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Popkultur

Little Steven: „Wir brauchen mehr Licht, mehr Hoffnung!“

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Jordi Vidal/Redferns

Die Energie von Steven Van Zandt, besser bekannt als Little Steven, ist unbedingt ansteckend: Kein Wunder, dass er mit seinem ausgelassenen neuen Album ein klares Statement gegen kollektives Trübsal-Blasen und Kopf-in-den-Sand-Stecken macht. Summer Of Sorcery heißt der sommerliche Longplayer, den er mit seiner Band The Disciples Of Soul aufgenommen hat, und der seit Anfang Mai 2019 im Handel ist.

von Martin Chilton

Bis auf den Earl Grey, den der 68-Jährige in einem kleinen Straßencafé in Covent Garden bestellt, ist nichts an diesem Mann grau oder düster: Grell leuchtende Farben von Kopf bis Fuß, ein Bandana, sein Markenzeichen, auf dem Kopf, und auch der Schmuck glitzert im Sonnenlicht, während er mit uDiscover Music über sein neuestes Werk spricht. Die Themenpalette ist groß: Es geht um Blues- und Jazz-Musiker, um Schauspielerei und Politik, auch um inspirierende Kids und seine Erinnerungen an einen außergewöhnlich verbitterten Kollegen.

Hört hier Summer Of Sorcery während ihr weiter lest:

Diesen jüngsten London-Stopp macht der US-Musiker im Rahmen seiner gleichnamigen Summer Of Sorcery-Tour, die ihn wieder einmal um den gesamten Globus führt. Wie also kam es zu dem neuen Album, dem Nachfolger zu Soulfire und Soulfire Live! aus dem Jahr 2018?

„Wir brauchen etwas Licht, etwas mehr Hoffnung“

„Ich fragte mich: Woran mangelt es denn nun in einer Welt wie unserer?“, holt Little Steven aus. „Und mein Gott, wie finster sich das alles anfühlt! Wir sind an einem sehr, sehr, sehr, sehr düsteren Punkt der Zivilisation angelangt – das ist wohl das Schlimmste, was ich in meinem Leben mitbekommen habe, ja, wahrscheinlich das Schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg. Man wird in der Zukunft von einem weiteren dunklen Zeitalter sprechen, wenn man an diese Jahre zurückdenkt. Klar, Vietnam war auch finster, aber das hier ist noch düsterer. Also fasste ich den Entschluss, etwas Aufmunterndes zu schreiben. Ich dachte mir: Wir brauchen etwas Licht und etwas mehr Hoffnung.“


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„Ich wollte nicht bloß ein neues Album machen, sondern in eine ganz neue Richtung gehen“, berichtet er weiter. „Jedes meiner bisherigen Alben war entweder autobiografisch oder politisch – beides wollte ich diesmal also ausklammern. Nur fragte ich mich: Was bleibt dann noch von mir? Wer bin ich überhaupt? Keine Ahnung… aber genau das wollte ich herausfinden. Ich war einfach neugierig, wo ich damit landen würde. Danach war alles ein komplett organischer Prozess, ganz ohne Planung. Letztlich bin ich mit den Disciples Of Soul bei mir selbst und bei meinem musikalischen Kern gelandet: einer Mischung aus Rock und Soul. Und dabei will ich ab jetzt auch bleiben.“

„Letztlich bin ich bei meinem Kern gelandet: einer Mischung aus Rock und Soul.“ Foto: Courtesy of Little Steven

„Meine Idee war, mein Leben als Fiktion zu präsentieren – wie 12 kleine Filmchen.“

Little Steven, der sich schon in der E Street Band einen Namen machte, hat eine Schwäche für Konzeptalben, wie er sagt. Dieses Mal war das Konzept „Musik, die das Gefühl des Sommers wieder einfängt.“

„Ich mochte dieses ganze Sommerthema: Dass alles aufblüht, die Idee, wieder jung zu sein, gerade aus der Schule und frisch verliebt – verliebt in die Liebe, in die Möglichkeiten und die ganzen grenzenlosen Abenteuer, die vor einem liegen. Es war ganz einfach, dieses Gefühl einzufangen, weil ich glaube, dass wir es alle in uns tragen… es schlummert direkt unter der Oberfläche. Der Sommer hat so etwas Befreiendes. Er ist symbolisch, nicht wirklich fassbar: pure Fantasie. Ein Verlangen, das man in sich spürt, und das nie wirklich befriedigt werden konnte.“

Nun hieß es also, diesen konzeptuellen Rahmen in Songs zu übersetzen. „Und dafür war meine Idee, mein Leben in Fiktionen zu verwandeln – wie in 12 kleine Filme. Und ich spiele in jedem eine andere Rolle.“

Stücke wie Love Again, World Of Our Own, Party Mambo!, Soul Power Twist und Superfly Terraplane dürften jeden Sommerabend in eine Party verwandeln. Der Titelsong hingegen erinnert schon eher an Van Morrison. „Ich fasste den Entschluss, dass ich endlich mal Van Morrison besuchen musste, schließlich war ich schon immer ein Riesenfan von Astral Weeks“, so Little Steven. „Ich liebe alles an ihm. Wo er herkommt, dann die Domino-Phase, später dann die R&B- und Soul-Sachen. Ich kann mich mit den Phasen seiner Karriere gut identifizieren.“

