichtlich als notwendig erachtet, „Ol’ Blue Eyes“ ganz genau im Auge zu behalten. Zwar wurden ihm nie irgendwelche Verbrechen nachgewiesen, nie wurde er angeklagt oder verurteilt. Wahrscheinlich war er selbst nie wirklich in schwere Verbrechen verstrickt. Aber auf jeden Fall hatte Sinatra die falschen Freunde, schlechten Umgang wie man so schön sagt. Seine ganze Karriere lang wurde ihm vorgeworfen, in bestem freundschaftlichem Kontakt mit der Cosa Nostra, der amerikanisch-italienischen Mafia zu stehen. Und bis zuletzt stritt er diese Verstrickungen vehement ab. „Jeder Bericht, ich hätte mich mit dem Mob eingelassen, ist eine gemeine Lüge“, verkündete er 1947 rasend. Doch man weiß schon mindestens genau so lang, dass das so nicht ganz richtig ist.
Es gibt zahlreiche Legenden und auch gut dokumentierte Zusammenhänge, die Sinatras Kontakte zur Mafia belegen. Sinatra war ihr Held, das Musterbeispiel eines hart arbeitenden Italieners, der den amerikanischen Traum lebt. Das hätte auch jeder Mafiosi von sich behauptet. Diese Kontakte sollen ihm im Laufe seiner Karriere nicht nur einmal genutzt haben, wenn die Dinge nicht so liefen, wie der ambitionierte Frank sich das vorgestellt hat. Aus schlechten Verträgen sollen ihn seine Kumpels rausgeholt haben, und zwar mit handfesten Argumenten. Angebote, „die niemand ablehnen kann“, sollen ihm zu Filmrollen verholfen haben. Was das im Mafia-Jargon bedeutet, kennt man aus „Der Pate“. Und dann Sinatras Persönlichkeit: „Kinnhaken und Nötigungen gehören zum Stil seiner Öffentlichkeitsarbeit“, schrieb der Spiegel 1975 über den alternden Bühnenhelden. Als Jugendlicher ist er ohne Abschluss von der High School geflogen, wegen rowdyhaftem Verhalten. War der große Romantiker mit der goldenen Stimme am Ende ein typischer italienischer Gangster?
Von Sizilien nach Jersey
Es wird wild spekuliert, ob das alles wirklich so stimmt. Wenn man sich das Umfeld vor Augen führt, aus dem Sinatra stammt, dann scheint die Sache relativ klar: Frank Sinatra wurde als Sohn sizilianischer Einwanderer 1915 in Hoboken, einem Stadtteil von New Jersey geboren. Wer „The Sopranos“ gesehen hat, der weiß – auch wenn da natürlich ordentlich Klischees bedient werden – wie es in den italienischen Einwanderer-Communitys in New Jersey aussah: Alle kennen sich, viele drehen krumme Dinger. Familien halten zusammen. Franks Onkel beispielsweise, Babe Gavarante, 1921 schon wegen Mordes verurteilt, stand in Verbindung mit Willie Moretti, einem hohen Tier des New Yorker Genovese-Clans. Obendrein war Sinatras erste Frau Nancy auch noch verwandt mit einem von Morettis engen Gefolgsleuten. Das sagt natürlich überhaupt nichts über kriminelle Verstrickungen der Sinatras aus – aber sie lagen von Anfang an in der Familie.
Mit einigen weiteren ranghohen Mafiosi soll Sinatra im Verlauf seiner Karriere gute Freundschaften (und Partnerschaften?) gepflegt haben, unter ihnen Lucky Luciano, der oberste Boss der Genovese-Familie und einer der ersten großen Chefs im organisierten Verbrechen. Die sogenannte „Havana Konferenz“ ist dabei die berühmteste Episode: In seinem kubanischen Exil rief Luciano führendes Mafia-Personal zusammen, um Geschäfte zu besprechen. Mit von der Partie war auch Sinatra – sein Konzert in Kuba diente als Vorwand für das Treffen. Dass Sinatra während dieser Zeit aber auch privat mit den zwielichtigen Herrschaften verkehrte, ist erwiesen. Angeblich ist Frankie Boy auch mit zwei Millionen Dollar in einem Aktenkoffer nach Havana gereist, der für Luciano bestimmt war. Ein weiteres brisantes Detail kam erst viel später ans Licht: In der extrem spannenden Dokumentation „Sinatra: Dark Star“ (2005), die sich genau mit diesen Verflechtungen beschäftigt, heißt es, dass Sinatra die Herkunft seiner Eltern leicht verschleiert hatte. Sein Vater stammte nämlich, anders als von Sinatra behauptet, aus dem kleinen sizilianischen Ort Lercara Friddi. Und wer wuchs ebenfalls dort auf? Lucky Luciano.
