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Popkultur

Der historische Verriss: „McCartney II“ (1980) von Paul McCartney

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Foto: Cover

Auch Experten liegen manchmal mächtig daneben. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken. Oder handelte es sich doch um berechtigte Kritik, die der allgemeinen Meinung widersprach? Zeit für eine erneute Analyse.

von Michael Döringer

Noch heute ist sich die Musikwelt uneinig

Dieses Mal geht es um ein Soloalbum von Paul McCartney, an dem sich wirklich die Geister scheiden, damals wie heute. Auf McCartney II, seinem de facto erst zweiten – oder dritten, wenn man RAM dazurechnet – Soloalbum nach dem Ende der Beatles und vielen Wings-Platten, bricht Paul McCartney teilweise radikal mit Rock-Konventionen und Hörgewohnheiten. Er nimmt offen in Kauf, viele seiner Fans regelrecht zu verstören. Und so geschieht es auch. Von vielen Seiten gibt es aber auch Lob für McCartneys Mut zur Klangforschung, manche Songs auf McCartney II gelten als wegweisende Experimental-Pop-Werke und als äußerst einflussreich für den elektronischen Pop der frühen 1980er-Jahre. Stephen Holden vom amerikanischen Rolling Stone war das schnurz, so viel ist klar. In seiner damaligen Besprechung des Albums scheint er die Beweggründe von McCartney weder zu verstehen noch anzuerkennen, nicht mal die eher herkömmlichen Songs lässt er Macca durchgehen. Wir schauen uns seine Kommentare noch mal en detail an:

Oha! Schon in den ersten Sätzen des Textes schlägt uns die ganze Arroganz der Rockpresse entgegen. Gut möglich, dass der Autor insgeheim jede Art von elektronischer Musik für Schrottmusik hält, so undifferenziert wie er hier loslegt. Trans Europa Express hätte er wohl genau so abgekanzelt. Denn so viel sei jetzt schon gesagt: Bei weitem nicht das ganz Album besitzt den von ihm so beschriebenen Sound, es sind nur eine Handvoll experimentelle Leuchttürme, allen voran Temporary Secretary, das mit seinem schrägem Synthesizer-Arpeggio als eine frühe und mutige Elektropop-Adaption eigentlich total überzeugt – wenn es auch gewöhnungsbedürftige Klänge für die meisten Ohren waren.

Dass Paul McCartney diesen Schritt geht, ist schon für sich bemerkenswert. Und der Autor offenbart vor allem seine Ahnungslosigkeit. Und weiter?

Es bleibt beim despektierlichen Ton: Der „Pop“ klebt ekelig wie Kaugummi, ABBA wird auch noch direkt in die selbe Mülltonne getreten. Der Mann hat aber einfach keine Ahnung, denn Coming Up klingt kein bisschen nach ABBA, sondern wie eine funky Post-Punk-Nummer im Stil der Talking Heads. Scheinbar hat Stephen Holden hier schon jede Möglichkeit aufgegeben, der Platte doch noch etwas abzugewinnen, denn jetzt kritisiert er auch noch so klassische McCartney-Momente wie On The Way oder Waterfalls, die fast schon Beatles-Qualitäten haben – zumindest erinnert ersterer Song stark an an Come Together.

Dass es sich hier nicht mehr um eine warme Sixties-Aufnahme und -Produktion handelt, müsste man nicht extra betonen. Das hier sind die 80er und das Leben geht weiter, stupid!

 

Klingt fast versöhnlich dieses Ende, ist aber letztendlich nur eine weitere Geringschätzung von Pop und seiner vermeintlichen Inhaltsleere. Denn Pop, im Vergleich zum Rock, hat keine Konzepte zu bieten, ist per se hirnlos. Ergo: Muss man gar nicht ernst nehmen. Die Wahrheit ist eine andere: McCartney II ist eine völlig erfrischend und in Teilen aufregende und abenteuerliche Platte, gerade nach all den Jahren der formelhaften Wings-Musik. Schade, dass das Album aus kommerziellen Gründen nicht wie geplant ein Doppelalbum geworden ist. Die unveröffentlichten Songs von damals erschienen übrigens im Jahr 2011 doch noch, als Teil der The Paul McCartney Archive Collection. Vorher war das sogenannte Lost McCartney Album nur als Bootleg zu kriegen.

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