„Das Album geht wirklich komplett aufs Konto dieser Band.“

Dazu gibt es noch weitere Inspirationen und indirekte Verneigungen, die auf Summer Of Sorcery durchschimmern. „Normalerweise lande ich irgendwann bei Sam Cooke und Smokey Robinson, aber dieses Mal wollte ich das Ganze erweitern. Dieser Kern aus Rock-trifft-auf-Soul ist also schon mal da, aber dann ging ich mehr in Richtung James Brown, bezog auch Sachen wie Tito Puente und Sly And The Family Stone ein, um mehr Nuancen reinzubringen. So etwas wie Sly And The Family Stone fehlt momentan sowieso. Und was Tito Puente angeht, hat mich dieses Latin-Ding schon immer fasziniert – keine Ahnung, ehrlich gesagt, woher ich das hab. Vielleicht liegt’s an Stücken wie La Bamba, Tequila, Twist And Shout oder auch Going To A Go-Go von Smokey Robinson. Aber so krass durchgezogen wie auf Party Mambo! hab ich das noch nie zuvor!“

Es ist nicht besonders schwer, diese verschiedenen Einflüsse im Geiste zu kombinieren. Sie jedoch wirklich zusammenzubringen, und zwar so, dass alles hinterher aus einem Guss klingt, ist eine ganz andere Sache: Dafür braucht man Topmusiker. Leute, die flexibel sind, mit allen Wassern gewaschen. „Das ist überhaupt der Schlüssel. Schließlich willst du die Subgenres so einbeziehen, dass die Elemente immer noch authentisch klingen – und daraus dann etwas Eigenes machen. Ich habe keine Angst, dass ich irgendwen nachmachen könnte: Dafür bin ich nicht mal gut genug. Aber wenn ich meinem Schlagzeuger Richie Mercurio zurufe, ‘Gib mir mal Hal Blaine!’, dann weiß er sofort, was ich hören will.“

Auf dem Track Gravity sind ein paar grandiose Bläser-Passagen zu hören – ebenfalls aufgenommen von Topleuten: Ron Tooley spielte seine Trompete schon für James Brown und Mel Tormé, Ravi Best sein Instrument für Blue-Note-Legende Sam Rivers. Der Tenorsaxofonist Stan Harrison hat mit David Bowie und Talking Heads im Studio gearbeitet, Baritonsaxofonist Eddie Manion hingegen mit Diana Ross und Robert Cray. „Dieses Album geht wirklich komplett aufs Konto dieser Band“, so Little Steven.

„Diesen unglaublichen Miles Davis konnte ich doch nicht einfach so rumliegen lassen, verdammt?!“

Mit einem der größten Bläser der Musikgeschichte hat Little Steven dabei schon 1985 gearbeitet, als er Artists United Against Apartheid organsierte und dafür sogar den „furchteinflößenden“ Miles Davis gewinnen konnte. „Miles war brillant. Ein Vorbild für jeden Künstler“, findet der 68-Jährige. „Genau genommen haben wir uns nicht mal besonders lange unterhalten, als er kam, um Sun City aufzunehmen. Schließlich war es schon ein Wunder, dass er überhaupt aufgetaucht war; da wollte ich nicht alles riskieren, indem ich noch groß ein Interview mit ihm führe. Ich war so froh, und es war so wichtig für das ganze Album damals“, so Van Zandt über die Sessions in den Achtzigern.

Wie war es denn nun, den als mindestens unbequem geltenden Jazz-Superstar damals im Studio anzuleiten? „Ich hatte die Aufnahmen von Miles fürs ruhige Intro geplant, und später sollte mehr davon in der Mitte des Songs zu hören sein“, erzählt er. „Es ging schließlich zunächst nur um eine Single. Ich brauchte ein 20-Sekünder-Intro für einen Dreieinhalbminutensong. Er spielte so um die fünf Minuten lang, und dann bat ich ihn, noch eine Version davon mit Dämpfer zu spielen. Ich hatte also diese unglaublichen Miles Davis-Aufnahmen rumliegen. Sechs bis acht Minuten von ihm, wie er über einen Schlagzeug-Part spielt. Und das lässt man doch nicht einfach so rumliegen, verdammt?! Ich wollte jede verdammte Sekunde davon benutzen. Also holte ich Herbie Hancock (Klavier), Ron Carter (Bass) und Tony Williams (Schlagzeug) dazu; sie sollten etwas einspielen zur Aufnahme von Miles. Und so wurde daraus ein ganzes Album.“

Die Weichen für ein derartiges Albumprojekt waren schon gut zwei Jahrzehnte zuvor gestellt worden, als der damals 12-jährige Steven die Beatles in der Ed Sullivan Show sah – wie 73 Millionen andere US-Amerikaner übrigens auch. „Das war der wichtigste Moment meines Lebens“, sagt er rückblickend über den 9. Februar 1963. „Meine ganze Generation hat das geprägt. Als ob eine fliegende Untertasse im Park um die Ecke gelandet wäre – nein, es war sogar noch umwerfender, schließlich hatte man fliegende Untertassen schon in Filmen gesehen. Etwas wie die Beatles hatten wir noch nie gesehen.“