Freundschaften sind die eine Sache, Business die andere: In den 1960er-Jahren stieg Sinatra neben seinen künstlerischen Tätigkeiten auch ins Glücksspielgeschäft ein, als er Anteile eines Casino-Hotels am Lake Tahoe in Nevada erwarb. Das lief wohl ziemlich prächtig, tagelang spielte er dort auch Shows mit seinem Rat Pack, alle waren gut drauf und feierten. Dass beim Glücksspiel auch immer das organisierte Verbrechen seine Finger im Spiel hatte, muss man fast nicht erwähnen. Auch hier: Sinatra wurde nie wegen eines Vergehens angeklagt. Aber ein ganz unschuldiges Lamm schien er auch nie zu sein.
Sinatra sei kein echter Gangster, aber tief in seinem Herzen schon, sagte man mal über ihn. Er hat es am Ende mit seiner Kunst geschafft, die Welt zu erobern, und war auf die illegalen Wege gar nicht angewiesen. Trotzdem, und Frank würde nach wie vor wild dagegen protestieren: Er war wohl einer von ihnen. Es war auch seine Sache. Cosa Nostra.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 9.6.1982 trotzen Mötley Crüe einer Bombendrohung. Oder doch nicht?
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 9.6.1982.
von Christof Leim
1982 machen sich Mötley Crüe auf in den amerikanischen Norden zur Crüesing Through Canada Tour ’82. Seit dem Vorjahr steht ihr erstes Album Too Fast For Love in den Läden, jetzt soll die Musik unter die Leute. Allerdings scheint in Edmonton jemand etwa dagegen zu haben – und droht, die vier Krachmacher in die Luft zu sprengen…
Hört hier in das Mötley-Crüe-Debüt Too Fast For Love rein:
Bei der Polizei von Edmonton geht die die telefonische Drohung ein, das Leben der Musiker sei in Gefahr, wenn sie am 9. Juni 1982 auf die Bühne gehen. An diesem Tag sollen Mötley Crüe ihre dritte Show in einem Club namens Scandals spielen. Doch Bassist und Bandchef Nikki Sixx lässt sich davon nicht beeindrucken und sagt in einem Nachrichtenbeitrag der CBC News: „Uns ist das egal. Wir sind hier, um allen eine gute Show zu bieten. Wer daran keinen Spaß hat, muss sich das nicht anschauen.“
Glücklicherweise verläuft das Konzert ohne Zwischenfall, Mötley Crüe spielen sogar noch zwei weitere Gigs in der Stadt in einem anderen Laden namens Riviera Rock Room. Der Mut der Band hat sich also ausgezahlt und bringt nicht nur 1000 Punkte an „street credibility“, sondern auch Presseberichte in Kanada und zu Hause in Kalifornien.
Mötley Crüe früher. Ganz früh.
Was eine verdammt coole Band also, was? Wirklich? Natürlich nicht. Wie sich später herausstellt, wurde die Bombendrohung vom Management der Truppe lanciert, um Aufmerksamkeit zu generieren. Eine PR-Aktion, nichts weiter, und sie funktioniert hervorragend. Die Show ist eben alles. Dem Tod kommt Nikki Sixx erst fünf Jahre später so richtig nahe, aber das ist eine andere Geschichte (die hier steht).
