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Popkultur

Review: The Libertines glänzen auch als Mittvierziger

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The Libertines
Foto: Ed Cooke

Die Libertines klingen so urenglisch, gossenpoetisch und lakonisch wie eh und je. Dennoch ist das große Comeback All Quiet On The Eastern Esplanade anders, leiser, weniger aufwühlend. Hat wohl was mit dem Alter zu tun.

von Björn Springorum

Sie waren mal die wichtigste Band Englands. Und zerbrachen nach nur sieben Jahren an Drogen, Streitereien und Egos. So weit, so normal also. Und dennoch umgibt die Libertines seit ihrem infamen ersten Auftauchen 1997 eine Art Halo der rüpelhaften Gentlemen. Das hier war trotzdem so ganz anders als Oasis, und die kannten sich ja auch mit Rüpeleien aus. Eher schienen die damals unzertrennlichen Carl Barât und Pete Doherty, definitiv brothers from another mother, direkt aus einem Charles-Dickens-Roman ins heutige London entstiegen zu sein, Schurken mit Augenringen und in coolen Klamotten, die dieselbe Rolle für England einnehmen, die die Strokes für die USA gepachtet hatten: Garage Rock wieder groß zu machen.

Das randvolle Pintglas an den nassen Lippen

Das gelingt ihnen gut. Zu gut, um genau zu sein. 2002 der Durchbruch, schon 2003 Dohertys Abstieg in den Drogensumpf. Crack, Heroin, erratisches Verhalten, Prügeleien. Einige Monate muss Pete Doherty, längst mit Gusto und selbstzerstörerischem Flair der bad boy der englischen Rockszene, sogar in den Knast. Dann auch noch die Beziehung mit Kate Moss, klassisch toxisch, beide tun sich nicht gut, im Grunde sieht die Musikpresse das Ende schon kommen.

Es kommt auch: Die Band zerbricht schon 2004, rauft sich aber 2014 wieder zusammen. Und jetzt, ein weiteres Jahrzehnt später, sind die Retter Albions wieder zurück. Gute 20 Jahre nach ihrem Durchbruch sind Carl Barât und Pete Doherty wieder unzertrennlich, wenn auch diesmal auf eine andere, respektvollere, weit weniger zerstörerische Art. Sie hängen immer noch gern im Pub, das randvolle Pintglas an den nassen Lippen. Die ganz wilden Zeiten des Hedonismus, die sind mit Mitte 40 aber eben vorbei. Und das kann auch was Gutes haben, wie ihr erst viertes Studioalbum All Quiet On The Eastern Esplanade beweist.

Von Rüpeln zu Hotelbesitzern

Zunächst einmal ist da die Entstehungsgeschichte des Albums. Dem voraus geht nämlich, dass sich die Band ein altes Strandhotel im Urlaubsort Margate im Südosten Englands gekauft hat. Dort befindet sich ihre eigene Bar und ihr Studio, die Albion Rooms. Viel englischer geht’s nun wirklich nicht. Den Libertines zumindest tat dieser Kauf gut: Erstmals, so berichtet Barât, kam die ganze Band zu Sessions und Proben zusammen, erstmals wollten alle dasselbe, war die Energie durchgehend positiv, kreativ, sinnstiftend. Carl Barât, Pete Doherty, John Hassall, Gary Powell, zuletzt doch noch harmonisch vereint.


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The Libertines
All Quiet On The Eastern Esplanade
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Windzerzauste Hymnen an England

Deswegen klingt All Quiet On The Eastern Esplanade auch so sehr aus einem Guss. Das hier ist ein großes Album, daran besteht gar kein Zweifel – selbst wenn der Sturm und Drang, der Furor der frühen Zweitausender fehlen. Stattdessen haben die Libertines elf wunderbar englische, poetische, taumelnde, bittersüße Hymnen an England auf Platte gebannt. Die Songs erinnern in ihrer Machart gern mal an das viktorianische Zeitalter, an den Besuch eines Rummels an der windzersausten Küste Britanniens, ganz allgemein an Erinnerungen. Dann aber auch an Blur, an die Beatles, in Be Young auch an ihre wüste Vergangenheit.

Die Band reflektiert vor allem, lässt ihre eigene Geschichte an einem Tresen vorüberziehen, macht sich aber typisch schnoddrig immer noch lustig über die, die meinen, sich besser in London auszukennen als sie. Im fantastischen Opener Run Run Run geht es dann auch um die „Teilzeit-Schwätzer“, die „die Straßen von Camden wie ihre Westentasche kennen“. Neben Uptempo-Rockern wie diesem gibt es viele ruhige Momente auf der Platte. Baron’s Claw scheint direkt aus einem schummrigen Jazz-Club auf die Straße zu dringen, während das melancholische, tiefergestimmte Piano-lastige Man With The Melody als großer Melancholiker zum Highlight des Albums wird. Und der Abschluss Songs They Play Never On The Radio, der ist dann fast ein später Beitrag zum Britpop-Kanon.

Gefahr mag von Libertines nicht mehr ausgehen. Die unberechenbaren, explosiven, eskalativen Tage der Band liegen endgültig in der Vergangenheit. Lieder wie das wunderbar lakonische Merry Old England, so durch und durch englisch, dass man nur verzückt vom nächsten Pub träumen kann, beweisen aber, dass der Band und uns nichts besseres hätte passieren können. All Quiet On The Eastern Esplanade ist ein reflektierendes, besonnenes, aber wunderschönes Album, in dem man herrlich versinken kann, die salzige Gischt auf den Lippen. Vor allem ist es erstmals vorstellbar, dass die Band danach nicht gleich wieder getrennte Wege geht.

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