Foto: Björn Olsso

In den Jahren danach ließ er kein Konzert ausfallen und studierte die Legenden jener Tage aus nächster Nähe: Die Beatles, Sinatra, Elvis Presley, The Who mit Keith Moon, Jeff Beck mit Rod Stewart, auch die jungen Rolling Stones. „Die eigentlichen Bühnenhelden waren damals Leute wie James Brown, Jackie Wilson und Joe Tex. Mick Jagger war insofern eine echte Ausnahmeerscheinung, weil er der einzige weiße Typ war, der abgesehen von Elvis richtig abging auf der Bühne. Die schwarzen Sänger*innen waren halt bessere Performer, da konnten die Weißen einfach nicht mithalten. Jagger imitierte sie so gut er konnte – und das funktionierte auch. Weiße Typen, die schwarze Typen nachmachen und dabei grandios scheitern – das ist doch die Geschichte des Rock & Roll, oder etwa nicht? Die Stones waren das beste Beispiel dafür. Die Freiheit, die in den wilden Bewegungen Jaggers zum Ausdruck kam, das war die ultimative Synthese aus Schwarz und Weiß.“

Auch der Blues seiner Landsleute hatte es ihm angetan: „Muddy Waters war ein wichtiger Einfluss. Auch Little Walter, Sonny Boy Williamson, Howlin’ Wolf, Elmore James… die Jungs aus dem Süden von Chicago. Ich mochte Buddy Guy und Junior Wells. Albert King war mir lieber als B.B. King – aber nicht Freddie King. Ich hatte vor langer, langer Zeit mal eine unschöne Begegnung mit Freddie King, und er war einfach unausstehlich. Deshalb taucht sein Name nie in meinen Listen auf.“

„Ich habe wenig Toleranz, was Rumgezicke und Drama angeht“

Auf ihrer aktuellen Tournee haben Little Steven & Co. gelegentlich auch Coversongs eingestreut, etwa von Etta James (Blues Is My Business) oder James Brown (Down And Out In New York City). Erst im April 2019 gesellte sich sogar Bruce Springsteen zu ihnen auf Bühne, als sie beim Asbury Park Music & Film Festival in New Jersey die Songs Tenth Avenue Freeze-Out, Sun City und I Don’t Want To Go Home präsentierten. Er genieße die Auftritte und das Tourleben, so der Musiker, was auch der guten Beziehung zu seiner Band geschuldet sei. „Ich habe wenig Toleranz, was Rumgezicke und Drama angeht – dafür bin ich einfach zu alt“, sagt er. „Angeblich wird man ja toleranter mit dem Alter. Bei mir trifft eher das Gegenteil zu.“

Gibt es denn auch Konzerterlebnisse, die als besonders unschön in Erinnerung geblieben sind? Abende, an die man ungern zurückdenkt? Little Steven, der eher schnell spricht, sehr eloquent ist, denkt länger nach. Dann erzählt er von einem Gig, den er zusammen mit Springsteen und Chuck Berry für die Rock & Roll Hall of Fame im September 1995 gespielt hat. An dem Punkt hatte er schon über 10 Jahre nicht mehr in der Band von Springsteen gespielt…

„Chuck war mies drauf. Einfach immer mies drauf.“

„Es war echt eine Ausnahme, aber ich fand das ganz schön unangenehm nach der Auflösung der E Street Band. Ich war ja schon eine ganze Weile nicht mehr dabei gewesen. Wir sollten nun wieder zusammen auftreten, für die Eröffnung der Hall of Fame, sollten Chuck Berry und Jerry Lee Lewis begleiten. Und ich weiß noch, wie schräg ich den Auftritt fand, so unglaublich schräg. Bruce hatte sich so verändert. Die Zeit davor war wohl die längste Phase überhaupt, in der wir keinen Kontakt hatten. Es war einfach unangenehm. Wir fühlten uns nicht länger wie Freunde, waren nicht dicke genug, um zusammen auf der Bühne zu stehen. Denn ich kenne das nur so, dass ich mit Freunden auf der Bühne bin.“

Auch die Tatsache, dass Chuck Berry beteiligt war, machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil: „Chuck war der wichtigste Rock & Roller aller Zeiten, das steht fest. Und es ist einfach nur traurig, dass er dermaßen verbittert durchs Leben gehen musste. Ich habe nie einen Menschen getroffen, der dermaßen übellaunig war. Er war einfach nur sauer auf die Welt, weil er abgezockt worden war“, so Little Steven. „Und er hatte auch keine Freunde, die zu ihm hätten sagen können: ‘Lass uns die Sache doch mal anders betrachten: Am Anfang werden doch alle abgezockt. Das ist falsch, aber andererseits haben die Chess-Brüder dich verdammt noch mal berühmt gemacht! Du hast an fünf Tagen die Woche je 10.000 Dollar in deinem Gitarrenkoffer mit nach Hause genommen, und das 60 Jahre lang! Rechne es doch mal durch!’ Aber nein: Chuck war mies drauf. Einfach immer mies drauf. Das machte die Sache also auch nicht besser… und es war einfach ein seltsamer Auftritt.“

