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Popkultur

Interview mit Korn: „Früher musste man noch gut an den Instrumenten sein!“

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Foto: Kevin Winter/Getty Images

32 Minuten und 36 Sekunden Katharsis: Die Nu-Metal-Erfinder Korn legen mit Requiem das kürzeste Album ihrer Karriere vor. Es schadet dem schonungslosen Material nicht, im Gegenteil: Es sorgt für das intensivste Korn-Album der letzten 20 Jahre. Ein Gespräch mit Sänger Jonathan Davis.

 von Björn Springorum

Neun Uhr morgens in Deutschland. Das bedeutet: Mitternacht in Kalifornien. Jonathan Davis geht dennoch wach und zackig in den Zoom-Call. „Ich bin ein Vampir“, lacht er. „Meistens werde ich erst nachts richtig munter.“ Mit bestem Blick die Hügel herab in Richtung Los Angeles macht er es sich auf dem Sofa bequem und man merkt rasch: Er ist zufrieden mit Reqiuem, hat Lust, über das abwechslungsreiche und dröhnende 14. Album der Nu-Metal-Pioniere Korn zu sprechen.

Hier könnt ihr euch Reqiuem von Korn anhören:

Jonathan, wunderst du dich manchmal über eure eigene Evolution? Ihr habt in knapp 30 Jahren eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt…

Ich glaube fest daran, dass es daran liegt, dass wir einfach nicht nachdenken. Wer so viel zusammenspielt wie wir, entwickelt sich ganz automatisch weiter. Zack, das passiert von allein. Wir entdecken ständig neue Dinge und wollen sie ausprobieren. Wir haben 14 Platten gemeinsam gemacht. Da lernt man eine Menge.

Requiem bezeichnest du als einen der schönsten Schaffensprozesse überhaupt. Woran lag das?

Wir hatten einfach so viel Zeit. Es gab keinen Druck, niemand wollte etwas von uns. Wir waren im Studio, hatten eine gute Zeit, waren alle gut drauf. Wir waren alle im Moment, da kam eine Menge zusammen. Die zusätzliche Zeit erlaubte mir sehr viel mehr Experimente bei meinem Gesang. Ich schrieb so viele Gesangslinien wie nie zuvor. Oh, und außerdem entschlossen wir uns, das Ganze nicht digital, sondern auf Tape aufzunehmen.

Warum?

Weil es sich einfach gut, echt und richtig anhört, Mann! (lacht) Wir nahmen analog auf und transferierten danach alles ins Digitale. Ich weiß auch nicht, aber diese rollenden Bänder, die großen Konsolen, das alles hatte so einen Vibe von alter Schule, der uns alle total befeuert hat. So hat man früher Alben gemacht. Heute klingt doch im Grunde alles gleich. Früher musste man noch gut an den Instrumenten sein!

Du hast dich vor einiger Zeit mit dem Coronavirus infiziert. Wie geht es dir heute?

Ich habe überlebt, das ist mehr als viele andere sagen können. Ich habe es überstanden, aber ich spüre die Auswirkungen immer noch. Ich bin noch nicht der, der ich davor war. Aber mir geht es gut und ich weiß, dass ich das eines Tages ganz hinter mir lassen werde. Es ist eine heftige Krankheit. Irgendwann merkst du, dass du nur noch gut durchkommen willst. Alles andere ist plötzlich egal.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Korn?

Wir haben die Chance genutzt, mal einen Schritt zurück zu machen und die letzten 25 Jahre zu reflektieren. Wir waren praktisch pausenlos unterwegs, waren immer unter Volldampf, nur auf Achse. Als Resultat haben wir beschlossen, künftig alles ein wenig bedachter anzugehen und nicht mehr so exzessiv lange auf Tour zu sein. Nicht, dass wir Konzerte nicht mögen, im Gegenteil, Konzerte sind meine Therapie; es ist aber was anderes, drei Wochen oder drei Monate unterwegs zu sein.

Wie geht es der Band derzeit?

Wirklich ausgezeichnet. Ich bin sogar versucht zu sagen: besser denn je. Wie jede Band, hatten auch wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten unsere Höhen und Tiefen, aber mittlerweile wissen wir alle, was für ein großes Geschenk es ist, dass wir uns haben. Wir verbringen unglaublich gern Zeit miteinander und genießen es, gemeinsam Musik zu erschaffen. Vielleicht braucht man erst ein gewisses Alter, um zu erkennen, wie besonders eine Band wie unsere ist.

Korn waren immer nah dran an der Gesellschaft und ihren Rissen. Diese Risse sind seit Covid größer denn je. Sag doch mal: Wie fühlt es sich derzeit an, in den Vereinigten Staaten zu leben?

Verdammt seltsam. Okay, es war immer schon seltsam hier, aber die Menschen hier drehen so langsam wirklich alle durch. Das tut mir nicht gut, also habe ich mich in letzter Zeit noch mehr denn je in meine eigene kleine Blase zurückgezogen. Ich gehe nicht mehr wirklich viel raus, ich will das alles gar nicht mehr mitkriegen. Mein Leben verbringe ich zwischen Tourbus, Backstage, Bühne, Studio und meinem Haus. (lacht) Menschen meide ich mehr denn je. Die USA fühlen sich an, als wären wir alle in ein Paralleluniversum gesaugt worden und niemand hat es uns gesagt. Was zur Hölle passiert da draußen gerade?

Andererseits ist das ja alles Inspiration für Korn. Worum geht‘s denn konkret auf Requiem?

Es ist ein sehr offenes und autobiografisches Album. Mir geht es schon mein ganzes Leben nicht gut, psychisch befinde ich mich oft an einem sehr dunklen Ort. ich fand immer Ausreden dafür, warum das so war, und betäubte mich mit Alkohol und Drogen. Irgendwann realisierte ich, dass ich damit aufhören musste. Ich musste akzeptieren, wer ich bin, um aus diesem Loch herauszukommen. Darum geht es beispielsweise in Start The Healing. Der Text dazu war nach nicht mal einer halben Stunde fertig.

Kollegen wie Chester Bennington, Scott Weiland oder Kurt Cobain hatten dieselben Probleme wie du und haben den Kampf verloren. Was geht da in dir vor, wenn du daran denkst?

Sie haben die Dämonen gewinnen lassen. Das macht mich zutiefst traurig. Sie hatten nicht das Glück, aus diesem Loch herauszukommen, sie hatten nicht die richtigen Menschen zur richtigen Zeit um sich oder sie waren einfach zu sehr in sich selbst verloren. Jede Geschichte ist anders, aber auch ich steckte so tief in den Drogen, dass ich niemals gedacht hätte, da je wieder rauszukommen. Das Schlimmste, was du mit Depressionen tun kannst, ist Drogen zu konsumieren. Doch erst mal an diesen Punkt zu kommen, kostet extrem viel Kraft. Ich wünschte nur, diese besonderen Menschen hätten die Hilfe bekommen, die sie brauchten.

Was hat dir geholfen?

Einige dramatische Einschnitte. Ich verlor meinen Großvater, kam nach der Beerdigung total besoffen nach Hause. Mein dreijähriger Sohn war wach und sah mich an, als wäre ich ein Monster, eine abstoßende Kreatur. An dem Punkt wusste ich, dass ich etwas ändern muss. Aber wie gesagt: Das ist nur meine Geschichte.

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Zeitsprung: Am 22.2.2005 verlässt Brian „Head“ Welch Korn, weil er Gott gefunden hat.

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