Immer Chaos
Über zu wenig Action während ihrer Kanadareise können sich Mötley Crüe allerdings nicht beschweren. Das ging schon los am Flughafen von Edmonton, wie Sänger Vince Neil in seiner Autobiografie Tattoos & Tequila schreibt: Bei der Einreise werden die Musiker nämlich erstmal verhaftet. Warum sie in ihrem Bühnenoutfit – Leder, Schminke, High Heels, Haare bis zur Decke – durch die Zollkontrolle laufen, kann drei Dekaden später wohl niemand mehr so richtig erklären. Die kanadischen Behörden stellen sich solche Fragen gar nicht erst und konfiszieren kurzerhand sämtliche Nietengürtel und Lederarmbänder, und Vince darf nicht mal seine Reiselektüre behalten (Playboy, Hustler, wegen der Interviews). Ansonsten gibt es Kloppereien mit Hockeyspielern, die ja in Kanada an jeder Ecke rumstehen, wie man weiß, aber dummerweise besser ausgerüstet sind. Außerdem fliegen ganz klassisch Fernseher aus Hotelfenstern. Man hat ja einen Ruf zu verlieren beziehungsweise aufzubauen. Wir würden uns nicht wundern, wenn das alles ebenso PR-Aktionen gewesen wären. Ein Einschätzung, die Vince Neil übrigens teilt. Immerhin hat sich diesmal niemand selbst angezündet oder als Doppelgänger von Nikki Sixx ausgegeben. Aber so läuft das wohl im Showgeschäft, was?
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Zeitsprung: Am 17.2.1988 zündet sich ein Mötley-Crüe-Fan selber an. Aua!
Popkultur
„Come On“: Die erste Single der Rolling Stones wird 60 Jahre alt!
Schon mit ihrem ersten veröffentlichten Song Come On landeten die Rolling Stones einen Hit. Auch wenn er aus der Feder einer anderen Rocklegende stammt: Chuck Berry. Später konnten Mick Jagger und Co. die Nummer noch nicht einmal mehr leiden. Am 7. Juni 1963 erschien die Single in Großbritannien.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Come On von den Rolling Stones anhören:
Schon als sich Mick Jagger und Keith Richards Ende 1961 auf der Zugfahrt von Dartford nach London kennenlernen, kann man erahnen, welche Musik die beiden einmal spielen werden. So trägt Jagger ein paar Blues-Platten von Muddy Waters und Chuck Berry mit sich herum. Richards überlegt, ob er den schlaksigen jungen Mann überfallen und die Platten klauen soll — entscheidet sich dann aber doch für ein Gespräch über die Musik. Wenig später gründen die beiden eine gemeinsame Band. Sie soll sich zu einer der größten in der Rockgeschichte entwickeln: The Rolling Stones — ein Name, der von Muddy Waters inspiriert ist. Der erste Song, den die Gruppe aufnimmt: Come On von Chuck Berry.
Come On: Die erste Single der Rolling Stones
Das Original nimmt Berry im Jahr 1961 in den Chicagoer Chess Studios auf. Gerade einmal 1:53 Minuten dauert der Song. Doch die kurze Zeit reicht der Gitarrenlegende, um einen gekonnten Rumba hinzulegen und einen weiteren Beitrag zur Konstruktion des Rock’n’Roll zu leisten. Inhaltlich geht es in dem Stück Blues-typisch um einen Kerl, bei dem wirklich alles schiefläuft: Seine Freundin hat ihn verlassen, der Wagen springt nicht an und arbeitslos ist er auch noch. Es sind Themen, mit denen sich offenbar auch die jungen Rolling Stones identifizieren können. Im Mai 1963 fahren sie mit einem Bus in ein Aufnahmestudio der Plattenfirma Decca und covern Come On.
„Der Song war seicht, aber auch sehr poppig“, erinnert sich Gitarrist Richards in According To The Rolling Stones. „Wir nahmen Come On zusammen mit mehreren Bo-Diddley-Songs auf. Die Nummer wurde wahrscheinlich ausgesucht, weil sie chartorientierter war.“ Vermutlich hätten einige Mitarbeiter von Decca Records die Entscheidung getroffen. „Uns war das egal“, ergänzt Richards. „Wir wollten einfach eine Single veröffentlichen.“ Tatsächlich gelingt mit Come On ein größerer Erfolg als erwartet. Nach dem Release am 7. Juni 1963 steigt der Song auf Platz 21 der britischen Single-Charts ein — und ebnet den Weg für ein jahrzehntelanges Rockmärchen.
