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Der historische Verriss: “Viva Hate” von Morrissey

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Auch Experten können manchmal mächtig daneben liegen. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken – oder war es doch durchaus berechtigte Kritik, die der allgemeinen Meinung gegenübersteht? Dieses Mal geht es um einen Künstler, der in seiner Karriere schon viel einstecken musste, mit seiner Band The Smiths aber auch den Indie-Pop der 1980er-Jahre maßgeblich geprägt hat und bis heute extrem einflussreich ist. Morrisseys erstes Soloalbum Viva Hate erschien im Jahr 1988, ein Jahr nachdem sich The Smiths aufgelöst hatten. Generell wurde es wohlwollend aufgenommen, unter Fans gilt es heut als eines seiner stärksten Alben, nahe dran an den großen Momenten der Smiths. Billy Altman sah das im amerikanischen Spin Magazine aber ganz anders. Woran lag’s? Wir kontrollieren seine Argumente:

 

Dieser Seitenhieb bezieht sich natürlich auf This Charming Man, einen der größten Hit der Smiths: „I would go out tonight, but I haven’t got a stich to wear“, singt Morrissey darin. Der Kritiker eröffnet direkt mit dem Totschlagargument gegen Morrissey schlechthin: Die Smiths waren besser, ohne seine alte Band kann Morrissey gar nichts! Bis heute beherrscht diese wenig originelle Meinung so gut wie jede Besprechung jedes neuen Morrissey-Albums. Klar: Die Smiths-Alben sind ganz große Klassiker, diese spezielle Dynamik konnte Morrissey alleine gar nicht erreichen. Musste er auch nicht, denn er konnte einfach sein eigenes Ding durchziehen, im Gegensatz zu allen anderen Smiths gelang ihm das auch. Morrissey ist das einzige Bandmitglied, dem eine wirklich erfolgreiche Solokarriere glückte. Nun, woran scheitert Viva Hate konkret für Billy Altman vom Spin Magazine?

Tja. Das ist ein sehr endgültiges Urteil, aber auch die subjektivste Kritik, die man üben kann. Gefällt ihm halt nicht, dem Billy. Und für Morrissey an sich hat er wohl auch nicht viel übrig. Morrissey macht nur das, was er immer schon gemacht hat? Ja Gott sei Dank! Gott sei Dank hat er es geschafft, nach der Trennung der Smiths mindestens einen kleinen Teil dieser tollen Musik, dieser tollen Songs weiterzuführen, auch ohne die anderen. Altman sind außerdem die Songs zu lustlos. Da hat er einerseits recht: Der britische Rock&Roll-Sound von Johnny Marr ist hier nicht mehr zu finden, sondern vor allem verträumt melancholische Pop-Songs, die Morrisseys Klagelauten wie auf den Leib geschneidert sind. Mit Everyday Is Like Sunday oder Suedehead war Morrissey hier textlich auf seinem absoluten Höhepunkt, das hätte man auch damals schon bemerken können. Aber diese Kritik misst ihn leider nur an den Vergangenheit:

Sich über Morrissey lustig zu machen war also schon damals eine beliebte Disziplin. Verständlich, immerhin bietet er auch genügend Angriffsfläche. Doch bis heute schafft er es beständig, irgendwie über all der Kritik zu schweben. Denn auch wenn er schon lange nicht mehr wirklich zu den musikalisch relevantesten Künstlern zählt, kann er sich auf eine riesige weltweite Fangemeinde verlassen, die ihn einfach so liebt, wie er ist. Viva Hate ist und bleibt eines der besten und schönsten Werke eines wirklich einmaligen Künstlers. Man liebt ihn, oder man hasst ihn eben. Lasst euch in dieser Hinsicht einen Rat von Morrissey höchstpersönlich geben: „It’s so easy to love, it’s so easy to hate. It takes guts to be gentle and kind.“


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