„Eine meiner größten Leistungen überhaupt“

Unvergessen als Silvio Dante in der HBO-Serie The Sopranos, ist Little Steven besonders stolz auf seine Rolle in der norwegisch-US-amerikanischen Serie Lilyhammer, in der er Frank „The Fixer“ Tagliano spielt. „Eine meiner größten Leistungen überhaupt, weil ich alles, was ich bei den Sopranos gelernt hatte, auf diese Serie übertragen konnte. Ich habe einen Großteil der Songs beigesteuert, mich überhaupt um die Musik gekümmert, war Co-Autor der Serie, Co-Produzent und sogar Regisseur der letzten Folge.“

„Milliarden werden da in symbolischen Mist investiert, der überhaupt nicht funktioniert“

Es gibt sogar noch mehr Gebiete, in denen Little Steven quasi als Quereinsteiger sehr erfolgreich werden sollte: Für sein TeachRock-Programm wurde ihm sogar der Ehrendoktortitel der Rutgers University verliehen. Er selbst sei damals zwar nicht gerade ein fleißiger Schüler gewesen („Ich war schlimm, was das angeht… eigentlich mache ich das alles nur als Wiedergutmachungsversuch.“), doch zwei Dinge seien ihm wichtig: Er will etwas gegen die Kürzungen im Bereich Musikunterricht machen – und dagegen, dass so viele Schüler vor ihrem High-School-Abschluss das Handtuch werfen. Das Programm, das kostenlose und interdisziplinäre Stunden anbietet, wird von 25.000 Lehrern unterstützt, die immerhin zwei Millionen Kinder unterrichten.

„Nach meinen ersten Besuchen in verschiedenen Schulen wusste ich, dass alles immer noch genauso lief wie damals: ‘Lern das hier, das wird dir irgendwann mal nützlich sein.’ Mir war klar, dass das nicht mehr funktionieren konnte. Nicht bei der heutigen Generation.“

„Also mussten wir eine neue Methode entwickeln. Schließlich stehen die Kinder voll auf Musik! Anstatt sie also zu unseren Themen zu schleifen, mussten wir auf sie und ihre Themen zugehen. ‘Auf wen stehst du persönlich? Beyoncé. Also gut: Beyoncé bezieht sich auf Aretha Franklin, und die bezieht sich auf den Sound der Stadt Detroit – darüber können wir auch noch reden. Ja, und dann war Aretha auch viel in der Kirche: Gospel! Hier noch ein wenig dazu. Außerdem hatte sie was mit der Bürgerrechtsbewegung zu tun, also sprechen wir am besten da auch noch drüber.’ Es ist eine Art Reise durch die Zeit. Die Kids machen voll mit. Sobald wir uns auf ihr Terrain begeben, können sie damit etwas anfangen.“

Was die Beschaffung der Mittel für TeachRock angeht, wirkt jedoch auch Little Steven etwas frustriert: „Milliarden werden da für irgendwelchen symbolischen Mist ausgegeben, der überhaupt nicht funktioniert. Das hier ist aber nicht bloß symbolisch. Es ist echt. Die Leute sollten sich darum reißen, uns ihr Geld geben zu dürfen.“

„Ich habe Hoffnung für die Generation der Millennials“

Unpolitisch war Little Steven noch nie. Und so kommen wir auch an diesem 24. Mai 2019 auf das Thema – jener Tag, an dem Theresa May ihren Rückzug ankündigen sollte. Nur was macht ihn so optimistisch? „Ich glaube, die Grünen sollten sich auf das konzentrieren, was die Kids umtreibt. Diese ganze Bewegung wird immer größer und größer. Deshalb habe ich auch Hoffnung für diese Generation der Millennials.“

„Ich glaube, diese junge Generation ist einfach smarter, schneller, und Grün ist für sie eine ganz natürliche Wahl“, sagt er abschließend. „Sie sind gegen Schusswaffen, was gerade für uns Amerikaner wichtig ist, und sie haben keine Vorurteile. Sie verstehen nicht mal mehr, weshalb Kategorien wie schwul, hetero, schwarz, weiß und so eigentlich existieren – weil es ihnen scheißegal ist. Für sie ist das wirklich unbegreiflich, so à la ‘Wovon redet ihr da eigentlich?’ Ich find das grandios. Sie sind keine Nationalisten. Jeder Zweite von ihnen ist jetzt schon Veganer. Sie sind quasi wie eine höherentwickelte Spezies, und das ist die Sache, die mich für die Zukunft hoffen lässt. In vielleicht fünf oder 10 Jahren könnte sich dadurch alles zum Guten wenden. Bis dahin werden wir uns wohl noch mit diesem verdammt düsteren Zeitalter arrangieren müssen, wie’s aussieht.“

Ziemlich düstere Aussichten für die nächsten Jahre also – aber zum Glück gibt es ein Gegenmittel: Es heißt Summer Of Sorcery

„Sun City“: Wie Little Steven die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Apartheid-Problem lenkte

Popkultur

„Please Please Me“: Vor 60 Jahren erscheint das schlüpfrige Debüt der Beatles

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The Beatles Header
Foto: Mirrorpix/Getty Images