Ein unliebsamer Startschuss für eine große Erfolgsgeschichte
Live findet der Song nach der Veröffentlichung kaum statt. Das liegt daran, dass Come On nicht gerade zu den Lieblingsstücken der Stones gehört. Gitarrist Ronnie Wood findet die Nummer zwar super, wie er in einem Interview verrät: „Meiner Meinung nach ein brillanter Song. Ich mag auch das Original von Chuck Berry.“ Mick Jagger) äußert laut Bill Wymans Rolling Stones Story allerdings: „Ich glaube nicht, dass Come On sehr gut war — es war scheiße. Weiß Gott, wie der Song in die Charts kam; es war ein Hype. Wir mochten das Stück so wenig, dass wir es bei keinem Gig spielten.“ Genau das sorgt kurze Zeit später noch für Ärger.
Was das britische Magazin NME über Come On und die B-Seite I Want To Be Loved von Willie Dixon zu sagen hatte
Als Stones-Manager Andrew Oldham mitbekommt, dass seine Schützlinge Come On auf der Bühne boykottieren, flippt er aus. „Er drehte durch, weil wir Come On nicht spielten“, erinnert sich Bassist Bill Wyman. „Er befahl uns, den Song bei jeder Show zu bringen.“ Das machen die Stones dann auch — allerdings nicht lange. Von der fertigen Single erhalten die Musiker damals übrigens nur vier Stück; weitere Exemplare müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. Unvorstellbar, dass eine der größten Rockbands des Planeten einmal so stiefmütterlich behandelt wurde. Heute sind die Stones schon lange Legenden. Angefangen hat der Erfolg mit ihrer ersten Single Come On am 7. Juni 1963.
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Popkultur
Zum Pride Month: Die queeren Wurzeln des Rock
Rock ohne die LGBTQ+-Community? Undenkbar. Ob die frühen Anfänge im Blues, die Erfindung des Rock’n’Roll, Glam Rock oder Heavy Metal: Die Geschichte der Rockmusik erstrahlt in bunten Regenbogenfarben. Wir haben die queeren Wurzeln des Rock für euch unter die Lupe genommen. Erster Halt: die 1910er-Jahre!
von Timon Menge
Man mag es bisweilen vergessen haben oder verdrängen, aber es gab in der Geschichte der Menschheit lange Zeiten, in denen die Mitglieder der LGBTQ+-Community ihre Identität für sich behalten mussten, weil ihnen sonst juristische Verfolgung oder gar der Tod drohte. Noch schlimmer: In Teilen der Welt ist es bis heute so, zum Beispiel in Jamaika oder Uganda. Zusätzlich herrschen vielerorts mehr oder minder unterschwellige Ressentiments gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft. Dafür muss man sich nur einmal eine Kommentarspalte zu einem Artikel mit dem entsprechenden Thema anschauen. Eine der Lösungen ist, der Community zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, ob von innen oder von außen. Ein traditionell gutes Mittel dafür ist die Kultur — im Speziellen die Musik.
Ma Rainey und Bessie Smith: Die „Bisexual Queens Of The Blues“
Zu den vielleicht ersten öffentlichen Ikonen der LGBTQ+-Community gehören die beiden bisexuellen Blues-Sängerinnen Ma Rainey und Bessie Smith. Sie lernen sich 1912 während einer Minstrel Show kennen, einer Art Wanderzirkus, der weiße US-Bürger*innen unterhält, indem auf der Bühne Schwarze Stereotype präsentiert werden. Meistens kommt dabei das sogenannte Blackfacing zum Einsatz, bei dem sich weiße Darsteller*innen ihre Gesichter dunkel anmalen und Schwarze als naive Sklaven zeigen, die ihre Besitzer*innen trotz aller Misshandlungen lieben. Es gibt allerdings auch Schaustellergruppen wie die Rabbit Foot Minstrels, zu denen Rainey und Smith gehören, und die ausschließlich aus Schwarzen Mitwirkenden bestehen.
