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Popkultur

Neue Zappa-Doku: Wer ist eigentlich Frank?

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Frank Zappa
Foto: Yoram Kahana/Magnolia Pictures

Genie und Wahnsinn lagen bei Frank Zappa näher beieinander als bei den meisten anderen. Regisseur Alex Winter konzentriert sich auf das Genie und bringt uns mit der sehenswerten Doku Zappa einen Menschen näher, den man Zeit seines Lebens nur schwer einschätzen konnte. Das gelingt fast immer sehr gut.

von Björn Springorum

„Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen.“ Obschon nicht sicher gestellt ist, dass diese Worte wirklich von Frank Zappa stammen, fassen sie das Dilemma recht probat zusammen. Über Frank Zappa zu schreiben, vielleicht sogar zu urteilen, ist so etwas wie die Königsdisziplin des Rockjournalismus. Eine Disziplin, so viel ist sicher, bei der man nur verlieren kann. Das Genie Zappas ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass man es unmöglich in die richtigen Worte fassen kann. Zappa ist nicht fassbar, sein Œuvre aus dutzenden Platten und hunderten Stunden Videomaterial ist so überwältigend wie seine Persönlichkeit schwierig.

Ein ungewöhnliches Leben

Umso mehr Respekt muss deswegen noch vor der ersten Szene Alex Winter zuteil werden, der es mit Zappa gewagt hat, eine weitere Dokumentation über den 1993 verstorbenen Meister zu drehen. Auf den ersten Blick mag  der 55-jährige Brite, der jedem cineastisch bewanderten Menschen als Slacker Bill in den unglaublich albernen Bill & Ted-Filmen bekannt sein dürfte, eine eher ungewöhnliche Wahl für ein derart delikates, ausuferndes, von den strengen Augen echter Zappa-Fans kritisch beäugten Projektes sein; letztlich erweist sie sich als perfekt: Anstatt den extremen Zappa-Fanatiker raushängen zu lassen oder die Biografie des musikalisch oft unverstandenen Freak-Rockers reißerisch aufzubereiten, erzählt Winter in ruhigem Ton, gelassen und mit Abstand von einem ungewöhnlichen Leben.

Wer Zappa davor bewunderte, wird damit nach dieser Dokumentation nicht aufhören. Wer nichts mit ihm anfangen konnte, wird dabei bleiben. Zappa will kein neues Bild des Künstlers zeichnen, will nichts enthüllen. Eher schon versucht Winter, Schnappschüsse abzubilden, schlaglichtartige Montagen, die in ihrer Aneinanderreihung einer Zappa-Komposition gar nicht unähnlich sind. Und Aficionados seiner Kunst viele einzigartige Einblicke bietet: Zappa als Kind, das mit Gasmasken spielte, weil sein Vater im Schatten des Kalten Krieges in einer Senfgasfabrik in Kalifornien arbeitete. Zappa als jugendlicher Hobby-Regisseur, der Zombiefilme dreht.

Grabungen im Eldorado der Popkultur

2015 beginnt Winter mit der Arbeit an der biografischen Dokumentation, in vollem Umfang unterstützt vom gestrengen Zappa Family Trust. Sie müssen ziemlich angetan gewesen sein von seiner Sichtweise auf den Menschen, Musiker, Komponisten und Wahnsinnigen Frank Zappa: Erstmals machen sie ihre heiligen Archive zugänglich, das ultimative Eldorado jedes Zappa-Fans, in dem wahrscheinlich mehr unveröffentlichtes Material schlummert als die meisten Musiker*innen je komponieren. Auch der Rest der Welt schien angetan von der Idee: Die Doku wurde vollständig von der Crowdfunding-Plafttform Kickstarter finanziert. In nur 30 Tagen sammelten über 8.000 Unterstützer*innen die ungeheuerliche Summe von 1,2 Millionen US-Dollar, damit Winter ohne Nöte und Sorgen seiner Arbeit in diesem Fort Knox der Popkultur nachgehen konnte.


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Den Druck hat das nicht eben verringert. Doch die Vorschusslorbeeren, sie haben sich gelohnt. Alex Winter bringt uns einen Frank Zappa näher, den wir so noch nicht gekannt haben. Nicht den Freak, als den man ihn vorschnell abstempeln kann. Auch nicht den Tyrann, der seine Mitmusiker drangaslierte und Unmögliches von ihnen verlangte, den geplagten Künstler, der eher aus Versehen Hits geschrieben hat. Dafür begegnet uns ein Künstler, der oftmals allein gelassen wirkt mit seinem Genie und seiner unbändigen Kreativität. Der das lodernde Feuer in sich nicht recht zu kontrollieren weiß und deswegen schreiben, schreiben, schreiben musste. ADHS? Autismus? Zwangsstörungen? Alles nicht auszuschließen. Und vielleicht ein Stück weit für seine wirre Genialität verantwortlich.

Zum Glück kein Zappa-Ultra

In jahrelanger Abeteurertätigkeit wühlte sich Winter durch den Archivdschungel, bleibt bewusst nicht nur bei der Spitze des Eisbergs. Er holt tief Luft und taucht ein, fördert mit Vorliebe Szenen zutage, die nicht schon tausendfach zitiert und reproduziert wurden, wenn man das exzentrische Genie des Frank Zappa möglichst eindeutig veranschaulichen wollte. Nur so ein Beispiel, das Fans Freudentränen in die Augen treiben dürfte, wenn sie es hören: Es gibt Eindrücke vom ersten Line-Up der Mothers Of Invention während ihrer sechsmonatigen Residency im New Yorker Garrick Theatre 1967. Nicht viel, Winter legt großen Wert darauf, keine Live-Doku zusammenzusetzen; aber genug, um von einem historischen Moment zu sprechen.

Mothers Of Invention

Der vielleicht genialste Kunstgriff gelingt Winter mit dem grandios unauffällig inszenierten Reifeprozess des Frank Zappa. Vom fluchenden und frauenfeindlichen Revoluzzer-Arschloch der Sechziger (sorry, ist so!) zum reflektierten, ruhigen, eloquenten und politisch scharfsinnigen Zensurgegner, dem man stundenlang zuhören könnte. Winter behält sich die Rolle des Beobachters vor, er urteilt nicht. Doch Montage und Fokus allein zeigen, dass er Zappa kritisch sieht, ohne ihn zu verdammen. Ein Glücksfall, dass hier kein Zappa-Ultra in die Archive gelassen wurde. So bekommen wir den vielleicht realistischsten Frank Zappa, den wir je zu sehen bekamen. Und endlich mal keinen Zirkusbären, dessen Exzentrik herausgekehrt wird.

Wirklich besser versteht man das Enigma Zappa auch nach diesem zwei Stunden nicht. Aber man stört sich weniger daran und akzeptiert, dass manche Geheimnisse nie zur Gänze dechiffriert werden.

Zappa ist ab sofort digital verfügbar.

Zeitsprung: Am 4.12.1993 stirbt der einzigartige Frank Zappa.

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