Am 22. März 1963 erscheint das erste Beatles-Album Please Please Me. Es beginnt mit einer frechen Aufforderung zum Oralverkehr, endet mit dem Orkan Twist And Shout – und macht die Beatles endgültig zu Stars.

von Björn Springorum

Heute kennt man sie ja alle, die Geschichten. So gut, dass es sich manchmal fast so anfühlt, als wäre man damals dabei gewesen. Auf der Reeperbahn. Im Cavern Club. Als Astrid Kirchherr aus den vier unscheinbaren Liverpooler Jungs die coolen Beatles macht. Bei ihrem vergeigten Vorspielen für Decca am Neujahrsmorgen 1962. Im Van von Gig zu Gig im kalten Großbritannien. Damals kennen diese Geschichten aber eben nur die wenigsten. Auch weiß niemand, dass hinter den Kulissen der Popmusik, hinter den in Großbritannien so angesagten Stammhaltern wie Cliff Richard und den Shadows eine Wachablösung vorbereitet wird. Eine neue Zeitrechnung. Gut, niemand außer Brian Epstein vielleicht.

George Martin hat den richtigen Riecher

Im März 1963 ist die Welt noch weit von einer Beatlemania entfernt. Seit 1961 besteht die Band aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und dem glücklosen Drummer Pete Best, der ja bekanntlich kurz vor ihrem großen Durchbruch gefeuert werden. Im Mai 1962 unterschreiben sie bei EMI und arbeiten fortan mit Produzent George Martin zusammen. Auch das weiß damals niemand: Die Band und ihr Produzent werden gemeinsam Musikgeschichte schreiben. Selbst wenn er ihnen anfangs nicht zutraut, jemals einen Hit zu komponieren. Seine Meinung ändert er schnell, als nach Love Me Do auch die zweite Beatles-Single Please Please Me einschlägt und in verschiedenen Hitparaden sogar bis an die Spitze klettert.

Das Rätselhafte ist: Nach den frühen Erfolgen ihrer ersten Singles will Martin ein ganzes Album mit den Beatles aufnehmen. Ein Album, von einer eher bei Teenagern beliebten Band? Ein absolutes Novum und nach Ansicht vieler ein vorprogrammierter Reinfall. Erwachsene kaufen Alben mit langweiliger Musik, die Kids Singles mit dem heißen Scheiß. So läuft das damals. Ist Martin aber egal. Der wittert Anfang 1963 etwas in der Luft, das die Welt für immer verändern wird.

Das Debüt wird an einem Tag aufgenommen

Recht zackig geht es damals noch in den Studios zu, viel Zeit für Experimente ist nicht vorgesehen. Ihr allererstes Album Please Please Me nehmen die Beatles dann auch an einem einzigen Tag auf – am 11. Februar 1963. Pete Best musste auf George Martins Anraten da schon seine Koffer packen und Platz machen für Ringo Starr. Wie wir aus der Peter-Jackson-Doku Get Back wissen, ist ein Studiotag zum Ende ihrer Karriere nicht mal genug Zeit, in der man die eine oder andere Meinungsverschiedenheit aus der Welt zu räumen. Man sieht also: Am Anfang der kurzen und dafür unerreicht steilen der Karriere soll alles noch ganz anders sein als am Ende knapp sieben Jahre später.

„Es war eine sehr geradlinige Angelegenheit, eher wie eine Aufführung“, so sagte George Martin mal zu den legendären Debüt-Aufnahmen der Beatles. „Wir buchten eine Morgen- und eine Nachmittags-Session und fügten dann noch die Abend-Session hinzu.“ Darüber schreibt der Beatles-Chronist Mark Lewisohn später: „In der Geschichte der aufgenommenen Musik gab es wohl nie wieder derart 585 produktive Minuten.“ Neben Chef George Martin sind Norman Smith und Richard Langham als Tontechniker dabei, als im Studio 2 der Abbey Road Studios (damals noch EMI-Studios) Musikgeschichte auf Tape gebannt wird. „Wir probten unser erstes Album nicht“, erinnerte sich Ringo Starr einst. „Wir nahmen es live auf.“ Davon profitiert das schnörkellose, direkte Material bis heute. Please Please Me klingt als einziges Beatles-Album wie eines ihrer Konzerte in Hamburg oder Liverpool – wo der Schweiß von der Decke tropft und alles nach Bier und Zigaretten riecht.

John Lennon ist heftig erkältet

Um zehn Uhr morgens geht es los, John Lennon schleppt eine üble Erkältung mit ins Studio, (McCartney schnieft auch, kein Wunder, das schreckliche englische Wetter…), und lutscht eine Halspastille nach der anderen. Sie nehmen den ganzen Tag auf, bis sie um zehn Uhr abends ihr Cover von Twist And Shout im Kasten haben. Die Nummer muss solange warten, weil Lennons Stimmbänder nach dem rachenzerfetzenden Gebrüll der Nummer vollkommen ruiniert sein würden. Denkt zumindest George Martin. Und zeigt sich beeindruckt: „Ich weiß nicht, wie die das machen. Wir nahmen den ganzen Tag auf, doch je später es wurde, desto besser wurden sie.“ Lennon sieht das etwas anders: Er kann danach wochenlang nicht schlucken. Alles für den Ruhm eben.