Für Rainey und Smith ist die Wander-Show ein Karriere-Katalysator. Heute gelten beide zurecht als Blues-Legenden und werden sogar als „Bisexual Queens Of The Blues“ betitelt. Das liegt zum Beispiel daran, dass sie quasi den Soundtrack zu einem großen US-amerikanischen Umbruch liefern. So strömen in den 1910er- und den 1920er-Jahren viele US-Bürger*innen vom Land in die wachsenden Großstädte, wo bisher grundlegende Gesetze des Zusammenlebens neu verhandelt werden. Kultur, soziale Fragen, Politik, Kriminalität, Sexualität: Alles verändert sich und Künstler*innen wie Ma Rainey und Bessie Smith bilden die Veränderungen in ihren Songs ab. So lautet ein Auszug aus dem Text von Prove It On Me Blues von Ma Rainey:
They say I do it, ain’t nobody caught me
Sure got to prove it on me;
Went out last night with a crowd of my friends,
They must’ve been women, ’cause I don’t like no men.
Sister Rosetta Tharpe: Die „Godmother Of Rock And Roll“
Während der Transformation des Blues zum Rock spielt vor allem eine Schwarze, queere Musikerin eine entscheidende Rolle: Sister Rosetta Tharpe, eine der frühen Frauen des Rock’n’Roll. Schon mit vier fängt sie an, Gitarre zu spielen. Später kombiniert sie die Gospelmusik ihrer Kindheit mit ihrer verzerrten Gitarre sowie ihrem ausdrucksstarken Gesang und legt damit einen wichtigen Grundstein für die Entstehung des Rock’n’Roll. In ihren Texten singt sie über Themen wie Sexualität und Liebe und lebt offen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Das dürfte sie nicht nur einmal in Schwierigkeiten gebracht haben — dennoch feiert sie als Musikerin große Erfolge. Heute, also noch 50 Jahre nach ihrem Tod, gilt die „Godmother Of Rock And Roll“ als Ikone der LGBTQ+-Community.
Little Richard: Der „Architect Of Rock And Roll“, der seine Meinung änderte
Auch Little Richard, der übrigens von Sister Rosetta Tharpe entdeckt wird, gehört zu den frühesten Sprachrohren der LGBTQ+-Community. Als Schwarzer homosexueller Mann aus dem Süden der Vereinigten Staaten ist ihm vermutlich fast jedes Vorurteil schon einmal begegnet. Dennoch steht der „Architect Of Rock And Roll“ für seine Sexualität ein und lebt sie mehr oder minder offen aus. So lautet der Text seines größten Hits Tutti Frutti ursprünglich:
Tutti Frutti, good booty
If it don’t fit, don’t force it
You can grease it, make it easy
Für die Änderung der Lyrics in „Tutti Frutti, aw rooty“ sorgt Produzent Robert Blackwell, der sich wegen des eindeutigen Originaltextes Sorgen macht. Ab Anfang der Achtziger vollzieht Little Richard leider eine 180-Grad-Wende, spricht sich in der TV-Show Late Night With David Letterman öffentlich gegen das Schwulsein aus und bezeichnet Homosexualität noch 2017 als „unnatürlich“. Sie widerspreche „Gottes Willen“.
Musicals und der Broadway
Einen besonderen Stellenwert in der Musikhistorie der LGBTQ+-Community nehmen auch Musicals und der Broadway ein. So leben Komponisten wie Marc Blitzstein schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offen schwul und prägen die Bühnenwelt maßgeblich. Die lesbische US-Theaterproduzentin Cheryl Crawford gründet unter anderem die Schauspielschule Actors Studio, an der zum Beispiel Marlon Brando, James Dean, Marilyn Monroe, Al Pacino, Robert De Niro, Dustin Hoffman und Jack Nicholson ausgebildet werden. Einen der größten Meilensteine im LGBTQ+-Theater markiert die Rocky Horror Show, die am 19. Juni 1973 am Londoner West End Premiere feiert, und bei der es sich um eine der berühmtesten Travestie-Shows der Welt handeln dürfte.
