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Popkultur

10 Alben mit Konzept und Überlänge, in die man sich vertiefen kann

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Foto: Cover

Das Album-Format ist tot. Heutzutage bestimmen Playlisten und einzelne Songs das Geschehen, maximal EPs!

von Michael Döringer

Überlängen sind typisch im Rock

So hört man es zumindest. Dagegen wehren wir uns jeden Tag und stehen weiterhin leidenschaftlich zur LP als Gesamtkunstwerk. Nur ist es eben auch so, dass selbst wir nicht immer Zeit haben, uns einer Platte in voller Länge zu widmen. Vor allem nicht denjenigen, die weit über die magischen 40-50 Minuten hinausgehen. 90+ Minuten, 3-LP-Alben oder sogar 2-CD-Werke sind keine Seltenheit in der Rockgeschichte. Falls ihr also gerade ein paar ruhige Stunden habt, bald in Pension geht oder mit gebrochenem Bein auf dem Sofa liegt: Gute Besserung und viel Spaß mit den besten längsten Alben aller Zeiten!

Grateful Dead – Live Dead (1969)

Die vierte LP-Veröffentlichung von Grateful Dead war zugleich die erste Live-Aufnahme der Psychedelic-Legenden. Und da es immer heißt, dass sich die Magie der Dead vor allem auf den ausgedehnten Jams auf der Bühne entfaltet hat, ist diese Platte auch für einen Einstieg ins Werk der Hippie-Ikonen die richtige Wahl: sieben Stücke ausgedehnt auf 75 Minuten, mitgeschnitten im Jahr 1969 bei Live-Auftritten in San Francisco. Zum Vergleich, auch wenn er hinkt: Das White Album erschien ein Jahr zuvor mit fast 30 Songs. Grateful Dead standen für den hypnotischen Sog der Improvisation und ausgedehnte Jams. Man kann das nur nachempfinden und wertschätzen, wenn man sich dieser expressiven Urgewalt in voller Länge aussetzt.

The Who – Tommy (1969)

Klar kennst du Tommy, aber wann hast du es zuletzt komplett gehört, wenn überhaupt schon mal von Anfang bis Ende? Die „Rock-Oper“ ist ein geflügeltes Wort, letztendlich ist sie nichts anderes als ein stringent erzähltes Konzeptalbum. Tommy ist einerseits ein weniger komplexes Gegenstück zu fast überambitionierten Konzeptalben wie Sgt. Pepper, andererseits Vorbild für viele spätere Progressive-Platten. Mod-Hymnen, typisch weitläufiger Rock sowie kurze Interludes und Zwischenstücke, die das Gesamtgebilde stützen, mit dem Pete Townshend seine Kindheit und Jugend aufarbeitet. Es lohnt sich, hier nicht nur zwischen den bekannteren Songs wie I’m Free oder Pinball Wizzard hin- und her zu skippen.

George Harrison – All Things Must Pass (1970)

Für viele ist das hier natürlich Pflichtprogramm und ein ganz essenzielles Werk, das ist klar. Aber vielleicht habt ihr euch dem ersten wirklich guten Soloalbum von Herrn Harrison auch schon länger nicht mehr gewidmet – immerhin ein Dreifach-Album mit über zwei Stunden Spielzeit. Allen anderen sei gesagt: Das hier ist wohl die beste Post-Beatles-Platte, denn sie steckt im Prinzip voller Beatles-Songs, die der stille George gegen John und Paul nicht durchsetzen konnte. Hier durfte er sie alle nacheinander machen, und dementsprechend ausufernd wurde das Projekt.

Genesis – The Lamb Lies Down On Broadway (1974)

Noch eine Platte aus der offensichtlichen Kategorie, aber auch eine, für die man wirklich Zeit und Muse braucht: das Genesis-Album schlechthin, neben Selling England By The Pound. Ein konzeptuelles Prog-Meisterwerk wie es im Buche steht, ein Album, das vielleicht stellvertretend für ein ganzes Genre stehen kann. Obwohl es so komplex-kompliziert angelegt ist, geht The Lamb Lies Down On Broadway wunderbar ins Ohr, was vor allem Peter Gabriels Verdienst ist. Er dachte sogar daran, aus der Geschichte einen Film zu machen. Gut, dass daraus nichts wurde, werden manche Kritiker*innen sagen. Denn die Story vom puerto-ricanischen Hustler Rael in New York City ergibt leider nie so wirklich komplett Sinn. Nimm dir die 92 Minuten und versuch des nachzuvollziehen. Wie bei 2001 von Stanley Kubrick lohnt sich hier jeder neue Versuch.