Und der kommt. Mit großen Schritten. Zwar wird das Debüt dann doch Please Please Me genannt und nicht Off The Beatle Track, wie McCartney vorschlägt; die Gottwerdung der vier Protagonisten ist von da an aber nicht mehr aufzuhalten. Das Album, das damals für gerade mal 400 Pfund (heute umgerechnet 9000 Pfund) aufgenommen wird, erscheint vor 60 Jahren am 22. März 1963, ist im Mai auf Rang eins der britischen Charts geklettert und bleibt dort satte 30 Wochen, bis es vom Nachfolger With The Beatles abgelöst wird. Da ist die Beatlemania längst ausgebrochen. Und die vier Jungs aus Liverpool auf dem Expressweg zur größten Band der Welt.

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Zeitsprung: Am 26.2.1970 erscheint in den USA ein halbherziges Beatles-Album.

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Popkultur

Zeitsprung: Am 22.3.1987 brillieren Anthrax mit „Among The Living“.

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.3.1987.

von Christof Leim

Bunte Shorts und schnelle Riffs: Mit „Among The Living“ legen Anthrax am 22. März 1987 einen Klassiker des Thrash Metal hin. Dabei wäre die Sache beinahe beim Mix gehörig schief gegangen. Für den „Zeitsprung“ blickt Scott Ian zurück auf Comics und Sozialkritik, Hetfields Segen und die zufällige Erfindung des Rap-Metal.

Hier könnt ihr euch die Thrash-Granate ganz anhören:

Mit ihrem zweiten Album Spreading The Disease hatten Anthrax 1985 ihren Stil gefunden. Thrash Metal als Genre explodiert, und die New Yorker reiten ganz vorne mit. Die fünf blutjungen Headbanger touren was das Zeug hält, eine Pause gibt es nicht: „Als es mit den Shows für Spreading The Disease losging, haben wir mit dem Songwriting einfach weitergemacht“, erinnert sich Gitarrist Scott Ian im Gespräch mit dem Autor. „Uns war klar, dass wir in einem Jahr eine neue Platte abliefern müssen.“ 

Hetfield findet es gut

Vor allem Drummer und Hauptsongwriter Charlie Benante hat jede Menge Ideen, die die Band bei Soundchecks und im Bus ausarbeitet. Anthrax verfolgen vor allem die mit dem Song A.I.R. von Spreading The Disease eingeschlagene Richtung, legen aber noch einen drauf. Schon während der Europatour im Herbst 1986 als Vorgruppe von Metallica haben sie die beiden späteren Klassiker I‘m The Law und Indians am Start. „Ich kann mich erinnern, dass wir James Hetfield die Songs im Bus vorgespielt haben. Er fand die Riffs großartig. Und auch wir wussten, dass das Zeug einschlagen würde. Es klang noch besser als A.I.R., mit besseren Riffs und schnelleren Parts.“ Leider kommt bei dieser legendären Konzertreise Cliff Burton ums Leben, der Bassist von Metallica und ein Freund von Anthrax. 

Thrash Metal ist eine ernste Angelegenheit. Not. – Foto: Brian Rasic/Getty Images

Zurück in den USA können Anthrax mit Hilfe von Island Records sogar Eddie Kramer als Produzenten gewinnen, der mit einigen der größten Namen im Rock gearbeitet hatte, darunter Jimi Hendrix, Led Zeppelin und The Rolling Stones. Für die Musiker zählt aber eine andere Referenz: „Wir wollten ihn vor allem, weil er einige der besten Kiss-Platten produziert hatte, nämlich Alive! und Rock And Roll Over“, stellt Scott klar. Die Band steht auf die Liveatmosphäre, die Kramer seinen Aufnahmen zu verleihen vermag. Die Produktion im Quadradial Studio in Miami läuft hervorragend, es „herrscht eine Energie wie in einem Football-Stadion“. 

Ersoffen in Hall und Echo

Doch beim Mix in den Compass Point Studios auf den Bahamas, in dem schon Iron Maiden reihenweise Klassiker geschaffen hatten, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Beeindruckt vom Megaerfolg des Def Leppard-Meilensteins Hysteria (1987) und seiner poppigen Produktion von Robert „Mutt“ Lange ertränkt Kramer die Anthrax-Songs in Hall und Echo. Das klingt nicht nur weicher, sondern lässt angesichts der rasenden Geschwindigkeit der Stücke sämtliche Details verschwimmen. Kurz: eine Katastrophe. Die Band fällt aus allen Wolken und macht – Kiss-Fans hin, Legende her – deutliche Ansagen. Vor allem Scott bleibt stur, weil er weiß, dass die Zukunft seiner Gruppe von dieser Platte abhängt. Glücklicherweise einigen sich die Parteien und kreieren einen trocknen, megafett drückenden, heute klassischen Thrash-Sound.