Disco und der Christopher Street Day
Genau wie in der Welt der Musicals findet die LGBTQ+-Community auch in der Disco einen Heimathafen. Ihren Ursprung haben die Tanzlokale im Zweiten Weltkrieg, als es jungen Menschen durch die Nazis untersagt war, Swing- und Jazzmusik aus den Vereinigten Staaten zu hören. In den späten Sechzigern schwappt der Trend über den großen Teich, wo vor allem Afroamerikaner*innen, die Schwulenszene und Latinos in die Diskotheken strömen. In der Bar Stonewall Inn in der Christopher Street in New York City kommt es am 29. Juni 1969 zu den sogenannten Stonewall-Unruhen, bei denen die Bar um 1:20 Uhr nachts von Polizeibeamten gestürmt wird. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und dem LGBTQ+-Publikum der Bar schockieren. In Gedenken an die Ereignisse feiern wir heute deshalb jedes Jahr den Christopher Street Day. Ihren Höhepunkt erreicht die Disco-Ära ab Mitte der Siebziger mit Künstler*innen wie Grace Jones und dem Film Saturday Night Fever.
Glam Rock und Heavy Metal: Die LGBTQ+-Community in der Radaumusik
Nachdem Ma Rainey, Bessie Smith, Sister Rosetta Tharpe und Little Richard die Grundsteine dafür gelegt hatten, bleibt die LGBTQ+-Community auch weiterhin ein wichtiger Einfluss auf die Rockwelt. Da wären zum Beispiel Marc Bolan und David Bowie, die mit der Erfindung des Glam Rock Rollenmuster aufbrechen und androgyne Alter Egos erfinden. The Kinks thematisieren in ihrem Song Lola das Thema Transsexualität. Charismatische Künstler wie Freddie Mercury und Elton John sind weit oben auf der Spitze des Rockolymp zu finden und prägen das Genre nicht nur durch ihr grenzenloses Können, sondern auch durch ihre kreativen Kostüme. Und der homosexuelle Judas-Priest-Sänger Rob Halford erschafft die Metal-Mode, indem er sich am Dresscode der Sadomaso-Szene orientiert. Die Einflüsse der LGBTQ+-Community sind überall — und wir verdanken ihr einen großen Teil dessen, was wir heute unter Rockmusik verstehen.
Die Achtziger und Neunziger: LGBTQ+ im Mainstream sorgt für Homophobie
In den Achtzigern und Neunzigern explodiert der Einfluss der LGBTQ+-Community auf die Pop- und Rockmusik. Ob Culture Club, Wham!, die Pet Shop Boys, Cher, Blur, Cyndi Lauper, Madonna, Prince oder Frankie Goes To Hollywood: Zum ersten Mal ist die Szene in der Mitte des Mainstreams angekommen. Leider ruft das auch jede Menge Gegenwind auf den Plan. So führt die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den Achtziger-Jahren einen offenen Krieg gegen die LGBTQ+-Gemeinde. Das HI-Virus und AIDS werden öffentlich als „Schwulenpest“ verschrien. Nach gefühlten Schritten in die richtige Richtung erleidet der Kampf für die Akzeptanz der LGBTQ+-Community große Rückschläge. Doch die Bewegung gibt keine Ruhe und sorgt Stück für Stück dafür, dass sie akzeptiert wird. Erschreckend: Erst seit 1994 ist es in Deutschland nicht mehr illegal, homosexuell zu sein.
Mit Musik zu mehr Aufmerksamkeit und Toleranz
Heute sind wir zum Glück so weit, dass es selbst in den konservativsten Musikrichtungen eine LGBTQ+-Community gibt, was Country-Künstler*innen wie Orville Peck und Sarah Shook & The Disarmers unter Beweis stellen. Doch es ist auch offenkundig, dass es noch viel Arbeit zu tun gibt, bis die Sexualität von Musikerinnen und Musikern einfach keine Rolle mehr spielt. Die Lösungen dafür sind Sichtbarkeit, Aufklärung und Toleranz. Dafür war und ist die Musik eins der besten Hilfsmittel. Das Beste, was wir tun können, ist, die LGBTQ+-Community ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, bis auch der oder die Letzte verstanden hat, dass Gender, Liebe und Sexualität mindestens so bunt sind wie die Pride-Flagge.
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