The Clash – Sandinista! (1980) 

Auch die Punkrock-Legenden The Clash können Langstrecke. Die Band um Joe Strummer hatte sich schon früh von eindimensionalem Punk verabschiedet und war in Richtung Soul und Blues, Dub und Reggae ausgeschweift. Im Jahr nach London Calling erschien mit Sandinista! ein Dreifach-Album, das manchen Kritiker*innen zu weit ging, zu wirr war. Die Band mischte alle Genres, warf Songskizzen zwischen Dub-Experimente, lieferte viel Material ab und war lange nie so greifbar wie auf dem Album zuvor. Es lohnt sich dennoch, den Charme des Unfertigen und Überladenen zu entdecken – alleine wegen den darin versteckten Klassikern wie Hitsville U.K. oder Police On My Back.

Hüsker Dü – Zen Arcade (1984)

Der Einfluss von Hüsker Dü und speziell dieser Platte auf den US-Alternative-Rock der 80er kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dieser Post-Hardcore-Klassiker brach damals mit vielen Regeln, allein schon dadurch, dass es sich um ein extensives Konzeptalbum handelte. Es erzählt von den Erfahrungen eines jungen Mannes, der sein erstes Jahr weg von zu Hause verbringt. Viel wichtiger ist allerdings der Sound dieses Albums, der sich für Pop öffnete, ohne Punk-Ideale zu opfern. Zen Arcade steht tatsächlich ganz in der Tradition von Punk und Hardcore, ohne sich davon formell einschränken zu lassen.

Smashing Pumpkins – Mellon Collie & The Infinite Sadness (1995)

Mit dem beachtlichen und stolzen Nachfolger von Siamese Dream schossen Billy Corgan und Co. endgültig durch die Decke. In den über zwei Stunden und 28 Songs versuchte Corgan, zeitgenössischen Alternative Rock mit den Platten der 70er zu verschmelzen, die er liebte. Das Ergebnis konnte sich hören lassen, das Bombastische und Überambitionierte passte irgendwie ganz gut zum Sound der Pumpkins – vor allem, wenn dank Hits wie 1979 oder Bullet With Butterfly Wings eigentlich nie anstrengende Längen entstehen.

Drive-by Truckers – Southern Rock Opera (2002)

Der Titel ist Programm: Southern Rock Opera ist ein Muss für alle Southern-Rock-Fans und alle, die es werden wollen. Das ist nicht schwer, denn die Musik der Drive-by Truckers ist unglaublich direkt und packend. Auf diesem über 90-minütigen Meisterwerk geht es um Lynyrd Skynyrd, die größte Inspiration der Band, und die Lebensverhältnisse im Süden. Ein hochambitionierter Song-Zyklus, der dem Genre selbst den Spiegel vorhält, als Tribut an Skynyrd gedacht ist und sich zugleich nicht hinter deren mächtigen Einfluss verstecken muss.

Sufjan Stevens – Illinois (2005)

Gute und substanzielle Konzeptalben sind selten geworden, im Pop sowieso. Sufjan Stevens ist ein Künstler, dessen endlose Kreativität immer zwangsläufig zu interessanten Konzepten führt. Ob das nun ganze Alben über seine Eltern oder über Bundesstaaten der USA sind, wie Illiois von 2005. Americana von heute oder doch US-Nostalgie? Das muss man selbst entscheiden. Auch hier läuft die Uhr über 90 Minuten und 25 Songs.

The Beach Boys – Smile Sessions (2011)

Das legendärste Artefakt des Sixties-Pop: das letzte Album-Projekt von Brian Wilson respektive der Beach Boys. Begonnen 1966 und nie fertig gestellt. Und doch gab es stundenlanges Aufnahmematerial. 2004 schon veröffentlichte Wilson ein Soloalbum, das auf den SMiLE-Aufnahmen basierte, hier werden die Aufnahme-Sessions aus einem leicht anderen Blickwinkel präsentiert. Wie hätte der Nachfolger von Pet Sounds klingen können? Mit den Smile Sessions kann man sich das in 141 Minuten selbst ausmalen.

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