Textlich schwanken Anthrax auf Among The Living zwischen ernsthaft, lustig und Nerdkram: Während Indians die Vertreibung der nordamerikanischen Ureinwohner anprangert, vertont Scott gleich zweifach seine Liebe zu den Horror-Thrillern von Stephen King. Dessen Bücher The Stand (deutscher Titel: Das letzte Gefecht) und Apt Pupil (verfilmt als Der Musterschüler) standen Pate für die Stücke Among The Living und Skeletons In The Closet

Comics und Sozialkritik

Efilnikufesin (N.F.L.) thematisiert den Drogentod des Schauspielers John Belushi von den Blues Brothers, während Caught In The Mosh den Umgang mit dummen, nervigen Mitmenschen mit einem Moshpit vergleicht, dem man nicht entkommen kann. „Ich habe über die Themen gar nicht groß nachgedacht“, meint Scott dazu. „Ich würde euch ja gerne erzählen, dass I Am The Law als Metapher für irgendwas steht, eine schlechte Regierung oder böse Cops. Aber nein: Der Song handelt von Judge Dredd, weil ich auf Comics stehe. Damals wusste ich es auch gar nicht besser, ich war gerade mal 22 Jahre alt. Für mein Hirn ergab I Am The Law genauso viel Sinn wie Horror Of It All, in dem es um den Tod von Cliff geht. Ich wurde zum Texter der Band und musste mich anstrengen, damit nicht unterzugehen.“

Dass Anthrax nicht immer alles bierernst sehen, zeigt sich in einem musikalischen Experiment: Weil die Musiker auf Run-DMC und die Beastie Boys stehen, schreibt Scott mit seinem Gitarrentechniker John Rooney einen nach eigenen Worten „blödsinnigen“ Rap-Song, spielt dazu das jüdische Folk-Stück Hava Nagila als Metal-Riff – und fertig ist I‘m The Man, der erste (erfolgreiche) Rap-Metal-Crossover

Die zufällige Erfindung des Rap-Metal

So haben Anthrax nach der Hardcore-Thrash-Vermählung bei S.O.D. zum zweiten Mal musikalische Grenzen eingerissen. Dabei war die Nummer »ein totaler Witz«, wie Scott auch drei Dekaden später noch betont. I‘m The Man wird zunächst auf der B-Seite von I Am The Law versteckt, findet aber großen Gefallen, gehört fortan zum Liveset und wird später sogar auf einer eigenen EP veröffentlicht.

Among The Living erscheint am 22. März 1987 und knackt mit einem Platz 62 die Top 100 in den USA. Die Scheibe zählt nicht nur zu den wichtigsten Alben von Anthrax, sondern eines ganzen Genres. Die neun Songs bersten förmlich vor Thrash-Energie und klingen dabei größer, eingängiger und vielseitiger als auf dem Vorgänger. „Sechs der Stücke könnten wir noch heute jeden Abend spielen“, findet Scott und hat Recht. „Das sagt schon was. Sie sind so gut.“ 

Bunte Shorts sind Metal!

Das Quintett begleitet nach der Veröffentlichung erneut Metallica in Europa, die mit neuem Bassisten Jason Newsted ihre Master Of Puppets-Tour beenden. In den USA sind Anthrax da bereits als Headliner unterwegs. Dabei gibt sich die Band bei allem ernsthaften Geriffe locker auf der Bühne: Die Zeiten von Nieten und Leder sind endgültig vorbei, unfassbar bunte Shorts und Shirts setzen einen deutlichen Kontrapunkt zum vorherrschenden Stil in der Welt der harten Musik.

Mit der Platte beschleunigt sich das Leben im Anthrax-Lager noch mehr: „Alles passierte richtig schnell! Man muss sich das mal vor Augen führen: Among The Living erschien nur drei Jahre nach Fistful Of Metal. „Im Mai 1987, am Anfang der Tour, haben wir kleine Clubs mit 500 Leuten ausverkauft. Im Dezember standen wir in den USA jeden Abend vor 7000 Fans. Ich war gerade mal 24.“

Zeitsprung: Am 23.2.1992 treffen Anthrax auf Al Bundy.

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Popkultur

35 Jahre „Surfer Rosa“: Wie die Pixies quasi Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ schrieben

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Foto: Rob Verhorst/Getty Images

Zu punkig für Grunge, zu arty für Punk: Schon mit ihrem Debüt Surfer Rosa setzt sich das Alternative-Rock-Kuriosum Pixies 1988 genüsslich zwischen alle Stühle. Der Erfolg kommt dennoch und beeinflusst alles von Nirvana bis Radiohead – auch wegen der großartigen Selbstverlusthymne Where Is My Mind.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Surfer Rosa anhören:

Als Punk noch nicht ganz tot und Grunge noch nicht ganz da ist, finden die Pixies zusammen. Allerdings nicht in Seattle, wo der Grunge geboren wurde, sondern in Boston an der Ostküste der USA, dem Epizentrum des US-amerikanischen Hardcore Punk. Okay, und der Heimat von Aerosmith, aber die dürften für die Pixies jetzt weniger eine Rolle gespielt haben.

