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Popkultur

50 Jahre „Self Portrait“: Wie Bob Dylan unbedingt seinen Status demontieren wollte

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Bob Dylan
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Vor 50 Jahren erscheint Bob Dylans zweites Doppelalbum Self Portrait. Im Gegensatz zu Blonde On Blonde muss das krude Werk reichlich Häme, Spott und Ablehnung einstecken. Das ist sogar Kalkül: Dylan hat seine Rolle als Stimme der Generation satt. Und will endlich seine Ruhe haben. Geklappt hat das eher so semigut.

von Björn Springorum

Das Ende der Beatles, so steht es in dem amüsanten 1991er Buch The Worst Rock And Roll Records Of All Time, beschwor das Ende der Sechziger herauf; Self Portrait, so geht diese Sentenz weiter, beschwor das Ende von Bob Dylan herauf. Dazu kam es dann ganz offensichtlich nicht. Doch es lohnt sich, dieser profunden Aussage mal auf den Grund zu gehen.

Im April 1969 überrascht Bob Dylan mal wieder die Musikwelt. Sein neuntes Studioalbum Nashville Skyline hält das, was sein Titel verspricht, und gibt sich als reines, traditionelles, rustikales Country-Album. Aufgenommen zwei Monate zuvor in Nashville mit der Unterstützung von Johnny Cash, legt sich Dylan – kurzzeitig Nichtraucher – gleich auch eine neue Stimmfarbe zu. Das nasale Nörgeln wird kurzerhand ersetzt durch ein sanftes, uriges Croonen, das man nun mal mit dem nostalgischen Narrativ dieser Musik verbindet. Noch überraschender ist da nur: Nach den tödlichen Attentaten auf Martin Luther King Jr. und Robert Kennedy wendet sich ausgerechnet Bob Dylan vom Protestsong ab, um dem Country zu frönen. Dem Country, dem absoluten Gegenteil jedweder Form des Protests!

„Was soll denn diese Scheiße?“

Dylan kommt damit durch, das Album ist ein Erfolg. Und somit höchstwahrscheinlich für Dylans kühnen Plan verantwortlich, so etwas danach gleich noch mal zu versuchen – als Doppelalbum. Mit Self Portrait erntet er ein gutes Jahr später dann aber die so ziemlich schlechtesten Kritiken, die er bisher auszuhalten hatte. Erst Folk, dann Rock, dann wieder Folk, dann Country – Dylan ist bekannt dafür, seinen Zuhörer*innen in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern eine Menge zuzumuten. Self Portrait scheint aber irgendwie den Vogel abzuschießen. Auch 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist unvergessen, wie der Rolling-Stone-Autor Greil Marcus die Rezension der Platte mit diesen legendären Worten beginnt: „Was soll denn diese Scheiße?“

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Dass jemand noch solche Reaktionen provozieren kann, der in Woodstock wohnt und 1969 dennoch lieber auf dem Isle Of Wight Festival auftritt, als in seinem eigenen Hintergarten, klingt erstaunlich. Was war passiert? Darüber gibt es widersprüchliche Aussagen und jede Menge Theorien. Über allen steht: Dylan wollte es so! Mehrfach bezeugte er seither in Interviews, dieses Album sei als Witz gedacht gewesen, als Provokation, als Aufnahme, die bewusst weit unter seinen Qualitätsansprüchen der Sechziger liegt. Weil er endlich weg will von dieser Messiasrolle, von dieser erdrückenden Figur des Sprachrohrs einer gesamten Generation. In einem Interview mit Cameron Crowe von 1985 sagt er über das Doppelalbum: „Ich wollte niemandes Handpuppe sein und dachte mir, dass dieses Album dafür sorgen würde. Ich hatte es so satt, dass jeder zu wissen glaubte, wer ich war.“

Der Poet verzichtet auf Worte

Dafür gibt er alles. Er covert wild und querbeet Songs, schmeißt ein paar Live-Aufnahmen dazu und streut die eine oder andere neue Nummer darüber. Wie bei einem Bootleg-Album eigentlich, derer es in Dylans Archiven unzählige gibt. Nur eben als offizielle, zehnte Studioplatte. Das kommt rekordverdächtig schlecht an, verkauft sich aber trotzdem ordentlich. Und hört man einmal genauer hin, gibt es auf Self Portrait mehr zu entdecken, als dieser Shitstorm vermuten lässt. Da ist der Opener All The Tired Horses, dessen Text aus gerade mal zwei Zeilen besteht und von dem dreiköpfigen Frauenchor Hilda Harris, Albertine Robinson und Maeretha Stewart zu bittersüßen Melodien gesungen wird:

All the tired horses in the sun
How’m I s’posed to get any ridin’ done?

So einfach, so zerbrechlich, so schön. Verwendet wird die Nummer im 2001er Film Blow – im selben Jahr also wie das kuriose Mariachi-Instrumental Wigwam, das in The Royal Tenenbaums auftaucht. Mit Living The Blues schenkt Dylan dem Album noch einen klassischen Blues und mit Woogie Boogie das dritte Instrumental. Von einem wie Dylan, dem Mann der Worte, der für seine Texte mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, ist das mehr als nur ein bisschen seltsam. Es zeigt aber stärker noch als alles andere auf Self Portrait, wie sehr er unter seiner Stilisierung zur popkulturell-politischen Ikone leidet. Unter dieser Rolle, die nie seine eigene war. Er will alles tun, um aus diesen Fesseln auszubrechen, alles zertrampeln, was er sich in den Sechzigern aufgebaut hat.

Zurück auf Null

Widersprüchlich und unorthodox wie so vieles in der Karriere dieses Jahrhundertkünstlers, sehen wir ihn auf New Morning nur wenige Monate später dann aber überwiegend zu seiner nasalen Stimmlage zurückkehren. Ebenso undurchschaubar und unerwartet kommt im November 1971 dann die Single George Jackson – Dylans Aufarbeitung des Mordes an dem Black-Panther-Mitglied, das 1971 im San-Quentin-Gefängnis bei seiner gewaltsamen Flucht erschossen wurde. Für viele ist es eine Rückkehr des Songwriters zu seinem früheren Protestmaterial – und so etwas wie der Vorläufer von Hurricane. Ab 1974 ist Dylan dann auch wieder auf Tournee, obwohl das auch so eine Sache ist, die er eigentlich zu überwinden versuchte.

Letzten Endes ist ebenjene Absenz eines roten Fadens aber eben der einzig rote Faden, der sich durch die 60 Jahre seiner Karriere schlängelt. Self Portrait nimmt in diesem inkohärenten Lebensweg allerdings auf ewig eine Sonderstellung ein. Als riesiger Reset-Knopf, als Bruch, als bewusste Eradikation von allem, was man davor zu glauben meinte. Oder auch: Typisch Bob Dylan.

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