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Popkultur

Lady Gagas „Artpop“ wird 10: Die Wiedergeburt der Venus

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Lady Gaga
Foto: Target Presse Agentur Gmbh/Getty Images

Nach dem Erfolg von Born This Way kann Lady Gaga machen, was sie will. Sie entscheidet sich für die Flucht nach vorn – und begeistert, schockiert und verblüfft vor zehn Jahren mit Artpop, einer schwitzigen Clubnacht in Albumform.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Artpop hören:

2013 gibt es wenige Popstars, die es mit Lady Gaga aufnehmen können. Ihre beiden Platten The Fame (2008) und Born This Way (2011) haben sie zum Superstar des Pop gemacht, zur legitimen Antwort auf Madonna. Millionen verkaufte Platten, frenetisch gefeierte Touren auf der ganzen Welt und so viel Gold- und Platinauszeichnungen, dass sie wahrscheinlich allein für die ein neues Haus kaufen musste, liegen hinter ihr, die Welt ihr zu Füßen, ihre Zukunft noch vor ihr: Sie ist Mitte 20. Und längst eine der einflussreichsten Figuren der Musikgeschichte. Einverstanden sind damit nicht alle: Viele fanden den Schritt vom elektronischen The Fame zum düster-rockigen Glamour von Born This Way zu groß.

Eine Nacht im Club

Ihr nächstes Projekt wird deswegen mal wieder was ganz anderes. Immer schon ist Lady Gaga die große Erneuerin, das Chamäleon, das Mysterium, dessen nächste Schritte stets ein im Verborgenen liegen. In Sachen Mode und Bühnenshow, aber auch musikalisch. Schon kurz nach der Veröffentlichung des dramatischen, teilweise auffällig düsteren, rockigen Born This Way nehmen erste Ideen Gestalt an. Parallel zu ihrer Welttournee Born This Way Ball, die 98 Shows umfasst, entstehen die Songs, die schon früh in eine andere Richtung tendieren. Stehenbleiben ist für Lady Gaga zu langweilig. Stattdessen entwirft sie mit den Produzenten Fernando Garibay und DJ White Shadow das Albumgegenstück zu einer langen, zügellosen, exzessiven, berauschten, moralisch eher lockeren Nacht in einem Club.

Phönix aus der Asche

In einem MTV-Interview von 2013 beschreibt sie die Vision hinter dem Album so: „Es macht riesigen Spaß, es mit Freunden zu hören. Ich habe es eben auch für mich und meine Freunde geschrieben.“ Als die Platte praktisch fertig ist, zieht sie sich auf der Bühne eine Verletzung zu, muss im Februar 2013 an der Hüfte operiert werden. Alles kommt zum Stillstand, das Album liegt ein halbes Jahr auf Eis. Aber Lady Gaga sieht keine Probleme, sie sieht Chancen. Das Projekt macht sie zum „Phönix aus der Asche“, wie sie sagt, gibt ihr durch die zusätzliche Zeit erstmals die Möglichkeit, sich den Songs in aller Ausführlichkeit zu widmen. Nicht gerade eine leichte Aufgabe für jemanden, die es seit ihrem 14. Lebensjahr keine zwei Wochen ohne Auftritt ausgehalten hat.

Doch Gaga weiß auch diese Auszeit in eine Stärke zu verwandeln. Sie ist eine vorbildliche Reha-Patientin, umgibt sich aber auch mit ihren Gleichgesinnten aus dem House Of Gaga. Sie lesen Bücher, hören Musik und tauschen „die kreativen Gaben aus, die wir einander zu bieten haben“, so Lady Gaga. „Ich hatte sechs Monate Zeit, um mein Gehirn und meinen Körper zu stärken. Ich konnte ein riesiges weißes oder schwarzes Blatt über meine ganze Leinwand legen und Artpop noch mal überarbeiten.“ Für sie ist es deswegen auch ihr erstes richtiges Album, das erste Mal, dass sie sich vollkommen in Kontrolle fühlt. „Und irgendwann spürte ich: Das ist die Platte, die ich schreiben musste“, so sagte sie mal.

Die Geburt der Venus

Entsprechend viel steckt in den 14 furiosen Songs von Artpop: Vorbilder aus der Kunst wie Sandro Botticellis Gemälde Die Geburt der Venus, Referenzen aus der römischen und griechischen Mythologie, tiefe Einblicke in ihr Seelenleben, sexuelle Anspielungen, Liebe, Nächte, in denen man einfach mal die Kontrolle verliert. Für sie ist das Album „eine Feier und eine poetische musikalische Reise“, die einen bewussten „Mangel an Reife und Verantwortung“ zeige. Artpop zeigt aber auch ihr gestiegenes Selbstbewusstsein seit dem Erfolg von Born To Die. „Für Artpop habe ich mich, um es mal metaphorisch auszudrücken, vor einen Spiegel gestellt, die Perücke abgenommen, das Make-up entfernt, den Reißverschluss geöffnet, mir eine schwarze Kappe auf den Kopf gesetzt und meinen Körper in einen schwarzen Catsuit gehüllt, in den Spiegel geschaut und gesagt: ‚Okay, jetzt musst du ihnen zeigen, dass du auch ohne das brillant sein kannst.‘“ Es ist der erste Schritt hin zu einer Lady Gaga, die uns schon bald mit Shallow zu Tränen rühren soll – ohne Effekte, schrilles Make-up und aufwändige Kostüme.

Wichtigste Weichenstellung

Musikalisch geht es allerdings bewusst knallig und übertrieben zur Sache: Pop, Elektro, EDM, House oder Dubstep beherrschen eine kunstvolle, überbordende, manchmal auch anstrengende Platte. Die spannendsten Momente von Artpop sind deswegen auch nicht Mega-Hits wie Applause oder sexuell knisternde Madonna-Tribute wie G.U.Y.; sondern die eher experimentellen, ungewöhnlichen Streifzüge durch ihren rastlosen musikalischen Geist. Aura zum Beispiel, dieser irre Opener zwischen wildem Mariachi und stampfendem EDM. Oder die Ballade Dope, die schon hier zeigt, dass Lady Gaga so viel mehr kann als schrille Outfits und wilde Zirkusshows.

Artpop ist voller eingängiger Songs und dennoch ein mutiges Album. Lady Gaga erforscht ihren Ruhm und ihre Sexualität wie es Madonna vor ihr getan hat, liefert einige der explizitesten und wildesten Songs ihrer Karriere. Myriaden von musikalischen Einflüssen lassen Artpop eher wie ein Debüt wirken, und irgendwie ist es das ja auch. Ihre Dritte ist das große Luftholen vor dem Sprung, der danach kommt: Joanne, das endgültige Entblättern und Freimachen von Erwartungen. Das Ende des Versteckspielens hinter ausladenden Kostümen. Die Kassen klingeln vielleicht auch deswegen bei weitem nicht so laut wie bei den beiden Vorgängern. Für Lady Gaga ist Artpop dennoch die vielleicht wichtigste Karriereweiche. Ohne dieses Album hätte es kein A Star is Born gegeben. Und dessen Titelsong Shallow bringt ihr einen Oscar, einen Grammy, einen BAFTA und einen Golden Globe ein. Das hat noch keine Frau vor ihr geschafft.

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