Lang bevor Kurt Cobain und seine Truppe auf die Idee kam, dass die Dynamik einer zurückhaltenden Strophe und eines wild um sich schlagenden Refrains vielleicht auch für Nirvana eine gute Idee wäre, kultivieren die Kommilitonen Joey Santiago und Black Francis während ihres Nebenjobs in einer Lagerhalle die Idee einer Band. Zwei sind dafür aber in der Regel zu wenig, also schalten sie im Januar 1986 eine der wahrscheinlich kuriosesten Stellengesuche in der Welt des Rock’n’Roll: Gesucht wurde jemand für den Bass mit Vorlieben für sowohl den Folk-Act Peter, Paul And Mary als auch für die seltsamen Alternative Punks von Hüsker Dü. Nur eine Person meldet sich auf die Annonce – und sie spielt nicht mal Bass: Kim Deal. Scheint kein Hindernis zu sein, die beiden nehmen sie mit offenen Armen in ihre Mitte auf.

Hinterlistige kleine Kobolde

Wenn eine Band schon so anfängt, ist entweder gar nichts oder eben doch Großes zu erwarten. Rasch noch einen Schlagzeuger gefunden, das Wörterbuch zufällig auf irgendeiner Seite aufgeschlagen und sich für den Namen Pixies entschieden – also diese hinterlistigen kleinen Kobolde aus der englischen Fabelwelt. Man probt in einer Garage, man spielt in Bostoner Bars, man entwickelt einen Sound, der an der anderen Küste der USA sehr bald zu einer Blaupause für das werden soll, was unter dem Namen Grunge in den Mainstream kracht wie eine schlechtgekleidete Rakete mit fettigen Haaren.

Nach einem Demo und einem Plattenvertrag beim angesehenen Alternative-Pulsmacher 4AD geht es für die Pixies Ende 1987 ins Studio. Das Vorhaben: Ein Debüt aufnehmen. Der Produzent: Steve Albini. Den kennt man in der Szene kaum, zuvor hat er kaum als Produzent gearbeitet. Später, klar, wird er mit Nirvana an In Utero arbeiten, aber 1987 sind es erneut die Pixies, die ihn bekannt machen sollen. Was in zwei verschiedenen Studios in Massachusetts entsteht, ist ein körperlicher, viszeraler, schroffer Sound voller anatomischer Referenzen und Anspielungen auf Selbstverletzung: Bone Machine, Break My Body oder Broken Face heißen die Songs, die die junge Band in diesen Tagen auf die Tape-Maschinen bannt. In Cactus geht es um einen Sträfling, der seine Freundin bittet, ihre Hand an einem Kaktus aufzuspießen, ihr Kleid mit Blut zu beschmieren und es ihm zu senden. Ganz normales Zeug also.

Gesangsaufnahmen im Badezimmer

Der karge, trockene Sound der Drums wird von metallisch sägenden Gitarren und einer Vielzahl menschlicher Laute kontrastiert – singen, schreien, krächzen, würgen, jaulen. Nicht oft harmonisch und melodisch, aber dann (wie bei Where Is My Mind?) so richtig. Laut/leise, hart/sanft, eingängig/abgefahren lauten die Devisen, auf die sich Band und Produzent sofort einigen können. Steve Albini erinnerte sich mal an das erste Treffen mit der Band, bei dem sie über den Sound der Platte sprachen: „Und am nächsten Tag waren wir auch schon im Studio.“

Zehn Tage hat man Zeit, 10.000 US-Dollar ist das Budget. 1.500 davon bekommt Steve Albini, der in alter DIY-Manier auf Royalties verzichtet. Allein in den USA soll sich die Platte über 700.000 Mal verkaufen – das nennt man dann wohl nackten Idealismus. Dafür erweist sich Steve Albini sozusagen als fünfter Pixie und lebt sich bei den Aufnahmen voll in seinen unorthodoxen Produktionsmethoden aus. Ist ja auch fair. Kim Deals Gesang auf Where Is My Mind? wird im Badezimmer aufgenommen, um mehr Echo zu bekommen, Black Francis nimmt seinen Gesang auch mal durch einen Gitarrenverstärker auf. Außerdem erlaubt er sich, Gespräche im Studio mitzuschneiden und unter die Songs zu legen. Ein genialer Kauz eben.

Urmutter des Grunge

Als das Album erscheint, wird es in den USA erst mal gepflegt ignoriert, während es sich in Großbritannien zum echten Hit mausert. Skurrilerweise war die Platte in den USA zunächst nur als UK-Import zu bekommen, wird dann aber auch in den Staaten nach und nach zu einem verehrten Underground-Juwel – klar, spätestens als MTV seine Klauen in den Grunge gräbt und alle langsam checken, was schon einige Jahre zuvor in Boston vor sich ging. Und dann ist da natürlich noch Where is My Mind?, diese geniale, schleppende, jenseitige Hymne an dissoziatives Verhalten, weltberühmt gemacht durch den Film Fight Club.

Heute gilt Surfer Rosa als Grunge-Blaupause. Kurt Cobain gab zu, dass Surfer Rosa der mit Abstand größte Einfluss auf Smells Like Teen Spirit war. „Ich wollte einen Pixies-Song schreiben“, sagte er mal. Auch das Verpflichten von Steve Albini geht auf diese Platte zurück. Ähnlich geht es PJ Harvey, die danach sofort mit Albini arbeiten will.

Und die Pixies? Machen es wie jede gute Band: Fangen an, ihre Stadt und sich selbst zu hassen, halten aber noch bis 1993 durch. Es reicht, um die Alternative-Rock-Welt für immer zu verändern.

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