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Popkultur

Maurice Gibb: Das geplagte Genie der Bee Gees

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Maurice Gibb
Foto: Frederic REGLAIN/Getty Images

Zum 20. Todestag von Maurice Gibb werfen wir einen Blick auf das Leben des stillen Bee Gees. Das Singen hat er meist seinen Brüdern überlassen; hinter den Kulissen war er Stütze, Mastermind und Tonangeber.

von Björn Springorum

Wie viel man im Leben gegolten hat merkt man ja manchmal daran, wer zur eigenen Beerdigung auftaucht. Bei Maurice Gibb war das Anfang 2003 unter anderem Michael Jackson – immerhin der größte Popstar unserer Zeit. Er war nur einer von zahllosen Musiker*innen, die von den perfekten Harmonien und den eleganten Grooves der Bee Gees beeinflusst wurden. Gesungen haben die größten Hits meist Barry oder Robin Gibb. Ohne Maurice Gibbs Arbeit im Studio wären die Bee Gees aber eine vollkommen andere Band. Am 12. Januar 2003 starb Gibb an den Folgen einer angeborenen Darmkrankheit. Er wurde nur 53 Jahre alt.

Viel mehr als nur Disco

Es gehört zu den mittelschweren Ungerechtigkeiten der Popmusik, dass man die Bee Gees nur auf ihre Disco-Phase der späten Siebziger limitiert. Es steht außer Frage, dass ihr Soundtrack zu Saturday Night Fever ein schillernder Klassiker ist, der sich völlig zurecht über 40 Millionen Mal verkauft. Es gibt aber eben eine Zeit, die noch nicht von Disco-Beats und Falsett geprägt ist: Insbesondere in den späten Sechzigern sind die Bee Gees eine visionäre Band, die in Sachen Experimentierwut, Originalität, Melodik und Songwriting durchaus mit den Beatles mithalten kann.

McCartneys Bass und Lennons Gitarre

Daran hat Maurice Gibb großen Anteil: In den frühen Sechzigern verfällt er den Beatles, hört ihre Werke rauf und runter. Insbesondere Paul McCartneys Bassspiel hat es ihm angetan. Er schafft sich jedes Bass-Lick von Macca drauf, übt wie besessen. Es ist der Weg zum Multiinstrumentalisten: Maurice Gibb spielt Gitarre, Bass, Piano, setzt sich auch ans Piano, wenn es sein muss. Der Bass wird jedoch sein Lieblingskind bleiben – selbst als ihm sein großes Idol John Lennon mal eine Gitarre vermacht.

Mit dem Singen hat es Maurice Gibb allerdings nicht so. Durchschnittlich ist seine Stimme nur auf ein oder zwei Songs pro Album zu hören. Es liegt nicht daran, dass er nicht singen kann: Schon als Kinder singen die Gibbs fleißig Harmonie, verzücken Eltern und Publikum gleichermaßen in England und später in ihrer Wahlheimat Australien. Er fühlt sich hinter den Instrumenten einfach wohler, vielleicht auch ein Stückchen weniger beachtet. Bei den Akustik-Medleys auf der Bühne lässt es sich Maurice Gibb dennoch nicht nehmen, den Clown zu geben und seine singenden Brüder nachzuäffen.

Der stille Bee Gee

Das brachte ihm den Ruf des „stillen Bee Gee“ ein. Auch wenn das rein gesanglich zutreffen mag: Maurice Gibb ist alles andere als unbeteiligt. Beim Songwriting kommen die meisten Melodien von ihm, er ist es, der sich viel mit den Fans unterhält, im Studio die Stimmung immer wieder mit einer guten Geschichte zu heben weiß. Während seine Brüder frontal im Rampenlicht stehen, ist er eher der stabilisierende Faktor am Rand, der nicht dieselben Ambitionen teilt wie seine Brüder. Und sich lieber auf die Musik konzentriert.

Er stürzt sich in Studio-Equipment und Aufnahmetechnik, koordiniert im Studio bald alle Techniker und hat in Sachen Produktion das Sagen. Das macht ihn zu einem begehrten Studiomusiker. Er spielt mit Ringo Starr und auf George Harrisons All Things Must Pass, lernt durch die Künstlerin Lulu seinen späteren Freund Jon Bonham von Led Zeppelin kennen, schreibt für Filme und andere Künstler*innen. Die Bilanz seiner Solokarriere ist dennoch überschaubar: Offiziell gerade mal zwei Singles (von 1970 und 1984) kommen da zusammen. Sein zwischen Dezember 1969 und März 1970 aufgenommenes Solodebüt The Loner bleibt bis heute unveröffentlicht. Leider.

Dämon Alkohol

Das Damoklesschwert über diesem besonnenen, unaufgeregten Leben ist Dämon Alkohol. Seit den Siebzigern hängt Maurice Gibb an der Flasche, ausgerechnet befeuert von seinem großen Helden John Lennon, der ihm seinen künftigen Lieblingsdrink – Scotch mit Cola – zeigt. „Hätte er mir Cyanid gegeben, hätte ich auch Cyanid getrunken, so voller Ehrfurcht war ich vor ihm“, sagte Gibb mal in seiner typischen Bescheidenheit. Sein Konsum gerät außer Kontrolle, bisweilen muss er sich an der Wand entlanghangeln, um überhaupt auf die Bühne zu kommen. Erst in den frühen Neunzigern kommt er vom Alkohol los und genießt ein ruhiges, harmonisches Familienleben.

Sein Tod am 12. Januar 2003 kommt überraschend – und bleibt nicht ohne offene Fragen: Einige Tage vor seinem Tod war der 53-Jährige am Darm notoperiert worden. Vor dem Eingriff hatte er nach Angaben des Krankenhauses jedoch einen Herzstillstand erlitten. Seine hinterbliebenen Brüder Robin und Barry Gibb machten dem Mount Sinai Medical Center in Miami Beach, Florida, daraufhin große Vorwürfe. Seit 2006 treten Robin und Barry Gibb wieder gemeinsam auf. Der Tod von Robin Gibb am 20. Mai 2012 markiert das endgültige Ende einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten.

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